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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Prävention
Kalziumsupplemente doch nicht schädlich für Herz und Gefässe?
Wegen fraglichen Nutzens und Hinweisen auf kardiovaskuläre Risiken werden hoch dosierte Kalziumsupplemente in der Schweiz seit fast zehn Jahren nicht mehr empfohlen. Mitte April wurde an einem internationalen Osteoporosekongress nun eine Beobachtungsstudie vorgestellt, wonach Kalziumsupplemente doch kein kardiovaskuläres Risiko seien (1). Professor Nicolas Harvey von der University of Southhampton und sein Team haben dafür Daten der UK Biobank ausgewertet. In diese Kohorte wurden zwischen 2006 und 2010 Männer und Frauen im Alter zwischen 40 und 69 Jahren aufgenommen. Neben den klinischen Daten wurden Blut-, Urin- und Speichelproben archiviert; die weitere gesundheitliche Entwicklung der Kohortenteilnehmer wird seitdem verfolgt. In der Kohorte fanden sich 34 890 Personen, die regelmässig Kalziumsupplemente einnahmen. Für einen Zeitraum von 7 Jahren überprüften die Forscher bei diesen Personen die Anzahl von Spitaleinweisungen aufgrund ischämischer Herzkrankheit und kardiovaskulären Ereignissen sowie von Todesfällen infolge dieser Einweisungsursachen im Vergleich mit Personen, die kein Kalzium supplementierten. Sie fanden keine Assoziation zwischen der Einnahme der Supplemente und den genannten Ereignissen. Daraus schliessen sie, dass Kalziumsupplemente doch nicht mit einem kardiovaskulären Risiko verbunden sind. Andere Wissenschaftler, wie Prof. Mark J. Bolland, Prof. Andrew Grey und Prof. Ian R. Reid von der University of Auckland, sehen das bekanntermassen völlig anders. Sie be-
rufen sich dabei nicht nur auf Beobachtungsstudien, sondern auch auf randomisierte Studien. Detailliert schilderten sie bereits 2013 in einer Übersichtsarbeit die Resultate ihrer langjährigen Forschung zum NutzenRisiko-Verhältnis von Kalziumsupplemen-
ten (2). Sie kommen zu dem Schluss, dass Kalziumsupplemente mit oder ohne Vitamin D die Frakturrate kaum mindern, aber Nierensteine, akute gastrointestinale Beschwerden sowie ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall mit sich bringen. Das erhöhte kardiovaskuläre Risiko sei auf jeden Fall schwerwiegender als jeglicher Nutzen der Kalziumsupplemente bezüglich der Frakturprävention (2). Wenn man 1000 Personen für 5 Jahre mit Kalziumpräparaten mit oder ohne Vitamin behandelt, führe dies zu 6 zusätzlichen Herzinfarkten oder Schlaganfällen, aber nur zu 3 Frakturen weniger, so beziffern sie das NutzenRisiko-Verhältnis (3). Abgesehen von der Diskussion um kardiovaskuläre Risiken stellt sich grundsätzlich die Frage, wie dringlich eine Kalziumsupplementation tatsächlich ist. Zwar ist immer wieder zu lesen, dass viele Personen einen Kalziummangel auf-
wiesen, in der Realität scheint dies jedoch
eher unwahrscheinlich zu sein: «Es ist gar
nicht so schwierig, mit normaler Ernährung
auf die 800 bis 1000 mg Kalzium zu kom-
men, die wir pro Tag in Kombination mit
Vitamin D brauchen», sagt Prof. Heike
Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich (4).
Bereits eine Scheibe Brot enthält 50 mg Kal-
zium, eine Scheibe Hartkäse gar 300 mg.
Milch und Milchprodukte sind übrigens
ohnehin eine bessere Kalziumquelle als
Supplemente. Der Grund: Kalzium wird in den
Knochen als Kalziumphosphat eingebaut.
Milch enthält das physiologisch günstige
Kalziumphosphat. Die gängigen Kalziumsup-
plemente enthalten hingegen Kalziumzitrat
oder Kalziumkarbonat, welche die Phos-
phataufnahme hemmen. Auch aus diesem
Grund wird heutzutage nur noch niedrig
dosiertes Kalzium (500 mg) empfohlen, aber
immer in Kombination mit Vitamin D (dies
fördert die Phosphataufnahme).
Aus ihrer Erfahrung an der Klinik für Geria-
trie am Universitätsspital in Zürich weiss
Bischoff-Ferrari, dass eine Kalziumunter-
versorgung auch bei älteren Menschen nur
selten vorkommt.
RBOO
1. Bericht vom World Congress on Osteoporosis, Osteoarthritis, and Musculoskeletal Diseases in Malaga/Spanien. Grosse Kohortenstudie bestätigt: Kalzium-Einnahme ist nicht mit erhöhtem KHKRisiko assoziiert. Medscape, 28. April 2016.
2. Bolland MJ et al.: Calcium supplements and cardiovascular risk: 5 years on. Ther Adv Drug Saf 2013; 4(5): 199–210.
3. Bolland MJ et al.: Calcium supplements with or without vitamin D and risk of cardiovascular events: reanalysis of the Women’s Health Initiative limited access dataset and meta-analysis. BMJ 2011; 342:d2040.
4. «Eine so einfache Massnahme darf man nicht verpassen». Ein Interview mit Prof. Heike Bischoff-Ferrari. Ars Medici 2016; 106(3): 93–98.
Orthopädie
Spironolacton bei Gelenkerguss
Das alte Diuretikum Spironolacton erwies sich als wirksam bei einem Arthrose-bedingten Gelenkerguss im Knie. Die Studie wurde an der Ambulanz des Universtiätsspitals in Sohag, Ägypten, in Kooperation mit der Charité Berlin durchgeführt. 200 Patienten ab 40 Jahren mit einem Arthrosebedingten Kniegelenkserguss wurden in die Studie aufgenommen. Bei allen wurde eine Ultraschalluntersuchung und eine Unter-
suchung der Synovialflüssigkeit durchgeführt. Die Studie hatte vier Behandlungsgruppen mit je 50 Patienten: O Spironolacton 25 mg/Tag für zwei Wochen O Ibuprofen 1200 mg/Tag für zwei Wochen O kalte Umschläge 2×/Tag für zwei Wochen O Plazebo 1×/Tag für zwei Wochen Als Erguss galt eine Flüssigkeitsdicke von Ͼ 4 mm. Ein Rückgang unter 4 mm wurde als vollständige Besserung bewertet, weniger galt
als teilweise Besserung. Das mittlere Alter
der Patienten war 51 ± 8 Jahre. Die mittlere
Dauer des Ergusses betrug 16,5 ± 3,6 Tage.
Eine vollständige Besserung erreichten
64 Prozent der Teilnehmer mit Spironolac-
ton. Ibuprofen oder kalte Umschläge waren
mit 24 beziehungsweise 28 Prozent etwa
gleich wirksam; mit Plazebo stellte sich nur
bei 6 Prozent der Teilnehmer eine vollstän-
dige Besserung ein.
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Elsaman AM et al.: Low-dose spironolactone: treatment for osteoarthritis-related knee effusion. A prospective clinical and sonographic-based study. J Rheumatol 2016, published online Apr 1, 2016.
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ARS MEDICI 10 I 2016
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gastroenterologie
PPI mit höherem Demenzrisiko assoziiert
Rückspiegel
Protonenpumpenhemmer (PPI) gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten, die über Jahre hinweg eingenommen und häufig nie wieder abgesetzt werden. In letzter Zeit fanden sich Hinweise darauf, dass der langfristige Gebrauch von PPI mit einem höheren Demenzrisiko assoziiert sein könnte.
Forscher aus Bonn und Rostock haben nun eine prospektive Studie mithilfe der Daten des grössten Krankenversicherers Deutschlands von 2004 bis 2011 durchgeführt. Insgesamt 73679 Versicherte in einem Alter ab 75 Jahren
ohne Demenz im Jahr 2004 wurden in die Studie einbezogen. 2950 von ihnen nahmen regelmässig PPI ein. Sie hatten ein um 36 bis 52 Prozent höheres relatives Risiko, im Lauf der Studienjahre an Demenz zu erkranken, als Personen ohne PPI (Hazard Ratio:1,44 [95%Konfidenzintervall: 1,36–1,52; p Ͻ 0,001]). Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass dieses Resultat sowohl durch andere pharmakoepemiologische Untersuchungen bestätigt werde als auch im Einklang mit tierexperimentellen Erkenntnissen stehe: Bei Mäusen erhöht sich unter PPI der Gehalt von Betaamyloid im Gehirn. Um definitiv zu klären, ob tatsächlich eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen PPIGebrauch und Demenz besteht, brauche es nun randomisierte Studien, schreibt das Autorenteam um Dr. Willy Gomm und PD Dr. Britta Hänisch vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn.
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Gomm W et al.: Association of proton pump inhibitors with risk of dementia: a pharmacoepidemiological claims data analysis. JAMA Neurol 2016; 73(4): 410-416.
Kardiologie
Nur schlank sein genügt nicht
Sportliche Kinder und Jugendliche haben später deutlich seltener Bluthochdruck als bewegungsfaule und damit auch ein geringeres Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Dabei spielt es weniger eine Rolle, ob sie in jungen Jahren normalgewichtig oder zu dick waren, wie eine neue Studie zeigt, auch wenn Übergewicht das Risiko noch einmal erhöht. Die Weichen für späteren Bluthochdruck werden offenbar schon in jungen Jahren gestellt. Darauf weist die Analyse der Daten von mehr als 1,5 Millionen schwedischen Rekruten der Jahre 1969 bis 1997 hin, die zum Teil über Jahrzehnte beobachtet wurden (1). Während der Musterung wurde bei den jungen Männern unter anderem der Body-Mass-Index (BMI), die Muskelkraft sowie die Ausdauer gemessen. Wenig Ausdauer erwies sich in der Nachbeobachtung als signifikanter Risikofaktor für späteren Bluthochdruck, und zwar auch bei normalgewichtigen Männern. Übergewichtige mit schlechter Kondition hatten
sogar ein drei- bis vierfach erhöhtes Risiko,
später eine Hypertonie zu entwickeln. Keinen
Zusammenhang gab es dagegen bei der
Muskelkraft.
Bereits eine frühere Studie hatte einen Zusam-
menhang zwischen der Fitness im Jugendalter
und einem späteren Herzinfarktrisiko auf-
gezeigt (2). Auch für diese Arbeit griffen die
Forscher auf Daten schwedischer Rekruten
zurück, insgesamt knapp 700 000 in den Jah-
ren 1969 bis 1984. Je schlechter die Kondition
der zum Zeitpunkt der Musterung 18 Jahre
alten Männer war und je höher ihr BMI, umso
grösser war die Wahrscheinlichkeit, dass sie
später einen Herzinfarkt erlitten.
redO
Pressemitteilung Deutsche Hochdruckliga DHL® e.V. und Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention.
1. Crump C et al.: Interactive effects of physical fitness and body mass index on the risk of hypertension. JAMA Int Med 2016; 176(2): 210–216.
2. Högström G et al.: High aerobic fitness in late adolescence is associated with a reduced risk of myocardial infarction later in life: a nationwide cohort study in men. Eur Heart J 2014; 35(44): 3133–3140.
Vor 10 Jahren
Klonforscher vor Gericht
Am 20. Juni 2006 beginnt der Prozess gegen den koreanischen Forscher Hwang Woo Suk wegen Betrugs und Unterschlagung. Er hatte in den Jahren zuvor unter anderem behauptet, menschliche Embryonen geklont und daraus Stammzelllinien angelegt zu haben. Die viel beachtete Publikation in der Zeitschrift «Nature» erwies sich jedoch als Fälschung. Hwang Woo Suk wurde zu 2 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, das Urteil wurde 2010 auf 18 Monate reduziert. Er gründete in der Folge das Privatinstitut Soam Biotech, das heutzutage anbietet, verstorbene Haushunde zu klonen.
Vor 50 Jahren
Vorsicht bei neuen Medikamenten
In einem Bericht über das wachsende Risiko, als Internist mit Schadenersatzforderungen von Patienten in den USA konfrontiert zu werden, rät man zur Vorsicht mit neuen Medikamenten. Der Internist solle sich eher an die ihm gut bekannten und auch in den Nebenwirkungen bekannten Mittel halten: «Es ist ein Risiko, jedes neue Mittel, das auf dem Arzneimittelmarkt erscheint, sogleich an Patienten auszuprobieren», schreibt der New Yorker Korrespondent von «Ars Medici» im Mai 1966.
Vor 100 Jahren
Sterile Zeitung
Über Zeitungen als OP-Unterlage berichtet «Ars Medici» im April 1916. Zu diesem Zweck werden mehrmals gefaltete, aufeinandergeschichtete und in ein Tuch eingewickelte Zeitungsblätter im Dampf sterilisiert. Sie liessen sich danach leicht ausbreiten und bildeten so eine «ausserordentlich passende Unterlage für fast alle Operationen, besonders an den Extremitäten». Sehr angenehm sei auch die Verwendung bei eitrigen Prozessen, weil nach der OP die «Blätter samt allem anhaftenden Material ohne zu zerreissen, fortgetan werden können».
RBO
ARS MEDICI 10 I 2016