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Politforum
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POLITFORUM: XUNDHEIT IN BÄRN
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19617
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POLITFORUM

Xundheit in Bärn

POSTULAT vom 16.12.2015
Massnahmen gegen die Überversorgung im Gesundheitswesen

Sebastian Frehner
Nationalrat SVP Kanton Basel-Stadt
Der Bundesrat wird beauftragt, zu prüfen und aufzuzeigen, welche Massnahmen und Regelungen notwendig sind, um die Überversorgung im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Es sollen insbesondere die folgenden Möglichkeiten unter dem Aspekt der Einhaltung der wettbewerblichen Grundwerte studiert werden: 1. Pauschale Vergütungsmodelle
für den ambulanten Bereich, welche den mengentreibenden Einzelleistungstarif ganz oder teilweise ersetzen können 2. Schaffung von Disease-Management-Programmen, welche

für chronisch kranke Personen obligatorisch wären 3. Verpflichtung, einem integrierten Versorgungsmodell beizutreten, um die Koordination der Pflege zu optimieren.
Begründung Im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung sollte gewährleistet sein, dass nur Therapien mit klarem Mehrnutzen für den Patienten angeboten werden. Es gibt jedoch immer wieder Hinweise auf Über- und Fehlversorgung in Form von medizinisch nicht indizierten, unzweckmässigen oder unwirtschaftlichen Leistungen und einer dementsprechenden Mengenausweitung: 1. Tausende Meniskusoperationen
sind unnötig: Trotz Studien, die den Nutzen der Arthroskopie bei

Meniskusschäden bezweifeln, steigt die Anzahl der in der Schweiz getätigten Eingriffe («Schweiz am Sonntag», 18.5.14). 2. Häufig werden Leistungen erbracht, die mehr schaden als nützen, zum Beispiel CT oder MRT in den ersten sechs Wochen bei unspezifischen Kreuzschmerzen (choosing-wiselyListe, Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin). 3. Koronarangiografien: Schweizweit hätte in etwa 5000 Fällen pro Jahr ein Belastungs-EKG ausgereicht, was viel günstiger und weniger invasiv beziehungsweise riskant gewesen wäre als eine Katheteruntersuchung der Herzkranzgefässe (Studie im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wis-

senschaften, Mitteilung SAMW, 4.3.2015).
Es braucht dringend Massnahmen gegen Über- und Fehlversorgung. Nur so kann die Behandlungsqualität gewährleistet und können unnötige Kosten vermieden werden, welche die Prämien in die Höhe treiben, ohne dass den Versicherten daraus ein Nutzen entsteht. Das Problem der Überversorgung wurde auch im Ausland erkannt. Zum Beispiel wurde in den USA der Gedanke «less is more» entwickelt. Dieser führte zur Lancierung der Kampagne Choosing Wisely durch das American Board of Internal Medicine. Es handelt sich um die Veröffentlichung von teuren, häufigen und unnützen, medizinischen Leistungen, auf welche verzichtet werden kann.

Stellungnahme des Bundesrates vom 24.2.2016

Der Bundesrat erachtet das Thema der angemessenen medizinischen Versorgung als sehr wichtig. In seiner Gesamtschau «Gesundheit2020» hat der Bundesrat mehrere Ziele und Massnahmen definiert, die die im Postulat genannten Themen bereits aufnehmen (1.1. Verbesserung der integrierten Versorgung; 2.3. Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Selbstverantwortung; 2.2.

Stärkung der Pauschalabgeltung gegenüber den Einzelleistungen; 3.1. Reduktion nicht wirksamer und ineffizienter Leistungen, Verfahren und Medikamente). Verschiedene Projekte sind bereits im Gange. Das Projekt «Koordinierte Versorgung» verfolgt unter anderem auch das Ziel, Massnahmen für spezifische Patientengruppen zu lancieren, die viele und aufwändige Gesund-

heitsleistungen in Anspruch nehmen. Weiter ist der Bundesrat daran, die Aktivitäten im Bereich Health Technology Assessment (HTA) auszubauen. In diesem Rahmen wurde ein «HTA-Programm» zur Reevaluation von medizinischen Leistungen lanciert. Am 1. Februar 2016 fand zudem die dritte Nationale Konferenz Gesundheit 2020 statt, die dem Thema Fehlversorgung im Sinne

von nicht angemessenen medizinischen und pflegerischen Leistungen gewidmet war. Der Bundesrat unterstützt daher eine weiterführende Betrachtung dieses Themas.
Der Bundesrat beantragt die Annahme des Postulats.

Erste Hilfe für Menschen mit letzter Hoffnung

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ARS MEDICI 7 I 2016

www.msf.ch PK 12-100-2

POLITFORUM

MOTION vom 21.9.2015
Grundlagen für einen zeitgemässen postmortalen Persönlichkeitsschutz – Einsichtsrechte in Krankenakten von Verstorbenen

Margrit Kessler
Ex-Nationalrätin GLP Kanton St. Gallen
Begründung Das neue Erwachsenenschutzrecht regelt das Verfahren bei Entscheidungen über medizinische Behandlungen bei urteilsunfähigen Personen. Dazu hat der Gesetzgeber Rechte für Vertreter geschaffen. Die vertretungsberechtigte Person kann neu rechtsgültig über medizinische Massnahmen bei einem Urteilsunfähigen entscheiden, wenn sie über die medizinische Situation vollständig informiert ist.

Der Arzt muss die vertretungsberechtigte Person vollständig aufklären. Dem Vertreter steht die volle Entscheidungsbefugnis zu, um im Interesse des Urteilsunfähigen bei medizinischen Massnahmen zu handeln. Er muss unter Umständen sogar über Reanimationsmassnahmen befinden. Der Entscheid des gesetzlichen Vertreters erstreckt sich hinsichtlich Wirkung bis über den Tod des Urteilsunfähigen hinaus. Stirbt dieser, kann sich der Vertreter jedoch nicht auf eine gesetzliche Grundlage stützen, um an die Krankenakten zu gelangen. In diesen Fällen greift der postmortale Persönlichkeitsschutz. Der Arzt ist – mangels postmortaler Ein-

sichtsrechte von gesetzlichen Vertretern – an das Berufsgeheimnis gebunden. Teure Behördenverfahren zur Entbindung vom ärztlichen Berufsgeheimnis sind dann notwendig, falls der Vertretungsberechtigte an die medizinischen Akten gelangen will. Diese unnötigen Hürden sind für den Vertreter unzumutbar. Das fehlende Einsichtsrecht kann das Misstrauen gegenüber den Behandelnden erhöhen und zur Vermutung führen, eine Fehlbehandlung sei Ursache für den Tod gewesen. Dem Vertretungsberechtigten, welcher die Vertretung auch tatsächlich wahrgenommen hat, muss deshalb Akteneinsicht nach dem

Tod zustehen. Ansonsten er einen allfälligen Behandlungsfehler nur mit grossem Aufwand abklären kann. In diesen Fällen würde der postmortale Persönlichkeitsschutz nicht die Rechte des Verstorbenen schützen, sondern die Interessen der Behandelnden, die sich nach einem Behandlungsfehler schützen wollen. Das postmortale Einsichtsrecht wäre auch für Ärzte ein Vorteil, die sich mit einem ungerechtfertigten Fehlervorwurf konfrontiert sehen. Sie könnten sich dann ohne Entbindung vom Berufsgeheimnis zur Wehr setzen.

Stellungnahme des Bundesrates vom 25.11.2015

Das Arztgeheimnis gilt grundsätzlich umfassend. Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt ist gegenüber Dritten zu strikter Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht gilt auch gegenüber Ehe- und Lebenspartnern und Angehörigen der Patientin oder des Patienten. Die urteilsfähige Patientin oder der urteilsfähige Patient kann die Ärztin oder den Arzt vom Arztgeheimnis entbinden. Auch die zuständige Aufsichtsbehörde kann – unter Vornahme einer Interessenabwägung – eine Entbindung vom Arztgeheimnis verfügen. Gestützt auf Artikel 370 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) kann jede urteilsfähige Person eine sogenannte Patientenverfügung erstellen und darin festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt. Sie kann zudem auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden

Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Das Gesetz listet ausserdem weitere Personen auf, die aufgrund ihrer Beziehung zur urteilsunfähigen Person berechtigt sind, über die Durchführung von medizinischen Massnahmen zu entscheiden. Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt hat der Vertreterin oder dem Vertreter dabei einzig diejenigen Informationen zur Verfügung zu stellen, die im Hinblick auf die vorgesehenen medizinischen Massnahmen von Bedeutung sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wirken die Geheimhaltungsinteressen der Patientin oder des Patienten über den Tod hinaus. Da in der Regel kein expliziter Wille der Patientin oder des Patienten geäussert wird, die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt vom Arztgeheimnis zu entbinden, gilt dieses grundsätzlich weiter (Urteil

des Bundesgerichts). Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall eine mutmassliche Einwilligung der Patientin oder des Patienten zur Weitergabe bestimmter Informationen an Dritte angenommen werden kann, wobei hier gemäss der Rechtsprechung aber grosse Zurückhaltung angebracht ist. Beim Entscheid über medizinische Massnahmen zu Lebzeiten einer Patientin oder eines Patienten und bei der Abklärung allfälliger Verantwortlichkeiten nach deren Tod handelt es sich um sehr unterschiedliche Situationen: Im ersten Fall ist die Offenlegung über die für den Entscheid wesentlichen Umstände durch die Ärztin oder den Arzt vorgesehen, damit ein Entscheid im Interesse der urteilsunfähigen Person überhaupt getroffen werden kann. Die Interessen der urteilsunfähigen Person werden auf diese Weise am besten geschützt, eine Interessenabwägung im Einzelfall ist aufgrund der besonderen Umstände der Situation nicht erfor-

derlich. Soll dagegen abgeklärt werden, ob ein Behandlungsfehler und eine allfällige Verantwortlichkeit vorliegen, dient die Einsicht nicht mehr ausschliesslich den Interessen der verstorbenen Person, und es besteht die Gefahr, dass deren Persönlichkeitsrechte mit einem pauschalen Akteneinsichtsrecht für bestimmte Drittpersonen verletzt werden. Es erscheint deshalb zum Schutz der Interessen der verstorbenen Person notwendig, dass das ordentliche Verfahren zur Entbindung vom Arztgeheimnis durchlaufen wird und eine für den Einzelfall angemessene Lösung angeordnet werden kann, beispielsweise eine Einsicht nur in bestimmte Teile der Krankengeschichte oder eine Einsichtnahme durch eine Ärztin oder einen Arzt.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.

ARS MEDICI 7 I 2016

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