Transkript
EDITORIAL
Von Patienten lernen
Die richtige Diagnose zu stellen (was ein sehr langwieriger Prozess sein kann) und diese in die entsprechende Behandlung zu überführen, ist häufig schwierig genug. Was aber tun in den Situationen, in denen man unsicher ist, die uneindeutig oder vielleicht einfach so selten sind, dass man sich belesen oder kollegial beraten müsste – verliert der Patient vielleicht Vertrauen, wenn man das fehlende Wissen in seiner Angelegenheit preisgibt?
Das muss nicht so sein, im Gegenteil: Ein Arzt, der die Grenzen des Wissens zugibt, wo sie bestehen, kann etwas seltsam Beruhigendes haben, schreibt Nick Wood in seinem Beitrag «How to talk to someone with an ‹untreatable› lifelong condition», den das «British Medical Journal» in seiner Serie «What your Patient is thinking» publiziert hat. Er leidet unter einem chronischen Beckenschmerzsyndrom und beschreibt die Hürden der Kommunikation, nachdem die Diagnose endlich gestellt ist und was er sich rückblickend von seinem Arzt gewünscht hätte. Weiterführende Literatur ergänzt die individuelle Perspektive.
Die Serie ist Teil der Patientenpartnerschaft, die das «British Medical Journal» Mitte 2014 lanciert hat, dafür erhielt es das Label «Patients Included». Diese Partnerschaft basiert auf der Einbindung eines internationalen Patienten-Advisoryboards, sie führte zur vermehrten Berücksichtigung der Patientenperspektive bei Autoren sowie Reviewprozessen. Ausserdem kommen Patienten auch direkt zu Wort und beschreiben unter anderem Situationen, in denen es schwerfällt, direkt zu kommunizieren. So berichtet etwa eine Asthmapatienten, warum die Aufforderung sich «einfach zu entspannen und ganz auf die Atmung zu konzentrieren» im Falle eines akuten Asthmaanfalls zwar gut gemeint, aber letztlich kontraproduktiv ist. Ein Krebspatient erinnert daran, wie unterschiedlich die Bedürfnisse einzelner Betroffener sein können – und wie hilfreich es wäre, diese, einmal erkannt, auch an andere Betreuende zu kommunizieren. An anderer Stelle beschreibt ein drogenabhängiger Patient, welche Typen von Ärzten ihm im Laufe seiner Drogenkarriere begegnet sind und welche Art der Ansprache und der Einbindung ihm schliesslich geholfen hat, einen Entzug in Angriff zu nehmen.
Diese und etliche weitere Beispiele erinnern daran, wie Kommunikation und Einstellung der betreuenden Ärzte Entscheidungen, den weiteren Krankheitsverlauf und nicht zuletzt auch die Lebensqualität der Betroffenen weitreichend beeinflussen können – zum Guten wie auch zum Schlechten. Ein Perspektivenwechsel kann bereichern – und auch wenn man nicht alle Einschätzungen teilt, ist ja vielleicht die eine oder andere Anregung dabei ...
Christine Mücke
Die Beiträge der Serie sind nachzulesen unter www.bmj.com/specialties/what-your-patientthinking
ARS MEDICI 2 I 2016
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