Transkript
FORSCHUNG
Wirkung des Ginkgo-biloba-Extraktes EGb 761 auf die Gedächtnisleistung von gesunden, mittelalten Probanden
Eine Sechswochenstudie bestätigt positive Wirkung
Die hier besprochene Studie
widerlegt die früher geäus-
serte Meinung, der Ginkgo-
biloba-Extrakt EGb 761 besitze
nur eine positive Wirkung auf
die Kognitivfunktionen von
älteren Menschen. Der Autor
der Studie konnte zeigen, dass
dies auch der Fall bei Perso-
nen im mittleren Alter sein
kann
Christoph Bachmann
Einleitung
Die vorliegende Studie (1) befasste sich mit der Auswirkung von EGb 761 auf die Gedächtnisleistung von gesunden Personen im Alter von 45 bis 65 Jahren. Frühere Untersuchungen zeigten eine positive Wirkung des Extraktes auf die Gedächtnisleistung von Senioren ohne Kognitivstörungen (2, 3). Daneben gab es auch Negativstudien, die aber mit methodischen Mängeln behaftet sind (4, 5), weil bei diesen Studien die speziellen Gegebenheiten von kognitiv intakten Personen nicht berücksichtigt wurden. Mit der vorliegenden Studie wollte der Autor überprüfen, ob der EGb-761-Extrakt auch die Gedächtnisleistung von gesunden Personen im mittleren Alter beeinflussen kann. Aufgrund der bisher publizierten
Studien postulierte der Autor eine Verbesserung in komplexer Erinnerung (complex recall), nicht aber in einfacher Erkennung (simple recognition).
Studie
Die Studie wurde als randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte, monozentrische Studie angelegt.
Probanden
Für die Studie wurden mental gesunde Männer und Frauen im Alter von 45 bis 65 Jahren rekrutiert, deren intellektuelles Niveau die Durchführung der Tests erlaubte und deren Teilnahme von keinem der genau definierten Ausschlusskriterien verhindert wurde. Die in die Studie aufgenommenen Probanden wurden durch ein validiertes Computerprogramm randomisiert und entweder in die Plazebogruppe oder in die EGb-761-Gruppe eingeteilt. Die Probanden erhielten während 6 Wochen als tägliche Einmaldosis entweder 240 mg des Ginkgo-biloba-Extraktes EGb 761 oder Plazebo.
Zielvariablen
Primäre Zielvariablen waren zwei auf den Alltag bezogene Gedächtnistests sowie ein subjektiver Gedächtnisfragebogen. Um mögliche Einflüsse des psychischen Zustandes auf die Gedächtnistests zu erfassen, wurden gleichzeitig mit diesen auch Tests durchgeführt, die Auskunft über das psychische Befinden der Probanden gaben. Die Gedächtnistests bestanden einerseits aus einem Erinnerungstest (appointments test), andererseits aus einem Erkennungstest (driving route film). Beim Erinnerungstest mussten die Probanden während 2 Minuten 8 zusammengesetzte Termine (z.B. am Dienstag zwischen 11 und 12 Uhr Tom in Manchster anrufen) auswendig lernen. Unmittelbar nachher und ein weiteres Mal
45 Minuten später mussten sie die Termine aus dem Gedächtnis angeben. Bei den Antworten wurde zwischen Quantität und Qualität der Antworten unterschieden. Bei der Quantität konnten die Probanden mit den unmittelbar gegebenen Antworten und mit den Antworten nach 45 Minuten maximal 32 Punkte erreichen, je nachdem, ob sie die Erinnerung ganz oder teilweise richtig nennen konnten. Die Qualität der Erinnerung ergab sich aus dem Verhältnis von falsch und richtig formulierten Erinnerungen. Beim zweiten Gedächtnistest wurde den Probanden ein 15-minütiger Film vorgeführt, in dem ein Fahrzeug an 18 Kreuzungen entweder geradeaus fuhr oder links beziehungsweise rechts abbog. Anschliessend wurde der Film nochmals vorgeführt, und die Probanden mussten an jeder Kreuzung entscheiden, wohin der Weg führte, und jede Entscheidung war falsch oder richtig. So konnte man bei diesem Test zwischen 0 und 18 Punkten machen. Ein Fragebogen zur Selbstbeurteilung fragte nach der Erinnerungsfähigkeit und über das Auftreten von Vergesslichkeit vor und nach der Behandlung. Schliesslich wurde ein Fragebogen eingesetzt, mit dem ältere Personen ihr Gedächtnis für ähnliche verbale und nonverbale Gegebenheiten beurteilten. Alle Tests waren wissenschaftlich erprobt und werden in der neuropsychologischen Rehabilitation eingesetzt.
Resultate
Von den total 188 randomisierten Probanden konnten von 177 (89 Plazebogruppe; 88 EGb-761-Gruppe) alle Tests ausgewertet werden (FAS: Full analysis set). Als Per-Protokoll-Gruppe wurden 159 Probanden (79 Plazebogruppe; 80 EGb-761-Gruppe) ausgewertet, also Probanden ohne schwerwiegende Protokollabweichungen (PPS:
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Per protocoll set). Weil die Resultate von FAS und PPS praktisch identisch sind, werden in der Folge nur die Resultate von FAS gezeigt. Die quantitative Auswertung der Erinnerungstests zeigte eine Überlegenheit der EGb-761-Gruppe gegenüber Plazebo, sowohl in der unmittelbaren wie auch in der verzögerten Erinnerung (vgl. Tabelle). Der Unterschied zwischen Plazebo und EGb 761 war in der verzögerten Erinnerung noch grösser (p = 0,008) als in der unmittelbaren (p = 0,038). Die qualitative Auswertung zeigt ein ähnliches Bild. Das Verhältnis zwischen richtig genannten Begriffen und Fehlern ergab für EGb 761 bei der unmittelbaren Erinnerung nur eine geringfügige Überlegenheit gegenüber Plazebo (p = 0,092), jedoch eine signifikante (p = 0,01) bei der verzögerten Erinnerung. Beim Wegerkennungstest (driving route recognition) zeigten beiden Studiengruppen eine ähnliche Veränderung zwischen Baseline und Studienende. Die EGb-761Gruppe schnitt nichtsignifikant besser ab als die Plazebogruppe (p = 0,439). Dieser nichtsignifikante Unterschied bei diesem Test ist nicht eine Folge des Sättigungseffektes, sondern Folge der speziellen Testanordnung. Dort mussten die Probanden bei 18 Abzweigungen die Richtung angeben, wobei die eine Richtung die richtige und die andere die falsche war, und für die richtige Richtung gab es 1 Punkt. Mit zufälligem Raten konnte daher ein durchschnittliches Ergebnis von 9 Punkten erreicht werden. Bei der subjektiven Beurteilung der Gedächtnisleistung durch die Probanden gaben beide Studiengruppen eine ähnliche, leichte Verbesserung an. Wenn man aber die topografischen Fragen und die Fragen betreffend vorausliegender Ereignisse, an die man denken sollte, zusammennimmt, dann ergibt sich ein signifikanter Vorteil für die EGb-761-Gruppe (p = 0,058). Die Befragung zum Wohlbefinden und zum Gemütszustand zeigte keine substanziellen Unterschiede.
Sicherheit
Im Verlauf der Studie wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse festgestellt, und die protokollierten Ereignisse waren gleichmässig auf beide Studiengruppen verteilt. 35 Ereignisse betrafen 31 Probanden (20/19 EGb 761 bzw. 15/12 Pla-
Tabelle: Testwerte bei Baseline und nach 6 Wochen Behandlung (SD)
Test
Unmittelbare Erinnerung quantitativ Erinnerung nach 45 min quantitativ Unmittelbare Erinnerung qualitativ Erinnerung nach 45 min qualitativ Routenerkennung
Baseline-Wert EGb 761 Plazebo 16,67 (4,89) 18,56 (5,48)
Wert nach 6 Wochen
EGb 761
Plazebo
2,20 (4,39) 1,03 (4,98)
p 0,038
12,90 (5,36) 15,79 (6,13) 2,26 (5,05) 0,35 (5,26) 0,008
0,24 (0,20) 0,17 (0,18) -0,08 (0,23) -0,02 (0,25) 0,092
0,35 (0,29) 0,25 (0,21) -0,09 (0,24) 0,01 (0,29) 0,010
14,51 (2,37) 14,22 (2,34) -0,92 (2,60) -0,74 (2,56) 0,439
zebo). In der EGb-761-Gruppe konnte bei 7 unerwünschten Ereignissen (Kopfschmerzen: n = 4, Verdauungsbeschwerden: n = 3) ein Zusammenhang mit dem Studienmedikament nicht ausgeschlossen werden.
Diskussion
Die in der Studie gewonnenen Resultate lassen drei Schlüsse zu: ◆ Die in der Einleitung postulierte Prä-
misse bestätigte sich. ◆ Der neuropsychologische Nutzen von
EGb 761 steht in Übereinkunft mit andern Studien, die mit gesunden Probanden gemacht wurden. ◆ EGb 761 wirkt entgegen früheren Behauptungen nicht nur bei älteren Personen.
Bei den auf Alltagssituationen bezogenen Gedächtnistests bewirkte EGb 761 eine signifikante Verbesserung der Gedächtnisleistung, die bei der unmittelbaren Erinnung weniger ausgeprägt als bei der Erinnerung nach 45 Minuten war. Dies zeigte sich sowohl in der quantitativen wie auch in der qualitativen Auswertung (Verhältnis zwischen den richtigen und den [teilweise] falschen Antworten). Beim Routenerkennungstest konnten keine Unterschiede zwischen den beiden Studiengruppen festgestellt werden. Die aufgetretenen Verbesserungen der Gedächtnisleistung bewirkten keine Veränderung des allgemeinen Befindens und der Stimmung.
Schlussfolgerung
Mit der vorliegenden Studie konnte gezeigt werden, dass der Ginkgo-bilobaExtrakt EGb 761 nicht nur bei Senioren, sondern auch bei Personen im mittleren Alter
die Kognitivfunktionen positiv beeinflus-
sen kann. Nach einer sechswöchigen Be-
handlung schnitt die EGb-761-Gruppe bei
der quantitativen Auswertung sowohl in
der unmittelbaren Erinnerung wie auch in
der Erinnerung nach 45 Minuten signifi-
kant besser ab als die Plazebogruppe. Bei
der qualitativen Auswertung (Verhältnis
zwischen richtigen und [teilweise] fal-
schen Antworten) erwies sich die EGb-761-
Gruppe in der Erinnerung nach 45 Minuten
als signifikant besser als die Plazebo-
gruppe. Bei der unmittelbaren Erinnerung
war der Vorteil der EGb-761-Gruppe nicht
signifikant.
Erwartungsgemäss konnte bei einem Rou-
tenerkennungstest kein Unterschied zwi-
schen den beiden Gruppen festgestellt
werden.
◆
Anschrift des Verfassers: Dr. Christoph Bachmann Hirschmattstrasse 46 6003 Luzern c.a.bachmann@bluewin.ch
Literaturreferenzen:
1. Kaschel R.: Specific memory effects on Ginkgo biloba extract EGb 671 in middle-aged healty volunteers, Phytomedicine 2011(14); 18: 1202–1207.
2. Mix J.A. et al.: An examination oft the efficacy of the Ginkgo biloba aextract EGb 671 on the neuropsychological functionning of cognitively intact older adults, J. Alternat. Complement. Med. 2006; 6: 219–229.
3. Mix et al.: A double-blind, placebo-controlled, randomized trial of Ginkgo biloba extract EGb 671 in a sample of cognitively intact older adults: neuropsychological findings, Hum. Psychopharmacol. 2002; 17: 267–277.
4. Snitz B.E. et al.: Does Ginkgo biloba slow cognitive decline in older adults? JAMA 2009; 302: 2663–2670.
5. Solomon P.R. et al.: Ginkgo for memory enhancement, A randomized controlled trial, JAMA 2002; 288: 835–840.
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