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Schwerpunkt
Sport und körperliche Aktivität bei Kindern und Adoleszenten mit zystischer Fibrose (CF)
Zystische Fibrose (CF) ist die
Von PD Dr. med. Susi Kriemler1
häufigste autosomal rezessive Erbkrankheit der kaukasischen Rasse, die meist im frühen Erwachsenenalter zum Tod führt (1). Die Häufigkeit eines heterozygoten Genträgers ist 1:20 in der kaukasischen Rasse, und die Krankheit tritt bei uns in 1:2500 Geburten auf. Der Gendefekt führt zu einem pathologischen Elektrolyttransport durch die Zellmembran. Funktionell sind vor allem die exokrinen Drüsen und sekretorischen Zellen, die Nasennebenhöhlen, Lungen, Pankreas, Leber und die Reproduktionsorgane durch zu visköse Sekrete betroffen. Hauptsymptome sind chronische Lungenentzündungen mit einem progressiven Verlust der Funktion und eine exokrine und oft auch endokrine Pankreasinsuffizienz.
1Institut für Sport und Sportwissenschaften, Universität Basel
In Abbildung 1 ist dargestellt, wie die CF die körperliche Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Betroffene zeigen in ihrem körperlichen Leistungsvermögen eine grosse Variabilität: Während die einen Marathon laufen, sind die anderen kaum fähig, ein paar Minuten zu gehen. VO2peak als Parameter der maximalen aeroben Leistung ist generell reduziert bei Patienten mit CF, sogar bei mildem pulmonalem Befall. Die Limitation steigt jedoch mit zunehmendem Schweregrad der Krankheit an. Üblicherweise korrelieren Leistungsfähigkeit und Lungenfunktion in Ruhe, die typischerweise durch eine Einschränkung von Vitalkapazität, Erstsekundenkapazität, Peak-Flow und Erhöhung des Residualvolumens charakterisiert sind. Eine Verbesserung der Lungenfunktionsparameter geht normalerweise mit einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit einher. Die Leistungsfähigkeit kann jedoch zusätzlich eingeschränkt sein durch ungenügende Ernährung, periphere Muskelfunktion, Herzfunktion, durch metabolische Veränderungen oder eine reduzierte körperliche Aktivität. Wer sich speziell interessiert, sei auf ein kürzlich publiziertes Buchkapitel verwiesen (2).
Positive Effekte von Sport auf den Krankheitsverlauf
Zahlreiche Untersuchungen der letzten 30 Jahre zeigen, dass regelmässiges körperliches Training die aerobe Ausdauer erhöht, den Verlust der Lungenfunktion vermindert, die Lebensqualität erhöht oder gar das Leben zu verlängern vermag. Ein Cochrane-Review mit Einschluss von sieben randomisierten oder
gut kontrollierten Kurz- und Langzeitstudien dokumentiert den positiven Effekt von aerobem, anaerobem oder gemischtem Training auf die aerobe Leistungsfähigkeit sowie die Kraft und Lungenfunktion (3). Die Autoren waren jedoch zurückhaltend in ihrer Konklusion, dass sportliches Training wirklich die beschriebenen Effekte induziert, da die meisten Studien von kurzer Dauer waren und nur eine kleine Patientenzahl einschlossen. Bedenkt man den erwarteten Verlust der Lungenfunktion von 2 bis 3 Prozent pro Jahr, sind Studien mit kürzerer Dauer als zwölf Monate wahrscheinlich nicht in der Lage, einen Unterschied zwischen der Interventionsund der Kontrollgruppe zu erfassen (4). Berücksichtigt man dieses Kriterium, weisen nur zwei Studien des CochraneReviews eine genügend lange Laufzeit auf. Diese zeigten allerdings beide positive Effekte auf den Rückgang der Vitalkapazität (Abbildung 2) und der aeroben Leistungsfähigkeit (5, 6). Wahrscheinlich führt auch ein spezifisches Training der inspiratorischen Atemmuskulatur zu einem gesundheitlich positiven Effekt (7). So konnte in einer sauber durchgeführten Studie gezeigt werden, dass intensives inspiratorisches Atemmuskeltraining zu einer verbesserten Funktion der Atemmuskulatur, aber auch zu einem Gewinn der aeroben Arbeitsleistung, der pulmonalen Funktion und zu einem verminderten Angst- und Depressionsscore führte. Der Grund, weshalb regelmässiges Training die Lungenfunktion positiv beeinflusst, ist nach wie vor nicht ganz klar. Es ist möglich, dass die durch die sportliche Aktivität verursachten mechanischen
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Schwerpunkt
Gesundheit und Lebenqualität bei CF
steigert, ist eine regelmässige Messung
der aeroben Leistungsfähigkeit sinnvoll.
Trotz dieser starken Evidenzbasis und
der empfohlenen Routinemessungen in
den offiziellen Richtlinien der CF-Über-
wachung und -Therapie gibt es in den
meisten Zentren keine routinemässige
Testung der aeroben Ausdauer. Die Mes-
sung kann jedoch als Gradmesser von Ri-
Abbildung 1: Faktoren, die für die reduzierte körperliche Leistungsfähigkeit bei Patienten mit zystischer sikofaktoren bei sportlichen Belastungen,
Fibrose verantwortlich sind
als Basis für die Etablierung eines Trai-
ningsprogramms sowie als Motivations-
Abbildung 2: Spiroergometrie (Godfrey-Programm) bei einem 15-jährigen CFPatienten mit Messung der Sauerstoffsättigung und Herzfrequenz
mittel gebraucht werden. Wenn nicht routinemässig angewendet, sollte eine Messung zumindest dann stattfinden, wenn:
Symptome vorhanden sind (Husten, Zyanose, starke Müdigkeit)
Die Ruhe-Sauerstoff-Sättigung < 94% beträgt FEV1 < 50% und FVC < 70% des Soll- wertes betragen der Betroffene Angst hat, dass körper- liche Aktivität schädlich oder gefähr- lich sein könnte zu Beginn eines Trainingsprogramms der Trainingseffekt bestimmt werden soll. Vibrationen des Körpers sowie die inten- tenem Krankheitsverlauf. Sie finden Ein einfacher, idealer und oft gebrauch- sivierte Atmung die Reinigung der Atem- diese in Tabelle 1 aufgelistet. ter Test ist das Godfrey-Protokoll wie in wege unterstützen. Körperliche Aktivität Tabelle 2 dargestellt. Es ist gerade deshalb inhibiert den «Amilorid-sensitiven» Na- Testung der Leistungsfähigkeit gut brauchbar, weil es zum einen die Kör- triumkanal im respiratorischen Epithel. und Sportempfehlung pergrösse und zum anderen die geringe Diese Hemmung könnte zu einem ver- Fitness berücksichtigt. Alternativ, vor al- mehrten Wassergehalt des Mukus in der Da die maximale Sauerstoffaufnahme bei lem bei Patienten mit schwererer Er- Lunge CF-Kranker führen, was natürlich CF einer der besten Mortalitätsprädikto- krankung, kann ein Sechs-Minuten-Geh- wiederum die Expektoration vereinfacht. ren ist und Sport erwiesenermassen test (8) durchgeführt werden, während Körperliches Training kann zudem – wie bei gesunden Menschen – die Insulinresistenz und den Immunstatus ver- Tabelle 1: Potenzielle Risiken von Sport bei CF bessern, zu einer Induktion von Gewebswachstumsfaktoren oder zu einer verbesserten neuroendokrinologischen Kontrolle des Metabolismus führen. All diese Faktoren vermögen sicher zum Symptom Hypoxämie Anstrengungsinduzierte Bronchokonstriktion Kommentar v.a. bei FEV1 < 50% des Normwertes oder bei SO2 < 94% Wiederholte Kontrollen sinnvoll Teil, den positiven Effekt des körper- Gewichtsverlust Wenn der erhöhte Energieverbrauch nicht kompensiert wird lichen Trainings auf den Krankheitsver- Dehydration Vor allem bei langen Belastungen in warmer Umgebung lauf bei CF zu erklären. Hypoglykämie Kontrollen vor, während und nach einem Training sinnvoll Potenziell negative Effekte von Sport Frakturen Pneumothorax Bei Osteoporose Cave bei Kontaktsportarten und Tauchen Die meisten CF-Patienten können risikofrei Sport treiben. Erhöhte Risiken haben vor allem Patienten mit fortgeschrit- Verletzung von Leber, Milz oder bei Ösophagusvarizen Arrhythmien Cave Kontaktsportarten sowie Bungee-Jumping, Ski Diving Bei fortgeschrittener Erkrankung Pädiatrie 1/09 • 22 Schwerpunkt Tabelle 2: Protokoll zur Messung der maximalen aeroben Leistungsfähigkeit Umdrehungen (rpm) 60 60 60 Initialbelastung (Watt) 10 15 20 Belastungssteigerung (Watt) 10 15 20 Grösse (cm) < 120 120–150 > 150
Stufendauer (min) 1 1 1
nach Godfrey et al (9)
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Susi Kriemler FMH Pädiatrie, FA Sportmedizin Institut für Sport und Sportwissenschaften Universität Basel Brüglingen 33, 4052 Basel E-Mail: susi.kriemler@unibas.ch Internet: http://issw.unibas.ch oder www.kiss-studie.ch
dessen der Patient im Spitalkorridor über eine Distanz von 8 bis 40 Metern hinund herläuft, wobei gleichzeitig die Gehstrecke, die Herzfrequenz und die Sauerstoffsättigung gemessen werden. Was immer für ein Test angewandt wird, er sollte in der Lage sein, das Intensitätsniveau der körperlichen Belastung oder die Herzfrequenz zu dokumentieren, bei der eine Sauerstoffuntersättigung von weniger als 90 Prozent entsteht. Die Sauerstoffsättigung sollte dabei möglichst über der Stirn gemessen werden, da die Fingeroximetrie oft falsch tiefe Werte ergibt, insbesondere bei CF-Patienten, bei denen die Fingerperfusion eingeschränkt sein kann. Tritt die Untersättigung bereits bei sehr geringer Intensität auf, ist eine zusätzliche Sauerstoffgabe zu diskutieren. Generell gelten die gleichen Trainingsrichtlinien wie für Gesunde, das heisst eine Belastungsintensität von 70 bis 80 Prozent der maximalen Herzfrequenz beziehungsweise 85 Prozent der anaeroben Schwelle, drei- bis fünfmal pro Woche über jeweils 30 Minuten – dies genügt für einen adäquaten Trainingsanreiz. Oft muss das Training jedoch über einige Monate langsam und stetig gesteigert werden, bis dieser Trainingumfang erreicht werden kann. Bei Patienten mit
Abbildung 3: Effekt eines 3-jährigen Heimtrainings (dreimal 20 min/ Wo., HF ~150/min) auf die Lungenfunktion von CF-Patienten (6)
schwererer Erkrankung kann ein intermittierendes Training durchgeführt werden, bei dem sich zweiminütige Belastungseinheiten (Intensität wie bei kontinuierlichem Training oder höher) mit einminütigen Pausen abwechseln.
Zusammenfassung
Die aerobe Leistungsfähigkeit bei CF ist mit zunehmendem Schweregrad der Erkrankung eingeschränkt aufgrund einer reduzierten Funktion von Lunge, Muskulatur und/oder Herz oder einer verminderten körperlichen Aktivität. Vor allem Ausdauersport wirkt sich bei CF positiv auf Lungenfunktion, Lebensqualität und Mortalität aus. Nebenwirkungen sind selten und treten oft nur bei schwererer Erkrankung auf. Die körperlichen Belastungen können gleich wie bei gesunden Kindern und Adoleszenten gestaltet werden, solange die Sauerstoffsättigung über 90 Prozent liegt. Liegt es nicht in der Verantwortung jedes behandelnden Arztes, Patienten mit CF über die positiven Effekte von Sport zu orientieren und zu versuchen, sie für ein Bewegungsprogramm zu motivieren?
Literatur: 1. Ratjen F, Doring G. Cystic fibrosis. Lancet. 2003 Feb 22; 361 (9358): 681–689. 2. Kriemler S. Chronic health conditions and physical activity and exercise: cystic fibrosis. In: Armstrong N, vanMechelen W, editors. Textbook of paediatric exercise science and medicine. 2nd edition ed. Oxford, UK: Oxford University Press; 2008 (in press). 3. Bradley J, Moran F. Physical training for cystic fibrosis. Cochrane Database Syst Rev. 2002 (2): CD002768. 4. Orenstein DM, Higgins LW. Update on the role of exercise in cystic fibrosis. Curr Opin Pulm Med. 2005 Nov; 11 (6): 519–523. 5. Moorcroft AJ, Dodd ME, Morris J, Webb AK. Individualised unsupervised exercise training in adults with cystic fibrosis: a 1 year randomised controlled trial. Thorax. 2004 Dec; 59 (12): 1074–1080. 6. Schneiderman-Walker J, Pollock SL, Corey M, Wilkes DD, Canny GJ, Pedder L, et al. A randomized controlled trial of a 3-year home exercise program in cystic fibrosis. J Pediatr. 2000 Mar; 136 (3): 304–310. 7. Enright S, Chatham K, Ionescu AA, Unnithan VB, Shale DJ. Inspiratory muscle training improves lung function and exercise capacity in adults with cystic fibrosis. Chest. 2004 Aug; 126 (2): 405–411. 8. Cunha MT, Rozov T, de Oliveira RC, Jardim JR. Six-minute walk test in children and adolescents with cystic fibrosis. Pediatr Pulmonol. 2006 Jul; 41 (7): 618–622. 9. Godfrey S. Exercise Testing in Children: Applications in Health and Disease. London: W.B. Saunders Co. Ltd.; 1974.
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