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Dermatologie
Neurodermitis – wenn die Haut brennt
Die Neurodermitis, auch als
Von Claudia Reinke
atopisches Ekzem bezeichnet, ist eine ausserordentlich häufige Hauterkrankung mit zunehmender Prävalenz – allein in der Schweiz sind heute 10 bis 15 Prozent der Kinder und etwa 5 Prozent der Erwachsenen davon betroffen. In einer von der Schweizerischen Neurodermitis Stiftung (sns.ch) organisierten hochkarätigen Fortbildungsveranstaltung vom 17. Oktober 2008 in der Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang hatten Betroffene und Angehörige die Möglichkeit, sich über den Stand der medizinischen Erkenntnisse und die derzeit verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten zu informieren.
Neurodermitis kann in jedem Lebensalter auftreten, am häufigsten tritt sie jedoch bereits im ersten Lebensjahr auf. Entstehung und Verlauf der Erkrankung sind von verschiedenen Faktoren abhängig, wobei die genetische Disposition sicher eine der wichtigsten Ursachen ist. Bei entsprechender Veranlagung besteht eine gestörte Schutz- und Abwehrfunktion der Haut, die zudem mit besonderen immunologischen Eigenschaften verbunden sein kann. Wie Brunello Wüthrich, Professor emeritus der Universität Zürich, berichtete, lassen sich demnach zwei verschiedene Neurodermitisformen unterscheiden: die extrinsische oder IgE-assoziierte Form, die mit IgE-vermittelten Sensibilisierungen gegen Inhalations- und Nahrungsmittelallergene einhergeht, und die nicht IgEassoziierte oder intrinsische Form, die dagegen keine solchen allergenspezifischen Sensibilisierungen aufweist. Das klinische Bild mit den typischen ekzematösen Hautveränderungen und starkem Juckreiz kann durch viele Umweltfaktoren sowie psychosoziale Einflüsse ausgelöst werden. Neue Erkenntnisse der letzten Jahre haben ergeben, dass die sehr empfindliche, überwiegend trockene Haut bei Neurodermitikern in 70 Prozent der Fälle auf eine genetisch bedingte fehlende beziehungsweise verminderte Bildung des Filaggrins zurückzuführen ist. Dieses Strukturprotein ist für die Funktionsfähigkeit der Hautbarriere unverzichtbar. Träger dieser Genmutation leiden oft unter schwereren Formen und besitzen zudem ein deutlich höheres Allergierisiko.
Präventionsmassnahmen
In seinen Ausführungen stellte Professor Johannes Ring, beratender ärztlicher Direktor der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Hochgebirgsklinik Davos, geeignete Massnahmen zur Primärund Sekundärprävention der Neurodermitis vor. So gehört der Verzicht auf mütterliches (elterliches) Rauchen (nicht nur in der Schwangerschaft, sondern auch später) sowie der Schutz vor Passivrauchen neben dem Stillen des Kindes (über 4 bis 6 Monate) oder dem Einsatz hypoallergener Säuglingsnahrung zu den effizientesten Schutzmassnahmen. Der Einsatz von Probiotika – zum Beispiel die Gabe entsprechender Probiotika an betroffene Säuglinge und Kleinkinder – scheint den Schweregrad der atopischen Dermatitis vermindern zu können. Insgesamt kann dieses Vorgehen jedoch nicht empfohlen werden, da die vorhandene Datenlage nicht ausreicht und zudem die Vergleichbarkeit der verschiedenen eingesetzten probiotischen Bakterienstämme nicht gegeben ist. Dass eine vollwertige abwechslungsreiche, vorwiegend mediterrane Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Olivenöl, Milchprodukten, Hülsenfrüchten und Fisch sowie – bei allergischen Reaktionen – eine entsprechende Diät helfen kann, erklärte Daniel Gianelli, Leiter Ernährungsberatung der Hochgebirgsklinik Davos. Jedoch bedarf es dazu immer einer seriösen Abklärung, um keinen unnötigen Stress zu verursachen. Im Bedarfsfall ist eine individuelle Ernährungsberatung sinnvoll.
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Hochgebirgsklima reguliert das Immunsystem
Für Neurodermitispatienten besonders günstig sind Aufenthalte in geschützten Hochgebirgslagen. Wie Frau Dr. med. Claudia Steiner, Chefärztin der Dermatologie und Allergologie in der Davoser Hochgebirgsklinik, erklärt, stellt das dort herrschende Reizklima mit überwie-
gend trockener, schad- und sauerstoffarmer Luft, der Sonneneinstrahlung und dem Höhenklima eine natürliches Therapeutikum dar: Es aktiviert Herz- und Kreislauf, regt Atmung und Hautdurchblutung an. Das Höhenklima bewirkt darüber hinaus eine vermehrte Ausschüttung des körpereigenen Kortisols und führt zu einer signifikanten Verminderung der IgE-Antikörper. Nach einer
vier- bis sechswöchigen Kur in Davos kommt es bei den Betroffenen zu einer deutlichen Besserung der Krankheitssymptomatik mit einer Abnahme der ekzematösen Hautveränderungen und deutlicher Besserung allergiebedingter Überempfindlichkeiten, wie in eindrucksvollen Studien nachgewiesen werden konnte.
Pflege und Therapie bei Neurodermitis
Interview mit PD Dr. med. Peter Schmid Grendelmeier
Eine trockene und juckende Haut ist das vorherrschende klinische Erscheinungsbild der Neurodermitis. Die trockene Haut sowie Kratzen führt – je nach individueller Sensibilität – sehr rasch zu entzündlich-ekzematösen Hautveränderungen. Eine regelmässige wirkstofffreie Basispflege ist für Neurodermitiker daher entscheidend. Trotz guter Basistherapie kommt es jedoch immer wieder zu juckenden Ekzemen, die kurzfristig effizient behandelt werden müssen. Wir befragten den Leiter der Allergiestation der Dermatologischen Universitätsklinik Zürich, PD Dr. Peter Schmid Grendelmeier, zu den heute für die Neurodermitisbehandlung verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten.
Peter Schmid Grendelmeier
Pädiatrie: Herr Dr. Schmid Grendelmeier, Sie haben in Ihrem Vortrag betont, wie wichtig eine gute regelmässige Basistherapie für Neurodermitispatienten ist, um die Haut durch rückfettende und feuchtigkeitsspendende Massnahmen in gutem Zustand zu erhalten und so möglichen Krankheitsschüben vorzubeugen. 70 Prozent der Neurodermitiker leiden jedoch an einem genetisch bedingten Filaggrinmangel – ist eine Prävention von Neurodermitisschüben unter solchen Umständen überhaupt möglich?
Dr. med. Peter Schmid Grendelmeier: Diese Patienten haben es sicherlich weniger einfach, aber mit einer guten Hautpflege lässt sich dieses Problem tatsächlich einigermassen kompensieren. Ziel der Basistherapie ist es, der Haut durch konsequente Anwendung rückfettender Wasser-in-Öl-Produkte wieder genügend Fett und Feuchtigkeit zuzuführen, damit sie geschmeidiger wird und weniger juckt. Derzeit versucht man im Übrigen, das fehlende Filaggrin in topische Darreichungsformen einzuarbeiten, um die Barrierefunktion der Haut bei Neuro-
dermitispatienten zu verbessern und sie so besser zu schützen. Die Entwicklung ist bisher allerdings noch nicht so weit, dass diese Produkte schon von Patienten klinisch eingesetzt werden können.
Wie kommt es trotz konsequenter Basispflege dennoch immer wieder zu Entzündungsreaktionen und Ekzemen? Schmid Grendelmeier: Das ist durch verschiedene Ursachen – also multifaktoriell – bedingt. Auslöser können Aller-
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gene wie Milben oder Nahrungsmittel sein, aber auch ein plötzlicher Temperaturwechsel, der den Juckreiz begünstigt, psychischer Stress durch Schule, Beruf oder Beziehungsprobleme, Hautreizungen durch intensives Waschen oder Umweltgifte, die die typischen Entzündungsreaktionen wie Rötungen, Bläschen und Juckreiz hervorrufen können, die daraus entstehenden ekzematösen Veränderungen triggern. Dann ist die Anwendung entzündungshemmender Substanzen wie Kortisone oder Immunmodulatoren erforderlich.
Gegenüber Kortisonpräparaten haben viele Patienten ja enorme Vorbehalte. Die heute verfügbaren Substanzen zeichnen sich doch sicher durch eine sehr viel bessere Verträglichkeit aus? Schmid Grendelmeier: Eindeutig! Wir können heute auf neue Produkte zurückgreifen, die wesentlich weniger Nebenwirkungen aufweisen. So ist die gefürchtete Hautatrophie mit Teleangiektasien heute viel seltener geworden. Wirkstoffe wie Mometason (Elocom®) oder Prednicarbatum (Prednitop®) sind auch für kleinere Kinder geeignet. Gleichzeitig sind es sehr potente Wirkstoffe, die nur noch einmal täglich angewendet werden müssen. Wenn die akute Phase abgeklungen ist, genügt es zum Beispiel vielfach, wenn die Applikation nur an zwei bis drei Tagen pro Woche – also beispielsweise am Wochenende – erfolgt. Alternativ lassen sich die topischen Immunmodulatoren (Calcineurininhibito-
ren wie Pimecrolimus [Elidel®] oder Tacrolimus [Protopic®*]) einsetzen. Diese Wirkstoffe unterdrücken die humorale und zelluläre Immunreaktion. Leichte bis mittelschwere Schübe lassen sich mit diesen Substanzen relativ nebenwirkungsarm behandeln. Wichtig ist, dass man sie einige Tage – am besten über den Schub hinaus – appliziert. Auch Kinder ab einem Alter von zwei Jahren können mit diesen Immunsuppressiva bereits behandelt werden.
Es gab Berichte, dass die Anwendung solcher Substanzen die Krebsentstehung fördern solle. Welche Erfahrungen haben Sie hier gemacht? Schmid Grendelmeier: Im Gegensatz zur systemischen Applikation solcher Immunsuppressiva führt die lokale (topische) Applikation nach den bisherigen (10-jährigen) Untersuchungen nicht zu solchen Nebenwirkungen. Die therapeutische Dosis – und damit die systemische Exposition – ist hier auch wesentlich niedriger als nach systemischer Gabe. Sicherheitshalber sollte allerdings auf eine übertriebene UV-Bestrahlung während der Anwendung solcher Substanzen verzichtet werden.
Was lässt sich denn zusätzlich gegen den quälenden Juckreiz unternehmen, dem diese Patienten während ihrer Schübe ausgesetzt sind? Schmid Grendelmeier: Um den Juckreiz zu lindern, können zusätzlich zur topischen Therapie auch Antihistaminika
eingesetzt werden. Darüber hinaus helfen manchmal auch psychologische Massnahmen wie autogenes Training, um den subjektiv empfundenen Juckreiz zu dämpfen. Eine weitere nützliche Massnahme kann das Tragen speziell beschichteter Unterwäsche sein, die die empfindliche Haut vor äusseren Einflüssen schützt und so sekundär zu einem besseren Hautbild und zu einer Abnahme des Juckreizes führt. So zeigt etwa die Verwendung von antibakteriell beschichteter Seidenunterwäsche günstige Effekte auf Juckreiz und Hautentzündung. Im Übrigen wird derzeit die ideale Auswahl von Patienten für den Einsatz von Nachtkerzenöl in Kapselform im Rahmen einer Studie am Kantonspital Aarau und am Universitätsspital Zürich untersucht. Wesentliche weiterführende Informationen gerade auch für Patienten sind unter den Internetseiten von aha! (www.ahaswiss.ch) und der Schweizerischen Neurodermitis Stiftung (www.sns.ch) abrufbar.
Besten Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Claudia Reinke.
Quelle: Informationsveranstaltung der Schweizerischen Neurodermitis Stiftung (sns.ch), Freitag, 17. Oktober 2008, Hochgebirgsklinik Davos-Wolfgang.
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