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SCHWERPUNKT
Präeklampsie: Screening und Diagnostik mit neuen MarkerKombinationen
Verwendung des sFlt-1/PlGF-Quotienten in der Praxis: Hintergründe
Präeklampsie ist eine der Hauptursachen für erhöhte mütterliche und neonatale Morbidität und Mortalität. Eine frühzeitige Risikoevaluation ermöglicht, schwangere Frauen mit erhöhtem Risiko zu erkennen, um diese engmaschig zu überwachen und präventiven Strategien zuzuführen. Neue Screeningmethoden mittels biochemischer sowie sonografischer Marker erscheinen vielversprechend.
MARC BAUMANN
Präeklampsie ist eine schwangerschaftsspezifische Erkrankung, welche sich durch Hypertonie und Proteinurie manifestiert. Als schwere Komplikationen zählen ■ mütterlicherseits: die Eklampsie, intrazerebrale
Blutung, disseminisierte, intravasale Gerinnungsstörung, HELLP-Syndrom mit konsekutiver Leberkapselruptur sowie ■ von fetaler Seite: intrauterine Wachstumsretardierung bis hin zum intrauterinen Fruchttod und Plazentalösung. Rund 5 bis 7% aller Schwangerschaften sind weltweit von einer Präeklampsie betroffen, wobei die Inzidenz in den industrialisierten Ländern geringer ist als in den Entwicklungsländern (1–3).
Erkenntnisse zur Pathogenese
Die genauen Mechanismen der Pathogenese sind trotz intensiver Forschung weitgehend unklar. Es gilt jedoch als allgemein akzeptiert, dass die Präeklampsie mehr plazentaren als fetalen oder mütterlichen Ursprungs ist. Zugrunde liegt im Allgemeinen eine gestörte Trophoblastinvasion in die mütterlichen Spiralarterien (Abbildung 1) (4). Es zeichnet sich anhand neuerer Studien ab, dass die Präeklampsie multifaktoriell bedingt ist und nicht eine einzige Krankheit darstellt, auch wenn ein ähnliches klinisches Bild vorliegt. So sind zum Beispiel die «early-onset»- und die «late-onset»-Präeklampsien wahrscheinlich zwei verschiedene Entitäten, wobei bei der erstgenannten fetoplazentare und bei der «late-onset»-Präeklampsie maternale Faktoren stärker ins Gewicht fallen. Die «early-onset»-Präeklampsie, welche bis zu 20% aller Präeklampsie-Fälle ausmacht, zeigt schwerste Verläufe mit entsprechender klinischer Relevanz. Ty-
pische Charakteristika sind eine stark gestörte Trophoblastinvasion in die Spiralarterien mit konsekutiv Doppler-sonografisch pathologischem Blutflussmuster in der Arteriae uterinae und Umbilikalgefässen (erhöhte Widerstandsindizes) sowie markante fetale intrauterine Wachstumsretardierung. Bei der «late-onset»-Präeklampsie, welche über 80% aller Präeklampsiefälle betrifft, zeigen sich hingegen eine normale bis leicht alterierte Trophoblastinvasion, überwiegend unauffällige materno- und fetoplazentare Doppler-sonografische Untersuchungen, ein normales fetales Wachstum und als Risikofaktor eine erhöhte plazentare Masse, beispielsweise bei (Gestations)diabetes oder Mehrlingschwangerschaften.
Therapeutische Aspekte
Eine effiziente Therapie der Präeklampsie existiert bis anhin nicht. Es gilt, die Schwangere mittels antihypertensiver und antikonvulsiver Therapie engmaschig zu überwachen. Das Wohl des Fetus wird mittels sonografisch geschätzter Gewichtszunahme, Doppler-sonografischer Untersuchung sowie computergestützer Kardiotokografie (Oxford-CTG) beurteilt. Diese intensive Überwachung ist nötig, um den richtigen Zeitpunkt der Entbindung (aus maternaler oder fetaler Indikation) festzulegen und somit ein möglichst optimales Outcome bei Mutter und Kind zu gewährleisten. Bei aggravierender Symptomatik mit zunehmend erhöhtem Risiko einer Eklampsie oder fetaler Dekompensation bleibt therapeutisch nur die Entbindung, was zu einer erheblichen Anzahl von Frühgeburten führt. Nach Entfernen der Plazenta normalisiert sich das klinische Bild (Allgemeinzustand, Blutdruckwerte und Proteinurie) in der Regel innert wenigen Tagen.
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ven Vitaminen C und E zur Präeklampsie-Prophylaxe wurde die Hoffnung auf eine wirksame Prävention nach einer multizentrischen, randomisierten, plazebokontrollierten Studie enttäuscht (5). Einzig die Administration von Azetylsalizylsäure scheint in einer klar definierten Population einen Benefit zu zeigen.
Abbildung 1: Bei normaler Schwangerschaft invadieren die extravillösen Trophoblasten in die mütterlichen Spiralarterien (A). Bei Präeklampsie ist diese Einwanderung gestört (B). Modifiziert nach Redman CW, Sargent IL. Latest advances in understanding preeclampsia. Science. 2005; 308(5728): 1592-4. Review.
Tabelle:
Präeklampsiemarker
■ Serummarker Placental growth factor (PLGF) Vascular endothelial growth factor (VEGF) soluble fms-like tyrosine kinase-1 (sFlt-1; lösliche splice-Variante von FLT-1; bindet VEGF und PLGF) Inhibin A Activin A Plazentares Protein 13 (PP-13) Pregnancy-associated plasma protein A (PAPP-A) Human chorionic gonadotrophin (HCG) Soluble endoglin (sEng) Alpha-fetoprotein (AFP) Corticotropin-releasing factor (CRF) and CRF-binding protein (CRF-BP) Leptin Harnsäure Insulin-like growth factor-1 (IGF-1) and IGF-binding protein-1 (IGFBP-1) Homocysteine Pentraxin 3(PTX3) Asymmetric dimethylarginine (ADMA) Syncytiotrophoblast-Partikel (STBM) Freie fetale Erythroblasten Zellfreie fetale DNA
■ Urinmarker hCG beta-subunit core fragment
■ Biophysikale Marker «roll-over test; flussabhängige Vasodilatation Angiotensin-II-Sensitivitätstest
■ Genetische Marker Spezifische Gene bei Familien mit erhöhtem Präeklampsierisiko
■ Sonografische Marker «notch» oder erhöhter Pulsatilitätsindex in der A. uterinae (Doppler) Plazentavolumen (3D-Sonografie)
Nach einer Schwangerschaft mit Präeklampsie haben jedoch sowohl die Mutter als auch ihr Kind (sog. «fetal programming») ein erhöhtes Risiko, später im Leben an einem kardiovaskulären Leiden zu erkranken. Nach initial interessanten Studien bezüglich den antioxidati-
Prädiktion und Massnahmen zur Evaluation
Screeningtests sind zunehmend im Fokus der klinischen Forschung. Aufgrund der klinischen und sozioökonomischen Relevanz ist es äusserst wichtig, eine Präeklampsie voraussagen zu können. Die Präeklampsie ist definiert durch eine neuaufgetretene Hypertonie und Proteinurie in der zweiten Schwangerschaftshälfte, das heisst nach der 20. Schwangerschaftswoche. Somit bleiben 20 Wochen Zeit für eine Prädiktion. Eine frühe Risikoevaluation ermöglicht, ein Kollektiv mit erhöhtem Risiko bezüglich einer späteren Präeklampsie zu identifizieren. Diese Patientinnengruppe sollte engmaschiger als Schwangere ohne erhöhtes Risiko überwacht werden und gegebenenfalls einer präventiven Massnahme wie der Aspirin-Gabe zugeführt werden. Für eine effiziente Prävention ist es jedoch unerlässlich, das Präeklampsierisiko frühzeitig evaluieren zu können. Verschiedene Algorithmen wurden entwickelt, um das Risiko einer subsequenten Präeklampsie abzuschätzen. Initial verliess man sich auf anamnestische Faktoren: Risikofaktoren bezüglich einer Präeklampsie sind (in absteigender Reihenfolge): Zustand nach schwerer Präeklampsie vor der 28. Schwangerschaftswoche, AngiotensinogenGenmutation, chronische Nierenkrankheit, Antiphospholipidsyndrom, chronische Hypertonie, Präeklampsie in der Familie, Zwillingsschwangerschaft, Alter über 40 Jahre, Primigravidität, Diabetes mellitus (2). Mit diesen anamnestischen Angaben lässt sich jedoch nur beschränkt ein individuelles Präeklampsierisiko bestimmen (1). Einen anderen Ansatz verfolgten klinische Forschungsgruppen, indem sie biophysikalische Marker analysierten. Zu diesen gehören unter anderem der sogenante «roll-over test» (Blutdruckerhöhung), die flussabhängige Vasodilatation (erhöht in der Schwangerschaft und erniedrigt bei Präeklampsie im Vergleich zur normalen Schwangerschaft) und der Angiotensin-II-Sensitivitätstest (erhöhtes Ansprechen bei Präeklampsie). Da diese Screeningtests frühestens im zweiten Trimester eine Beurteilung des Präeklampsie-Risikos erlauben, kann eine wirksame präventive Massnahme nicht greifen.
Serummarker Da die Trophoblastinvasion im Rahmen der Plazentation zwischen der 8. und 16. Schwangerschaftswoche stattfindet, sollte es bereits zu diesem Zeitpunkt
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möglich sein, Serummarker zu identifizieren, welche auf eine gestörte Trophoblastinvasion hinweisen. Im Jahre 2004 setzte die Ära der Präeklampsieserummarker ein, und als vielversprechende Kandidaten zeigten sich alsbald angiogenetische und antiangiogenetische Faktoren. Zu diesem Zeitpunkt wurden erstmals «soluble fms-like tyrosine kinase-1» (sFLT-1 oder auch «soluble vascular endothelial growth factor [VEGF]-receptor» genannt) und «placental growth factor» (PLGF) als potenzielle Marker für eine spätere Präeklampsie beschrieben (6). Später wurden auch das «pregnancy-associated plasma protein A» (PAPPA), «placental protein 13» (PP13) und «Pentraxin 3» (PTX3) als mögliche Serummarker getestet. Verschiedenste biochemische und biophysikalische Marker wurden untersucht (7) und sind tabellarisch in der Tabelle zusammengefasst. Wir konnten in eigenen Studien zeigen, dass verschiedene biochemische Marker wie sFLT-1, soluble Endoglin (sEng), Activin A bei schwangeren Frauen, welche später eine Präeklampsie entwickeln, im Vergleich mit Frauen mit normalen Schwangerschaftsverläufen bereits im ersten Trimester erhöht sind (siehe Abbildung 2) (8). Diese Alterationen fanden sich zu einem Zeitpunkt mehr als 21 Wochen vor Auftreten der klinischen Symptome. Dies ergäbe eine relativ lange Zeitspanne, in welcher präventive Massnahmen den Schwangerschaftsverlauf günstig beeinflussen könnten.
Präeklampsie-Prädiktion: neue Forschungen
Die letzten Jahre brachten grosse Fortschritte im Verständnis der Präeklampsie. Als wegweisend erwies sich die Untersuchung des angiogenetischen Status. Dieser wird während des 1. und 2. Trimesters durch verschiedene Marker moduliert. So unterdrücken erhöhte sFLT-1-Serumkonzentration die Angiogenese, während andere Marker wie VEGF und PLGF an den membrangebundenen VEGF-Rezeptor binden und eine normale endotheliale Funktion garantieren. Die lösliche Form sFLT-1, eine endogene alternative splice-Variante des VEGF-Rezeptors, sequestriert VEGF und PLGF, wodurch deren Interaktion mit dem VEGF-Rezeptor verhindert wird. In der Folge findet sich eine endotheliale Dysfunktion, welche sich letztendlich mit den typischen Präeklampsie-Symptomen äussert. Auf der Suche nach Screeningmarkern im ersten Trimester scheinen PAPP-A und PLGF vielversprechende Kandidaten zu sein. Von den Pionieren des klassischen Ersttrimestertests Prof. Howard Cuckle und Prof. Kypros Nicolaides wurden Kalkulationsprogramme, die diese beiden Marker beinhalten, zur Vorhersage einer Präeklampsie entwickelt. Wie beim klassischen Ersttrimestertest gehen auch hier zur Berechnung des Risikos viele anamnestische Variablen ein wie BMI, Ethnie, Parität und Blutdruck. Ultra-
Abbildung 2: Die Ersttrimester-Serumkonzentrationen von sFLT-1 und sEng sind bei Schwangern, welche später eine Präeklampsie im Vergleich mit Kontrollen erhöht. (8)
schallparameter sind Scheitel-Steiss-Länge, Nackentransparenz sowie Doppler der Arteria uterina (uterine arteria pulsatility index: PI). In Zusammenarbeit mit dem Labormedizinischen Zentrum Dr. Risch, Schweiz, haben wir eine in der PRADO-Studie (= predictive markers for the diagnosis of preeclampsia) eingebettete Fall-Kontroll-Studie durchgeführt. Von insgesamt 2500 schwangeren Frauen, welche von niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen vorwiegend im Raum Bern betreut wurden, asservierten wir Serum, welches zum Zeitpunkt des Ersttrimestertests (Trisomie-RisikoEvaluation) abgenommen wurde. Am letzten SGGGJahreskongress (2011) konnten wir berichten, dass die Präeklampsie-Prävalenz in diesem schweizerischen Kollektiv rund 2,7% beträgt (3). Es wurden insgesamt 39 Fälle mit «late-onset»-Präeklampsie mit jeweils 3 bis 5 Kontrollen (insgesamt 159), welche einen unauffälligen Schwangerschaftsverlauf zeigten, gepaart nach mütterlichem Alter, Gestationsalter, Raucherstatus und Gewicht. PLGF und PAPP-A wurden mit einer immunoanalytischen Methode analysiert (Perkin Elmer, Turku, Finnland). Mittels der «screen-info»-Software (Cuckle et al.) wurden Risiken für die Entwicklung einer «late-onset»-Präeklampsie (> 34. Schwangerschaftswoche) berechnet. Es wurden «receiver-operating-Kurven» (ROC) und die Fläche unter der Kurve (area under the curve; AUC) berechnet. Die AUC betrug 0,678. Bei diesem Test lag für eine Falsch-Positivrate von 10% (90% Spezifität) die Sensitivität bei 36%. Es wurde dann der Algorithmus von Cuckle-Programms «screen-info» mit dem der Fetal Medicine Foundation (FMF) verglichen. Bei obengenanntem Kollektiv berechnet nach dem FMF-Algorithmus von Kypros Nicolaides zeigt sich eine AUC der ROC von 0,610; bei einer Spezifität von 90% betrug die Sensitivität 26%. Der «screeninfo»-Algorithmus zeigt in unserem Kollektiv eine bessere Prädiktion als der FMF-Algorithmus; die ROC-Analysen beider Algorithmen sind signifikant unterschiedlich (Abbildung 2). In einer weiteren Analyse mit Fällen von «early-onset»-Präeklampsie (< 34 Schwangerschaftswochen) zeigte sich für die Vorhersage mittels des «screen-info»-Algorithmus eine AUC der ROC-Analyse von 0,728. Bei beiden von uns untersuchten Algorithmen wur-
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Abbildung 3: Die receiver-operating-Kurven (ROC) und die Fläche unter der Kurve (AUC) der Screeningtests mittels Algorithmen von Prof. Cuckle («screen-info»; AUC: 0.678) und Prof. Nicolaides (FMF; AUC: 0.610) sind signifikant unterschiedlich.
Trotz allem kann eine individuelle PräeklampsieRisikoabschätzung von Nutzen sein, insbesondere bei sehr tiefen oder sehr hohen Ratiowerten. Darüber hinaus lässt sich bei tiefem «screen-info»-Score und folglich geringem Präeklampsie-Risiko eine ängstliche oder vorbelastete Schwangere beruhigen. Ein Vorteil dieser Risikoevaluation besteht auch darin, dass zum Teil dieselben Biomarker wie diejenigen des klassischen Ersttrimestertests verwendet werden und diese Evaluation gleichzeitig mit dem Ersttrimestertest durchgeführt werden kann. Um diesen Screeningtest zu verbessern, werden derzeit von uns weitere vielversprechende biochemische und biophysikalische Parameter untersucht. Als wichtig erachten wir auch prospektive Studien, welche mittels «screen-info»-Score zuerst Gruppen mit erhöhtem Präeklampsie-Risiko identifizieren, die dann randomisiert einer präventiven Strategie (z.B. Aspirin-Gabe ab der 12. Schwangerschaftswoche) zugeführt werden. Nur so kann der klinische Nutzen dieser Risikoevaluation belegt werden.
Abbildung 4: Der sFlt-1/PLGF-Quotient ist ein besserer Prädiktor als die jeweiligen Serumlevels der beiden Marker für sich alleine. Modifiziert nach (9).
den sonografische Dopplerwerte der Arteriae uterinae nicht berücksichtigt, da diese Doppleruntersuchungen in den niedergelassenenen Praxen nicht routinemässig standardisiert gemessen wurden. Die von der FMF publizierten besseren Vorhersagewerte (in Kombination mit Dopplersonografie) unterstreichen die Wichtigkeit der Doppleruntersuchung in der Präeklampsie-Prädiktion. Derzeit untersuchen wir in einer laufenden Studie, ob die Zusatzinformation der Dopplerwerte die «screen-info»-Prädiktionsstärke zusätzlich verbessern kann. Interessanterweise kann die Evaluation mittels «screen-info»-Software im ersten Trimester nicht nur das mütterliche, sondern auch das neonatale Outcome vorhersagen: Der «screen-info»-Risikowert korreliert mit den 1-, 5- und 10-Minuten-APGAR-Werten, jedoch nicht mit den Nabelschnur-pH-Werten unmittelbar nach Geburt.
Anforderung an den Screeningtest Ein Screeningtest sollte einfach durchzuführen und zuverlässig sein (hohe Sensitivität und Spezifität, positive und negative Vorhersagewerte), ein gutes Kosten/Nutzen-Verhältnis aufweisen sowie zeitlich lange vor Ausbruch der Krankheit vorgenommen werden, sodass potenzielle präventive Massnahmen eingeleitet werden können. Einigen dieser Bedingungen wird diese Präeklampsierisiko-Evaluation im ersten Trimester gerecht. Aufgrund der moderaten Sensitivitäts- und Spezifitätswerte bleibt seine Anwendung jedoch im klinischen Alltag beschränkt.
sFLT-1/PLGF-Ratio als Diagnostiktool in der Praxis
Bis vor kurzem konnte eine Präeklampsie nur aufgrund klinischer Symptome, das heisst Vorliegen einer Hypertonie und Proteinurie, diagnostiziert werden. Oft gelingt im klinischen Alltag diese Diagnosestellung nicht einfach, insbesondere bei Patientinnen mit nephrologischer Grunderkrankung. Das Serumprofil angiogenetischer Faktoren kann in der Differenzialdiagnose helfen. Bei einer normalen Schwangerschaft steigt der pro-angiogenetische Faktor PLGF während der ersten beiden Trimester an und fällt gegen Ende der Schwangerschaft ab. Der antiangiogenetische Faktor sFlt-1 hingegen bleibt während des frühen und mittleren Stadiums der Schwangerschaft gleich, um dann bis zum Ende der Schwangerschaft ständig anzusteigen. Patientinnen, die eine Präeklampsie entwickeln, zeigen höhere sFlt-1-Konzentrationen und niedrigere PLGF-Konzentrationen als bei normal verlaufenden Schwangerschaften. Durch das gegenläufige Konzentrationsverhalten ist der sFlt-1/PLGF-Quotient ein besserer Prädiktor als die jeweilige Konzentration der beiden Marker für sich alleine (Abbildung 4) (9). Ein erhöhter sFlt-1/PLGF-Quotient (cut-off: 85, Abbildung 4) geht dem klinischen Auftreten einer Präeklampsie bis zu fünf Wochen voraus. Die Bestimmung der sFLT-1/PLGF-Ratio als diagnostischer Test für das Vorliegen einer Präeklampsie besitzt je nach Studie eine Sensitivität von 74 bis 100% bei einer Spezifität von 89 bis 97% (10). Das Testergebnis (im Kontext mit den klinischen Symptomen sowie dem Gestationsalter) würde bei einem tiefen Risiko für das Vorliegen einer Präeklampsie ein exspektatives Vorgehen bevorzugen, während bei einem hohen
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SCHWERPUNKT
Risiko der Entscheid zur Entbindung innert nächster Zeit angestrebt werden müsste. Dieser Test wird vom Labormedizinischen Zentrum Dr. Risch seit diesem Jahr angeboten und kann notfallmässig bestimmt werden. Das Angebot des Screeningtests ist in Planung.
Schlussfolgerungen
Eine akkurate Prädiktion sowie Diagnose einer Prä-
eklampsie sind für das mütterliche und neonatale
Outcome eminent wichtig. Die Forschung hat diesbe-
züglich grosse Fortschritte erzielt. Die «sFLT-1/PLGF-
Ratio» als diagnostischer Test kann aufgrund seiner
Performance in der Praxis genutzt werden. Screening-
tests zur Vorhersage einer Präeklampsie müssen be-
züglich der Effizienz optimiert werden – entweder
mittels neuer Marker oder durch Kombination ver-
schiedener Prädiktoren. Eine grosse Herausforderung
besteht nach wie vor in der Erforschung der Pathoge-
nese der Präeklampsie und in der Entwicklung neuer
präventiver Strategien. Prospektive, plazebokontrol-
lierte, randomisierte Studien sind unumgänglich, um
den Nutzen der Screeningtests und präventiver Mass-
nahmen für das Wohl von Mutter und Kind zu eva-
luieren. Wir müssen und werden in diesen wichtigen
Gebieten weiterhin intensiv forschen.
■
Dr. med. Marc Baumann Universitäts-Frauenklinik Inselspital 3010 Bern E-Mail: marc.baumann@insel.ch
Quellen: 1. Sibai B et al.: Preeclampsia. Lancet 2005; 365: 785–99. 2. Raio L, Baumann M, Schneider H.: Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen. In: Schneider H, Husslein P, Schneider KTM: Die Geburtshilfe. Heidelberg, Berlin 2010. 3. Baumann M, Wiedemann U, Surbek D, Nydegger U, Risch L, Risch L.: Die Inzidenz der Präeklampsie in der Schweiz: eine Interimsanalyse der PRADO-Studie. Abstraktvorstellung am Jahreskongress der SGGG 2011, Lugano. 4. Redman CW, Sargent IL.: Latest advances in understanding preeclampsia. Science. 2005; 308(5728): 1592–4. Review. 5. Poston, L, Briley, AL, Seed, PT, et al.: Vitamin C and vitamin E in pregnant women at risk for pre-eclampsia (VIP trial): randomised placebo-controlled trial. Lancet 2006; 367, 1145–54. 6. Levine RJ, Maynard SE, Qian C, et al.: Circulating angiogenic factors and the risk of preeclampsia. N. Engl. J. Med. 2004; 350, 672–83. 7. Baumann MU, Bersinger NA, Surbek DV: Serum markers for predicting preeclampsia. Mol Aspects Med. 2007; 28(2): 227–44. Epub 2007 Apr 27. Review. 8. Baumann MU, Bersinger NA, Mohaupt MG, Raio L, Gerber S, Surbek DV.: Firsttrimester serum levels of soluble endoglin and soluble fms-like tyrosine kinase-1 as first-trimester markers for late-onset preeclampsia. Am J Obstet Gynecol. 2008; 199(3): 266.e1–6. 9. Verlohren S, Galindo A, Schlembach D, Zeisler H, Herraiz I, Moertl MG, Pape J, Dudenhausen JW, Denk B, Stepan H. An automated method for the determination of the sFlt-1/PIGF ratio in the assessment of preeclampsia. Am J Obstet Gynecol. 2010 Feb;202(2):161.e1–161.e11. Epub 2009 Oct 21. 10. Verlohren S, Stepan H, Dechend R.: Angiogenic growth factors in the diagnosis and prediction of pre-eclampsia. Clin Sci (Lond). 2012; 122(2): 43–52.