Transkript
EDITORIAL
«Mommy, sprechen sie englisch, da, wo ich hingehe?»
«Wenn ich auf die richtige Idee gewartet hätte, um ‹Humans of New York› zu beginnen, hätte ich niemals damit begonnen.» Gut, dass es anders kam. Was Brandon Stanton als Experiment angefangen hat, verfolgen heute mehr als 15 000 000 Menschen via Social Media. Ursprünglich wollte der ehemalige Banker nur die Menschen seiner Stadt fotografieren – 10 000 Portraits sollten es werden. Ein wenig später entstand die Idee eines Blogs, um andere an den Begegnungen teilhaben zu lassen. «Humans of New York», kurz HONY, wurde schnell eine Seite, die man sich merken sollte. Denn nach und nach rückten auch die Geschichten der Portraitierten immer stärker in den Mittelpunkt. Und Brandon Stanton hat nicht nur ein gutes Auge, was die Fotografie angeht, sondern auch ein bemerkenswertes Gespür für Menschen, die etwas zu erzählen haben. Daraus resultieren jeden Tag aufs Neue beeindruckende Momentaufnahmen und anrührende Geschichten, aus denen man erst noch viel lernen kann. So hat er in den letzten Wochen aus der pädiatrischen Abteilung des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers berichtet; Geschichten, die schwer zu erzählen und sogar manches Mal schwer zu lesen sind. Handeln sie doch vom Krieg eines jeden
einzelnen Betroffenen gegen den Krebs – tragisch ausgetragen auf dem Schlachtfeld der Kinderkörper, wie Stanton schreibt. Aber er präsentiert auch die Helden, seien das Ärzte, Forscher oder Krankenschwestern, die sich dem Kampf gegen den Krebs verschrieben haben; die Eltern, die in diesen Zeiten für ihre Kinder stark sind, und natürlich die grössten Kämpfer – die Kinder selbst. Zum Beispiel Gabe, der einen einzigartigen Hirntumor hat und anderen Eltern anbietet, ihnen beizubringen, wie man trotzdem tapfer sein kann. Oder einfach traurig, wann immer man will, schliesslich sei das die traurigste Sache überhaupt. In den vielen Berichten lernt man ganz unterschiedliche Perspektiven kennen und erfährt, was plötzlich wirklich zählt im Leben – aber auch, wie sich die Ärzte immer wieder motivieren, nicht nachzulassen im Kampf gegen diesen schwer greifbaren Feind. Eine grosse Unterstützung ermöglicht die Anteilnahme der Leser, die in vielen Kommentaren und einer stolzen Spendensumme deutlich wird. Und dabei können sogar posthum noch Wünsche wahr werden: Max, der im Alter von sieben Jahren an einem DIP-Gliom verstarb, war immer davon überzeugt, dass er eines Tages eine Million haben würde. Daher wurde das Wort «millions» als eines seiner geliebten Dinge auf einer Gedenktafel verewigt. Und als Stanton zum Abschluss seiner Geschichte ein Bild davon online stellte, kam in der darauffolgenden Nacht in Gedenken an Max eine Million zusammen, eine Million Dollar, gewidmet der Forschung und zukünftigen Behandlung des DIPG.
Christine Mücke
Auf der Website finden Sie Portraits und Geschichten aus mittlerweile mehr als 20 Ländern: www.humansofnewyork.com
Hier geht es direkt zu den Beiträgen aus dem Memorial Sloan Kettering Cancer Center: www.rosenfluh.ch/qr/honyca
ARS MEDICI 11 I 2016
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