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Nagelschäden durch Chemotherapien
Toxizitäten, Durchblutungsstörungen, Verfärbungen – viele Effekte sind möglich
Chemotherapien zeigen nicht nur unerwünschte Wirkungen auf Magen-Darm-Schleimhaut und Haarfollikel, sondern die Wirkstoffe können sich auch in den Nägeln ablagern und dort Schäden anrichten. Bei welchen Nagelläsionen man an iatrogene Schäden durch Krebsmedikamente denken sollte, erläuterte Prof. Eckart Haneke vom Universitätsspital Bern.
« A lle Medikamente können Auswirkungen auf die Nägel haben, alle Bestandteile des Nagels können betroffen sein, und die Wirkungen können günstig oder schädlich sein», so Haneke beim 24. Kongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) im Oktober 2015 in Kopenhagen. Damit stellte er gleich eingangs klar, dass im Zusammenspiel von medikamentösen Therapien und sichtbaren Nagelveränderungen alles möglich und kaum etwas vorhersehbar ist. Günstige «Nebenwirkungen» seien aber insgesamt eher selten, allenfalls könnten Präparate wie Itraconazol oder Fluconazol das Nagelwachstum etwas beschleunigen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es bei Patienten mit Polypharmazie mehrere Monate dauern kann, den für den Nagelschaden verantwortlichen Wirkstoff zu identifizieren – anders als bei Nebenwirkungen an der Haut, wo ein Auslassversuch in der Regel rasche Ergebnisse bringt. Akkumulation von Antitumortherapeutika Insbesondere onkologische Präparate bringen oftmals Nagelschäden mit sich. «Nagelveränderungen durch Chemotherapien sind wohl die Folge der Speicherung und Ausscheidung der Wirkstoffe», erklärte Haneke: «Matrix und Nagelbett werden durch toxische Effekte geschädigt, zudem kann die Mikrozirkulation beeinträchtigt sein.»
Anatomie des Nagels
Quelle: Wikimedia Commons/Accountalive
Die am häufigsten vorkommenden Matrixschäden durch Chemotherapien sind laut Haneke Wachstumsverlangsamung und Brüchigkeit. Darüber hinaus nannte er beispielsweise BeauReil-Linien, die im Zusammenhang mit den Chemotherapiezyklen entstehen, aber auch Leukonychie, also eine stellenweise Weissverfärbung. Sogar eine Onychomadese, ein Ausfall aller Nägel, könne auftreten. Bekannt ist auch, dass «targeted therapies» wie Imatinib lichenoide Reaktionen hervorrufen können. Nagelbettveränderungen wie Onycholyse (partielle Ablösung vom Nagelbett), Leukonychie, Muehrke-Linien und sogenannte Halb-und-Halb-Nägel (halb rotbraun, halb weiss) werden durch verschiedenste Erkrankungen ausgelöst; sie können aber ebenso gut auch chemotherapiebedingt sein. Das Gleiche gilt für Splitterblutungen, subunguale Hämatome, ischämische Veränderungen, Digitalgangrän und das Raynaud-Phänomen. Darüber hinaus wird noch Fotoonycholyse (lichtinduzierte Nagelablösung) als Chemotherapiefolge genannt, «sie kommt aber, wenn überhaupt, sehr selten vor», so Haneke.
Vielfältige Nagelschäden durch Docetaxel – notfalls Chemotherapie umstellen Recht häufig treten Nagelschäden unter taxanbasierten Chemotherapien wie Docetaxel auf. Beobachtet werden im günstigsten Fall Pigmentierungsstörungen, Splitterblutungen und Beau-Reil-Querfurchen. Aber auch Paronychie (Nagelbettentzündung, «Umlauf»), Onycholyse sowie subunguale Hämatome beziehungsweise hämorrhagische Abszesse können unter Taxanen auftreten. Letztere sind mit starken Schmerzen verbunden. Eine Vorbehandlung mit Kortikosteroiden scheint das nicht verhindern zu können. Eine französische Forschergruppe erzielte Erfolge mit dem Anlegen gefrorener Socken und Handschuhe für 90 Minuten während der Docetaxel-Infusion (1, 2). «Die sehr schmerzhaften subungualen Hämatome und Abszesse führen in der Regel dazu, dass die Chemotherapie abgebrochen oder zumindest das Präparat gewechselt werden muss», erklärte Haneke.
Paronychie – eine therapeutische Herausforderung Nicht nur bei Behandlung mit Taxanen wie Docetaxel, sondern auch mit EGF-Rezeptor-Blockern wie Gefitinib können Nagelbettentzündungen (Paronychien) entstehen. Neben diesen Krebsmedikamenten kämen auch Etretinat, Acitretin, ver-
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schiedene Herzmedikamente sowie reverse Transkriptasefaktoren, also Anti-HIV-Therapien, als Auslöser von Paronychien infrage, zählte Haneke auf. «Diese Medikamente machen die Epidermis sehr dünn und verletzlich, und der Nagelrand penetriert in die Furche; wir haben dann den gleichen Effekt wie bei einwachsenden Nägeln», beschrieb er das Problem. Deshalb ist während einer Chemotherapie die Vermeidung mechanischer Belastungen der Zehen (etwa durch zu enges Schuhwerk) besonders wichtig. Das schmerzhafte Granulationsgewebe bei Paronychie dürfe nicht mit einem pyogenen Granulom verwechselt werden, betonte Haneke. Die Therapie der Paronychien sei oft schwierig, wenn mehrere Nägel betroffen seien. «Ist nur die Grosszehe betroffen, dann ist die Nagelverschmälerung durch selektive Matrixhorn-Phenolisierung die Therapie der ersten Wahl», so der Experte.
Paronychie unter Gefitinib: Wenn nichts hilft, hilft PRP? Haneke verwies auf einen Fallbericht von Kwon et al., in dem erst eine Behandlung mit autologem plättchenreichem Plasma (PRP) den Durchbruch gebracht hatte. Er selbst sieht PRP «nicht als Magic Bullet», in diesem Falle hatte die Therapie jedoch Erfolg. Die 68-jährige Patientin mit Adenokarzinom der Lunge, mit Knochen- und Hirnmetastasen und Krankheitsprogress unter Gemcitabin und Cisplatin erhielt eine Tumortherapie mit Gefitinib 250 mg/Tag. Einen Monat später entwickelte sie schwere Paronychien mit Granulationsgewebe an den Grosszehen sowie an den zweiten und dritten Zehen beider Füsse. Versuche, den Zustand der Nägel durch feuchte Umschläge und topische Antibiotika (gegen eventuelle Sekundärinfektionen) sowie durch orales Cefuroxim-Axetil über fünf Tage zu bessern, scheiterten: Schwellung, Schmerz und Eiterabsonderung wurden nur geringfügig gelindert und rezidivierten nach Absetzen des oralen Antibiotikums. Im Verlaufe eines Jahres wurden mehrfach orale Cephalosporine verordnet, die Beschwerden traten aber immer wieder auf. Die Gabe von Doxycyclinmonohydrat 200 mg/Tag über zwei Monate zeigte einen noch geringeren Effekt, und die topische Therapie mit dem Kortikoid Desoxymethason verstärkte die subunguale Entzündung sogar noch. Erst die Behandlung der Zehen mit PRP brachte eine klinisch bedeutsame Linderung: Nach einem Monat waren Schmerz und Sekretion deutlich reduziert, nach insgesamt drei Monaten waren auch das Granulationsgewebe und die Ödeme verschwunden. Zu diesem Zeitpunkt wurde die PRP-Therapie beendet, da auch die Gefitinib-Behandlung – leider wegen mangelnder Antitumorwirkung – abgesetzt wurde. PRP wird durch mehrfache Zentrifugation des Patientenbluts mit anschliessendem Einfrieren und Auftauen gewonnen und
vom Patienten selbst wiederholt auf die Wunden aufgetragen, die Behandlung ist also einfach umsetzbar. Es ist zu vermuten, dass die Besserung der Paronychie auf den in PRP enthaltenen zahlreichen Heil- und Wachstumsfaktoren basiert (3).
Hand-Fuss-Syndrom unter Multikinase-Inhibitoren umfasst auch periunguale Region «Periunguale Gewebeveränderungen durch Medikamente ähneln im Allgemeinen den Läsionen, die die Medikamente auch in den umgebenden Hautregionen hervorrufen», führte Haneke weiter aus. So könnten Multikinase-Inhibitoren wie Sorafenib das sogenannte Hand-Fuss-Syndrom mit Erythem, Schwellung, sensorischen Störungen und eventuell Hautablösung verursachen (4). Der EGF-Rezeptor-Blocker Cetuximab kann laut Haneke eine schwere periunguale Inflammation und Granulation auslösen. «Auch das hat nichts zu tun mit einem pyogenen Granulom», stellte er klar. In einem von ihm gezeigten Fall wurde die Entzündung erfolgreich mit dem Retinoid Adapalen behandelt (5). Und schliesslich kann auch Erlotinib zur Ausbildung von periungualem Granulationsgewebe führen. «Eine seltene Differenzialdiagnose, die wir aber nicht vergessen sollten, ist der Chilblain- oder Frostbeulenlupus», so Haneke.
Zytostatika-induzierte Aktivierung der Melanozyten Ein möglicher Nebeneffekt vieler Medikamente – etwa der Zytostatika Hydroxycarbamid, Cyclophosphamid oder Bleomycin – ist laut Haneke die Aktivierung der Nagelmelanozyten. Sie kann zu einer Melanonychie mit längsstreifig braun verfärbter Nagelmatrix führen und ist mit dem Entstehen maligner Melanome assoziiert. «Das müssen wir im Blick behalten», betonte der Dermatologe.
Simone Reisdorf
Referenzen: 1. Scotte F et al.: Multicenter study of a frozen glove to prevent docetaxel-induced onycholysis and cutaneous toxicity of the hand. J Clin Oncol 2005; 23: 4424–4429. 2. Scotte F et al.: Matched case-control phase 2 study to evaluate the use of a frozen sock to prevent docetaxel-induced onycholysis and cutaneous toxicity of the foot. Cancer 2008; 112: 1625–1631. 3. Kwon SH et al.: Gefitinib-induced paronychia: response to autologous platelet-rich plasma. Arch Dermatol 2012; 148: 1399–1402. 4. Ulrich J et al.: Skin toxicity of anti-cancer therapy. J Dtsch Dermatol Ges 2008; 6: 959–977. 5. Hachisuka J et al.: Successful treatment of epidermal growth factor receptor inhibitor-induced periungual inflammation with adapalene. Case Rep Dermatol 2011; 3: 130–136.
Quelle: Session «Nail disorders» beim 24. Kongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), 9. Oktober 2015 in Kopenhagen.
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