Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 30.11.2015
Benachteiligung von Fachärztinnen und Fachärzten für Allgemeine Innere Medizin mit einem zweiten Facharzttitel. Weshalb hat das BAG geschwiegen?
Olivier Feller Nationalrat FDP Kanton Waadt
Artikel 41 Absatz 4 des KVG hält fest: «Die Versicherten können ihr Wahlrecht im Einvernehmen mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt.» Die Versicherer können aufgrund dieser Bestimmung Versicherungsprodukte anbieten, die für die Versicherten die Pflicht vorsehen, als Erstes eine Fachärztin oder einen Facharzt für allgemeine innere Medizin – auch «Grundver-
sorgerin oder Grundversorger» genannt – zu konsultieren. Als Gegenleistung werden ihnen Prämienrabatte gewährt. Gestützt auf diese Regelung hat eine grosse Krankenkasse viele Jahre lang Fachärztinnen und Fachärzte für allgemeine innere Medizin mit einem zweiten Facharzttitel, wie beispielsweise für Allergologie, aus der Liste der Grundversorgerinnen und Grundversorger ausgeschlossen. In einem Entscheid vom 22. September 2015 kam das Bundesgericht zum Schluss, die Praxis dieser Krankenkasse sei rechtswidrig, denn sie verstosse gegen die Grundsätze des Willkürverbots sowie der Wirtschaftsfreiheit (Erwägung 9). Dieser Entscheid hat
die Krankenkasse veranlasst, rund 200 Waadtländer Ärztinnen und Ärzte wieder in die Liste der Grundversorgerinnen und Grundversorger aufzunehmen («24 heures», 14.11.2015). Das BAG hat den Auftrag, die Aufsicht über die Krankenversicherungen (obligatorische Versicherung) auszuüben. Das Amt hat die Ausschlusspraxis der betroffenen Krankenkasse jedoch immer toleriert. In seiner Antwort auf die Interpellation «Ausschluss von Ärztinnen und Ärzten aus der Liste der Grundversorger im Rahmen des Hausarztmodells» hat der Bundesrat versucht, die Untätigkeit des BAG zu rechtfertigen; er hielt fest: Dieses «kann als Aufsichtsbehörde bei den Versiche-
rern nur eingreifen, wenn sie gesetzliche Vorgaben verletzen». 1. Weshalb hat sich das BAG
immer geweigert einzugreifen, obwohl inzwischen erwiesen ist, dass die Krankenkasse mehrere Jahre lang rechtswidrig gehandelt hat? Verfügt das BAG über das notwendige Fachwissen, um die gesetzlichen Vorschriften richtig auslegen zu können? 2. Ist der Bundesrat der Ansicht, das BAG habe seine Aufsichtspflicht genügend sorgfältig ausgeübt? 3. Was für Lehren zieht der Bundesrat im Hinblick auf die Organisation der Krankenkassenaufsicht aus dem Entscheid vom 22. September 2015?
Die Antwort des Bundesrats vom 11.3.16
1. Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung erlaubt den Versicherten, für die ambulante Behandlung unter den zugelassenen Leistungserbringern, die für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei zu wählen. Die Versicherten können ihr Wahlrecht aber im Einvernehmen mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt. Somit können die Versicherer besondere Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers anbieten. Das KVG ermächtigt den Bundesrat, diese näher zu regeln. Der Bundesrat hat allerdings nur wenige Bestimmungen dazu erlassen. Er überlässt es weitgehend den Versicherern, wie sie diese Versicherungsformen ausgestal-
ten. Dazu regeln sie die Rechte und Pflichten der Versicherten in ihren Versicherungsbedingungen (VB). Die Versicherer können die Kriterien, gestützt auf welche sie die Leistungserbringer «im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung» für ihre besonderen Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers auswählen, in ihren VB festhalten. Aufgrund dieser rechtlichen Grundlagen bieten die Versicherer unterschiedliche besondere Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers an. Die versicherte Person muss sich zum Beispiel zuerst an einen bestimmten Arzt (oft als Hausarzt bezeichnet) oder an eine Einrichtung, die der ambulanten Krankenpflege durch Ärztinnen und Ärzte dient, wen-
den. Die VB mussten der Aufsichtsbehörde bisher nicht zur Genehmigung unterbreitet werden. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist wie die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates davon ausgegangen, dass die Versicherer nicht verpflichtet sind, jede Ärztin und jeden Arzt in ihre besonderen Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers zuzulassen (siehe ihren Bericht vom 13. August 2014 zur parlamentarischen Initiative Feller «Keine Benachteiligung von Fachärztinnen und Fachärzten für allgemeine innere Medizin mit einem zweiten Facharzttitel»). Im angeführten Urteil vom 22. September 2015 ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass bei Modellen, bei denen gewisse Kategorien von Leistungserbringern ausgeschlossen werden, der Versicherer nachweisen muss, dass ohne Ausschluss
die Kosten höher ausfallen würden. Im behandelten Fall erbrachte der Versicherer den Nachweis nicht. Im Übrigen ist auf den 1. Januar 2016 das neue Krankenversicherungsaufsichtsgesetz in Kraft getreten. Es sieht vor, dass die VB einer Bewilligung des BAG bedürfen. Somit können auch die Auswahlkriterien für die besonderen Versicherungsformen geprüft werden. Aufgrund der Übergangsbestimmung gilt diese Bewilligungspflicht erst ab dem 1. Januar 2018.
2./3. Das BAG hat die Versicherer auf das Urteil aufmerksam gemacht. Der Bundesrat sieht keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass das BAG seine Aufsichtsaufgabe sorgfältig wahrgenommen hat. Er sieht deshalb auch keinen Handlungsbedarf bezüglich der Organisation der Aufsicht über die Krankenversicherer.
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ARS MEDICI 9 I 2016
POLITFORUM
INTERPELLATION vom 17.12.2015
Verhütungspillen: Risiken vermeiden und zielgruppengerecht informieren
Prisca BirrerHeimo Nationalrätin SP Kanton Luzern
Die Verwendung von drospirenonhaltigen Verhütungspräparaten (z.B. Yasmin®) erhöht das Risiko von Lungenembolien und Venenthrombosen. Diese Präparate sollten also nur verwendet werden, wenn nicht auf eine risikoärmere Alternative ausgewichen werden kann. Bei den betroffenen Patientinnen kann es sich um minderjährige Jugendliche handeln, welche erstmals unabhängig von ihren Eltern einen Arzt konsultieren und diese nicht mit
einbeziehen möchten. Entsprechend ist zentral, dass eine situations- und zielgruppengerechte Information der Patientinnen gewährleistet ist und Ärzte diese Präparate nur verschreiben oder empfehlen, wenn keine risikoärmeren Alternativen vorhanden sind. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 19. Februar 2014 zum Postulat Heim erläutert hat, wurden verschiedene Massnahmen getroffen, um unnötige Verschreibungen von drospirenonhaltigen Präparaten zu vermeiden. Laut einem Bericht der «Luzerner Zeitung» («Streit um Yasmin-Pille ist neu entbrannt», 1. September 2015) ist Swissmedic zudem daran, die Risikoinformationen bei
Verhütungspillen zu harmonisieren. Es bleibt aber unklar, ob diese Massnahmen die gewünschte Wirkung entfalten. Ich bitte den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten: 1. Ist er der Ansicht, dass mit den
in der Stellungnahme zum Postulat Heim erläuterten Massnahmen und der Harmonisierung der Risikoinformationen eine situations- und zielgruppengerechte Patientinneninformation gewährleistet ist? 2. Haben die in der Stellungnahme des Bundesrates zum Postulat Heim erläuterten Massnahmen zu weniger Verschreibungen von Präparaten mit dem Wirkstoff Drospirenon geführt?
3. Falls dies nicht der Fall ist: Welche zusätzlichen Massnahmen können getroffen werden, um diese beiden Ziele zu erreichen?
4. Ist damit zu rechnen, dass auch bei anderen Arzneimitteln Handlungsbedarf bei der Risikovermeidung und zielgruppengerechten Information besteht? Was gedenkt der Bundesrat zu unternehmen, um die Zulassungspraxis von Swissmedic so zu gestalten, dass sowohl Patienten- wie Fachinformationen den Sachverhalt in Bezug auf die Nebenwirkungen korrekt wiedergeben und die Sicherheit der Patientinnen und Patienten gewährleistet wird?
Antwort des Bundesrats vom 17.2.2016 (minim gekürzt)
einer (weiteren) Abnahme der Ver- 4. Swissmedic erfasst und be-
schreibungen führen wird.
urteilt laufend Meldungen zu un-
erwünschten Wirkungen aus der
1. Das in der Antwort auf das informiert und die Arzneimittel- 3. Alle CHC müssen von einer Schweiz, beobachtet internatio-
Postulat Heim angesprochene information (Patienten- und Fach- Ärztin oder einem Arzt verschrie- nale Entwicklungen und arbeitet
Überprüfungsverfahren von Swiss- information) dem aktuellen Kennt- ben werden. Dabei sind alle Risi- mit Partnerbehörden zusammen.
medic wurde im November 2015 nisstand angepasst. Alle Infor- kofaktoren (z.B. Zigarettenkonsum, In den vergangenen Jahren hat
abgeschlossen. In diesem umfas- mationen hierzu sind auf der Alter u. a. m.) einzubeziehen. Es ist Swissmedic zudem Massnahmen
senden Verfahren wurden die Arz- Internetseite von Swissmedic wichtig, dass eine Frau, die sich umgesetzt, um die Arzneimittel-
neimittelinformationen aller 84 zusammengestellt.
für diese Arzneimittel zur Verhü- information aktuell verfügbar zu
kombinierten hormonalen Kon-
tung entscheidet, über die mögli- machen (www.swissmedicinfo.ch)
trazeptiva (CHC) harmonisiert und 2. Der Markt (Anzahl Packungen; chen Risiken und Warnsymptome und die Mittel zur Meldung von
auf den neuesten Stand gebracht. IMS Health) der systemischen von Thrombosen oder Embolien Nebenwirkungen zu verbessern
Ein Schwerpunkt lag dabei auf Kontrazeptiva hat in den letzten informiert wird. Wenn sie auftre- (Einführung elektronischer Mel-
dem Risiko von Thromboembo- vier Jahren um 6,6 Prozent abge- ten, sollte sie sich umgehend mit deportale). Zudem setzt das Insti-
lien. Im gleichen Monat wurde ein nommen, derjenige drospirenon- einer Ärztin oder einem Arzt in tut neue internationale Standards
zweites Verfahren abgeschlossen. haltiger Produkte um 56,3 Prozent. Verbindung setzen und medizini- im Bereich der Pharmacovigi-
Swissmedic hat entschieden, dass
in den Arzneimittelinformationen von 33 CHC mit Chlormadinonacetat oder Drospirenon alle Hinweise auf Vorteile bei Akne gestri-
Kontrazeptivamarkt Abnahme Mengen (Packungen) in Prozenten
Drospirenonhaltige Kontrazeptiva Mengen (Packungen)
Abnahme in Prozenten
chen werden. Diese CHC sind Dez 11–Nov 12 2 421 406
239 736
demnach weiterhin zugelassen Dez 12–Nov 13 2 370 205
–2,1 160 514
–33,0
für die Kontrazeption, sollen aber Dez 13–Nov 14 2 321 254
–2,1 118 666
–26,1
nicht für Akne eingesetzt werden. Dez 14–Nov 15 2 261 057
–2,6 104 692
–11,8
Zur Behandlung der Akne existie-
ren Therapiemöglichkeiten, die
kein erhöhtes Risiko venöser Es ist davon auszugehen, dass sches Personal auf die Einnahme lance um und wird auf der Basis
Thromboembolien bergen.
insbesondere der jüngste Ent- hinweisen. Nur wenn alle Akteure einer im Juli 2015 abgeschlosse-
Zu den CHC, zu denen auch Yas- scheid von Swissmedic, bei CHC ihre Aufgaben wahrnehmen, kann nen Vereinbarung die Zusammen-
min gehört, hat Swissmedic wie- mit Chlormadinonacetat oder das Risiko zwar nicht ausgeschal- arbeit mit der Europäischen Arznei-
derholt und zum Teil als erste Drospirenon alle Hinweise auf tet, jedoch zumindest minimiert mittelagentur insbesondere auch
Behörde über neue Erkenntnisse Vorteile bei Akne zu streichen, zu werden.
in diesem Bereich intensivieren.
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