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Editorial
Schon der Verdacht, ein Medikament könne Krebs verursachen, kann unter medialem Feuer leicht kollektive Panikreaktionen hervorrufen. Ulf Smith, Präsident der European Association for the Study of Diabetes (EASD) und Edwin Gale, Herausgeber der EASD-Zeitschrift «Diabetologia» fürchteten offenbar solche Reaktionen bei Veröffentlichung einer Untersuchung aus Deutschland, nach der das lang wirksame Insulinanalogon Glargin möglicherweise ein erhöhtes Krebsrisiko aufweist. Anstatt die Studie umgehend zu publizieren, warteten Smith und Gale zunächst den Eingang von drei eigens veranlassten Analysen aus Schottland, Schweden und Grossbritannien ab. Inzwischen sind alle vier Studien in «Diabetologia» publiziert und mit Stellungnahmen versehen worden (www.diabetologia-journal.org/cancer.html).
Nur keine Panik
Schon seit Jahren gibt es gelegentlich Diskussionen darüber, ob Insulinanaloga das Wachstum eines bereits existierenden Tumors stimulieren können. Mögliche Hinweise darauf lieferten bislang aber einzig experimentelle Befunde. In der nun vorliegenden deutschen Studie haben Mitarbeiter des IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) Krankenkassendaten von knapp 130 000 Diabetikern ausgewertet. Die Berechnungen der Forscher ergaben, dass bei 100 Patienten unter Glargin nach eineinhalbjähriger Therapie ein zusätzlicher Krebsfall auftrat, verglichen mit der Gabe einer gleich hohen Dosis Humaninsulin. Auffallend war, dass das Risiko dosisabhängig war. Die Auswertung der anderen Studien förderte divergierende Resultate zutage. In der schwedischen Studie fand sich ein doppelt so hohes Brustkrebsrisiko bei Diabetikerinnen unter Glarginmonotherapie. Hingegen war das Brustkrebsrisiko in der schottischen Studie nicht signifikant erhöht, auch die Daten aus Grossbritannien ergaben kein erhöhtes Krebsrisiko unter dem Insulinanalogon.
Bei allen vier Studien handelt es sich jedoch um Beobachtungsstudien, die grundsätzlich aufgrund möglicher Verzerrungen mit Vorsicht zu beurteilen sind. Auch die kritischen deutschen Autoren sehen zwar einen Anfangsverdacht für gegeben, machen aber klar, dass die gefundene Assoziation zwischen Krebshäufigkeit und Glargin zunächst nur statistischer Natur sei und keine Aussage über kausale Zusammenhänge erlaube. Es bestehe kein Grund zu Panik. Die Studie liefere keinen Anlass, nun die Insulintherapie überstürzt umzustellen, schon gar nicht bei niedrigen Dosierungen. Gale und Smith schlagen, laut einer Pressemitteilung der EASD, vor, individuell mit Patienten eine Therapiealternative zu diskutieren, sofern sie an Krebs erkrankt oder Brustkrebserkrankungen in der Familie bekannt sind. Sie fordern dazu auf, die Medikamentensicherheit rasch durch Auswertung der besten, weltweit verfügbaren Datenbanken zu klären. Eine an sich wünschenswerte prospektive, klinische Studie würde ihrer Meinung nach zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Herstellerfirma warnt unterdessen davor, Patienten unnötigerweise zu verunsichern und verweist auf klinische Studien mit 70 000 Patienten und einer Erfahrung von 24 Millionen Patientenjahren. Nach einer in «Diabetologia» publizierten Fünf-Jahres-Sicherheitsstudie seien bösartige Veränderungen unter Glargin sogar seltener als unter Humaninsulin aufgetreten.
Uwe Beise
ARS MEDICI 14 ■ 2009 561