Transkript
Pruritus: Ein interdisziplinärer Therapieansatz ist gefragt
«Die Fingernägel schabten an dem Schorf so wie das Messer einen Karpfen schuppt [...].» (Dante: Inferno, XXIX. Gesang)
Was für eine Höllenplage der Juckreiz für die betroffenen Menschen sein kann und wie der Teufelskreis von Juckreiz, Kratzen, Entzündung und Steigerung des Juckreizes entsteht, hat Dante in einem eindrücklichen Bild festgehalten. Den Verdammungsort der Fälscher, Lügner und Verleumder im tiefsten achten Höllenkreis beschreibt der Dichter als Ort des Aussatzes und der Kratzsucht.
Noch immer ist der Pruritus, der objektiv nicht messbar ist, eine diagnostische und therapeutische Herausforderung, insbesondere bei chronischen Formen. Je nach Krankheiten und Umweltfaktoren leiden 7 bis 30 Prozent der Menschen unter Juckreiz, besonders häufig ältere Menschen. Die Behandlung erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Dermatologen, Neurologen, Endokrinologen, Gastroenterologen, Anästhesisten und Psychologen, wie sie von der International Society for the Study of Itch propagiert wird. Erkenntnisse aus der neurologischen Grundlagenforschung scheinen auch für die Pathophysiologie zumindest einiger Juckreizformen relevant zu sein. Es gibt Hinweise, dass gewisse spezialisierte Nervenfasern in der Epidermis für den Juckreiz verantwortlich sind. P. Bigliardi und Autoren haben in diesem Zusammenhang die Schichthypothese postuliert. Massiv unter Pruritus leidende Patienten reagieren mit heftigem Kratzen, da Schmerz für sie oft leichter tolerierbar ist als Juckreiz. Neben Histamin, das vor allem bei akutem Juckreiz eine Rolle spielt, gilt es, diverse Neuropeptide, Neurotransmittoren, Enzyme, Zytokine und Entzündungsmediatoren als potenzielle Auslöser von Juckreiz zu beachten. Bei chronischen Juckreizformen tritt – ähnlich wie beim Phänomen der Allodynie bei Schmerzpatienten – durch Veränderungen der Nervenendigungen peripherer sensorischer C-Fasern eine Alloknesis auf, sodass ein normaler mechanischer oder schmerzhafter Reiz als Juckreiz empfunden wird. Um diese Veränderungen im kutanen Nervensystem wenigstens teilweise wieder rückgängig zu machen und das «Juckreizgedächtnis» zu umgehen, bedarf es einer Therapie über längere Zeit. Bei schwerer Symptomatik sind oft mehrere Ursachen kombiniert. Dem Juckreiz auf der Spur ist
Regula Patscheider
Bigliardi in einem zweiteiligen Artikel in dieser Ausgabe.
Wirksame Mittel gegen brennenden Juckreiz zu erhalten, ist auch ein grosses Anliegen der Patienten mit atopischer Dermatitis (Neurodermitis). Mit dieser Erkrankung befassen sich zwei weitere Beiträge. B. Wüthrich diskutiert aktuelle Gesichtspunkte wie atopische Karriere, Atopie-Patchtests, immunologische Vorgänge, Superinfektionen durch Mikroorganismen sowie Therapie mit antimikrobiellen Textilien und Immunmodulatoren.
Das Thema Evidence Based Medicine, das in [medicos] 5/2005 im Zentrum stand, wird durch zwei Interviews abgerundet: Das eine fand mit G. Burg, dem Klinikdirektor der Dermatologischen Klinik des UniversitätsSpitals Zürich, statt. Im anderen gab R. Dummer über die Rolle der evidenzbasierten Medizin bei epithelialen Hauttumoren und beim malignen Melanom Auskunft.
Ein weiterer Beitrag im Gebiet der Hauttumoren ist der Artikel über die aktinische Keratose von L. Schärer. Da für die Entstehung einer aktinischen Keratose vorwiegend die kumulative UV-Exposition (besonders UV-B) verantwortlich gemacht wird, ist wiederum die ältere Bevölkerung besonders betroffen, wobei die Inzidenz bei Männern höher ist.
Viele Krankheiten und Syndrome manifestieren sich gleichzeitig auf der Haut und an den Augen. Diesen Zusammenhang illustrieren die Betrachtungen von M. Krasovec Rahmann zu Katarakt und Dermatologie sowie zu Augenallergien und entzündlichen Dermatosen der Augenlider.
Regula Patscheider
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medicos 1/2006