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23. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 20. NOVEMBER 2008
Die Leber aus schulmedizinischer Sicht
Jürgen Drewe
Einleitung
Eine funktionstüchtige Leber ist für die Aufrechterhaltung vieler Organfunktionen von essenzieller Bedeutung. Sie erfüllt somit für den gesamten Organismus eine Reihe von lebenswichtigen Aufgaben. Diese können grob in vier grundlegende Funktionen gegliedert werden: A) Die Leber spielt eine wichtige Rolle bei
der Aufrechterhaltung der Energiehomöostase: Sie spielt eine grosse Rolle bei der Glukoneogenese, Glykogensynthese und -speicherung sowie bei der Cholesterinsynthese und -aufnahme. B) Die Leber ist der alleinige Bildungsort für das Albumin, das wichtig für die Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks ist und wichtige Funktionen als Bindungs- und Transportvehikel für lipophile Stoffe im Blut darstellt. Alle Faktoren der Blutgerinnung (ausser Faktor VIII) sowie die Gallensäuren und das Bilirubin werden ausschliesslich in der Leber gebildet. C) Die Leber produziert und sezerniert die Lipoproteine, die unter anderem für den Cholesterin- und Triglyzeridtransport benötigt werden. D) Vielleicht die wichtigste Aufgabe der Leber ist die Entgiftung vieler potenziell toxischer (vor allem lipophiler) Xenobiotika (Medikamente, Umweltgifte, Pflanzen, Nahrung, Genussmittel) und endogener Stoffwechselprodukte (Steroidhormone, Schilddrüsenhormone). Diese werden in zwei Phasen mithilfe der Enzyme des P-450-Enzym-Systems (Phase I) oder durch Konjugationsreaktionen (Phase II) in wasserlösliche, besser ausscheidbare Abbauprodukte (Metaboliten) umgewandelt. Manche seltene Stoffe können aber auch durch diese
Reaktionen erst in toxische Substanzen überführt werden (Giftung). Beispiele dafür sind das Benz[a]pyren, das in einen karzinogenen und das Aflatoxin, welches in einen toxischen Metaboliten umgewandelt werden. Akute oder chronische Erkrankungen (z.B. Virushepatitiden), Intoxikationen (z.B. Alkohol, Medikamente, Gifte) der Leber oder eine Kombination der beiden Prozesse können die Leber akut/chronisch schädigen. Für wenige Hepatotoxine existieren Antidots (z.B. N-Acetylcystein bei Paracetamolintoxikation). Die Leber hat eine hohe Regenerationsfähigkeit. Ein teilweiser Verlust an Gewebe (Operation) kann fast vollständig durch Neuwachstum kompensiert werden. Die Regenerationsleistung steigt bei milden bis mittelschweren Schädigungen mit der Schwere an. Bei schweren Schädigungen sind aber die Reparaturvorgänge gehemmt. Im Folgenden soll im Rahmen eines verkürzten und groben Überblicks eine Auswahl der wichtigsten Erkrankungen der Leber besprochen werden: ◆ Fettleber (Steatohepatose): Sie kommt zustande, wenn mindestens 50 Prozent der Leberzellen von Verfettung betroffen sind. Ursächlich ist eine Störung des Fettsäurenabbaus (-Oxidation) in den Hepatozyten vorhanden. Geht diese mit einer Entzündung einher, spricht man von einer Steatohepatitis. Die häufigsten Ursachen der Fettleber sind vor allem ein metabolisches Syndrom (Übergewicht, Diabetes), Alkoholismus (> 20– 80 g/Tag♂, 12–60 g/Tag♀), Medikamente (Amiodaron,Tamoxifen,Valproat,Doxycyclin, Perhexillin, Methotrexat). Seltenere Ursachen einer Fettleber sind Schwangerschaft, Pflanzenschutzmittel und Pilzgifte. Die Therapie besteht vor allem in der Behandlung der Ursachen. Die
Prognose ist anfangs bei noch nicht ausgeprägter Schädigung der Leber bei einer Karenz der verursachenden Substanz gut. Zusätzlich werden unter anderem Ursodeoxycholsäure, Vitamin E und Betain eingesetzt. Bei chronischem Verlauf vor allem mit ausgeprägter Entzündung sind die Schädigungen zunehmend irreversibel, und es bildet sich Narbengewebe (Fibrose) bis hin zu einer Zirrhose. ◆ Hepatozelluläre Störungen können durch Paracetamol, Kupferüberladung (Morbus Wilson), Ethanol und Azathioprin hervorgerufen werden. Sie werden durch einen isolierten Anstieg der Alaninaminotransferase-(ALT-)Aktivität (> 2 des oberen Normalwerts) diagnostiziert. ◆ Cholestatische Störungen können über verschiedene Wege entstehen: extrahepatisch durch Abflussstauung (Stein, Tumor) oder intrahepatisch durch ein vermindertes sezerniertes Gallenvolumen (Hemmung von Transportproteinen). Der Rückstau der Gallensäuren führt dann zu einer Störung der Hepatozytenfunktion. Cholestatische Störungen werden durch einen Anstieg der alkalischen Phosphatase-(AP-)Aktivität (> 2 des oberen Normalwerts) diagnostiziert. Diese ist häufig mit einem Ikterus (Gelbsucht) verknüpft. Als Ursachen sind unter anderem Chlorpromazin, Cyclosporin, Estrogen, Mn2+, Phalloidin und einige Betalaktamantibiotika beschrieben. Die Therapie besteht bei extrahepatischen Störungen in der Beseitigung des Hindernisses (Stein,Tumor) oder bei intrahepatischen Ursachen in der Vermeidung der verursachenden Substanz und/oder der Stimulation des Transports. ◆ Durch exogene Faktoren kann es zu einer Schädigung der intrahepatischen Gallengänge kommen, die ein vermin-
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dertes sezerniertes Gallenvolumen zur Folge hat. Besteht die Toxinexposition fort, kann es zu einer partiellen (Fibrose) oder seltener zu einer vollständigen Destruktion der Gallengänge (vanishing bile duct syndrome) kommen. Ikterus und erhöhte Blutkonzentrationen von Gallensäuren und Bilirubin sowie stark erhöhte alkalische Phosphataseaktivität sind diagnostische Zeichen. Amoxicillin, Anabolika, Kontrazeptiva sowie Carbamazepin sind als Ursachen dieser Toxizität beschrieben. Die Therapie besteht in der Vermeidung der verursachenden Substanz. ◆ Progressive Schädigung der endothelialen Wand der Sinusoide kann zur Venoocclusive Disease (VOD) führen. Symptome sind eine Lebervergrösserung (Hepatomegalie), ein plötzlicher Gewichtsverlust oder Aszites sowie eine Bilirubinämie mit Ikterus. Eine VOD ist nach Gabe von Cyclophosphamid und anderen Zytostatika, aber auch von pyrrolizidinalkaloidhaltigen Pflanzen oder Pflanzenextrakten beobachtet worden. Die Therapie basiert auf der Vermeidung der verursachenden Substanz. Zum Teil werden Erfolge mit der Gabe von Defibrotiden (einzelsträngige Oligodeoxyribonukleotide, die über einen komplexen Wirkungsmechanismus antithrombotisch, antiischämisch, antiinflammatorisch und thrombolytisch wirken) oder mit der von Prostaglandin E1 und Heparin erzielt. ◆ Immunvermittelte hepatotoxische Reaktionen wurden nach Gabe von Diclofenac, Ethanol, Halothan beobachtet. ◆ Lebertumoren wurden nach (chronischer) Einnahme von Aflatoxin, Androgenen, Arsen, Thoriumdioxid und Vinylchlorid beobachtet. Sie können sich aber auch ohne toxische Faktoren bilden. ◆ Virushepatitiden (Hepatitis A bis E) gehören zu den wichtigsten Lebererkrankungen. Sie werden durch unterschiedliche Viren verursacht. Während einige Virushepatitiden (Hepatitis A und E) keine spezifische, allenfalls eine symptomatische Therapie erfordern, chronifizieren andere, führen zu Folgeerkrankungen (Leberzirrhose und Leberzellkarzinom) und bedingen deshalb eine Therapie. Hier werden Interferon alpha und Antimetaboliten (z.B. Lamivudin) bei Hepatitis B, PEG-Interferon und Ri-
bavirin bei Hepatitis C und PEG-Interferon und Antimetaboliten (z.B. Lamivudin) bei Hepatitis D angewendet. ◆ Eine Zirrhose ist häufig das Ergebnis chronischer Entzündungsprozesse der Leber, die zu einer irreversiblen Bildung von Narbengewebe (Fibrose) führt. Die Hauptursache der Fibrose/Zirrhose ist (weltweit) die Virushepatitis, andere Ursachen sind eine Gallengangobstruktion, die alkoholische und nicht alkoholische Steatohepatitis (NASH), Medikamente, Toxine und Schwermetalle. Symptome einer Fibrose oder Zirrhose sind je nach Schweregrad eine portale Hypertension, Ösophagus-Varizen-Blutung, Blutgerinnungstörung (Koagulopathie), Splenomegalie, Aszites, Azotämie (Anstieg stickstoffhaltiger Substanzen des Proteinabbaus), ein hepatorenales Syndrom, eine hepatische Enzephalopathie und schliesslich das Coma hepaticum. Neben einer symptomatischen Behandlung (Varizenblutung: endoskopische Blutstillung, Prophylaxe: Propranolol und Anlegen eines portokavalen Shunts; Gerinnungsstörungen: Substitution von Gerinnungsfaktoren; Aszites: Verminderung der Salzzufuhr, Spironolacton; Enzephalopathie: Vermeidung präzipitierender Faktoren [Ammoniakaufnahme, Elektrolytstörungen, Infektionen usw.]), wird eine Verminderung der Ammoniakkonzentrationen (Proteinaufnahme↓, Darmsterilisation mit Neomycin, Metronidazol) angestrebt. Bei geeigneten Patienten ist eine Lebertransplantation zu erwägen. Der Schweregrad der Schädigungen hängt bei vielen toxischen Substanzen von der Dosis und der Dauer der Exposition ab. Insbesondere bei geringer kurzzeitiger Exposition der toxischen Agenzien verläuft die Schädigung mild und ist nach Beendigung der Exposition reversibel. Ein anderer Teil, insbesondere der chronischen Schädigungen, ist irreversibel und kann zu klinisch relevanten Störungen der Entgiftungsfunktionen führen – bis hin zum totalen Ausfall der Leberfunktionen, der nicht mit dem Leben vereinbar ist und nur durch eine Lebertransplantation kompensiert werden kann. Besonders für die Medikamentenentwicklung ist die potenzielle Hepatotoxizität von grosser Bedeutung: Die medikamenteninduzierte Hepatopathie gehört zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen von
Arzneimitteln. Eine Hepatotoxizität ist die häufigste Ursache für den Rückzug von bereits zugelassenen Medikamenten.
Diagnose der Leberfunktions-
störungen
Das wichtigste Screeningverfahren zur Be-
urteilung der Leberfunktion sind die Leber-
funktionsstests: Bestimmung der Trans-
aminaseaktivität (Alaninaminotransferase
[ALT], Aspartataminotransferase [AST],
Gammaglutamyltransferase [GGT]), der al-
kalischen Phosphatase (AP), Messung der
Blutkonzentration von Bilirubin, Albumin
sowie der Gerinnungsfaktoren und der Pro-
thrombinzeit. Die Sonografie erlaubt die Be-
urteilung der intra- und extrahepatischen
Gallenwege, allfälliger Steine oder Raumfor-
derungen sowie das Erkennen einer Fettle-
ber oder einer Zirrhose. Die Leberbiopsie er-
möglicht eine biochemische Analyse, einen
allfälligen Virusnachweis (PCR), eine Histo-
chemie und die Erkennung von Stoffwech-
selstörungen und stellt das wichtigste dia-
gnostische Instrument dar.
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Anschrift des Referenten: Prof. Dr. med. Jürgen Drewe Universität Basel Klinische Pharmakologie Petersgraben 4 4031 Basel Juergen.drewe@unibas.ch
thema PHYTOTHERAPIE
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