Transkript
FORSCHUNG
Fortsetzungs- und Langzeitbehandlung mit dem Hypericumextrakt WS5570 nach der Erholung von einer akuten Episode einer moderaten Depression
Eine doppelblinde, randomisierte, plazebokontrollierte Langzeitstudie
Der vorliegende Beitrag ist die gekürzte und auf Deutsch übersetzte Fassung1 des Originalartikels von Kasper S., Volz H.P., Möller H.J., Dienel A., Kieser M.: Continuation und long-term maintenance treatment with Hypericum extract WS® 5570 after recovery from an acute episode of moderate depression – a double-blind, randomized, placebo controlled long-term trial, European Neuropsychopharmacology 2008; 18: 803–813.
Einleitung
Es gibt immer noch zu wenig methodisch adäquat durchgeführte Studien über die Langzeitprophylaxe von Antidepressiva. Deshalb untersuchten die Autoren der vorliegenden Studie die prophylaktische Wirkung des Johanniskrautextrakts WS® 5570 gegenüber Plazebo zur Verhinderung von Rezidiven bei Patienten mit moderater rezidivierender Major Depression.
1 Übersetzung und Kürzungen: Dr. C. Bachmann
Methode
Probanden In Deutschland und Schweden wurden in psychiatrischen Praxen und Allgemeinpraxen ambulante Patienten, Männer und Frauen, gesucht, die folgenden Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen:
Einschlusskriterien ◆ 18 bis 65 Jahre alt ◆ an einer Episode einer periodisch auf-
tretenden Major Depression leidend (ICD-10 F33.0 oder F33.1 und DSM-IV) ◆ 2 oder 3 vorangehend durchgemachte Episoden gemäss ICD-10 und DSM-IV ◆ ≥ 20 auf der HAMD-Skala (Version mit 17 Items) und ≥ 2 bei der Frage «depressive Stimmung».
Ausschlusskriterien ◆ Schizophrenie, akute Angststörungen,
Anpassungsstörungen, chronische oder psychotische Depression, bipolare Störung, akute posttraumatische Stressstörung, Substanzenmissbrauch (ausser Nikotin und Kaffee) ◆ erhöhtes Suizidrisiko (HAMD, Suizid ≥ 2) ◆ frühere Selbstmordversuche ◆ gleichzeitige antidepressive Komedikation ◆ nichtpharmakotherapeutische Depressionsbehandlung.
Intervention
Nach einer genau definierten Wash-outPhase nahmen die Patienten, die immer noch den Kriterien entsprachen, an einer sechswöchigen einzelblinden Akutbehandlung mit dreimal täglich 300 mg WS® 5570 teil. Danach wurden die Responder dieser Akutbehandlung in einem Verhältnis von 2:1 in eine 26 Wochen dauernde, doppelblinde Fortsetzungsbehandlung mit dreimal täglich 300 mg WS® 5570 oder Plazebo aufgenommen. Response wurde als
2 oder 1 (viel oder sehr viel besser) für den Aspekt «Gesamtverbesserung» auf der Clinical-Global-Impressions-Skala und eine Verbesserung von mindestens 50 Prozent auf der HAMD-Skala, verglichen mit dem Beginn der Akutbehandlung, definiert. Nach dieser Fortsetzungsbehandlung traten die Patienten beider Behandlungsgruppen, die während der 26 Wochen kein Rezidiv erlebt hatten, in eine 52 Wochen dauernde, doppelblinde Langzeitbehandlung. Die Patienten,die während der Fortsetzungsbehandlung Plazebo erhalten hatten, fuhren mit dieser Einnahme fort. Die Patienten der Verumgruppe wurden für die Langzeitbehandlung im Verhältnis 1:1 in dreimal täglich 300 mg WS® 5570 oder Plazebo randomisiert. Als Rezidiv während der Fortsetzungsbehandlung wurden folgende Ereignisse definiert: entweder ◆ HAMD ≥ 16 oder ◆ Diagnose einer depressiven Episode ge-
mäss ICD-10-Kriterien oder ◆ vorheriger Therapieabbruch wegen
Ausbleibens einer Wirkung (gemäss Eindruck des Arztes oder des Patienten). Dieselben Kriterien wurden während der Langzeitbehandlung für das Wiederauftreten einer Depression angewendet. Der Studienplan sah während der Akutbehandlung zwei Visiten (alle 3 Wochen), während der Fortsetzungsbehandlung fünf (alle 4 oder 6 Wochen) sowie während der Langzeitbehandlung acht Visiten (alle 4 bis 8 Wochen) vor. Patienten, die während einer der Visiten ein Wiederauftreten oder ein Rezidiv zeigten, mussten die Behandlung abbrechen. Die Probandenauswahl und die Befragungen wurden genau standardisiert.
Das Prüfpräparat WS® 5570 ist ein genormter Trockenextrakt
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aus Johanniskraut mit Methanol (80% v/v) als Lösungsmittel, mit einem definierten Gehalt von 3 bis 6 Prozent Hyperforin, 0,1 bis 0,3 Prozent Hypericin, mindestens 6 Prozent Flavonoiden und mindestens 1,5 Prozent Rutin.
Zielvariablen Bei jeder Visite wurde der Schweregrad der Depression mit dem HAMD, dem BDI und dem CGI erhoben. Primäre Zielvariable war die Zeit bis zum Rezidiv während der Fortsetzungsbehandlung. Sekundäre Zielvariablen waren die Zeit bis zum Wiederauftreten eines Rezidivs während der Langzeitbehandlung sowie die Werte von HAMD, BDI und CGI bei der individuell letzten Visite während der Fortsetzungs- und Langzeitbehandlung. Die Sicherheit wurde bei jeder Visite primär durch Befragung der Patienten über unerwünschte Ereignisse erhoben.
Statistische Auswertung, Probandenzahl
Für die statistische Auswertung der Resultate wurden verschiedene, dem heutigen Standard entsprechende biometrische Methoden eingesetzt. Die Studie wurde für eine Rezidivrate von 20 Prozent bei WS® 5570 und von 40 Prozent bei Plazebo geplant. Die 2:1-Randomisierung wurde angelegt, damit 146 Responderpatienten für die Verum- und 73 für die Plazebogruppe gefunden werden konnten. Bei einer angenommenen Responderrate von 65 Prozent während der Akutbehandlung mussten 425 Patienten in die Studie aufgenommen werden. Nachdem 185 Patienten die Fortsetzungsbehandlung beendet hatten, wurde eine im Voraus bestimmte verblindete Datenauswertung gemacht, die eine Gesamtrezidivrate von 16 Prozent annahm (erwartet 12% in der Verumgruppe und 24% in der Plazebogruppe). Dies führte zu einer Erhöhung der erforderlichen Patientenzahl für die Wirksamkeitsauswertung auf 384 (256 Verum, 128 Plazebo).
Resultate
Patientenfluss Zwischen Juni 1998 und Oktober 2003 wurden 793 Patienten rekrutiert. 703 nahmen an der einzelblinden Akutbehandlung teil. 570 (376 Verum, 194 Plazebo) wurden für die Fortsetzungsbehandlung randomisiert. 425 Patienten (285 Verum, 140 Plazebo) beendeten diese Studienphase
Tabelle 1: Rezidive und Zeit bis zum Rezidiv während der Fortsetzungsbehandlung
Auswertung Full Analysis
Per Protocol
Patienten Zeit bis Rezidiv (Tage) Rezidivrate Patienten Zeit bis Rezidiv (Tage) Rezidivrate
1 Log-rank-Test 2 2-Test
Mean (SD) n (%)
Mean (SD) n (%)
WS® 5570 282 177 (2,8) 51 (18,1%) 238 174 (3,3) 51 (21,4%)
Plazebo 144 163 (4,4) 37 (25,7%) 125 159 (4,9) 37 (29,6%)
p
0,0341 0,03522
0,0311 0,0422
gemäss Prüfplan. In die Langzeitprophylaxe-Behandlung traten 274 Patienten aus der Verumgruppe und 134 aus der Plazebogruppe ein. Die Patienten der Verumgruppe wurden erneut in Verum und Plazebo randomisiert. 138 wurden der Langzeit-Verumgruppe und 136 der Langzeit-Plazebogruppe zugeteilt. Von den 138 Verumpatienten beendeten 85 diese dritte Phase protokollgemäss, von den 270 Plazebopatienten (136 aus der Verumgruppe, 134 aus der Plazebogruppe der Fortsetzungsbehandlung) beendeten 161 die dritte Phase protokollgemäss. Alle vorzeitigen Studienabbrüche wurden genau dokumentiert.
Baseline-Daten Die Baseline-Daten beider Patientengruppen waren vergleichbar. Alle Patienten wiesen einen HAMD-Score von ≥ 20 bis ≤ 33 auf. Sie litten im Schnitt seit 5,9 Jahren (Verum) beziehungsweise 6,0 Jahren (Plazebo) unter wiederkehrenden depressiven Episoden. Mehr als 75 Prozent der Patienten litten seit mehr als zwei Jahren an depressiven Episoden. Das Minimum betrug 8 Monate, das Maximum 39 Jahre.
Wirksamkeit Sowohl in der Full Analsysis wie auch in der Per-Protocol-Auswertung erwies sich der Hypericumextrakt WS® 5570 während der Fortsetzungsbehandlung gegenüber Plazebo als überlegen: Sowohl bei der Rezidivrate wie auch bei der durchschnittlich ablaufenden Zeit bis zum Rezidiv schnitt die Verumgruppe besser ab als die Plazebogruppe. In Übereinstimmung mit der CGI-Beurteilung der Ärzte am Ende der Fortsetzungsbehandlung erwiesen sich 208 von 282 Patienten in der Verumgruppe (73,8%) und 93 von 144 Patienten in der Plazebogruppe
(64,6%) als mental nahezu oder vollständig gesund (p = 0,01). Weiter wurde bei 247/282 Patienten (87,6%) der Verumpatienten und bei 118/144 Patienten (81,9%) der Plazebogruppe verglichen mit dem Beginn der Akutbehandlung eine grosse oder eine sehr grosse Verbesserung festgestellt (p = 0,01). Während der Fortsetzungsbehandlung wurde bei den Verumpatienten eine durchschnittliche Verbesserung beim BDI von 1,2 (7,3) Punkten verglichen mit 0,7 (8,9) bei den Plazebopatienten ermittelt. Eine Subgruppenauswertung, basierend auf dem Schweregrad der Erkrankung bei Beginn der Akutkrankheit, zeigte, dass die präventive Wirkung von WS® 5570 gegen Rezidive in der Verumgruppe bei Patienten mit einer schwereren Erkrankung vergleichbar oder sogar besser war als bei Patienten mit einer weniger schweren Erkrankung bei Baseline (18,5 bzw. 18,0%). In der Plazebogruppe war es umgekehrt. Die Rezidivrate war bei schwerer erkrankten Patienten bei Baseline in der Fortsetzungsbehandlung grösser als bei weniger schwer erkrankten Patienten bei Baseline (32,3 bzw. 23,9%). Während der Langzeitpräventiv-Behandlung erlitten 17,2 Prozent der Patienten der Verumgruppe ein Rezidiv. In der Plazebogruppe waren es 20,4 Prozent. In der Hypericumgruppe wurde bei jenen Patienten eine geringere Rezidivrate beobachtet, bei denen die erste depressive Phase eher in einem frühen Lebensabschnitt stattgefunden hatte: Rezidivrate bei Patienten mit der ersten depressiven Phase ≤ 42 Jahre: Verum: 11,1 Prozent; Plazebo: 29,4 Prozent.
Sicherheit, Verträglichkeit Während der drei Behandlungsphasen wurden in beiden Behandlungsgruppen je-
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weils immer nur wenige UAW festgestellt. Bei 18 UAW in der Verumgruppe und 12 UAW in der Plazebogruppe konnte ein ursächlicher Zusammenhang mit der Behandlung nicht ausgeschlossen werden. In der Langzeitprophylaxe-Behandlung war in der Verumgruppe die häufigste UAW Pruritis (4 Patienten, 4 Ereignisse). Diese wurde in der Plazebogruppe nicht beobachtet. In dieser Gruppe war Fotosensibilität die häufigste UAW (3 Patienten, 3 Ereignisse). In der Verumgruppe trat diese UAW 1-mal auf.
Diskussion
Die vorliegende Studie belegt die prophylaktische Wirksamkeit des Hypericumextrakts WS® 5570 bei einer Fortsetzungsbehandlung nach der Besserung einer akuten moderaten Phase einer Major Depression. Während der sechs Monate Fortsetzungsbehandlung erwies sich die Dosis von täglich 900 mg WS® 5570 als wirksam zur Verminderung der Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs und zeigte bei allen untersuchten psychiatrischen Parametern einen Nutzen. Bei den Patienten, die nach der Akutbehandlung weiterhin mit dem Verum behandelt wurden, zeigte sich gegenüber den Patienten, die nach der Akutbehandlung auf Plazebo gesetzt wurden, eine um 30 Prozent verminderte Rezidivrate. Die Signifikanz wurde dennoch knapp verfehlt. Dies ist auf die unerwartet niedrige Rezidivrate in der Plazebogruppe zurückzufüh-
ren. Die Rezidivrate der Verumgruppe lag mit 18,1 Prozent im Bereich der 15 Prozent, die Geddes et al. in einer Metaanalyse bei verschiedenen Antidepressiva bestimmt hatte, die im Rahmen einer Fortsetzungsbehandlung eingesetzt wurden (1). Auch andere Autoren fanden höhere Rezidivraten für Plazebo (2, 3). Bei der Beurteilung der Resultate müssen diese Berichte also mitberücksichtigt werden. Eine Subgruppenauswertung zeigte eine höhere Ansprechrate bezüglichder Fortsetzungsbehandlung bei Patienten der Verumgruppe mit einem höheren BaselineHAMD-Wert als bei Patienten mit einem entsprechenden tieferen HAMD-Wert. In der Plazebogruppe war es umgekehrt. Die hier vorliegenden Resultate sind nur bedingt mit der Studie von Gastpar et al. (4) vergleichbar, weil das Studiendesign verschieden war. Trotzdem war die Verbesserung auf der HAMD-Skala in beiden Studien vergleichbar. Die Patienten mit einer ersten Depressionsphase vor dem 42. Lebensjahr, die während der zwölfmonatigen Langzeitbehandlung zur Hypericumgruppe gehörten, hatten ein um 63 Prozent geringeres Risiko eines Rezidivs als die Patienten der Plazebogruppe. Die weitverbreitete Unterlassung, Antidepressiva als Langzeitprophylaxe gegen Rezidive einzunehmen, mag mit der Abneigung zusammenhängen, Präparate einzunehmen, die mit unangenehmen Neben-
wirkungen behaftet sind. Die vorliegende Studie zeigt eindrücklich, dass im Fall des Johanniskrautextrakts WS® 5570 nicht mit solchen Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Zusammenfassung
Die vorliegende Studie zeigt die Evidenz für
die präventive Wirkung von WS® 5570 ge-
gen Rezidive während einer Fortsetzungs-
behandlung und einer präventiven Lanzeit-
behandlung nach der Erholung von einer
akuten Episode einer Depression.
◆
Anschrift des Korrespondenzautors der Originalstudie: Prof. Dr. med. S. Kasper Medizinische Universität Wien Universitätsklinik für Psychiatrie und Pschotherapie Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien
Literatur:
1. Geddes J.R., Carney S.M., Davies C., Furukawa T.A., Kupfer D.J., Frank E., Goodwin G.M.: Relaps prevention with antidepressant drug treatment in depressive disorders: a systematic review, Lancet 2003; 361: 653–661.
2. Simon J.S. et al.: Extended-release venlafaxine in relaps prevention for patients with major depressive disorder, J Psychiatr Res 2004; 38: 249–257.
3. Raskin J. et al.: Duloxetin in the long-term treatment of major depressive disorder, J Clin Psychiatry 2003; 64: 1237–1244.
4. Gastpar M. et al.: Efficacy and tolerability of Hypericum extract STW3 in long-term treatment with a once-daily dosage in comparison with sertraline, Pharmacopsychiatry 2005; 38: 78–86.
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