Transkript
ALLERGIE
Subkutane Desensibilierung
Bei Heuschnupfen bereits im ersten Jahr so gut wie Akutmedikamente?
Obgleich sie die einzige kurative Therapieoption ist, hat die Desensibilisierung bei saisonaler allergischer Rhinitis bei vielen Betroffenen das Image einer Zweitlinientherapie, zu der man greift, wenn man die saisonalen Beschwerden nicht mit Medikamenten in den Griff bekommt. Gemäss einer Metaanalyse soll die subkutane Immunotherapie (SCIT) die Symptome mindestens genauso gut vermindern wie Medikamente, und zwar bereits in der ersten Saison nach Desensibilisierung.
Die Wirkung einer SCIT scheint rascher einzusetzen als angenommen.
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Die Entscheidung für eine allergen-spezifische Desensibilisierung (SIT) bei Heuschnupfen wird nicht nur von klinischen Parametern bestimmt, sondern gleichermassen von Faktoren wie Kosten, Sicherheit, Akzeptanz, Compliance, Therapietreue oder Machbarkeit. Es ist insofern nicht erstaunlich, dass eine SIT eher nicht gemacht wird, solange man die akuten, letztlich «nur» saisonalen Beschwerden mit Medikamenten dämpfen kann. Auch Argumente wie die Prävention eines «Etagenwechsels» überzeugen viele Patienten eher wenig. Überdies hat die SIT den Ruf, erst nach einigen Jahren ihre volle Wirksamkeit zu erreichen. Doch ist die subkutane Immunotherapie (SCIT) kurzfristig wirklich weniger wirksam als Akutmedikamente? Head-to-head-Studien gibt es bis anhin kaum, nämlich nur vier: bei Birkenpollenallergie im Vergleich mit nasalem Budesonid (n = 41), bei Graspollenallergie (n = 30) und bei Gras- und/oder Roggenpollenallergie (n = 48) im Vergleich zu diversen Akutmedikamenten sowie bei Ambrosiapollenallergie im Vergleich mit nasalem Budesonid (n = 60). Die Resultate dieser Studien waren widersprüchlich.
Mometason Nasalspray (n = 633) und 6 Studien mit den Leukotrienrezeptorantagonisten Montelukast (n = 3161).
Resultate
Beim Vergleich der relativen, klinischen Wirksamkeit bezüglich aller Symptome schnitt die SCIT (-32,9% ± 12,7%) besser ab als Desloratadin (-12% ± 5,1%), etwa gleich gut wie Mometason (-31,8 ± 16,7%) und wesentlich besser als Montelukast (-6,3% ± 3%). Als Effektgrössen dargestellt zeigte sich, dass alle Therapien kurzfristig wirken (Abbildung) und die SCIT hierbei durchaus mithalten kann.
Schlussfolgerungen
Die Autoren sind sich der Tatsache bewusst, dass ihre Metaanalyse keine harten Beweise, sondern nur indirekte Anhaltspunkte liefert. Da sie aber gleichzeitig auch konsistente Resultate mit anderen Studien bestätigte, wie beispielsweise die Rangfolge der Wirksamkeit von Akutmedikamenten bei Heuschnupfen (Steroid -> Antihistaminikum -> Leukotrienrezeptor-
Studiendesign
Darum versuchte ein deutsch-polnisches Autorenteam mittels Neu-Auswertung plazebokontrollierter Studien zumindest einen indirekten Hinweis darauf zu bekommen, ob die SCIT nicht doch auch kurzfristig mit den Akutmedikamenten mithalten kann. Sie berechneten dafür jeweils zwei Kenngrössen: den relativen klinischen Nutzen und die Effektgrösse. Relativer klinischer Nutzen bedeutet: Wie viel Prozent Wirkung bleiben übrig, wenn man die Plazeborate in einer Studie abzieht? Daraus ergibt sich eine gewisse Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Studien. Die Effektgrösse ist ein gängiges statistisches Verfahren, bei dem am Ende die bekannten «Tannenbaumdiagramme» entstehen (Abbildung). Insgesamt wurden 20 SCIT-Studien berücksichtigt (n = 1407), 6 Studien mit dem Antihistaminikum Desloratadin (n = 1055), 8 Studien mit dem Steroid
Abbildung: Vergleich der Effektgrössen verschiedener Behandlungen bei saisonaler allergischer Rhinitis (standardisierte mittlere Differenz im 95%Konfidenzintervall). Für die SCIT sind die Werte in der ersten Saison nach Desensibilisierung angegeben. A: alle Symptome; B: nasale Symptome; Angaben in Klammern: Anzahl Patienten mit Verum/Plazebo; nach Matricardi PM et al. (1).
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antagonist) oder Resultate aus kleineren randomisierten Studien, sei man davon überzeugt, dass die SCIT auch kurzfristig eine zumindest gleichwertige Wirkung wie Akutmedikamente aufweise.
Kombination von SCIT und SLIT?
Als nicht sinnvoll stellte sich der erstmalig publizierte Versuch heraus, die SCIT mit der SLIT (sublinguale Immunotherapie) zu kombinieren (2). Die Idee hinter dieser Vorgehensweise war, mit der SLIT den Kindern Injektionen zu ersparen, aber gleichzeitig die unter SCIT rascher einsetzende Modifikation der Immunreaktion zu nutzen. Dafür wurden 50 Kinder mit Hausstaubmilbenallergie in vier Gruppen eingeteilt: nur SLIT in Aufbau- und Erhaltungsphase; nur SCIT in Aufbau- und Erhaltungsphase; SCIT in Aufbauphase und SLIT in der Erhaltungsphase; nur Medikamente. Die Nur-Medikamente-Gruppe sowie alle SLIT-Varian-
ten lieferten schlechtere Resultate als die reine SCIT. Die Kombination von SCIT und SLIT war kaum besser als die reine SLIT. Auch wenn die Qualität dieser Studie insgesamt eher zweifelhaft erscheint, darf daraus wohl der vorläufige Schluss gezogen werden, dass eine Kombination beider Desensibilisierungswege zurzeit nicht empfehlenswert ist.
Renate Bonifer
Literatur: 1. Matricardi PM et al. Subcutaneous immunotherapy and pharmacotherapy in seasonal allergic rhinitis: A comparison based on meta-analyses. J Allergy Clin Immunol 2011; 128: 791–799. Zwei Autoren dieser Studie erhielten Honorare und Forschungsmittel von Allergopharm, Meda Pharma, ALK-Albello und Allergopharma-Nexter; einer der Autoren ist ein Mitarbeiter von Allergopharma. 2. Keles S et al. A novel approach in allergen-specific immunotherapy: Combination of sublingual and subcutaneous routes. J Allergy Clin Immunol 2011; 128: 808–815.
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