Transkript
INTERVIEW
Wie treffsicher ist die HbA1c-Messung?
Interview mit Dr. Roman Fried, Verein für medizinische Qualitätskontrolle
Auf der Grundlage grosser
Studien gelten bei Typ-2-Dia-
betikern HbA1c-Werte von 7 Prozent als akzeptabel und
von 6,5 Prozent als ideal.
Doch wie exakt sind die Mess-
werte, die in Praxis-, Spital-
und Privatlaboratorien er-
mittelt werden? Wir sprachen mit Dr. Roman Fried vom Ver-
Dr. phil. Roman Fried ist Ringversuchsleiter des MQ, Verein für medizinische Qualitätskontrolle, am Institut für Klinische Chemie, Universitätsspital Zürich.
ein für medizinische Quali-
tätskontrolle, der für die
Ringversuche von mehr als
3500 Schweizer Laboratorien
verantwortlich ist.
Ars Medici: Herr Dr. Fried, laut einer Publikation im «American Journal of Clinical Pathology»* beträgt die Abweichung des HbA1c-Werts zwischen verschiedenen Tests im Praxislabor und im Zentrallabor im Mittel 0,6 Prozent, doch sogar Abweichungen bis zu 1,4 Prozent kamen vor. Angesichts dieser grossen Unschärfe scheint ein therapeutischer Entscheid aufgrund dieser Messwerte kaum möglich. Was meinen Sie dazu? Dr. Roman Fried: Es geht hier um zwei Aspekte, zum einen um die Exaktheit des gemessenen Wertes und zum anderen um
die Unterschiede zwischen verschiedenen Laboratorien. In der Schweiz haben wir in beiderlei Hinsicht keine grossen Probleme mit der HbA1c-Messung. Das liegt daran, dass hierzulande – anders als in den USA, auf die sich die von Ihnen genannte Studie bezieht – der Markt wesentlich homogener ist. Im Praxislabor sind dies die Geräte Afinion™, NycoCard® oder DCA2000 beziehungweise DCA-Vantage. In den Spitalund Privatlaboratorien werden oft Reagenzien von Roche verwendet, die wir bei den Ringversuchen unter der Gruppe Cobas Intergra® zusammengefasst haben. Die Messungenauigkeit ist beim Afinion, beim DCA und bei den grösseren Geräten immer kleiner als ±0,5% HbA1c. Einzig beim NycoCard, das mehrere manuelle Pipetterschritte benötigt, liegt die Messungenauigkeit bei ±1% HbA1c.
Selbst 0,5 Prozent potenzielle Abweichung vom wahren Messwert sind viel, gerade dann, wenn sie nahe an einem Grenzwert
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LABOR
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INTERVIEW
liegen. Wie soll man das in der Praxis beurteilen? Fried: In der Praxis sieht es so aus, dass die Ärztinnen und Ärzte völlig zu Recht eher den Verlauf als den absoluten HbA1c-Wert beurteilen, wenn dieser sich im therapeutisch fraglichen Bereich um die 7 Prozent bewegt. Das heisst, dass eine Abweichung von der letzten Messung um weniger als 0,5 Prozent nicht zwingend relevant ist, sondern der Trend über einen längeren Zeitraum betrachtet werden muss. Hat sich das HbA1c seit der letzten Kontrolle aber um 0,5 Prozent oder mehr verändert, ist das in der Regel eine relevante Veränderung, zumindest wenn man mit Geräten arbeitet, die diese Trennschärfe auch tatsächlich liefern können.
In einem kürzlich erschienenen deutschen Lehrbuch war zu lesen, dass die HbA1cMessung eine Domäne des Zentrallabors sei. Würden Sie dem zustimmen? Fried: Nein, das ist in der Schweiz ganz anders. Praktisch alle Diabetologen führen diese Messung schon seit Langem in Eigenregie durch, und seit zirka acht Jahren machen das auch die Allgemeinmediziner in ihrem Praxislabor. Man kann auch nicht sagen, dass die HbA1c-Messung in einem Praxislabor qualitativ schlechter sei als im Zentrallabor, auch wenn es natürlich gewisse Unterschiede gibt.
Welche Unterschiede meinen Sie damit? Fried: Aus dem Blickwinkel der Qualitätskontrolle gibt es insofern einen Unterschied, als die Variabilität der Messwerte innerhalb eines Labors bei Spital- und Privatlaboratorien kleiner ist als bei Praxislaboratorien. Wenn man also die gleiche Probe in einem Zentrallabor zehnmal hintereinander misst, werden die Messwerte weniger differieren, als wenn man das Gleiche in einem Praxislabor macht. Vergleicht man indes die Variabilität von Labor zu Labor, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen den Labortypen. Dies liegt daran, dass die Geräte im Praxislabor sehr einheitlich sind, während die grösseren Laboratorien unterschiedliche Gerätetypen verwenden. Für den therapeutischen Entscheid ist das aber, wie gesagt, nicht relevant. Unsere Ringversuche bescheinigen den HbA1c-Messungen in der Schweiz eine gute Qualität.
Abbildung: Resultat der HbA1c-Messung einer Diabetikerblutprobe im MQ-Ringversuch 2008/4. Grau: obere und untere Qualab-Grenze; dunkelrot: Referenzwert (HbA1c 7,9%); hellrot: Sollwert (Zielwert) der jeweiligen Methode; hell- plus dunkelblau: 80% aller Teilnehmer; dunkelblau: 50% aller Teilnehmer. Es ist zu beachten, dass hier nur jeweils eine Probe pro Labor und Gerät gemessen wurde, sodass die ermittelten Variationskoeffizienten (VK in %) nicht allgemein gültig sind. Quelle: www.mqzh.ch
Welche Proben verwenden Sie in den Ringversuchen? Fried: Wir verwenden für die Ringversuche echte Blutproben von gesunden Probanden oder von Diabetikern. Diese werden am Unispital entnommen, für die teilnehmenden Labors aufgeteilt und verschickt. Alle unsere Proben werden zusätzlich durch das European Reference Laboratory for Glycohemoglobin in Winterswijk (NL) analysiert. Wie ein Ringversuch zum HbA1c zeigt, erfüllen die allermeisten der teilnehmenden Laboratorien die Anforderungen (Abbildung).
Was geschieht, wenn Laboratorien die Ziele nicht erfüllen oder sich erst gar nicht an Ringversuchen beteiligen? Fried: Der Ansatz der Schweizerischen Kommission für Qualitätssicherung im medizinischen Labor Qualab ist primär ein edukativer und kein kontrollierendstrafender. Es geht darum, den Laboratorien zu helfen, die Qualitätsanforderungen zu erfüllen, und in der Regel gelingt das auch. Natürlich gibt es ab und zu auch einmal ein Labor, das sich nicht daran hält, die für die Abrechnung mit den Kostenträgern nötigen Qualitätskontrollen durchzuführen. Das kommt aber selten vor. Die Qualab hat bisher nur in einzelnen Fällen als Sanktion den Entzug der Be-
rechtigung auf Kostenerstattung für ein Jahr tatsächlich verhängt.
Gibt es typische Fehlerquellen bei der
HbA1c-Messung, und wie kann man sie vermeiden?
Fried: Typische Fehlerquellen gibt es eigentlich nicht. Die HbA1c-Messung ist im Gegenteil eher eine robuste und dankbare Methode, weil der prozentuale Anteil des glykierten Hämoglobins gemessen wird. Somit ist es zum Beispiel auch nicht tragisch, wenn man beispielsweise die Blutprobe bei der Entnahme versehentlich mit etwas Gewebewasser verdünnt. Das verdünnt dann ja die gesamte Probe, und der prozentuale Anteil bleibt genau gleich. Insofern ist die HbA1c-Messung weniger störanfällig als Messungen, bei denen absolute Konzentrationen wie Mikrogramm oder Zellen pro Milliliter bestimmt werden.
Herr Dr. Fried, wir danken Ihnen für das Ge-
spräch.
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Das Interview führte Renate Bonifer.
*Holmes E.W. et al.: Analytic Bias Among Certified Methods for the Measurement of Hemoglobin A1c. Am J Clin Pathol 2008; 129: 540–547.
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