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Arsenicum: Burn-on statt Bore-out
Untertitel
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Lead
An der Medart Basel hat mich ein sympathischer Graubart inspiriert: Chefarzt Torsten Berghändler. Der sprach so hin- und mitreissend über Burn-out, dass ich kurz versucht war, mir einen zuzulegen, um mal in der idyllischen Klinik Gais gepflegt zu werden. Mit schönen jungen Physiotherapeutinnen zu turnen und mit gütigen Psychiatern zu philosophieren.
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arsenicum
A n der Medart Basel hat mich ein sympathischer Graubart inspiriert: Chefarzt Torsten Berghändler. Der sprach so hin- und mitreissend über Burn-out, dass ich kurz versucht war, mir einen zuzulegen, um mal in der idyllischen Klinik Gais gepflegt zu werden. Mit schönen jungen Physiotherapeutinnen zu turnen und mit gütigen Psychiatern zu philosophieren. Dann habe ich mich aber doch für einen Burn-on entschieden: Auf der Flamme des feu sacré möchte ich genüsslich verbrennen, zum Wohl meiner PatientInnen, meiner Lieben und meiner selbst. Es wäre doch kein Leben, wenn ich mit 65 gänzlich unverbraucht wäre, weil ich mich zu sehr geschont habe. Da ziehe ich den sinnvollen Verschleiss vor: Schwielen an den Händen vom Reflexhammerschwingen, Rückenweh vom Patientenumlagern, das Hirn voll mit Wissen und Schicksälern. Den Psalm 90.10, «und wenns köstlich gewesen ist, so ists Mühe und Arbeit gewesen», halte ich inzwischen nicht mehr für hirnverbrannte christliche Arbeitsmoral, sondern für weise. Vielleicht ists die beginnende Demenz, aber ich bin überzeugt, dass diese Köstlichkeiten mir guttun. Wobei man es mit ihnen, wie mit allen guten Sachen, natürlich nicht übertreiben sollte. Spass muss sein, insbesondere bei ernsten Sachen wie der Arbeit. Bei den Zuhörern handelte es sich um Kollegen, die den Burn-out hinter sich haben und solche, die nie einen bekommen werden. Nicht anwesend waren die, die ihn noch vor sich haben. Wie Chirurg C., für den der enorme Stress, den er meistert und die Arbeitslast, die ihn fast erdrückt, ein Statussymbol ist. Oder Kollegin G., die inzwischen sogar zu kaputt zum Jammern ist. Stattdessen sass Landarzt W. drin, lächelnd und entspannt, der trotz fortgeschrittenen Lebensalters täglich seine 12 bis 14 Stunden arbeitet, Zeit für Hobbys, Sport und Familie hat – und noch Standespolitik macht. Oder die Spezialistin B., seit je eine Meisterin im Trittbrettfahren auf der Arbeit von anderen, ein Klageweib, jammernd über Belastungen, die sie nicht hat. Ein Publikum aus Selbstverbrennern, Selbstverbrannten, Verheizten, Scheinbrennern und korrekt Brennenden. Die Runterbrennenden haben vermutlich zu viel zu tun, um sich den Vortrag anzuhören. Berghändler verteilte

einen Test, und ich stellte fest, dass ich nicht burn-out gefährdet bin. Mein einziger Risikofaktor ist, dass ich zu viel esse. Das wusste ich aber schon. Es ist zudem ein Risikofaktor für viele andere Erkrankungen. Und schmeckt gut. Er gab Tipps, wie man Burnout vermeidet und zählte Schutzfaktoren auf. Nicht erwähnt hat er meine Frau. Sie ist eine exzellente Triageurin und nimmt nächtliche Telefonanrufe entgegen, während ich im anderen Schlafzimmer schnarche. Wenn es eine Bagatelle ist, bellt sie «Goht’s Ihne susch noo?» in den Hörer und verweigert die nächtliche Konsultation. Ich glaube, man nennt das Patientenedukation. Bei mittelschweren Fällen gibt sie telefonisch Rat. Bei schweren bringt sie mir einen Espresso ans Bett und scheucht mich aus demselben. Dass das Feuerchen gut brennt, ist auch Aline, Annetta, Daniela, Gaby, Susanne und Vreni zu verdanken, meinen Mitarbeiterinnen. Sie wissen genau, wie viel man wann nachschieben darf und wann es zu rauchen beginnt. Lernen kann man auch von Kollegin Evelyne, die nach leidvollen Erfahrungen gelernt hat, «Nein!» zu sagen und ihren Vorgesetzten mutig die Stirn bietet. Von David, der an seinen kleinen Sohn Elias denkt und dann Feierabend macht, obwohl er eigentlich zu freundlich ist, um jemandem etwas abzuschlagen. Von Stefan, der alles irgendwie philosophisch-gelassen hinkriegt. Ich hingegen brenne lustvoll weiter. Seit dem Vortrag noch glühender. Und hoffe, dass ich Wärme und Licht produziere. Am Samstag werde ich im Garten buddeln, einen Krimi beginnen und mit Freunden essen. Ihnen vorschwärmen, wie interessant und vielseitig der Beruf des Hausarztes ist. Wenn Passanten über den Gartenhag meine selbst gezogene Blumenpracht bewundern und sie mit «Das macht aber Arbeit!» kommentieren, werde ich glücklich nicken. Jawohl, es macht Arbeit. Genau wie Grundversorgen. Na und? Berghändler hat nämlich auch den Horror des «Bore-outs» geschildert: des gelangweilten Unterfordertseins und seiner Qualen. Und das möchte ich lieber nicht erleben. Dann lieber mit dem Feuerchen der drohenden Überforderung spielen. Schliesslich kann man das notfalls löschen. Irgendwann sind wir alle Asche. Die gut verbrannte ist sogar Dünger. Und jetzt fahre ich in die Ferien. Sie auch?

Burn-on statt Bore-out

566 ARS MEDICI 14 ■ 2009