Transkript
Sport bei Epilepsie
FORTBILDUNG
Willi Lutz
Menschen mit Epilepsie sind in ihrer Mobilität oft übermässig eingeschränkt. Willi Lutz ist praktischer Arzt und Vereinspräsident von Sailabilty.ch. Er organisiert Segelcamps für Menschen mit Behinderungen, beispielsweise einer Epilepsie. In diesem Jahr erhielt Sailability.ch den EPI-Preis 2011 der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung.
Psychiatrie & Neurologie: Welche Bedeutung hat Mobilität für Menschen mit Epilepsie? Willi Lutz: Mobilität, die Fähigkeit, sich selbstbestimmt in der Gesellschaft zu bewegen, ist ein Grundbedürfnis der Menschen. Dieses Bedürfnis ist ohne Zweifel auch bei Menschen mit Epilepsie ausgeprägt.
Wie schätzen Sie die Bewegungsfreiheit bei Epilepsie ein? Willi Lutz: Bei Menschen mit Epilepsie ist nach meinen Erfahrungen die Mobilität oft übermässig eingeschränkt. Die Angst der Betroffenen vor epileptischen Anfällen ist mit dem unvermittelt auftretenden Kontrollverlust und all den denkbaren Folgen verbunden. Oft ziehen sich dadurch Betroffene – manchmal auch auf Rat von Angehörigen und Betreuern – zurück, halten sich vom gesellschaftlichen Leben fern und begrenzen sich stark in ihrer Bewegungsfreiheit.
das Verletzungsrisiko von Menschen mit Epilepsie bei fast allen Sportarten nicht höher als bei Menschen ohne Epilepsie.
Welche Sportart eignet sich für Menschen mit Epilepsie? Willi Lutz: Es gibt zahlreiche Publikationen und Broschüren zu diesem Thema. Ich halte nicht viel von Aufzählungen verschiedener Sportarten, eingeteilt nach Risiko für Menschen mit Epilepsie. Ich kenne auch nicht alle Sportarten und masse mir deshalb kein Urteil an. Viel wertvoller ist meiner Meinung nach eine individuelle Beurteilung. Und vergessen wir nicht: Eine Sportart sollte den Betroffenen auch Freude bereiten.
Wie kamen Sie auf die Segelkurse? Willi Lutz: Ich organisiere seit Jahren Segelkurse für Menschen mit Behinderung. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch Menschen mit einer Epilepsie für die Segelcamps interessierten.
Wie sind die Segelboote ausgerüstet? Willi Lutz: Sailability.ch ist ein Segelverein für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Wir segeln mit speziell für Menschen mit Behinderung entwickelten Jollen. Gebaut werden unsere Segelschiffe in Australien. Das Besondere an den Booten sind verschiedene Adaptionen, die den Segelnden eine maximal denkbare Sicherheit bieten. Ich würde einen Menschen mit therapierefraktärer Epilepsie nicht auf jedes normale Segelboot mitnehmen.
Wie beurteilen Sie das Risiko für Verletzungen beim Sport? Spielen Häufigkeit und Art der Anfälle eine Rolle? Willi Lutz: Das Verletzungsrisiko ist natürlich abhängig von der ausgeübten Sportart selbst. Das Risiko beim Fischen und beim Motorrennsport ist nicht miteinander vergleichbar. Für eine individuelle Risikobeurteilung ist es meines Erachtens wichtig, die Art und Häufigkeit der Anfälle zu kennen. Laut verschiedenen Studien ist aber
Hatten die an Epilepsie erkrankten Menschen mit dem Wellengang oder den glatten, spiegelnden Wasserflächen Mühe? Willi Lutz: Wir segeln auf verschiedenen Schweizer Seen und waren auch schon einmal auf dem Mittelmeer. Bis jetzt hatten wir keine Probleme bei Menschen mit Epilepsie betreffend Wellengang, Photosensibilität oder dergleichen.
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FORTBILDUNG
Was empfehlen Sie den Patienten oder/und behinderten Menschen mit Epilepsie sonst, um die Mobilität zu verbessern? Willi Lutz: Menschen mit Behinderung und/oder Epilepsie neigen dazu, ihre Einschränkungen als Begründung ihrer Inaktivität zu missbrauchen. Das ist schade und häufig auch nicht der wirkliche Grund. Sie schränken sich selbst unnötig ein und ziehen sich zurück, verzichten so auch auf Mobilität. Die Teilhabe an den Aktivitäten unserer Gesellschaft ist meines Erachtens der erste Schritt zur verbesserten Mobilität.
Bemerken Sie, dass die Epilepsiepatienten nach dem Segeltrip zugänglicher für Bewegung oder selbstbewusster sind? Willi Lutz: Wichtige Anliegen von Sailability.ch sind, eine gute Lebensqualität von Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu fördern und einen Beitrag zur aktiven Freizeitgestaltung zu leisten. Wir bieten mit den Segelkursen die Möglichkeit, sich und die Umwelt in einer einmaligen Art und Weise wahrzunehmen, und unterstützen wichtige Integrationsschritte aktiv. Ich glaube schon, dass Betroffene so mehr Selbstbewusstsein gewinnen. Untersucht haben wir diese Zusammenhänge bislang jedoch nicht.
Herr Willi Lutz, wir danken Ihnen für das Gespräch. ●
Das Interview führte Annegret Czernotta.
Korrespondenzadresse: Willi Lutz
Sailability.ch Postfach 125 9320 Arbon E-Mail: w.lutz@sailability.ch Weitere Informationen: www.sailability.ch
Zur Sicherheit werden die Segelboote immer von mindestens einem Motorboot begleitet. Bis zu sechs Menschen im Rollstuhl können gleichzeitig auf dem Swiss-Cat 18 mitfahren. Zur Ausrüstung gehören zudem drei Boots- und ein Transportanhänger sowie ein Personenbus.
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