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Schwerpunkt
Stellenwert von Verhaltens-, Sportund Ernährungstherapie bei ADHS
«Seien Sie konsequent, und las- Von Cordula Neuhaus
sen Sie Ihr Kind viel Sport treiben! Wenn es nicht mehr stillsitzen kann, soll es auch ruhig dreimal um den Schulhof rennen! Und geben Sie ihm nicht so viele Süssigkeiten!» So lauten auch noch heute Ratschläge für Eltern hyperaktiver Kinder im Grundschulalter, die leider nur sehr bedingt helfen. Es ist ein klassisches Vorurteil, dass das Hauptproblem bei ADHS die motorische Unruhe sei. Nach einer möglichst frühen Diagnosestellung stehen vielmehr Psychoedukation und Elterntraining an erster Stelle.
K inder und Jugendliche mit ADHS fallen heute immer mehr auf, da sie am schlechtesten mit der viel zu früh eingeforderten Selbstständigkeit vor allem beim Lernen zurechtkommen. Die extreme Zunahme der Reize in der Umgebung, vor allem auch durch die elektronischen Medien, lässt die typische Reizoffenheit bei Reizfilterschwäche immer früher zum Problem werden. Mit ihrem «überhüpfenden» Wahrnehmungsstil haben Schüler mit ADHS grosse Schwierigkeiten mit der sofortigen sinnerfassenden und bedeutungsstiftenden Aufnahme von schriftlichen Informationen. Sie sind daher im Unterricht auf übersichtliche und klare Darstellungen des Lernstoffes angewiesen. Sie fühlen sich rasch überwältigt von «zu viel» Information. Um das hohe Risiko weiterer Komplikationen und Komorbiditäten bei ADHS zu verringern, ist eine möglichst frühe Diagnose wichtig. Dazu gehört eine wirklich umfassende diagnostische Einschätzung mit sorgfältiger Anamneseerhebung, testpsychologischer Untersuchung der Intelligenz, eventuell mit Abklärung zusätzlich bestehender Teilleistungsstörungen oder Teilleistungsschwächen. Vor allen Dingen muss die Befindlichkeit des Kindes oder Jugendlichen mit standardisierten und auch projektiven Verfahren anhand aller 6 Achsen des multiaxialen Klassifikationssystems psychischer Störungen (Kasten 1) erfolgen. Die typische Erwartungs- und Versagensängstlichkeit beginnt oft schon sehr früh. Syndromtypisch sind die Schwierigkeiten, sich altersgerecht und situationsangepasst zu verhalten und gleichzeitig noch keine entsprechende Frustrations-
toleranz zu besitzen. Verzweiflungseinbrüche sind häufig, und oft kommt es bereits im Grundschulalter zu Somatisierungstendenzen (Kopfschmerzen, Bauchschmerzen). Das Problem verschärft sich während der Schulzeit, wenn muskuläre Verkrampfungen im Schulter-NackenBereich hinzukommen, typischerweise bei der Problematik des mangelhaften Dosierenkönnens grober Kraft in der graphomotorischen Umsetzung, vor allem bei Knaben, wenn sie zudem unbewusst bei Angst die Schultern leicht hochziehen. Nach einer möglichst frühen Diagnosestellung zur Reduktion des hohen Risikos weiterer Komplikationen und Komorbiditäten stehen Psychoedukation und Elterntraining an erster Stelle. «Die Therapie» bei ADHS gibt es bisher ebenso wenig wie «die Verhaltenstherapie» im Sinne eines wirklich alltagstauglichen Gesamtmanuals, es gibt nur störungsspezifische effektive Therapiebausteine.
Elterntraining: Aufklärung und Rat
In der internationalen seriösen wissenschaftlichen Forschung gilt es mittlerweile als erwiesen, dass die spezifische Triebkraft und Art des Zusammenspiels der neuronalen Netzwerke (Neurodynamik) bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung genetisch verursacht ist. Dabei besteht immer eine enge Interaktion mit allen möglichen Umwelteinflüssen, die natürlich nicht nur auf die Mutter-Kind-Bindung und die Beziehungen in der Familie zu reduzieren sind!
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Kasten 1:
Multiaxiale Klassifikation für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
Dieses Klassifikationssystem (nach ICD-10) bietet die Möglichkeit, ein mehrdimensionales Bild der Störung zu erfassen: 1. Achse: klinisch-psychiatrisches Syndrom 2. Achse: umschriebene Entwicklungsrück-
stände 3. Achse: Intelligenzniveau 4. Achse: körperliche Symptomatik 5. Achse: abnorme assoziierte psychosoziale
Umstände 6. Achse: Niveau der sozialen Anpassung
Zielführend erweist sich in einem Elterntraining, unter besonderer Berücksichtigung des eventuell selbst betroffenen Elternteils, in einer Gruppe nach der Vorstellungsrunde sowie Sammeln der Problemfelder (und typischen Ressourcen!) freundlich und sachlich die «andere» neuronale Netzwerknutzung und Funktionssteuerung bei ADHS gut visualisiert, nachvollziehbar und plausibel zu erläutern (Kasten 2). Es ist wichtig, dies mit treffenden Beispielen zu unterlegen, in denen die Eltern ihre Kinder wiedererkennen können. Die sachliche Schilderung der typischen Symptomatik allein erweist sich als wenig hilfreich. Tatsächlich gilt im alltagstauglichen Elterntraining das Motto, dass man im Grunde genommen alles, was man normalerweise über Kindererziehung gehört hat, vergessen kann – vor allen Dingen ständige Appelle an Einsicht, das Aufarbeiten vergangener Missetaten, Verstärkerentzug, Strafen, Strafandrohungen und so weiter. Als wenig erfolgreich haben sich leider auch Punktepläne erwiesen, wenn die eingeforderten Regeln nicht avisiert, präzis und klar genug (optimal: in Bildern) definiert waren und die Belohnung nicht zeitnah erfolgte. Anhand der Erkenntnisse der jüngsten Daten aus Langzeitstudien ist unbedingt die Sichtweise zu verändern. Es ist nicht so, dass sich die Kinder und Jugendlichen nicht anstrengen oder anpassen wollten, sondern sie sind leider durch ihren Wahrnehmungs- und Reaktionsstil in allen wesentlichen Lebensbereichen eingeschränkt. Entsprechend fordert beispielsweise Hans-Christoph Steinhausen, dass
man die Umgebung an die Bedürfnisse der Patienten anzupassen habe, zum Beispiel einen festen Sitzplatz im Klassenzimmer, kein TV/PC im Kinderzimmer (!), so gut es geht gelenkte Beschäftigung, einen strukturierten Tagesablauf und so weiter. Im Elterntraining wird daher stark auf eine Kommunikation hingearbeitet, mit der ADHS-Kinder und -Jugendliche «erreichbar» sind. Sie sind regelrecht angewiesen auf ein freundliches und wertschätzendes Gegenüber, das eher knapp und klar formuliert, alles vorher ankündigt, auf Widerstand gefasst ist, Regeln nicht diskutiert, sondern tatsächlich und unaufgeregt einfordert, was angekündigt wurde, schnell Streitigkeiten deeskaliert, immer die Anstrengungsbereitschaft belohnt und nicht nur das Handlungsergebnis, respektiert und respektabel ist. Krisen werden bezüglich des Vorlaufs untersucht und verhaltensanalytisch dargestellt, denn nur über Veränderung des Vorlaufs ist eine Eskalation vermeidbar. Dies gilt natürlich auch in der Schule, in der ADHS-Betroffene Anleitung und Lenkung beispielsweise bei der Freiarbeit brauchen, da sie sich nur spontan oder gar nicht entscheiden können. Häufiges Feedback und Kontrolle sind unerlässlich. Gelernt werden kann alles, was plausibel, nachvollziehbar erklärt wurde und anwendungsbezogen ist – aber auch nur dann. Bei der Elternberatung und im Elterntraining ist anzuraten, den Medienkonsum zu überwachen und zu begrenzen. Computer besitzen für Kinder und Jugendliche mit ADHS eine magische Anziehungskraft, da diese ihrem Wahrnehmungs- und Reaktionsstil sehr entgegenkommen. Sie hyperfokussieren schnell, sind beim Spielen (aber auch beim Arbeiten) mit dem Computer rasch sehr erfolgreich, unter anderem durch das schnelle Feedback und dadurch, dass sie nur tippen und anklicken müssen. Da sie kein Zeitgefühl haben und rasch in eine hohe Erregung kommen, ist es schwer, sie nach längerer Zeit friedlich davon wegzuholen.
Verhaltenstraining für Kinder und Jugendliche
Konzentrations- und Selbstinstruktionstraining als «Fertigkeitstrainings» sind
nicht effektiv, ebensowenig das EEGNeurofeedback als alleinige Massnahme. Entspannungsverfahren, vor allen Dingen das autogene Training, verschlechtern die Symptomatik meist sogar. Effektiv ist ein Training der sozialen Kompetenz, das intensiv mit «Störungsbildteaching» arbeitet – ein Strategietraining, das sich ganz konkret am aktuellen Alltagserleben der Kinder und Jugendlichen orientiert und spezifische Hilfestellungen aufbaut für das konkrete Umsetzen im Moment, in dem es nötig wird. Hierbei zeigt sich: Je besser ein ADHSBetroffener weiss, wie er «funktioniert», desto besser gelingt die Akzeptanz einer Autorität und von deren Anweisungen, der verbesserte Umgang mit Ärger und Frustration, das Ignorieren verletzender Interaktionsmuster und der Widerstand gegen Versuchungen. Bestehen Teilleistungsschwächen, ist ein kleinschrittiges systematisches Üben der notwendigen Grundlagen unerlässlich, das meist nur unter Medikation mit Stimulanzientherapie erfolgreich ist. Es zeigt sich im therapeutischen Alltag, dass Kinder und Jugendliche mit ADHS in «Cheffunktionen» bei einer Fortbildung in eigener Sache (die viel besser akzeptierte Bezeichnung für Therapie) durchaus bereit sind, kompensierende Strategien bezüglich Zeitplanung mit Visualisierungshilfen, Checklisten und Lerntricks aufzunehmen und anzuwenden, wenn es für sie plausibel, machbar und konkret anwendungsbezogen erscheint, sinnvollerweise an ganz konkreten Fragestellungen des Schulalltags. Kinder und Jugendliche mit ADHS verstehen Sprache übrigens ganz wörtlich, sie können mit «Metasprache» nichts anfangen, ebenso wenig wie mit Ironie, Zynismus oder Sarkasmus, reagieren aber gut auf freundlichen Humor. Beim verhaltenstherapeutischen Behandlungsansatz erscheint die Gruppentherapie die effektivste, sowohl zum Erarbeiten von Lernstrategien unter lerntheoretischen Gesichtspunkten wie auch beim Training der sozialen Kompetenz, das allerdings eher ab dem Jugendlichenalter greift. ADHS ist eine chronische Störung, und viele therapeutische Effekte halten nicht an, wenn die Verhaltenstherapie nicht
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mehr stattfindet; daher benötigen viele Betroffene wiederholte Auffrischungen.
Sport ist kein Allheilmittel
Wie in der familiären und schulischen Umgebung gilt auch bezüglich der Freizeitangebote, dass man Kinder mit ADHS sinnvollerweise durch ihr Leiden begreift und nicht durch ihr Stören, das sie mit ihrer Art, die Welt zu sehen und auf sie zu reagieren, produzieren. Wenig hilfreich sind Interpretationen der Absichtlichkeit ihres heftigen, oft nicht angepassten Verhaltens, ihrer Vergesslich-
keit oder Spekulationen über schlechte Erziehung. Die Eltern werden dadurch nur noch verunsicherter und damit oft leider auch noch ungeschickter. Die Kinder selbst haben schon früh das Gefühl, anders zu sein und es niemandem recht machen zu können, zumal viele von ihnen eine lange Odyssee hinter sich bringen müssen, bis sie wirksame Hilfe und Unterstützung bekommen. Flankierend zur verhaltenstherapeutischen Intervention erscheint es sinnvoll, mit den Kindern und Jugendlichen Freizeitbeschäftigungen zu suchen, die ihren Interessen und Talenten entgegenkom-
men. Wenn ein Kind auffallend unkoordiniert oder auch nur unsportlich ist, ist es wenig sinnvoll, es zu einer sportlichen Aktivität zwingen zu wollen, zumal es unter Anspannung und Erwartungsängstlichkeit (vor allem bei Hänseleien) im Bewegungsablauf in aller Regel noch auffälliger wird. Es gibt hochbegabte Kinder mit ADHS, die mit Wonne am liebsten gemütlich angeln oder auch Schach spielen, am liebsten in einer gemischtaltrigen Gruppe. Sport treiben wurde und wird oft mit «Auspowern» durch Herumtobenlassen verwechselt, was bei Kindern mit ADHS
Kasten 2:
Im Elterntraining zu erläutern: Besonderheiten bei ADHS
Lernen aus Einsicht und Erfahrung ist kaum
einträchtigt ist. Da das Belohnungs- und Motiva- Wahrnehmungsstil
möglich
tionssystem des Gehirns immer «Hunger» hat und Den Eltern sind auch der typisch oberflächlich-ab-
Kinder und Jugendliche mit ADHS sind besonders sich keine einigermassen gleichmässige, zufriedene tastend-überhüpfende Wahrnehmungsstil und die
durch ihre Vigilanzdysregulation beeinträchtigt. Ihr Wachheit mobilisieren lässt, richtet sich das Inter- graphomotorische Umsetzungsschwäche auf eine
Aufmerksamkeitssystem mit Erfahrungs- und Alt- esse spontan ganz schnell darauf, was gerade sub- Art und Weise zu erläutern, die nachvollziehbar und
wissen schaltet regelrecht ab, sobald eine Aufgabe, jektiv am spannendsten erscheint. Die Ablenkbarkeit plausibel macht, dass Kinder oder Jugendliche mit
Situation oder Person subjektiv, rein emotional, ne- wird bei der typischen Reizempfänglichkeit und ADHS durchaus wollen – aber «nicht so wollen kön-
gativ bewertet wird. Aufgrund der typischen Dys- Reizfilterschwäche bei ADHS vergrössert, die Ver- nen, wie sie wollen sollen», zumal sie viel zu leicht
regulation der emotionalen Selbststeuerung sind die gesslichkeit gefördert. Die meisten Kinder oder Ju- zu irritieren, zu frustrieren, zu verletzen sind. Typi-
Betroffenen ihrem Gefühl regelrecht ausgeliefert. gendlichen mit ADHS können Informationen darum scherweise erkennt man die aktuelle Stimmung so-
Das bedeutet, dass sie etwas nur wirklich gut und oft nicht vollständig aufnehmen, vor allem wenn fort in der Mimik, daher werden sie oft die ideale
umfassend aufnehmen können, wenn es für sie sub- diese nicht so sehr interessieren oder sehr komplex Zielscheibe für Hänseleien. Meist ist ein ADHS-Kind
jektiv interessant, spannend und positiv ist.
sind. Sie können auch nicht davon profitieren, wenn kein Provokateur, sondern es reagiert einfach nur zu
Dies gilt besonders auch für die Kommunikation. man es ihnen nochmals andersartig erklärt. Sinnvol- schnell und zu extrem, lässt sich von anderen mit-
Werden sie freundlich und klar angesprochen, kön- ler ist es vielmehr, das Gleiche im selben Wortlaut, reissen oder reizen, kann aber dann nicht, wie ein
nen sie alles aufnehmen, Gelerntes abrufen, sind eher etwas langsamer, zu wiederholen.
Normgesteuerter, aufhören, wenn sich der Kontext
ansprechbar und präsent. Erleben hingegen Kinder und Jugendliche mit ADHS den Lernstoff im Unter- Konzentrationsstörungen
verändert, und fällt dann auf.
richt subjektiv als schwierig oder langweilig oder Auch die Ausführungsfunktionen des Stirnhirns ent- Entwicklungspsychologische Aspekte
eine Person nicht nur durch das Gesagte, sondern auch bezüglich des Tonfalls, der Mimik, der Gestik oder Körperhaltung als negativ, schaltet sich das Aufmerksamkeitssystem des Gehirns samt Lang-
wickeln sich nicht normal. Die Betroffenen können zwar schnell von einem Thema zum anderen kommen, die Ausrede der Ausreden haben, besser verhandeln als ein arabischer Teppichhändler, kreativ
Des Weiteren sind die entwicklungspsychopathologischen Aspekte genauestens darzulegen, wie zum Beispiel der mangelhaft ausreifende Perspektiven-
zeitgedächtnis und «Wissen, wie man sich verhält» und innovativ sein – aber leider nicht reif, abgewo- wechsel. Kinder und Jugendliche mit ADHS können
regelrecht ab. Das Gehirn schaltet sozusagen auf gen und überlegt entscheiden, da sie typischerweise sich und ihre Leistung nicht richtig einschätzen,
«Bildschirmschoner» um.
einen Gedankengang schlecht am Thema bleibend nicht richtig für sich sorgen und sich nicht abgren-
In solchen Momenten haben diese Kinder und Ju- zu Ende führen können.
zen. Sie reden zu viel oder zu wenig. Sie leiden in
gendlichen leider keinen Zugriff mehr auf ihre Erfah- Anders als bei Normgesteuerten liefert der untere der Gesamtschau unter einer Anpassungsstörung,
rung und können nicht ständig zwischen aktuell und Stirnhirnbereich gleichzeitig keine ausreichende Hil- die sich bei vorwiegender Reaktion mit Vorhaltungen
früher Erlebtem und Erlerntem vergleichen – mit der festellung, um Fehler zu finden und «Über-Konzen- und Strafen rasch zu einer Anpassungsbehinderung
Auswirkung, eben nicht wie andere Gleichaltrige aus tration» zu vermeiden. Wenn ADHS-Betroffene etwas bis hin zu einem Anpassungsversagen entwickeln
Einsicht lernen zu können. Auch kontinuierliche sehr interessiert, hat dies zur Folge, dass die Welt kann.
Nachsicht, Rücksicht, Voraussicht oder Vorsicht ge- um sie herum zu versinken scheint. Sie können dann Die Selbststeuerung ist (auch beim Erwachsenen
lingen nicht altersentsprechend.
extrem konzentriert sein, mit Überausdauer und oft mit ADHS) zusätzlich dadurch erschwert, dass kein
Superleistungen. Leider ergibt sich aus dieser Gefühl für Zeit und Zeitverlauf entsteht. Subjektiv
Hohe Reizoffenheit und Reizfilterschwäche
wiederum extremen Konzentration das Problem, unangenehme Tätigkeiten werden meist bis zum
Den Eltern ist zu erläutern, dass die Arbeitsspeicher- dass sie sich fremdbestimmt nicht ausreichend letztmöglichen Zeitpunkt hinausgeschoben, es sei
funktion des Gehirns im Zusammenhang mit der schnell umstellen können.
denn, jemand kompensiert dies mit Angst oder
Dysregulation des Hirnstoffwechsels bei ADHS be-
Zwang.
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jedoch stets nur zu einer Erregungssteigerung führt – mit regelmässiger Eskalation bei der Beendigung, da den Kindern mit ADHS das «Herunterregulieren» einfach nicht so gelingt, ebenso wenig wie beispielsweise auch bei den «SpassKämpfchen» mit dem abends heimkehrenden Papa. Es gibt nicht «die Sportart» für Kinder oder Jugendliche mit ADHS. Turnt ein Kind gerne oder tanzt es gerne Ballett, sollte es dies dürfen, das Gleiche gilt im Grunde für alle Sportarten. Psychomotorisch wirksame Sportarten, bei denen Abbremsen, Steuern und Planen der Bewegung wichtig sind (z.B. artistische Fertigkeiten), können ebenso wie gut eingeführtes und eingeübtes Jonglieren einen therapeutischen Effekt haben, und zwar bezüglich der verbesserten Bewegungskoordination, Auge-Hand-(Fuss-) Koordination wie auch der Selbstwirksamkeit. Viele Kinder mit ADHS schaffen die Bewegungskoordination beim Brustschwimmen erst um das zehnte Lebensjahr herum, was sich durch intensives Üben, zum Beispiel in einem Schwimmkurs im Vorschulalter, nicht verbessert. Viele fahren früh gut Ski, vor allen Dingen mit Kraft, gerne mit hoher Geschwindigkeit; gleichermassen gilt dies für das Fahrradfahren. Die Geschicklichkeit, Eleganz und vor allem auch die Sicherheit stellen sich jedoch erst viel später ein – daher immer mit Helm! Klare Regeln und Abläufe in Sportarten wie Judo, Fechten, Bogenschiessen oder auch Klettern haben oft indirekt therapeutischen Wert, wobei bei stark impulsiven Kindern von Taekwondo und Karate abgesehen werden sollte. Der Umgang mit dem Pferd wirkt oft deutlich selbstwerterhöhend. Es muss aber nicht unbedingt eine Hippotherapie sein, sondern das Reitenlernen und das Versorgen der Tiere auf einem ganz normalen Ponyhof können genügen. Durch die institutionalisierten Regeln beim Golfspielen, zum Teil auch beim Segeln oder beim Segelflug, können viele ADHS-Betroffene ihre neu erlernten Verhaltensweisen überraschend gut umsetzen. Es sollte immer darauf geachtet werden, dass der Trainer angesichts der typischen Personenbezogenheit «ok» ist und dass
die Kinder ausreichend lange bei einer Sportart bleiben. Das heisst, dass sie nicht schon nach dem dritten oder vierten Mal abbrechen dürfen, da dies oft zum regelrechten «Freizeithopping» führt, wenn alles nach kürzester Zeit für «langweilig» erklärt wird. Gruppensport ist eher für ältere Jugendliche geeignet, aber keinesfalls indiziert bei jüngeren Kindern, etwa zur Verbesserung der sozialen Kompetenz.
Ernährungstherapie ist in der Regel nicht indiziert
Bei den an sich sehr eigenwilligen Nahrungsbedürfnissen (nicht nur Essmanieren) von Kindern und Jugendlichen mit ADHS wurde viel herumexperimentiert. Eltern stellen meist mit Beginn einer medikamentösen Behandlung gezielt auf «gesunde Ernährung» um. Sie achten sehr darauf, was und wie viel das Kind isst – oft bei der Mahlzeit leider auch mit Diskussionen über Schule und Lernen –, was in der Regel zu einem schlagartigen Verschwinden des Hungergefühls und des Appetits bei den Kindern und Jugendlichen führt. Schon vor Jahren zeigte sich, dass weder eine phosphatreduzierte Diät noch Omega-3-Fettsäuren, Algenpräparate oder drastische Zuckerreduktion auch nur annähernd das brachten, was man sich eigentlich erwartet hatte. Manchmal half das Weglassen von Süssigkeiten mit bestimmten künstlichen Farbstoffen, falls beobachtet worden war, dass ungefähr eine halbe Stunde nach Genuss überschiessende Aggression einsetzte. Falls keine tatsächlichen Nahrungsmittelunverträglichkeiten bestehen, wie beispielsweise Glutenunverträglichkeit, Laktose- oder Fruktoseintoleranz, ist eine gezielte Ernährungstherapie bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS nicht indiziert. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Kinder sich so ernähren zu lassen, wie es ihren Bedürfnissen entspricht, ihnen nicht die Bissen in den Mund zu zählen und sie nicht ständig aufzufordern, etwas zu essen, wenn sie keinen Appetit haben. Erfahrungsgemäss ist das Bedürfnis nach Nahrung tagesformabhängig, und eine Lieblingsspeise schmeckt dann plötzlich
unerwartet gar nicht mehr. Gleichzeitig ist durchaus eine Tendenz zu einseitigem Essen zu beobachten. Gemüse wird lieber roh als gekocht verzehrt, manche Kinder vertragen bestimmte Obstsorten nicht. Widerstrebt einem Kinder oder einem Jugendlichen ein Nahrungsmittel, sollte dies akzeptiert werden. Im Laufe ihres Lebens gibt es viele Betroffene, die Geschmacksverstärker, Konservierungsstoffe und Zuckeraustauschstoffe nicht vertragen und darauf mit heftigen Blähungen, Durchfällen, Kopfschmerzen oder auch Wassereinlagerungen reagieren. Die Gier nach Süssigkeiten entsteht oft aus Stress und Frustration. Anstatt Süssigkeiten primär zu verbieten, gilt es Stress und Frustration zu reduzieren! Manchen schmeckt genau das unglaublich gut, was gar nicht von ihnen vertragen wird; das sollte genau abgeklärt werden. Viele Jugendliche machen sich beim Lernen durch Süsses «ein gutes Gefühl», was sich leider negativ auf das Gewicht auswirken und unter Umständen auch eine Essstörung zur Folge haben kann. Je älter Betroffene mit ADHS werden, desto öfter vergessen sie das Trinken regelrecht, während kleine Kinder oft gar nicht genug zu trinken bekommen können. Alles scheint auch hier ein bisschen «anders» zu sein bei ADHS-Betroffenen. Den meisten macht es irgendwann sogar Spass, selbst zu erkunden, was an ihnen besonders ist – und dann steigt auch das Selbstwertgefühl!
Korrespondenzadresse: Dipl. Psych. Dipl. Heilpäd. Cordula Neuhaus Alleenstr. 29, D-73730 Esslingen Tel. 0049-711-36 70 14 E-Mail: praxis.neuhaus@gmx.de Internet: www.dat-adhs.de
Weiterführende Literatur: – Neuhaus C. Neuropsychotherapie der ADHS – Das Elterntraining für Kinder und Jugendliche mit ADHS unter Berücksichtigung des selbstbetroffenen Elternteils. KohlhammerVerlag Stuttgart, 2009. – Neuhaus C. ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung. Kohlhammer Verlag Stuttgart, 2007. – Walker RA, Copeland ED. Training der sozialen Kompetenz bei ADHS; überarbeitet und ergänzt von C. Neuhaus. Kindertherapeutisches Zentrum Esslin-
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Schwerpunkt
gen GmbH, 2004. – Born A, Oehler C. Lernen mit ADS-Kindern. Ein Praxishandbuch für Eltern, Lehrer und Therapeuten, Kohlhammer Verlag Stuttgart, 5. Aufl., 2006. – Fitzner Th, Stark W (Hrsg.). ADS: verstehen, akzeptieren, helfen. Beltz Verlag Weinheim, 2000. – Fitzner Th, Stark W (Hrsg.): Doch unzerstörbar ist mein Wesen … Diagnose AD(H)S – Schicksal oder Chance? Beltz Verlag Weinheim, 2004.
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