Transkript
Medikamentöse Sekundärprävention nach dem Schlaganfall
FORTBILDUNG
Patienten nach einem Hirninfarkt zeigen ein hohes Rezidiv-
risiko. Dieses kann durch verschiedene medikamentöse
Massnahmen der Sekundärprävention gesenkt werden.
Die wichtigsten Medikamente sind Antithrombotika, Anti-
hypertensiva, Antidiabetika sowie Lipidsenker.
Hakan Sarikaya und Marcel Arnold
Antithrombotika Acetylsalicylsäure: Der sekundärprophylaktische Nutzen von Acetylsalicylsäure (ASS) nach ischämischem Hirnschlag ist unbestritten. Wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen wird langfristig eine niedrige Erhaltungsdosis von 100 mg empfohlen (1). Bei Patienten mit gastrointestinalem Ulkus wurden unter Kombination von ASS 100 mg mit Esomeprazol 20 mg weniger Komplikationen beobachtet als unter Monotherapie mit Clopidrogel (2). Gute Alternativen zu ASS sind eine Monotherapie mit Clopidogrel oder die Kombination von ASS und retardiertem Dipyridamol. Clopidogrel: Clopidogrel (75 mg) wurde gegen ASS (325 mg) in einem Kollektiv von vaskulären Risikopatienten mit ischämischem Hirnschlag, Myokardinfarkt oder peripher arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) untersucht (3). Clopidogrel zeigte eine signifikante Reduktion des relativen Risikos für weitere vaskuläre Ereignisse, wobei dieser Effekt vor allem auf Patienten mit PAVK beruhte und die Subgruppe mit ischämischem Hirninfarkt nur eine nicht signifikante Risikoreduktion zeigte. Der Nutzen von Clopidrogel scheint jedoch bei Patienten mit Diabetes mellitus sowie bei Patienten mit Hirnschlag oder Herzinfarkt in der Vorgeschichte grösser zu sein. Eine weitere gute Indikation für Clopidrogel ist bei ASS-Intoleranz gegeben.
MERKSÄTZE
O Verwendete Antithrombotika in der Sekundärprävention des Hirninfarkts sind Acetylsalicylsäure, Clopidogrel, Dipyridamol, Vitamin-K-Antagonisten sowie neue orale Antikoagulanzien (NOAK).
O Weitere wichtige Medikamente in der Sekundärprävention des Hirninfarkts sind Antihypertensiva, Antidiabetika sowie Lipidsenker.
Acetylsalicylsäure und Dipyridamol: Zwei grosse Studien zeigten eine Überlegenheit für die Kombinationstherapie mit Extended Release Dipyridamol (ERDP) und ASS (2 × 200/25 mg/ Tag) verglichen mit ASS-Monotherapie in der Sekundärprophylaxe nach Hirnschlag (4, 5). Die PRoFESS-Studie verglich die Kombinationstherapie ASS und ERDP versus Clopidrogel und fand keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich Rezidiv eines ischämischen Hirnschlags, es wurden jedoch signifikant häufiger Hirnblutungen in der Kombinationstherapie beobachtet (6). Eine häufige unerwünschte Wirkung von ERDP sind Kopfschmerzen, welche gelegentlich zu einem Therapieabbruch führen können. ASS und Clopidogrel: Die Kombinationstherapie mit ASS und Clopidogrel in der Sekundärprophylaxe eines nicht kardial bedingten ischämischen Hirnschlags wurden in der MATCH-Studie (ASS + Clopidrogel vs. Clopidrogel) und der CHARISMA-Studie (ASS + Clopidrogel vs. ASS) untersucht, welche keinen signifikanten Vorteil der Kombinationstherapie, jedoch ein erhöhtes Risiko von schweren intrakraniellen Blutungen gegenüber der jeweiligen Monotherapie nachweisen konnten (7, 8). Deshalb wird von einer dauerhaften Kombinationstherapie mit ASS und Clopidogrel zur Hirnschlagsekundärprävention in der Regel prinzipiell abgeraten. Vitamin-K-Antagonisten: Vorhofflimmern ist die häufigste Schlaganfallursache im höheren Alter, oft verbunden mit grossen Infarkten beziehungsweise schweren Behinderungen und hoher Letalität. Der Nutzen der Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei nicht valvulärem Vorhofflimmern überwiegt das Komplikationsrisiko deutlich: Die Behandlung verhindert bei 1000 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern innerhalb eines Jahres 35 thromboembolische Ereignisse gegenüber einer Majorblutung (9). Allerdings wird das Blutungsrisiko im Therapieentscheid oft stärker gewichtet als das Thromboembolierisiko, weshalb vielen Patienten diese wirksame Antikoagulation vorenthalten wird. Engmaschige INR-Kontrollen (insbesondere in den ersten 3 Monaten der Antikoagulation) sowie eine strikte Kontrolle des systolischen Blutdrucks (Ziel < 140 mmHg) sind wesentliche Massnahmen zur Reduktion des Blutungsrisikos, wobei das Blutungsrisiko bei einem INR < 3,5 relativ gering bleibt. Neue orale Antikoagulanzien: Der Einsatz von VKA ist limitiert durch das Blutungsrisiko, die zahlreichen Interaktionen mit Medikamenten und Nahrungsmitteln sowie die häufigen INR-Kontrollen. Im Gegensatz zu den VKA wirken die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) direkt und gezielt in der Gerinnungskaskade, so zum Beispiel durch direkte Hemmung von Faktor Xa (Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban) ARS MEDICI 3 I 2016 109 FORTBILDUNG oder durch direkte Thrombininhibition (Dabigatran). Ein wesentlicher Vorteil besteht in der fixen Dosierung, ohne dass ein engmaschiges Monitoring notwendig ist. Die NOAK unterscheiden sich von VKA durch ein signifikant geringeres Risiko für intrazerebrale Blutungen bei sonst mindestens gleicher Wirksamkeit in der Verhinderung von ischämischen Schlaganfällen (10). Es existieren keine direkten Vergleiche zwischen den verschiedenen NOAK, sodass die Indikation für eine bestimmte Substanz individuell und in Abhängigkeit von weiteren Faktoren (Nierenfunktion, Nebenwirkungen, Kontraindikationen, Einnahmefrequenz) erfolgen sollte. Bei schwerer Niereninsuffizienz sind die NOAK kontraindiziert, zu berücksichtigen sind auch gewisse medikamentöse Interaktionen (z.B. mit Carbamazepin oder Phenytoin). Des Weiteren existieren noch keine spezifischen Antidote für die Behandlung von akuten NOAK-induzierten Blutungen, entsprechende Bestrebungen sind jedoch im Gange. Für Schlaganfälle auf dem Boden von Gefässdissektionen oder einer Hirnvenenthrombose existieren keine randomisierten Studien, sodass NOAK für diese Indikationen nicht zugelassen sind. Antihypertensiva Der Bluthochdruck stellt den mit Abstand wichtigsten, aber behandelbaren Risikofaktor für einen Hirnschlag dar. Es besteht ein linearer und kontinuierlicher Zusammenhang zwischen dem Blutdruck und dem Hirnschlagrisiko. Bei hochgradigen Gefässstenosen, extra- oder intrakraniell, sind höhere Blutdruckwerte mit einem grösseren Hirnschlagrezidivrisiko assoziiert, sodass auch bei diesen Patienten prinzipiell eine strikte Blutdruckkontrolle anzustreben ist. Eine antihypertensive Behandlung wird bei allen Patienten mit Blutdruckwerten > 140/90 mmHg empfohlen; bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko streben wir idealerweise einen Zielblutdruck < 130/80 mmHg an. Die effektive Blutdrucksenkung ist für die Hirnschlagprävention von viel grösserer Bedeutung als die Wahl des Antihypertensivums selbst. Die Auswahl der Substanzklassen sollte sich primär an den Begleiterkrankungen der Patienten orientieren. Allerdings findet sich in einigen Metanalysen und Studien ein Trend zur leichten Überlegenheit von Kalziumkanalblockern in der Hirnschlagprimärprävention. Als Ursache für die bessere Wirksamkeit wird eine signifikant stärkere Senkung des zentralen Blutdrucks vermutet. Des Weiteren scheinen Betablocker bei herzgesunden Hypertoniepatienten hinsichtlich Hirnschlagprävention den anderen antihypertensiven Substanzklassen eher unterlegen zu sein. Bei persistierender Hypertonie werden Kombinationstherapien empfohlen (z.B. Thiaziddiuretika mit ACE-Hemmern oder Ca-Antagonisten mit ACE-Hemmern). Neuere Studien weisen darauf hin, dass die Blutdruckvariabilität sowie die maximalen systolischen Blutdruckwerte enger mit dem Hirnschlagrisiko assoziiert sind als der mittlere Blutdruckwert, was wiederum die tendenziell vorteilhafteren Effekte von Kalziumkanalblockern in der Hirnschlagprävention erklären könnte. Datenlage einen vorteilhaften Effekt für Metformin (11), während eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin eher mikroangiopathische Komplikationen reduziert als das Hirnschlagrisiko (12). Eine intensive Blutzuckerkontrolle reduziert wiederum primär die mikrovaskulären Komplikationen, während der Effekt auf makrovaskuläre Ereignisse (z.B. Hirnschlag) umstritten ist. Im Gegensatz dazu scheint eine intensive Kontrolle der arteriellen Hypertonie und Dyslipidämie das vaskuläre Risiko sehr effizient zu reduzieren. Bei Diabetikern ist auch der Nutzen der Statine für die Hirnschlagprävention gut belegt. Lipidsenker Statine haben einen festen Platz in der Sekundärprävention nach ischämischem Hirnschlag, während Nikotinsäure- derivate, Fibrate oder Ezetimib in bis anhin durchgeführten Studien das Hirnschlagrezidivrisiko nicht signifikant redu- zieren konnten. Statine reduzieren das Hirnschlagrisiko pro- portional zur Senkung des LDL-Cholesterin-Spiegels und weitgehend unabhängig von der Höhe des ursprünglichen Ausgangswerts. Die Heart-Protection-Studie zeigte eine sig- nifikante Risikoreduktion für ischämischen Hirnschlag unter Simvastatin 40 mg/Tag (13). Die SPARCL-Studie zeigte, dass Atorvastatin 80 mg/Tag auch bei Patienten ohne koronare Herzkrankheit das Hirnschlagrezidivrisiko signifikant sen- ken kann (14). Die Subgruppenanalyse zeigte ein leichtgradig erhöhtes Blutungsrisiko unter Statinen, insbesondere bei er- höhten Blutdruckwerten, männlichem Geschlecht und höhe- rem Alter; ein Zusammenhang mit den LDL-Cholesterin- Werten konnte nicht nachgewiesen werden. Eine retrospek- tive Arbeit zeigte, dass auch jüngere Patienten mit erstmaligem kryptogenem Hirninfarkt von einer Statinbehandlung profi- tieren können (15). O Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Hakan Sarikaya Oberarzt Neurovaskuläres Zentrum, neurovaskuläres Labor Universitätsklinik für Neurologie Inselspital Freiburgstrasse 3010 Bern E-Mail: hakan.sarikaya@insel.ch Literaturverzeichnis unter www.arsmedici.ch Erstpublikation in «Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie» 5/15. Antidiabetika Diabetes mellitus begünstigt insbesondere die zerebrale Mikroangiopathie mit lakunären Infarkten. Bezüglich der Hirnschlagprimärprävention bei Diabetes mellitus zeigt die 110 ARS MEDICI 3 I 2016 Literatur: 1. 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