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Schlamperei, Faulheit oder Absicht?
Untertitel
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Zwei Drittel der Resultate klinischer Studien sind zwei Jahre nach Studienabschluss noch immer nicht publiziert.
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MEDIEN - MODEN - MEDIZIN
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19581
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Rheumatologie
Ruhetage vor Gelenksonografie

Körperliche Anstrengung am Vortag erschwert die sonografische Diagnose bei Gelenkrheuma. Ultraschalluntersuchungen spielen sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis eine entscheidende Rolle: Sie ermöglichen es, frühzeitig entzündliche Prozesse an Gelenk und Knochen aufzudecken, und sie geben Hinweise darauf, welche Therapie die richtige ist. «Um Unsicherheiten auszuschliessen, sollte man vor einem Gelenkultraschall ein paar Ruhetage einlegen», sagt Professor Dr. med. Marina Backhaus, Berlin. In einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin

(DEGUM) verweist die Expertin auf eine Studie aus Spanien: Die Wissenschaftler hatten bei Probanden, die sich am Vortag körperlich betätigten, deutlich häufiger Hinweise auf eine Gelenkinnenhautentzündung registriert als bei Kontrollpersonen. Eine derartige Synovitis könne Folge einer rheumatischen Erkrankung sein, müsse es aber nicht, so Backhaus. Manchmal sei die Ursache – wie bei einer Sehnenscheidenentzündung – nur eine Überanstrengung oder Überreizung. Ultraschalluntersuchungen eigneten sich sehr gut zur Frühdiagnostik rheumatischer Erkrankungen, selbst kleinste Defekte in Knorpel und Knochen der

Hand- und Fingergelenke seien zu er-

kennen. Erfahrene Untersucher könn-

ten dem Ultraschallbild zudem zu-

verlässige Hinweise auf entzündliche

Aktivitäten entnehmen. Das sei vor

allem auch bei Patienten mit einer

bereits diagnostizierten rheumatoiden

Arthritis wichtig. Wird per Doppler-

Ultraschall untersucht, kann man ver-

mehrte Gefässbildungen in der Gelenk-

schleimhaut erkennen und so einen

sich anbahnenden rheumatischen Schub

vorhersagen.

DEGUM/redO

Ohrndorf S, Backhaus M: Gelenk-Ultraschall bei rheumatoider Arthritis. Dtsch Med Wochenschr 2015; 140: 1223–1226.

Forschung
Schlamperei, Faulheit oder Absicht?

Der mittlerweile übliche Medienrummel anlässlich der Publikation «neuer Studienresultate» in den einschlägigen Fachzeitschriften mag bei so manchem den Eindruck erwecken, klinische Forscher würden alles daran setzen, ihre Erkenntnisse möglichst rasch unters Volk zu bringen. Für einige von ihnen trifft das sicherlich zu – den meisten jedoch scheint die Bekanntmachung ihrer Studienergebnisse nicht so wichtig zu sein: Zwei Drittel der Resultate klinischer Studien sind zwei Jahre nach Studienabschluss noch immer nicht publiziert. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer kürzlich im «British Medical Journal» publizierten Übersicht. Sie hatten in der US-amerikanischen Datenbank ClinicalTrials.gov 4347 klinische Studien unter Leitung US-amerikanischer Zentren mit einem Studienende zwischen 2007 und 2010 herausgesucht und 2014 nachgeprüft, ob und wann deren Resultate publiziert und/oder in ClinicalTrials.gov bekannt gemacht worden waren. Theoretisch sollten seit geraumer Zeit alle klinischen Studien vor dem Studienbeginn in ClinicalTrials.gov erfasst und

nach Abschluss auch deren Resultate dort aufgelistet werden. Damit will man nicht nur eine verlässliche Übersicht über laufende Studien und bekannte Resultate sicherstellen, sondern auch ausschliessen, dass Studien mit negativem Ausgang verschwiegen werden können. Gebracht hat das bisher offenbar nur wenig. Auch die Resultate registrierter Studien werden nur schleppend oder gar nicht publiziert beziehungsweise in ClincalTrials.gov eintragen. Nur von rund jeder zehnten Studie waren die Resultate innert zweier Jahre in der Datenbank nachzulesen, eine noch schlechtere Quote als für die Publikation in Fachzeitschriften. Doch selbst lange nach der noch als akzeptabel erachteten Zweijahresfrist bleiben die Resultate jeder dritten Studie ein Geheimnis. Insgesamt fanden sich nach vier bis sieben Jahren nur für 66 Prozent der abgeschlossenen Studien jemals eine Publikation der Resultate beziehungsweise deren Eintrag in die Datenbank. Über die Gründe für die mangelnde Transparenz kann nur spekuliert werden. Die meisten der Studien (77%)

waren mit weniger als 100 Probanden eher klein, sodass es an einem übermässigen Aufwand für das Zusammenstellen der Resultate wohl kaum gelegen haben dürfte. Auch der häufig geäusserte Verdacht, die Pharmaindustrie würde unliebsame Resultate unterdrücken, greift offenbar nicht: Nur rund 12 Prozent aller Studien waren industriegesponsert, und die BMJ-Autoren bescheinigen der Industrie ausdrücklich, dass deren Studien in der Regel viel sorgfältiger dokumentiert wurden als die anderen. Möglicherweise also doch «nur» Schlamperei? Die Publikationsdisziplin schwanke jedenfalls stark zwischen den verschiedenen Universtitäten und Instituten, schreibt Professor Harlan M. Krumholz und sein Autorenteam von der Yale School of Medicine.
RBOO
Chen R et al.: Publication and reporting of clinical trial results: cross sectional analysis across academic medical centers. BMJ 2016; 352: i637

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ARS MEDICI 6 I 2016

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Kardiologie
Rheumatische Herzkrankheit bei Kindern Rückspiegel

Die rheumatische Herzkrankheit (rheumatic heart disease RHD) kommt in der industrialisierten Welt dank verbesserter medizinischer Gesundheitsversorgung kaum mehr vor. In Schwellen- und Entwicklungsländern stellt sie aber weiterhin die häufigste Herzklappen-

erkrankung dar. Drei von vier Kindern welt-

weit leben in solchen Regionen. Unter allen

Herzleiden verursacht RHD den grössten Ver-

lust an Lebensjahren bei Teenagern.

Der Hauptgrund für die hohe RHD-Sterblich-

keit: Die Krankheit bleibt lange unentdeckt.

Hier setzt ein Forschungsteam um Professor

Thomas Pilgrim von der Universitätsklinik für

Kardiologie des Inselspitals Bern an. Die

Schweizer Herzmediziner haben zusammen

mit nepalesischen Kollegen über 5000 Schul-

kinder in Nepal mittels Herzultraschall auf

bisher unentdeckte Herzklappenveränderun-

gen untersucht und dabei ihre Hypothese

bestätigt: RHD äussert sich nur bei einem

Bruchteil der betroffenen Kinder mit dem

sonst für Herzklappenfehler typischen Herz-

geräusch. Die Abbildung zeigt die Unter-

suchung eines nepalesischen Mädchens und

den typischen Befund (Verdickung der Mitral-

klappensege; Foto: zvg). Die Langzeitbeob-

achtung der untersuchten Kinder soll nun

Aufschluss über die Wirksamkeit der getrof-

fenen medikamentösen Gegenmassnahmen

(Antibiotika) geben.

redO

Pressemitteilung des Inselspitals vom 7. März 2016

Infektiologie
Zika-Virus kann in jedem Schwangerschaftsstadium schädigen

Die Infektion mit dem Zika-Virus kann das Ungeborene offenbar in jedem Schwangerschaftsstadium schädigen. Dies ergab eine Studie in Brasilien mit 88 Schwangeren, bei denen spätestens fünf Tage nach dem für die Zika-Infektion typischen Hautausschlag per PCR auf den Erreger getestet wurden. 72 Frauen (82%) waren Zika-positiv. Die Infektion erfolgte zwischen der 5. und 38. Schwangerschaftswoche. Gut die Hälfte der Zika-positiven (n = 42) und alle 16 Zika-negativen Frauen unterzog sich einer Doppler-Sonografie. Fetale Abnormalitäten fanden sich bei rund einem Drittel der Zika-positiven Schwangeren (n = 12; 29%). Die mit Zika assoziierten Schäden umfassten nicht nur die bereits bekannte Mikroenzepha-

lie. Sonografisch fanden sich Wachstumsverzögerung mit oder ohne Mikrozephalie, ventrikuläre Verkalkungen oder andere ZNSSchäden sowie mangelnde Durchblutung von Plazenta und Nabelschnur. Die Schädigungen scheinen auf den ersten Blick nichts mit dem Infektionszeitpunkt während der Schwangerschaft zu tun zu haben, diese liegen verteilt zwischen der 8. und der 35. Woche. Auch zwei Totgeburten werden berichtet, wobei sich die Infektion in dem einen Fall in der 25. und in dem zweiten in der 32. Schwangerschaftswoche ereignete. RBOO
Brasil P et al.: Zika virus infection in pregnant women in Rio de Janeiro — preliminary report. N Engl J 2016; published online March 4th, 2016.

Vor 10 Jahren
Zytokinsturm
Der erste Test des Antikörpers TGN1412 an acht Freiwilligen hat verheerende Folgen: Sechs Probanden landen mit lebensbedrohlichem Organversagen auf der Intensivstation. Grund ist ein «Zytokinsturm», verursacht durch den Antikörper, der eigentlich nur ein paar regulatorische T-Lymphozyten auf Trab bringen sollte. Glücklicherweise werden alle Probanden gerettet, einem von ihnen müssen jedoch Zehen- und Fingerglieder amputiert werden. Die Firma Tegenero, von Forschern gegründet, um TGN1412 als Mittel gegen Autoimmunerkrankungen zur Marktreife zu bringen, geht pleite. Völlig verschwunden ist TGN1412 jedoch nicht, es wird weiter damit geforscht. Seit Juni 2015 soll in Russland eine Studie mit 100 Rheumapatienten laufen, allerdings mit wesentlich geringeren Dosierungen.
Vor 50 Jahren
Rendezvous im Weltall
Erstmals gelingt ein Kopplungsmanöver im Orbit: Die Astronauten Neil Armstrong und David Scott koppeln und entkoppeln ihr Gemini-Raumschiff mit einem Satelliten. Das Foto der NASA zeigt die beiden in ihrem Raumschiff nach der Landung im Ozean, während man auf das Rettungsschiff wartet.

Vor 100 Jahren

Wolhynisches Fieber

Erstmals wird das Wolhynische Fieber, auch

bekannt unter dem Namen Fünftage- oder

Schützengrabenfieber, bei Soldaten an der

Russlandfront beschrieben. Der Name der Er-

krankung bezieht sich auf die Region Wolhy-

nien in der nordwestlichen Ukraine. Ursache

des Fiebers ist eine Infektion mit dem Bakte-

rium Bartonella quintana. Die Erreger werden

durch Läuse übertragen. Medizinhistorikern

zufolge erkrankten während des Ersten Welt-

kriegs über eine Million Soldaten an diesem

Fieber.

RBO

ARS MEDICI 6 I 2016