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ANLASS
Schulmedizin und Komplementärmedizin im Dialog: Depression
Fortbildungsveranstaltung in der Aeskulap-Klinik, Brunnen, 12. März 2009
Unter dem Namen Schulmedi-
zin und Komplementärmedi-
zin im Dialog hat AM thema
Phytotherapie eine neue Fort-
bildungsreihe für Ärztinnen
und Ärzte ins Leben gerufen,
die am 12. März 2009 in der
Aeskulap-Klinik in Brunnen ihren Anfang nahm.
Abbildung 1: Die Referenten Dr. med. Cesar Winnicki (links), Dr. med. Simon Feldhaus (Mitte) und Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler
Dialog statt Konfrontation
Die Absicht, die hinter dieser Fortbildungsreihe steckt, ist die Förderung des Dialogs zwischen Schulmedizin und Komplementärmedizin. Nicht das Gegeneinander, sondern das Miteinander soll betont werden. Die naturwissenschaftlich begründete, traditionelle Medizin und die aus der Erfahrungsheilkunde der Volksmedizin schöpfende, sich wissenschaftlich immer mehr etablierende Komplementärmedizin sollen sich begegnen und miteinander Dialog führen. Viel zu lange bestanden zwischen den beiden Arten von Medizin breite Gräben, und das zwischen ihnen herrschende Klima war von Konfrontation und gegenseitiger Ablehnung geprägt. Die heutige Zeit ist aber reif für den Dialog und den Erfahrungsaustausch – beides führt zu nützlichen Erkenntnissen und könnte wertvolle Synergien schaffen. Die Schulmedizin beruft sich zwar auf die Evidenz, doch es ist bekannt, dass auch heute noch ein grosser Teil des Handelns im ärztlichen Praxisalltag nicht aus evidenzbasierten Studien hergeleitet ist. Die eigene Er-
fahrung, die mündliche Überlieferung von erfahrenen, älteren Kolleginnen und Kollegen spielen oft eine ebenso grosse Rolle wie Berichte in renommierten Fachzeitschriften. Und auch die Komplementärmedizin strebt die wissenschaftliche Untermauerung ihrer Erfahrungserkenntnisse an. Sie will aus der Fülle der Überlieferungen die Spreu vom Weizen trennen und die wirksamen Elemente zu anerkannten Bestandteilen der etablierten Medizin erheben.
Dialog als Fortbildungsveranstaltung
Darum bieten sich Fortbildungsveranstaltungen an, bei denen ein Thema sowohl von der schulmedizinischen als auch von der komplementärmedizinischen Seite betrachtet wird. Die Vertreter beider Therapierichtungen stellen den interessierten Ärztinnen und Ärzten ihre Theorien, Behandlungskonzepte und Therapieerfahrungen vor. Aus diesen Präsentationen können Anregungen mitgenommen werden, wobei es nicht entweder um Schulmedizin
oder Komplementärmedizin geht, sondern etwa darum, wann Schulmedizin und wann Komplementärmedizin eingesetzt werden soll oder wie viel Schulmedizin und wie viel Komplementärmedizinin einer bestimmten Situation in die Behandlung eines Patienten einfliessen soll.
Depression
Das Thema Depression ist für eine solche Veranstaltung gut geeignet, weil beim pharmakotherapeutischen Behandlungskonzept einer Depression die schulmedizinischen Antidepressiva und das pflanzliche Antidepressivum Johanniskraut in Betracht gezogen werden können. Welchen Stellenwert hat aber nun das Johanniskraut? Wirkt es «nur» bei leichten Depressionen, oder kann es gegen jede Art von depressiven Episoden eingesetzt werden? Gibt es neben den synthetischen Antidepressiva und Johanniskraut noch weitere natürliche Behandlungsansätze? Diese Fragen wurden am 12. März 2009 im Rahmen der gemeinsam von AM thema Phytotherapie und der Aeskulap-Klinik in Brun-
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PHYTOTHERAPIE
3/2009
ANLASS
nen organisierten ersten Fortbildungsveranstaltung «Schulmedizin und Komplementärmedizin im Dialog» in der Aeskulap-Klinik von drei Referenten auf unterschiedliche Weise beantwortet.
Traditionelle Pharmakotherapie der Depression
Im ersten der drei Referate stellte Prof. Dr. med. Edith Holsboer-Trachsler, Leiterin der Abteilung für Depressionsforschung, Schlafmedizin und Neurophysiologie der universitären psychiatrischen Kliniken (UPK) der Universität Basel, die international anerkannten Guidelines der pharmakotherapeutischen Behandlung einer Depression vor. Bei einer vorliegenden Depression muss man unterscheiden zwischen der Therapie in der Akutphase und der Langzeittherapie, in der es gilt, eine Remission zu vermeiden. Die Wahl des Antidepressivums richtet sich nach der Stärke der Krankheit. Bei leichten Depressionen kann ein Johanniskrautpräparat verordnet werden, dessen Wirksamkeit bei dieser Art von Depressionen dokumentiert ist. Weitere Kriterien für die Auswahl eines entsprechenden Präparats in der Akutphase sind die klinische Zielsymptomatik, die bekannten Nebenwirkungen und Interaktionen einer Klasse von Antidepressiva oder einer einzelnen Substanz sowie die psychische und/oder somatische Komorbidität des Patienten. Anschliessend sprach Prof. HolsboerTrachsler über die Langzeittherapie, die je nach Fall Jahre oder Jahrzehnte dauern kann und für die jenes Präparat angewendet werden soll, das in der Akutphase zum Erfolg geführt hat.
Johanniskraut bei Depressionen: Was ist Mythos, und was ist Realität?
Dr. med. Simon Feldhaus, Facharzt für Allgemeinmedizin, Fachbereichsleiter für Schulmedizin und Sport im Paramed-Zentrum für Komplementärmedizin in Baar, stellte das Johanniskraut ins Zentrum seines Referats. Nach einleitenden, kritischen Worten zur Glaubwürdigkeit der Literatur zur evidenzbasierten Medizin und über die Nebenwirkungen synthetischer Antidepressiva stellte er Studien vor, die die Wirksamkeit von Johanniskraut belegen. Eine davon spricht dem Johanniskraut auch Wirksamkeit bei mittelschweren und schweren Depressionen zu. Dann ging
Abbildung 2: Die Aeskulap-Klinik in Brunnen
Feldhaus auf den Wirkungsmechanismus von Johanniskraut ein: Johanniskraut zeichnet sich durch eine noradrenerge, serotonerge und im Gegensatz zu anderen Antidepressiva auch durch eine dopaminerge Wirkung aus. Was die Nebenwirkungen angeht, so betonte der Referent, dass sich, abgesehen von einigen Nebenwirkungen, die eigentlich Interaktionen seien und nur bei speziellen Patientengruppen aufträten, die sowieso unter genauer ärztlicher Kontrolle stünden, eine Johanniskrauttherapie als äusserst sicher und nebenwirkungsarm auszeichne. Auch die oft erwähnte Fotosensibilisierung ist bei normaler Dosierung bei Menschen praktisch noch nie nachgewiesen worden.
Ganzheitlicher Ansatz in der Behandlung von depressiven Zuständen
Ein etwas breiteres Konzept der Behandlung einer Depression stellte der «Gastgeber» der Fortbildungsveranstaltung, Dr. med. Cesar Winnicki, Chefarzt der Aeskulap-Klinik, vor (vgl. schriftliche Fassung des Vortrags S. 6 f.). In der Aeskulap-Klinik werden zur Behandlung einer Depression psychopharmakologische, psychotherapeutische und andere etwas weniger bekannte, aber evidenzbasierte Methoden wie Lichttherapie eingesetzt. Bei der pharmakotherapeutischen Behandlung wird nach Möglichkeit Johanniskraut verordnet. Die oft eine Depression begleitenden Schlafstörungen werden in der Aeskulap-Klinik mit Baldrian, Hopfen,
Passionsblume oder Pestwurz behandelt. Zur wichtigen Unterstützung der Leberfunktion werden Löwenzahn, Mariendistel oder Wermut verabreicht. Winnicki betonte, dass bei einer vorliegenden Depression neben einer Pharmakotherapie auch eine ausgewogene körperliche Aktivität ein wichtiges Behandlungselement sei, ausserdem die richtige Auswahl von orthomolekulären Präparaten und eine richtige Ernährung. Empfohlen ist dabei eine ausgewogene, eiweissarme, kohlenhydratreiche Kost mit viel Obst und Gemüse. Ausserdem gehört zu diesem Speiseplan wegen der ungesättigten Fettsäuren auch regelmässig Fisch.
Diskussion
Nach diesen drei Referaten stellten sich die Referenten den zahlreichen Fragen, die von den etwa 30 anwesenden Ärztinnen und Ärzten, darunter Allgemeinärzte und Psychiater, gestellt wurden. Der Redaktor von AM thema Phytotherapie, Dr. Christoph Bachmann, der den Anlass moderierte, musste nach einer halben Stunde intensiver Diskussion auf die Möglichkeit hinweisen, auch beim anschliessenden von der Aeskulap-Klinik offerierten Aperitif noch individuell Fragen zu stellen. ◆
Dr. C. Bachmann
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thema PHYTOTHERAPIE
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