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ACOS – die Schnittmenge von Asthma und COPD
Ein diskussionswürdiges Krankheitsbild, das durch das Evidenzraster fällt
Asthma und COPD sind verschiedene eigenständige Krankheitsbilder. Die Reversibilität der Atemwegsobstruktion gilt als wichtigstes Unterscheidungsmerkmal. Es gibt jedoch Patienten, die Symptome und Zeichen beider Erkrankungen zeigen und deshalb oft schwierig zu diagnostizieren sind. In solchen Fällen spricht man von einem Asthma-COPD-Overlap-Syndrom – ACOS. Allerdings ist auch dieser Begriff umstritten.
Im Jahr 1961 publizierte Nicolaas Orie die Theorie, dass Asthma und «chronische Bronchitis» einen gemeinsamen pathophysiologischen Hintergrund hätten. Das war lange bevor der Begriff COPD geprägt wurde. Ories Sicht der Dinge beschäftigt als «Dutch hypothesis» bis heute die Pneumologie. Zwar gilt sie als weitgehend widerlegt, doch hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr gezeigt, dass es eine Subpopulation von COPD- und Asthmapatienten gibt, bei denen Symptome und Zeichen beider Erkrankungen gefunden werden und eine Differenzialdiagnose oft kaum möglich ist. In solchen Fällen spricht man von einem Asthma-COPD-Overlap Syndrom, kurz ACOS. Allerdings ist mittlerweile auch die Sinnhaftigkeit dieses Terminus umstritten. Die Global Initiative for Asthma (GINA) geht in ihren Leitlinien jedenfalls auf das ACOS ein, das durch «persistierende Atemwegsobstruktion in Verbindung mit Zeichen von sowohl Asthma als auch COPD charakterisiert» sei. GINA betont jedoch auch die vielen Evidenzlücken. Die Diagnose müsse anhand der Klinik gestellt werden, eine genauere Definition könne mangels Evidenz und pathophysiologischen Verständnisses der Erkrankung derzeit nicht gegeben werden. Dies in Verbindung mit den fehlenden Diagnosekriterien erklärt die sehr unterschiedlichen Angaben zur Häufigkeit des ACOS – sie liegen zwischen 15 und 45 Prozent der COPD-Population. Prof. Gary Anderson von der University of Melbourne wies auf die verwirrend komplexe Pathophysiologie der beiden Erkrankungen hin, in die in der Regel auch noch Komorbiditäten hineinspielen. Die Forschung der kommenden Jahre müsse, so Anderson, den Weg von den klinischen Phänotypen zu den molekularen Endotypen gehen.
Take Home Messages
• Asthma und COPD sind unterschiedliche Erkrankungen mit unterschiedlicher Pathophysiologie.
• Asthmapatienten können Zeichen und Symptome einer COPD entwickeln. • COPD-Patienten können Zeichen und Symptome von Asthma entwickeln. • Der Begriff des Asthma-COPD-Overlap-Syndroms (ACOS) ist durchaus
umstritten. • Patienten mit ACOS werden sowohl aus Asthma- als auch aus COPD-Stu-
dien ausgeschlossen. Daher fehlen Empfehlungen zur Therapie von ACOS, die Evidenz ist dünn.
Phänotypen statt eigener Krankheitsbilder
Prof. Klaus Friedrich Rabe, ärztlicher Direktor der LungenClinic Grosshansdorf, zählt zu den Kritikern des Begriffs ACOS und betont, dass die Unterscheidung zwischen Asthma und COPD im Normalfall einfach sei: «Asthma ist nicht COPD. Es sind zwei verschiedene Erkrankungen. Sie zeigen unterschiedliche Biologien, unterschiedliche Immunologien, unterschiedliche Konsequenzen.» Allerdings sei es möglich und sinnvoll, innerhalb beider Erkrankungen Subtypen zu betrachten. So habe die PARAPLU-Studie gezeigt, dass es bei Asthma Risikofaktoren gebe, die mit einem schnelleren Verlust an Lungenfunktion assoziiert seien (2). Das betrifft beispielsweise nicht atopisches Asthma mit einem späten Symptombeginn. Rabe: «Bedeutet das, dass es sich um eine andere Erkrankung handelt? Nein, es sind unterschiedliche Risikofaktoren innerhalb der Krankheitsdefinition von Asthma.» So wurde im Rahmen des Severe Asthma Research Program eine deutliche klinische Heterogenität des schweren Asthmas festgestellt, die zur Definition mehrerer unterschiedlicher Phänotypen führte, welche jedoch auch ausgeprägte Überlappungen zeigen (3). Wenn dabei auch ein COPD-typisches Symptom auftrete, bedeute das noch lange nicht, dass es tatsächlich COPD sei. In diesem Zusammenhang verwies Rabe auf eine Studie, die bei Asthma-Patienten mit irreversibler Atemwegsobstruktion vorwiegend Zeichen und Symptome fand, die durchaus nicht zum Bild einer COPD passten (4). Auch auf die Hyperreaktivität dürfe man sich nicht verlassen. Während in älteren Studien davon ausgegangen wurde, dass alle Asthmatiker hyperreaktive Atemwege haben, wird der Prozentsatz in neueren Arbeiten, so Rabe, nur noch mit rund der Hälfte angegeben. Fehlende Hyperreaktivität bei Asthmatikern sei also etwas relativ Normales. Rabe: «Bei Patienten mit schwerem Asthma kommt es zwar zu Befunden, die man als COPD-ähnlich bezeichnen könnte, ob man es deshalb jedoch mit einer anderen Erkrankung zu tun hat, bleibt zu diskutieren.» Genetische Risikofaktoren und eine Reihe von Noxen führen entweder zu Asthma oder zu COPD. Diese Noxen werden im Laufe des Lebens akkumuliert. Obwohl für die beiden Erkrankungen unterschiedliche Risikofaktoren verantwortlich sind, kann es mit jahrelanger Exposition auch dazu kommen, dass ein Patient das eine oder andere Krankheitszeichen entwickelt, das die eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Erkrankungen erschwert. Das sei allerdings ein Problem der Bewertung anhand der klinischen Symptomatik. In dem Mass, in dem man verstärkt auf Biomarker oder gar genetische Marker zurückgreifen könne,
2 Pneumologie • Januar 2016
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würde die Zuordnung eines individuellen Falls zu Asthma oder COPD wieder einfacher. Rabe: «Man sollte alle verfügbaren Mittel nutzen, um zwischen Asthma und COPD zu differenzieren. Es gibt sicherlich Asthmapatienten mit Symptomen und Zeichen von COPD. Dass man es dabei aber mit einer eigenen Erkrankung zu tun hat, bezweifle ich.» Zur Theorie der Akkumulation von Risikofaktoren passt der Befund, dass ein ACOS vorwiegend bei älteren Patienten gefunden wird und als prognostisch sehr ungünstig gilt. In einer kürzlich publizierten Arbeit wird ACOS gewissermassen als finale Verschlechterung sowohl bei COPD als auch bei progredientem Asthma betrachtet, die eintritt, wenn Patienten in ein höheres Lebensalter kommen und eine deutlich eingeschränkte Lungenfunktion zeigen (5).
Untypisches Asthma als diagnostische Herausforderung Auch Prof. Dirkje Postma von der Universität Groningen empfiehlt, den Terminus ACOS im klinischen Alltag nicht zu gebrauchen. Vielmehr solle der Patient individuell charakterisiert und behandelt werden. Dies gelte sowohl bei Asthma als auch bei COPD und erst recht dort, wo die Unterscheidung zwischen den beiden Erkrankungen schwerfällt. Postma: «Asthma und COPD sind zwei unterschiedliche entzündliche Erkrankungen mit einem gemeinsamen funktionalen Charakteristikum: der Atemwegsobstruktion.» Dementsprechend schwierig könne es sein, die beiden auseinanderzuhalten. Bei einem Patienten, der mit 45 Jahren erstmalig mit Symptomen wie pfeifende Atmung und Dyspnoe vorstellig wird, könne die Unterscheidung zwischen Asthma und COPD eine echte Herausforderung darstellen. Die Reversibilität der Atemwegsobstruktion gilt als wichtigster differenzialdiagnostischer Befund in der Diagnose von Asthma und COPD. Die Frage sei jedoch, wie weit sich diese Sichtweise heute noch aufrechterhalten lasse. Denn das Bild der COPD als progrediente Erkrankung des höheren Lebensalters mit irreversibler Obstruktion, fehlender Hyperreagibilität und fehlender Allergie beziehungsweise Eosinophilie gerät ins Wanken. Eine COPD könne, so Postma, auch sehr früh im Leben beginnen. Und ein gewisses Mass an reversibler Obstruktion komme auch bei COPD-Patienten durchaus vor – ebenso wie eine Hyperreagibilität der Atemwege. Postma weist auch auf die unklare Rolle der Eosinophilen im Zusammenhang mit der COPD hin, die beispielsweise im Verlauf von Exazerbationen vermehrt gefunden und bei COPD-Patienten immer mehr als Risikofaktor betrachtet werden: Eine hohe Eosinophilenzahl im peripheren Blut ist bei COPD-Patienten mit einem erhöhten Sterberisiko assoziiert (6) und erwies sich auch als Prädiktor für ein Ansprechen auf inhalative Kortikosteroide (ICS) (7). Die Autoren dieser Studie halten die Eosinophilenzahl daher für einen vielversprechenden Biomarker für den Einsatz von ICS bei COPD (8).
Welche COPD-Patienten profitieren von Steroiden? Auch der genetische Hintergrund einer COPD mit «asthma-like features» wird gegenwärtig untersucht. So zeigt ein Teil der COPD-Population eine für Asthma typische Genexpression (T helper type 2 signature score). Diese zeigte bei COPD-Patienten Assoziationen mit einer schlechteren Lungenfunktion, gutem Ansprechen auf Steroide und hoher Eosinophilenzahl. Interessanterweise wurde jedoch keine Assoziation mit Asthma in der Anamnese gefunden (9). Weniger überraschend waren hingegen die Ergebnisse einer Longitudinalstudie, die zu dem Ergebnis kam, dass COPD-Patienten mit zusätzlicher Asthma-
Möglichkeiten der Koinzidenz chronischer Atemwegserkrankungen
Chronische Bronchitis
Emphysem
COPD
Atemwegsobstruktion
Asthma
Bei Patienten mit chronischer Bronchitis, Emphysem und Asthma ergeben sich vielfältige Überlappungsmöglichkeiten. Quelle: modifiziert nach Gibson PG, Simpson JL: Thorax 2009; 64: 728–735.
diagnose mehr von einem ICS profitieren als COPD-Patienten ohne Asthma (10). Leider fehlen bis anhin klare Empfehlungen zur Therapie. Das habe, so Postma, mit den Einschlusskriterien klinischer Studien zu tun. Sowohl bei Asthma- als auch bei COPD-Studien seien Patienten mit ACOS nämlich ausgeschlossen, was zu einer erheblichen Evidenzlücke geführt habe. Ungeachtet der fehlenden Empfehlungen und des Mangels an Evidenz aus prospektiven, kontrollierten Studien rät Postma, «asthma-like features» bei der Wahl der Therapie zu berücksichtigen: «Das hilft, den Patienten und seine Erkrankung zu verstehen – das ganz besonders in Zeiten der personalisierten Medizin.» Dazu gibt sie auch konkrete Empfehlungen. So sollten ACOS-Patienten wegen des Risikos schwerer Exazerbationen nicht mit einem lang wirksamen Beta-2-Sympathomimetikum in Monotherapie behandelt werden. Postma: «In dieser Patientengruppe dürfte die Kombination ICS plus LABA vorteilhaft im Hinblick auf Mortalität, Hospitalisierungen und Exazerbationen sein.»
Reno Barth
Referenzen: 1. GINA: http://www.ginasthma.org/ 2. ten Brinke A et al.: Factors associated with persistent airflow limitation in severe asthma. Am J Respir Crit Care Med 2001; 164(5): 744–748. 3. Moore WC et al.: Clinical heterogeneity in the severe asthma research program. Ann Am Thorac Soc 2013; 10 (Suppl): S118–124. 4. Vonk JM et al.: Risk factors associated with the presence of irreversible airflow limitation and reduced transfer coefficient in patients with asthma after 26 years of follow up. Thorax 2003; 58(4): 322–327. 5. Postma DS, Rabe KF: The Asthma-COPD Overlap Syndrome. N Engl J Med 2015; 373(13): 1241–1249. 6. Lange P et al.: Lung-Function Trajectories Leading to Chronic Obstructive Pulmonary Disease. N Engl J Med 2015; 373(2): 111–122. 7. Hospers JJ et al.: Asthma attacks with eosinophilia predict mortality from chronic obstructive pulmonary disease in a general population sample. Am J Respir Crit Care Med 1999; 160(6): 1869–1874. 8. Pascoe S et al.: Blood eosinophil counts, exacerbations, and response to the addition of inhaled fluticasone furoate to vilanterol in patients with chronic obstructive pulmonary disease: a secondary analysis of data from two parallel randomised controlled trials. Lancet Respir Med 2015; 3(6): 435–442. 9. Christenson SA et al.: Asthma-COPD overlap. Clinical relevance of genomic signatures of type 2 inflammation in chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 2015; 191(7): 758–766. 10. Gershon AS et al.: Combination long-acting β-agonists and inhaled corticosteroids compared with long-acting β-agonists alone in older adults with chronic obstructive pulmonary disease. JAMA 2014; 312(11): 1114–1121.
Quelle: Astema-COPD Overlap Syndrome (ACOS). Joint ERS/NEJM Session beim ERS-Jahreskongress, 27. September 2015 in Amsterdam.
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