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ALLERGIE
Neurodermitis: Wenn die Haut brennt!
Am 18. Januar 2006 führte die Schweizerische Neurodermitis Stiftung im Kantonsspital St. Gallen eine Informationsveranstaltung
diese Hauterkrankung aufmerksam zu machen. Um den Betroffenen auch direkte Hilfe anbieten zu können, unterstützt die Stiftung die Neurodermitis-Elternschulung der aha!, Schweizerischen Zentrums für Allergie, Haut und Asthma.
für Betroffene und Fachleute durch. Rund Die Ursachen der Neurodermitis
In seinem Referat zeigte Prof. Dr. med. Brunello Wüthrich
80 Besucherinnen und Besucher liessen sich auf, dass seit den Sechzigerjahren die Häufigkeit der
Neurodermitis von 1 bis 2 Prozent aller Kinder auf heute
unter der Leitung der Stiftungsratspräsiden- 10 bis 15 Prozent gestiegen ist. Dabei werden zwei
Haupttypen unterschieden, der allergische Typ (IgE-assozi-
tin, Dr. pharm. Carine Abt, von den beiden iert) und der nichtallergische Typ (nicht IgE-assoziiert). Die
atopische Dermatitis tritt am häufigsten im Säuglings- und
Referenten Prof. Dr. med. Brunello Wüthrich Kindesalter auf. Dabei ist das Risiko einer atopischen Kar-
riere, das heisst des Hinzutretens eines allergischen Asth-
und Dr. med. Mark David Anliker die vielfäl- mas oder eines allergischen Schnupfens (Heuschnupfen)
im Schulalter für den IgE-assoziierten Typ der Neurodermi-
tigen Ursachen und Erscheinungsformen der tis ungleich höher als für den nicht-IgE-assoziierten Typ. Aus
diesem Grund wird eine frühzeitige Allergie-Diagnostik
Neurodermitis sowie die verschiedenen Be- (Hauttest, IgE-RAST) dringend empfohlen. Die Ursachen
der atopischen Dermatitis sind vielfältig. Es besteht insofern
handlungsmöglichkeiten erläutern.
eine erbliche Komponente, als das Risiko für die Nach-
kommen bei 50 bis 75 Prozent liegt, wenn beide Eltern
darunter leiden. Eine zweite wichtige Ursache ist die
Die Schweizerische Neurodermitis Stiftung
Hautstruktur. Ein Teil der Neurodermitispatienten leidet
Eingeladen zu diesem Anlass hatte die Schweizerische unter einer verminderten Aktivität des Enzyms Delta-6-
Neurodermitis Stiftung. Ihre Tätigkeiten gliedern sich in Desaturase. Dieses Enzym wandelt Linolsäure in Gamma-
drei Bereiche: Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit, Hilfe- Linolensäure um. Letztere ist einerseits verantwortlich für die
leistung für Patientinnen und Patienten sowie Angehörige Produktion bestimmter Botenstoffe im Körper, die unter
und Förderung von Wissenschaft und Forschung. Die Infor- anderem die Durchblutung und den Juckreiz regulieren.
mationsveranstaltung in St. Gallen war der Auftakt einer Andererseits bildet sie einen essenziellen Baustein in der
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kann mit einer Substitution der Gamma-Linolensäure mit Nachtkerzenöl gut geholfen werden. Des Weiteren bilden sowohl das vegetative Nervensystem als auch diverse Umweltfaktoren (mechanische Reizungen der Haut, Reizungen durch Chemikalien, Umweltschadstoffe und gewisse Nahrungsmittel) wichtige Auslöser der Neurodermitis. Als wichtigste Komponente aber wird das Immunsystem angesehen. Mit einer überschiessenden Produktion von IgE-Antikörpern einerseits und einer Immunschwäche gegenüber Hautinfektionen durch Bakterien, Pilze und Viren andererseits kann es die Entstehung und den Verlauf der atopischen Dermatitis entscheidend prägen. Nahrungsmittel machen die häufigsten Allergene bei Kindern aus, gefolgt von Hausstaubmilben, Haustieren und Pollen. Eine Nahrungsmittelallergie tritt bei etwa 30 Prozent der Säuglinge und Kleinkinder mit Neurodermitis auf. Hauptallergene sind dabei Kuhmilch, Hühnerei, Weizen, Soja, Erdnuss und Fisch. Mittels Pricktest, welcher schon ab einem Alter von drei Monaten am Rücken des Säuglings durchführbar ist, und/oder RASTTests sollen die Allergene identifiziert und durch geeignete diätetische Massnahmen vermieden werden. Bei Erwachsenen hingegen ist eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie sehr selten und kommt ausschliesslich bei Allergikern vor, die unter einer Birkenoder Beifusspollenallergie leiden. Prof. Wüthrich rief die Patientinnen und Patienten auf, Vertrauen in die Schulmedizin zu haben und sich nicht auf dubiose Allergiediagnosen (Bioresonanz, Kinesiologie) zu verlassen. Den behandelnden Ärztinnen und Ärzten empfiehlt er aber, sich genügend Zeit für die Diagnose zu nehmen, damit die Patientin/der Patient sich ernst genommen fühlt und aktiv an der Therapie teilnehmen kann.
zu kürzlich erschienenen Berichten über eine mögliche Kanzerogenität der topischen Immunmodulatoren zeigen neuere Daten, dass die Inzidenz von Lymphomen im Bereich der normalen epidemiologischen Erwartungen liegt. Immer noch unverzichtbar in der Therapie der Neurodermitis sind topische Steroide. Bei genügend hoher Potenz wirken sie rasch und können früher ausgeschlichen werden. Empfohlen wird ein Stufenschema: 10 bis 14 Tage täglich, danach zweimal pro Woche längerfristig appliziert.
Neuere Entwicklungen zielen darauf ab, genau im immunologischen Mechanismus der atopischen Dermatitis einzugreifen. So soll demnächst eine Creme mit einem Pflanzenextrakt in den dermatologischen Zentren klinisch geprüft werden, welche die Entzündungsmediatoren in der Haut (Leukotriene) hemmt. Als sehr wichtige Komponente erwähnte Dr. Anliker das psychosoziale Umfeld: Entlastung der Eltern, Information der Eltern und Training, entsprechende Berufswahl des Kindes bilden nicht zu vernachlässigende Komponenten einer ganzheitlichen Behandlung.
Die Behandlung der Neurodermitis Dr. med. Mark David Anliker ging in seinem Referat auf die verschiedenen Behandlungsstrategien der Neurodermitis ein. Die Rückfettung der Haut nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, bildet eine intakte Hautbarriere doch die Voraussetzung zur Abwehr von Allergenen und Schadstoffen. Dazu sollen zweimal wöchentlich Ölbäder durchgeführt und die Haut anschliessend mit rückfettenden Cremes behandelt werden. Einer Allergie auf Hausstaubmilben begegnet man am besten mit einer Expositionsprophylaxe durch spezielle Überzüge für Duvets und Kissen. Ein biologisch wertvoller Ansatz in der Therapie der Neurodermitis ist die dermatologische Lichttherapie. Diese wird vorzugsweise mit UV-B-311 nm (UV-Schmalband) durchgeführt. Häufig verwendet werden heutzutage topische Immunmodulatoren. Diese hemmen die Produktion und Freisetzung von Zytokinen in den T-Zellen und unterbinden so die mit dem atopischen Ekzem verbundene Entwicklung von Juckreiz, Hautrötung und Schwellung. Eine Behandlung soll drei bis vier Wochen dauern, diese führt bei 60 bis 70 Prozent der Patienten zum Erfolg. Sie kann dabei helfen, topische Steroide einzusparen. Im Gegensatz
Patientenfragen und Aperitif Im Anschluss an die beiden Vorträge hatten die Anwesenden Gelegenheit, den Referenten Fragen zu stellen. Diese wurde rege genutzt, und es entstand eine interessante Diskussion. Dabei gelang es den beiden Spezialisten, mit ihren Argumenten verschiedene Aspekte zu beleuchten, sodass sämtliche Fragen des Publikums zu dessen Zufriedenheit beantwortet wurden. Der anschliessende, von der Schweizerischen Neurodermitis Stiftung offerierte Aperitif bildete den gemütlichen Abschluss eines interessanten und informativen Abends.
Korrespondenzadresse: Max Zeller Söhne AG Daniel Notter Seeblickstrasse 4, 8590 Romanshorn
Interessenlage: Organisation der Veranstaltung: Schweizerische Neurodermitis Stiftung (www.neurodermitis.sns.ch)
Sponsoren der Veranstaltung: aha! Schweizerisches Zentrum für Allergie, Haut und Asthma (www.ahaswiss.ch) und Max Zeller Söhne AG (www.zellerag.ch)
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