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FORTBILDUNG
Behandlung bei Obstipation – ein Update
Bisacodyl, Lubiproston, Linaclotid und andere Laxanzien
Unter einer chronischen Obstipation leiden weltweit 12 Prozent der Bevölkerung. Eine hohe Wirksamkeit zeigten stimulierende, neue sekretagog wirkende Laxanzien und periphere µ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten. Bei der Wahl des geeigneten Verfahrens sollten neben der Art der Obstipation auch die Kosten berücksichtigt werden.
Journal of the American Medical Association
pie der opioidbedingten Verstopfung (opioid-induced constipation, OIC) und die Behandlung funktionell bedingter Stuhlentleerungsstörungen bei Patienten, welche auf übliche Laxanzien nicht ausreichend ansprechen. Ziel einer im Folgenden referierten Literaturstudie war es, die Wirksamkeit der verschiedenen Laxanziengruppen zu erfassen. Hierzu wurden die Literaturdatenbanken PubMed, EMBASE und Cochrane Review nach wichtigen Publikationen aus den Jahren 2000 bis 2015 durchsucht. Insgesamt wurden 21 Studien sowie 12 Reviews oder Metaanalysen aufgenommen.
In der Schweiz sind zwischen 7 und 16 Prozent der Bevölkerung von chronischer Obstipation betroffen. Nicht alle Patienten suchen einen Arzt auf, sodass die Prävalenz tatsächlich höher liegen kann. Es ist davon auszugehen, dass die Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Laxanzien hoch sind. Während sich die Diagnostik der chronischen idiopathischen Obstipation (chronic idiopathic constipation, CIC) in den letzten Jahren nur wenig verändert hat, gab es eine Reihe wichtiger Entwicklungen in der Therapie. Diese umfassen die Einführung neuer Laxanzien, weitere Ansätze in der Thera-
MERKSÄTZE
O Die Entwicklung von Opioidantagonisten, welche selektiv die peripheren μ-Opioid-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt blockieren, stellt einen Fortschritt in der Therapie der opioidbedingten Obstipation dar.
O Bei der Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation erwies sich PEG 3350 als ähnlich effektiv wie der 5-HT4-Rezeptor-Agonist Prucaloprid.
O Neue sekretagog wirkende Laxanzien und 5-HT4-RezeptorAgonisten sind Medikamente zweiter Wahl bei der chronischen idiopathischen Obstipation; sie sind jedoch von höherer Bedeutung bei der Behandlung eines mit Verstopfung einhergehenden Reizdarmsyndroms.
O Ist die Behandlung einer Obstipation mit Laxanzien nicht ausreichend wirksam, muss untersucht werden, ob es sich um eine Störung der Defäkation handelt. Eine Beckenbodendyssenergie kann zumeist effektiv mit Biofeedback therapiert werden.
Pathophysiologie der Obstipation
Die Obstipation kann auf einer verlangsamten Darmpassage oder einem gestörten Defäkationsmechanismus beruhen. Als Ursache für die verzögerte Darmpassage kommen diätetische Faktoren (ungenügende Füllung des Darms durch ballaststoffarme Ernährung), Darmwandveränderungen (z.B. durch Tumoren, chronische Entzündungen), endokrine Störungen (z.B. bei Hypothyreose) sowie funktionelle und organische Störungen des Nervensystems (z.B. Stress, Wirbelsäulenveränderungen) in Betracht. Auch Arzneistoffe, beispielsweise Opioide, Sedative oder Psychopharmaka, können obstipierend wirken. Einen gestörten Defäkationsmechanismus findet man bei Erkrankungen des Analkanals (z.B. bei Hämorrhoiden, Analfissuren), bei Verlust des rektalen Dehnungsreflexes oder bei Schwäche der Bauchpresse.
Typische Symptome
Die meisten Patienten mit Obstipation haben nicht nur eine unregelmässige Stuhlfrequenz, sondern klagen auch über Probleme bei der Stuhlentleerung; sie werden durch eine ausreichende Entleerung entlastet. Das steht im Gegensatz zu den Symptomen beim Reizdarmsyndrom. Die Anamnese sollte die Dauer der Obstipation, die Häufigkeit des Stuhlgangs und die Stuhlkonsistenz, starke Verfärbungen, das Gefühl der unvollständigen Entleerung oder manuelle Eingriffe während des Stuhlgangs erfragen. Die klinischen Untersuchungen müssen organische Ursachen sowie die Einnahme von Medikamenten, die zu einer Verstopfung führen können, erfassen. Alarmzeichen, die auf Darmkrebs hinweisen, sollten entdeckt werden. Zu den wichtigsten Alarmsymptomen gehören O ungewollter Gewichtsverlust O kurzfristige Änderung der Stuhlgewohnheiten bei Patien-
ten über 50 Jahre O positive Familienanamnese auf Kolonkarzinom
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O rektaler Blutabgang O Fieber O abnormer Tastbefund bei der Rektaluntersuchung O pathologische Laborbefunde.
Prokinetika
Prokinetika erhöhen die Dickdarmmotilität. Prucaloprid (Resolor®) ist ein selektiver 5-HT4-Rezeptor-Agonist. Seine enterokinetische Wirkung manifestiert sich primär im Kolon, wo es die Massenperistaltik stimuliert. Gegeben in einer täglichen Dosis von 1 bis 2 mg, erwies es sich in mehreren Studien bei der Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation als sehr effektiv. Eine aktuelle Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Effektivität von Prucaloprid mit derjenigen von Polyethylenglycol (PEG) 3350 (Macrogol 3350) vergleichbar war. Macrogole werden zusammen mit Wasser eingenommen, das sie binden. Sie werden wegen ihres hohen Molekulargewichts nicht resorbiert, sondern unverändert ausgeschieden.
Sekretagog wirkende Laxanzien
Die Gruppe der sekratogog wirkenden Laxanzien hemmt einerseits die Resorption von Na+ und – aus osmotischen Gründen – auch derjenigen von Wasser und stimuliert andererseits die Sekretion von Na+, Cl-, K+, Ca2+ und Wasser in das Darmlumen. Lubiproston (Amitiza®) ist ein bizyklisches Derivat eines Prostaglandin-E1-Metaboliten. Seine sekretagoge Wirkung beruht auf der Öffnung apikaler Cl--Kanäle des Typs CIC-2 an intestinalen Epithelzellen. Möglicherweise werden auch Cl--Kanäle des Typs CFTR (cystic fibrosis transmembrane conductance regulator) geöffnet. Dadurch kommt es zur luminalen Sekretion von Cl-, der ein parazellulärerer Efflux von Na+ und Wasser folgt. Die vermehrte Darmfüllung führt zu einer Steigerung der propulsiven Motilität. In einer randomisierten, doppelblinden und plazebokontrollierten Studie führte die Gabe von Lubiproston (2-mal täglich 24 µg) zu signifikant häufigeren Stuhlabgängen als unter Plazebo, und die Patienten beurteilten die Behandlung positiv. Die unerwünschten Wirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Inkontinenz, Bauchkrämpfe und -schmerzen sowie Flatulenz sind dosisabhängig. Ein anderes vor Kurzem entwickeltes, sekretagog wirkendes Laxans ist Linaclotid (Constella®). Linaclotid ist ein synthetisches Peptid aus 14 Aminosäuren, das die membranständige Guanylatzyklase C (GC-C) an der apikalen Membran der intestinalen Epithelzellen aktiviert. Die Bindung von Linaclotid an GC-C führt zur Bildung von cGMP und in weiterer Folge zu einer Sekretion von Cl- und HCO3- durch Cl--Kanäle des Typs CFTR. Dieser Sekretionsvorgang bewirkt einen parazellulären Efflux von Wasser und damit eine verstärkte Darmfüllung, was die propulsive Motorik anregt. Oral eingenommen, wird Linaclotid kaum resorbiert und im Darm rasch inaktiviert. Grundlage der Zulassung durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) waren zwei randomisierte und plazebokontrollierte Studien. Innerhalb eines Zeitraums von zwölf Wochen wurden 1276 Patienten untersucht. Sie erhielten Linaclotid in einer täglichen Dosis von 145 µg beziehungsweise 290 µg. In beiden Dosen erwies sich Linaclotid als wirksam.
Eine Metaanalyse bezog sich auf drei randomisierte Studien mit insgesamt 1773 Patienten. Sie litten unter einem Reizdarmsyndrom, bei welchem die Obstipation ein vorherrschendes Symptom darstellte. Studienergebnis war, dass Linaclotid (in einer Dosierung von 290 µg pro Tag) die Symptomatik moderat verbesserte. Plecanatid ist ein weiteres sekretagog wirksames Laxans, welches Linaclotid ähnelt. Wie Linaclotid bindet oral verabreichtes Plecanatid an die auf den Epithelzellen der Darmschleimhäute exprimierte Guanylatzyklase C (GC-C) und aktiviert diese. Studien zeigten, dass Plecanatid ähnlich wie Linaclotid sowohl bei Obstipation als auch bei einem mit Verstopfung einhergehenden Reizdarmsyndrom wirksam ist.
Stimulierende Laxanzien
Stimulierende Laxanzien wie Bisacodyl (Amavita®) oder Picosulfat sind seit langer Zeit verfügbar. Sie hemmen die Natriumionen- und die Wasserresorption aus dem Darmlumen (antiresorptive Wirkung), zugleich fördern sie in unterschiedlichem Ausmass den Einstrom von Elektrolyten und Wasser in das Darmlumen (hydragoge Wirkung), indem sie die Durchlässigkeit der «tight junctions», also der Kittleisten zwischen den einzelnen Epithelzellen, erhöhen. Durch das erhöhte Volumen im Darm wird die Motilität beschleunigt. Bisacodyl wird nach oraler Applikation im Dünndarm resorbiert und deacetyliert. In der Leber werden die freien OHGruppen glukuronidiert und die Konjugate mit der Galle in den Darm ausgeschieden. Im Dünndarm können die hydrophilen Glukuronide nicht resorbiert werden und gelangen so in den Dickdarm, wo sie mikrobiell in die eigentliche Wirkform, das freie Diphenol, gespalten werden. Nach oraler Applikation erfolgt der Wirkungseintritt nach sechs bis zehn Stunden. Bei rektaler Applikation wirkt Bisacodyl bereits nach 30 bis 60 Minuten, da der enterohepatische Kreislauf grösstenteils umgangen wird. Manche Ärzte begegnen stimulierenden Laxanzien mit Vorbehalten aufgrund einer ihnen nachgesagten Nebenwirkung: Stimulierende Laxanzien sollen zu einer Darmschädigung führen. Ausserdem gebe es keine Studie, mit der eine ausreichende Wirksamkeit nachgewiesen worden sei. Beiden Einwänden kann widersprochen werden. Mehrere aktuelle randomisierte Studien wiesen nach, dass sowohl Bisacodyl als auch Picosulfat gut wirksam sind. Es gab zudem keinen Hinweis darauf, dass sie die Darmwand schädigen.
Welche Laxanzien sind die besten?
Da es keine Studien gibt, welche ältere und neuere Laxanzien miteinander vergleichen, sollten die Kosten bei der Entscheidung eine wichtige Rolle spielen. Auch sind die Nebenwirkungen zu berücksichtigen. So sind sekretagog wirkende Laxanzien zumeist mit einer höheren Nebenwirkungsrate verbunden. Bezüglich der Kosten erwiesen sich ältere, nicht verschreibungspflichtige Medikamente als günstig.
Opioidbedingte Obstipation
In verschiedenen Studien litten 40 bis 90 Prozent der Patienten, welche Opioide einnahmen, unter einer spastischen Obstipation. Es stellt sich die Frage nach der optimalen Therapie.
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Eine kleine Studie zeigte einen geringen therapeutischen Effekt von Macrogol 3350 und Laktulose. Eine aktuelle Studie wies die Wirksamkeit von Lubiproston in der Therapie der OIC nach. Ein Review kam zu dem Ergebnis, dass drei verschiedene µ-Opioid-Agonisten (Methylnaltrexon, Naloxon und Alvimopan) effektiv waren. Die FDA liess Methylnaltrexon (12 mg, subkutan) in der Behandlung der OIC zu für Patienten, welche unter chronischen, nicht krebsbedingten Schmerzen leiden. Ein biologisch plausibler Therapieansatz ist die Kombination eines stark wirksamen Opioids mit einem Opioid-RezeptorAntagonisten, welcher die Schmerzlinderung nicht beeinträchtigt, beispielsweise Oxycodon/Naloxon. Ein ähnlicher Ansatz führte zur Entwicklung von Naloxegol. Naloxegol ist ein pegyliertes Naloxonderivat aus der Gruppe der Opioidantagonisten. Der Wirkstoff blockiert selektiv die peripheren µ-Opioid-Rezeptoren im Gastrointestinaltrakt und wirkt so einer Verstopfung entgegen. Mehrere Studien zeigten eine sehr gute Wirksamkeit in der Therapie der OIC. Ende 2014 erhielt Naloxegol (Moventig®) die europäische Zulassung.
Störungen der Defäkation
Bei der Therapie muss zwischen einer Beckenbodendyssynergie und einer Gefügestörung des Beckenbodens (Rektozele,
innerer Rektumprolaps) unterschieden werden. Bei der Be-
ckenbodendyssynergie kontrahiert der Patient unbewusst
gleichzeitig mit der Betätigung der Bauchpresse auch den
willkürlich innervierten äusseren Analsphinkter, anstatt
ihn relaxiert zu lassen. Dadurch wird der Defäkationsweg
blockiert.
Der Ballonexpulsionstest bietet eine einfache Möglichkeit
zur weiteren Abklärung an. Zur präziseren Diagnostik ist je-
doch eine Defäkografie oder eine anorektale Manometrie
notwendig.
Biofeedbeck zählt zu der präferierten Therapie der Becken-
bodendyssynergie. Diese Einschätzung basiert auf den Er-
gebnissen von drei randomisierten klinischen Studien mit
insgesamt 370 Patienten.
Fazit: Bei der Wahl des geeigneten Verfahrens sollten sowohl
die Kosten als auch die Wirksamkeit eine Rolle spielen. Pa-
tienten, die nicht ausreichend auf eine Therapie ansprechen,
müssen von einem Spezialisten behandelt werden.
O
Claudia Borchard-Tuch
Quelle: Wald A: Constipation: advances in diagnosis and treatment. JAMA 2016; 12; 315(2):185–191.
Interessenlage: Der Autor des referierten Reviews gibt an, als Berater für die Firmen Takeda Sucampo, Ironwood, Actavis, Entera Health und Forest Laboratories tätig zu sein.
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