Transkript
PHLEBOLOGIE
Ecksteine in der modernen Versorgung von Unterschenkelulzera
Von Jürg Hafner
Der folgende Artikel bezieht sich auf ausgewählte gezeigt werden, dass die Kompressionsbehandlung
in der primären Thromboseprophylaxe einen addi-
Abschnitte/Aspekte in Vorträgen, die am 21. Welt- tiven Effekt hat. Mit grossem Interesse aufgenom-
men wurde die neuere Publikation von Scurr und
kongress für Dermatologie und im Rahmen der Serie seinen Mitarbeitern, in welcher erstmals die Vermu-
tung bewiesen werden konnte, dass Kompressions-
«Dermatologie-Update» der Dermatologischen Kli- strümpfe tiefe Beinvenenthrombosen auf Lang-
streckenflügen verhindern können. In einer rando-
nik USZ gehalten wurden. Er beleuchtet auch einige misierten kontrollierten Studie (n = 231) hatten
10 Prozent der Reisenden gegenüber der Kontroll-
der relevanten Publikationen aus der Phlebologie gruppe eine asymptomatische tiefe Beinvenen-
thrombose (Unterschenkel-Etage), in der Kontroll-
und der Wundbehandlung der letzten zehn Jahre.
gruppe jedoch keiner, hingegen trat bei 4 Prozent
eine Varikophlebitis der Vena saphena magna unter-
halb des Knies beim oberen Strumpfrand auf (1).
Kompressionstherapie
Vier Jahre zuvor hatte Brandjes in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 1994 Teilnehmern be-
Die Kompressionstherapie ist sicher der bewährteste legt, dass eine Kompressionstherapie mit Unter-
Grundpfeiler in der konservativen Therapie phlebo- schenkelkompressionsstrümpfen der Klasse 2 bei
logischer Erkrankungen. Verschiedene wissenschaft- Patienten mit einer durchgemachten proximalen tie-
liche Beiträge haben in den vergangenen zehn Jahren fen Beinvenenthrombose (proximal: Vena poplitea
die Effektivität und Effizienz der Kompressionsthe- und weiter proximal) die Entstehung eines schweren
rapie auf hohem Evidenzniveau nachgewiesen.
postthrombotischen Syndroms um zirka die Hälfte
Die systematische und breite Anwendung von He- reduziert (p < 0,001). Nach sechs Jahren hatten in der parinen in präventiver Indikation seit den Siebziger- Gruppe ohne Kompressionsstrümpfe 23 Prozent ein jahren und von fraktioniertem Heparin seit der schweres postthrombotisches Syndrom oder ein ve- zweiten Hälfte der Achtzigerjahre hat zu einer nöses Ulkus und 47 Prozent ein leichtes postthrom- drastischen Reduktion von tiefen Beinvenenthrom- botisches Syndrom. Im Vergleich dazu hatten in der bosen und Lungenembolien in Hochrisikosituatio- Gruppe mit Kompressionsstrümpfen 11 Prozent ein nen geführt. Als solche gelten Eingriffe im Rahmen schweres postthrombotisches Syndrom oder ein der orthopädischen Chirurgie, Abdominalchirurgie, venöses Ulkus und 20 Prozent ein leichtes post- Neurochirurgie, Unfallchirurgie, aber auch Bettläge- thrombotisches Syndrom (2). rigkeit als Folge von internistischen Krankheiten Die Effektivität der Kompressionsbehandlung in 2 (z.B. Schlaganfall). In den älteren Arbeiten konnte der Behandlung des venösen Ulkus ist durch gross medicos 3/2008 PHLEBOLOGIE angelegte Kohortenstudien belegt worden (3, 4, 5). Die Abheildauer von venösen Ulzera wird durch den Ausgangsbefund massgeblich beeinflusst. Demnach heilt ein Erstulkus mit kleiner Fläche und kurzer Dauer unter einer Kompressionsbehandlung in 70 bis 80 Prozent der Fälle innerhalb von drei Monaten ab, während für grössere venöse Ulzera ( > 10 cm2), chronische Ulzera ( > 6 Monate) und Rezidivulzera mit längeren Abheilzeiten zu rechnen ist (30 bis 40% in 3 Monaten). Die Einführung von mehrlagigen, unterpolsterten Kompressionsverbänden, die eine Aussenschicht aus einer Kohäsivbinde aufweisen, hat bei chronisch venöser Insuffizienz zu einer Standardisierung der Bandagetechnik mit besseren reproduzierbaren klinischen Resultaten geführt. Prototyp dieser Technik war die Four-Layer-Bandage (6). Randomisierte kontrollierte Studien zum Nachweis der Effektivität der Kompressionsbehandlung von venösen Ulzera sind leider selten. Die wahrscheinlich wichtigste Studie wurde 1988 von Kikta durchgeführt, in welcher dieser zeigte, dass venöse Ulzera unter einem Zinkleimverband innerhalb von 24 Wochen zu 70 Prozent abheilen, während sie unter einem Hydrokolloidverband ohne Kompression innerhalb von 24 Wochen zu 38 Prozent abheilen (p = 0,01) (7). Ein systematischer Review zur Kompressionsbehandlung des venösen Ulkus wurde erstmals 1997 in der Cochrane-Library publiziert und wird seither aktualisiert (8). Eine kürzlich erschienene Studie aus dem gleichen Netzwerk von Research-Nurses untersuchte vor zwei Jahren erstmals den Unterschied zwischen Klasse-2und -3-Kompressionsstrümpfen in der Prävention von Ulkusrezidiven nach Abheilung. Dabei zeigte sich, dass mit einem Klasse-2-Strumpf innerhalb von fünf Jahren bei 39 Prozent Rezidive auftraten, wobei 28 Prozent der Patienten die Kompressionsbehandlung nicht konsequent durchgeführt hatten. Bei Klasse-3-Strümpfen war das Resultat nicht signifikant besser: Nach fünf Jahren traten bei 32 Prozent wieder Ulkusrezidive auf, wobei 42 Prozent der Patienten die Kompressionstherapie nicht konsequent durchgeführt hatten. Daraus leiteten die Autoren zu Recht ab, dass dem Patienten diejenige Kompressionsbehandlung mit Strümpfen zugemutet werden soll, die er problemlos durchführen kann (9). Leider existiert bis heute keine kontrollierte Studie, welche den Effekt einer Kompressionsbehandlung gegenüber gar keiner Kompression zur Prävention von Ulkusrezidiven untersucht. Empirisch wird angenommen, dass die Kompressionsbehandlung Rezidive von venösen Ulzera signifikant, wenn nicht sogar hochsignifikant, reduzieren kann. Möglicherweise reicht schon eine niedrigklassige Kompressionsbehandlung (z.B. Klasse 1) für einen derartigen Effekt
Abbildung: Mehrlagenverband: Tubegaze, Polsterwatte, Kurzzugbinden, Kohäsivbinde
aus. Ältere Patienten sind selbstverständlich viel besser in der Lage, eine milde Kompressionsbehandlung adäquat selbstständig durchzuführen. Dies hätte eine wesentlich bessere Kooperation in der verordneten Behandlung zur Folge. Wenn es gelingen würde, den Beweis der Effektivität von Klasse-1-Strümpfen zur Verhinderung von venösen Rezidivulzera zu erbringen, wäre wahrscheinlich auch eine Kassenzulassung dieser Kompressionsklasse in Aussicht. Ein weiterer Paradigmenwechsel in der Kompressionsbehandlung von venösen Ulzera stellt die Umstellung von Kompressionsverbänden zu sogenannten «Ulkusstrümpfen» in der Behandlung kleiner und unkomplizierter venöser Ulzera dar. Bereits 1994 hat Partsch darauf hingewiesen, dass kleine venöse Ulzera auch durch Kompressionsstrümpfe erfolgreich behandelt werden können (10). Ende der Neunzigerjahre und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden drei Strumpfprodukte auf den Markt gebracht, welche trotz einer «kurzzugigen» Strickweise über die Fersen- und Knöchelregion gestreift und angezogen werden können. Die drei unterschiedlichen Patente heissen Tubulcus (11) UlcerTec (12) und UlcerCare (13). Tubulcus ist ein relativ eng gestricktes Produkt, das dank der Applikation eines Gleitstrumpfs aus Fallschirmstoff angezogen werden kann. Die Strümpfe der Marke Tubulcus werden in der Beinund Wundsprechstunde der Dermatologischen Klinik USZ in der Regel dem Patienten eine Nummer zu
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gross angemessen, weil nach unserer Erfahrung erst dadurch das An- und Ausziehen praktikabel wird. Im Produkt UlcerTec ist im normal gestrickten (langzugigen) Kompressionstrumpf der Klasse 3 ein Rautenmuster von kurzzugig gestrickten Fäden eingestrickt. Im «gestauchten» Zustand lässt sich damit der Strumpf problemlos über die Fersen- und Knöchelregion streifen, und ihm «ausgezogenen» Zustand, also wenn der Strumpf vollständig über die Wade angezogen ist, entfalten die kurzzugigen Fäden im Muster ihre volle Wirkung auf die venöse Wadenmuskelpumpe. Eine Erleichterung beim An- und Ausziehen eines kurzzugigen Kompressionsstrumpfs bietet das Produkt UlcerCare mithilfe eines dorsal eingenähten Reissverschlusses.
zialem Reflux, eine zweite mit epifaszialem und umschriebenem tiefem Reflux und eine dritte mit epifaszialem und ausgedehntem tiefem Reflux. Für die erste Gruppe (ausschliesslich epifaszialer Reflux) liess sich sehr klar nachweisen (p = 0,001), dass die Venenchirurgie zwar die Abheilzeit gegenüber der reinen Kompressionstherapie nicht signifikant verkürzt, dass aber die Rezidivrate von 26 Prozent auf 12 Prozent nach einem Jahr reduziert werden konnte. Bei einem epifaszialen und segmental tiefen Reflux ist dieses Resultat gerade noch knapp signifikant (p = 0,04), wohingegen die epifasziale Venenchirurgie bei einem ausgedehnten tiefen Reflux keine statistisch signifikante Verbesserung der Situation hinsichtlich Abheil- oder Rezidivrate bringt (sogenannte ESCHAR-Studien: 17, 18).
Venenchirurgie bei venösem Reflux Gemäss der älteren phlebologischen Literatur aus Shave-Operation nach W. Schmeller
den Sechzigerjahren kamen die damaligen führen- In Zusammenhang mit dem oben Dargelegten stellt den Kliniker zum Schluss, dass 90 Prozent der sich nun die Frage, ob Patienten mit einem durchgeUnterschenkelulzera venösen Ulzera entsprachen henden tiefen venösen Reflux (im Wesentlichen und hiervon wiederum ein grosser Teil in Zusam- Patienten mit einem ausgedehnten postthrombotimenhang mit dem postthrombotischen Syndrom schen Syndrom) einfach Pech haben und ihrer chroentstanden waren. Für diese Annahme gab es aller- nisch venösen Insuffizienz ausser der konsequenten dings keine systematischen Untersuchungen. Die Kompressionstherapie nichts entgegensetzen könLebenszeitinzidenz für ein Ulcus cruris hat sich in nen. Schmeller hat für Patienten mit einer ausgeden letzten 50 Jahren von ungefähr 2 bis 3 Prozent dehnten Dermatolipofasziosklerose und grossflächiauf 0,7 Prozent (14) zurückgebildet. Für diese güns- gen venösen Ulzerationen mit der Shave-Operation tige Entwicklung gibt es zwei plausible Haupt- eine erstaunlich effektive Behandlungsmethode eingründe: die systematische Thromboseprophylaxe in geführt (19). Im Rahmen seiner vorangehenden CTRisikosituationen und die Verbreitung einer mini- und MRI-Untersuchungen der distalen Unterschenmalinvasiven Venenchirurgie. In den Achtzigerjah- kel- und Knöchelregion hat Schmeller festgestellt, ren publizierten vorwiegend britische Chirurgen dass die fibrotischen Umbauvorgänge im Bereich ihre positiven Resultate der Venenchirurgie bei Pa- des distalen Unterschenkels und der Knöchelregion tienten mit venösen Ulzera (15, 16). Diese Beobach- das Unterhautfettgewebe und die Unterschenkeltung stand in einem gewissen Gegensatz zur An- faszie erfassen und dass im Rahmen der abnehmennahme, dass venöse Ulzera praktisch ausschliesslich den Sprunggelenkfunktion und des zunehmenden durch Kompression zu behandeln sind. Die breite Drucks in den tiefen Muskelkompartimenten eine Einführung der Duplexsonografie in den Neunzi- Degeneration des Fettgewebes in der Unterschengerjahren bestätigte die Vermutung mancher Chi- kelmuskulatur stattfindet. Diesen Prozess nannte rurgen, dass ungefähr die Hälfte aller Patienten mit er «arthrogenes Stauungssyndrom». Seine logische venösen Ulzera kein postthrombotisches Syndrom Konsequenz war die Shave-Operation, bei welcher und keine relevante Pathologie am tiefen Leitvenen- der fibrotische Weichteilmantel des distalen Untersystem aufwiesen. Als Hauptursache für die venöse schenkels weit über die venöse Ulzeration hinaus bis Ulzeration lag vielmehr eine ausgeprägte epifasziale auf die Unterschenkelfaszie tangential abgetragen Veneninsuffizienz vor. Das heisst im Wesentlichen, wird und der entstandene Shaving-Defekt mit einer dass eine Crossen- und Stamminsuffizienz der Vena dünnen Mesh-Graft-Spalthaut vom Oberschenkel saphena magna oder parva, gelegentlich mit Seiten- gedeckt wird. Zwei Wochen nach der Operation ästen, als «Nährvene» vorhanden ist. Im Jahr 2004 waren 79 Prozent der mit dieser Methode behandelwurde die erste randomisierte kontrollierte Studie ten Patienten geheilt, und bei 21 Prozent stellte sich zum Effekt der Venenchirurgie auf die Abheil- und eine Besserung ein. 12 Prozent der geheilten Patienten Rezidivrate von venösen Ulzera publiziert (17). Die erfuhren innerhalb der ersten zwei Jahre ein Rezidiv. Autoren unterschieden bei den Patienten mit venö- Diese überaus günstigen Resultate stellen die bis an4 sen Ulzera eine Gruppe mit ausschliesslich epifas- hin publizierten Resultate der konservativen Therapie
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bei Weitem in den Schatten. Selbst Patienten mit Re- arteriellen Fussrücken- und Zehenulzera meistens
zidivulzerationen haben im Allgemeinen wesentlich ausserhalb der Lokalisationen der chronischen kriti-
geringer ausgeprägte Rezidivbefunde als vor der schen Extremitätenischämie auf. Sie erfüllen des-
Shave-Operation.
halb nicht die klassischen angiologischen Kriterien
zur Indikationsstellung für eine Revaskularisation
Gemischte venös-arterielle Ulzera heilen schlechter als rein venöse
und werden immer wieder untertherapiert. Grössere arterielle Ulzera sind in aller Regel einer konservativen Wundbehandlung gegenüber refraktär.
Obwohl die arteriellen Pathologien bei Ulkus- Die Situation erfordert im Allgemeinen ein Débride-
patienten eindeutig im Vormarsch und die venösen ment und eine Spalthauttransplantation. Wahr-
Pathologien auf dem Rückzug sind, gibt es über die scheinlich würde diese Massnahme bei den meisten
gemischten venös-arteriellen Ulzera kaum verläss- Patienten an sich schon für eine Abheilung des
liche medizinische Literatur, obwohl immerhin Ulkus genügen. In der Bein- und Wundsprech-
20 Prozent der Patienten davon betroffen sind. Kürz- stunde der Dermatologischen Klinik USZ veranlas-
lich ist eine grössere Kohortenstudie publiziert sen wir bei diesen Patienten standardmässig und
worden, in welcher 193 Patienten mit gemischten konsequent eine Revaskularisation, selbst wenn der
venös-arteriellen Ulzera aus 1016 konsekutiven Ul- Knöchel-Arm-Druck-Index (ABPI) bei 0,8 liegt. Der
kuspatienten selektioniert und systematisch weiter- ABPI erweist sich im klinischen Alltag als ein zu
verfolgt wurden. Die Empfehlungen aus dieser Stu- unscharfes Kriterium, um allein über die Indikation
die lauten dahingehend, dass Patienten mit einem einer Revaskularisation im Zusammenhang mit
Knöchel-Arm-Druck-Index (ABPI) < 0,5 gleich zu einem teilweise oder ausschliesslich arteriell verur- Beginn arteriell revaskularisiert werden sollten, da sachten Unterschenkelulkus zu entscheiden. Der bei ihnen sonst keine Aussicht auf eine erfolgreiche ABPI kann bei rein arteriell verursachten Unter- konservative Therapie besteht. In der grossen Band- schenkel-Ulzera verhältnismässig hoch sein. Unserer breite eines ABPI zwischen 0,5 und 0,9 soll die Erfahrung nach wäre es in diesen Fällen falsch, den Therapie in Analogie zu einem rein venösen Ulkus Patienten die Revaskularisation allein aufgrund konservativ erfolgen. Nur bei refraktären Ulzera soll dieses überraschend hohen Knöcheldruckwerts vor- eine Revaskularisation empfohlen werden. (Bei einem zuenthalten. Inkompressible Knöchelarterien kön- ABPI > 0,9 liegt ohnehin keine relevante periphere nen falschhohe Knöchelarteriendruckwerte vortäu-
arterielle Verschlusskrankheit vor.) Die Arbeit macht schen. Bei Patienten mit einer kombinierten, klassi-
keine Angaben darüber, ab welchem ABPI mit schen, peripheren, arteriellen Verschlusskrankheit
Druckschädigungen der Haut in Folge einer zu star- plus Arteriosklerose der Haut im Bereich des latera-
ken Kompressionsbehandlung zu rechnen ist (20). len Unterschenkels (Martorell-Pathologie) kann die
Gemäss unserer empirischen Erfahrung in der Bein- Verbesserung der Makroangiopathie ebenfalls eine
und Wundsprechstunde der Dermatologischen Kli- Verbesserung der Heilungschancen des arteriellen
nik USZ haben die vergangenen zehn Jahre eher ge- Ulkus bewirken. Das Ziel einer Revaskularisation
zeigt, dass bei gemischten venös-arteriellen Ulzera der Martorell-Ulzera besteht in einer Optimierung
bereits ab einem ABPI < 0,8 eine Revaskularisation der Spalthauttransplantation und in der Reduktion sinnvoll sein kann und die weitere Abheilung des der Rezidivrate. Bei 69 Prozent unserer Patienten mit Unterschenkelulkus stark beschleunigt wird (21). arteriellen Ulzera lassen wir eine Revaskularisation Die Technik der Katheterinterventionen hat sich in durchführen, welche wiederum in 90 Prozent der re- den letzten 15 Jahren in Zusammenhang mit der ra- vaskularisierten Patienten kathetertechnisch und in santen Entwicklung der PTCA und der Stenting- 10 Prozent mittels Bypasschirurgie erfolgt. Praktisch technik derart verfeinert, dass auch in der Indikation bei allen Patienten reduziert sich der anfangs inten- der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit ein- sive Wundschmerz nach der Revaskularisation auf drückliche Verbesserungen möglich wurden. Heute ein erträgliches Mass. Praktisch sämtliche so behan- sind auch langstreckige Verschlüsse und distale ar- delten Ulzera werden im Anschluss mit einer Spalt- terielle Läsionen einer kathetertechnischen Behand- hauttransplantation ganz zur Abheilung gebracht. lung zugänglich (22, 23). Die Rate der kompletten Abheilungen beträgt 90 Prozent, mit keiner einzigen Rezidivsituation bei Arterielle Ulzera einer Nachbeobachtungszeit von zwei Jahren (24). Solange noch kontrollierte Studien zur optimalen Unterschenkelulzera mit einer ausschliesslich arte- Behandlung arterieller Ulzera fehlen, dürfte das riellen Ursache sind in aller Regel lateral oder prä- vorgeschlagene Vorgehen der Revaskularisation und 6 tibial lokalisiert und treten im Gegensatz zu den anschliessenden Spalthauttransplantation für die medicos 3/2008 PHLEBOLOGIE Behandlung von ausschliesslich arteriell verursachten Unterschenkelulzera plausibel sein. Die dargelegten Behandlungsresultate bestätigen in der täglichen Praxis der Wundbehandlung zumindest die Machbarkeit dieses Verfahrens. System stabilisiert. Sowohl die Zeit bis zum Erreichen einer tadellosen Granulation als auch die Zeit bis zum Erreichen einer kompletten Abheilung war bei den Patienten mit Unterdrucktherapie signifikant viel kürzer (25). Ulcus hypertonicum Martorell Das Ulcus hypertonicum Martorell nimmt bei unseren Patienten eine immer wichtigere Stellung ein und macht in unserer Bein- und Wundsprechstunde ungefähr 10 bis 15 Prozent aller Unterschenkelulzera aus. Klinisch findet sich eine maximale, schmerzhafte Hautnekrose in latero-dorsaler Lokalisation, gelegentlich auch direkt über der Achillessehne liegend, mit einem zentrifugal progredienten, lividentzündlichen Randsaum. Ungefähr die Hälfte dieser Patienten hat initial fälschlicherweise die Diagnose Pyoderma gangraenosum erhalten. Ursache für die Hautnekrose ist eine okklusive Arteriolosklerose der Subkutis, für welche eine langjährige arterielle Hypertonie und in 60 Prozent der Fälle auch ein Diabetes mellitus die wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren darstellen. Diese Patienten benötigen gleichzeitig eine makroangiologische Diagnostik und Therapie, analog zu den Patienten mit arteriellen Unterschenkelgeschwüren. Zusätzlich ist eine grosszügig durchgeführte Hautbiopsie von Ulkusrand und Ulkusgrund zum histologischen Nachweis der pathologischen Arteriolen in der Subkutis erforderlich. Die Therapie ist essenziell chirurgisch und umfasst ein bis mehrere Débridements, vorzugsweise eine Wundkonditionierung mit einer Unterdrucktherapie (VAC) und zuletzt eine Spalthauttransplantation. Der vorübergehende Einsatz systemischer Antibiotika ist sehr oft nötig. Eine Immunsuppression wie beim Pyoderma gangraenosum ist hingegen nicht erforderlich, und die Hebestelle für das Spalthauttransplantat heilt stets problemlos ab (kein Pathergieeffekt zu befürchten). Lokaltherapie mit negativem Druck (VAC) Die lokale Unterdrucktherapie ist in den letzten 20 Jahren sicherlich eine der grossen Neuerungen in der Wundbehandlung. Eine kürzlich publizierte, randomisierte, kontrollierte Studie verglich zwei Gruppen von je 30 Patienten mit venösen Ulzera. Bei der ersten Gruppe wurde eine feuchte Wundbehandlung durchgeführt, danach eine ReverdinPlastik aufgebracht und anschliessend eine standardisierte Lokaltherapie mit nicht klebenden Verbänden durchgeführt. Bei der zweiten Gruppe erfolgte die Wundkonditionierung mittels Unterdrucktherapie, und die Reverdin-Plastik wurde mit dem VAC- Madentherapie Die Lokaltherapie mit Maden der Fliege Lucilia sericata aus medizinischen Kulturen ist eine alte Wundtherapie, die in den letzten Jahren wieder vermehrt ins Gespräch gekommen ist. Randomisierte kontrollierte Studien sind bis heute nicht publiziert. Hingegen wurde letztes Jahr eine interessante Studie über ein kleines Kollektiv von Patienten mit MRSA-positiven diabetischen Fussulzera publiziert. Bei 12 von 13 Patienten ist es gelungen, die MRSA-Kolonisation mit drei Madenapplikationen über einen Zeitraum von 19 Tagen total zu eliminieren (26). Hautersatz aus der Zellkultur Mit Apligraf® und EpiDex® stehen in der Schweiz zur Behandlung von refraktären Wunden zwei Hautersatzprodukte aus Zellkulturen zur Verfügung, welche den Test einer randomisierten kontrollierten Studie bestanden haben. Apligraf® wurde gegenüber einer konventionellen Lokaltherapie getestet und erwies sich als statistisch signifikant überlegen, was die komplette Abheildauer von bisher refraktären venösen Ulzera angeht (27). EpiDex® wurde in einer randomisierten kontrollierten Studie mit dem Verfahren der konventionellen Spalthauttransplantation verglichen und erwies sich als mindestens ebenbürtig (28). Beide Behandlungsmethoden können problemlos ambulant durchgeführt werden. Zudem wird keine Entnahmestelle für das Hauttransplantat benötigt. Sollte es in den nächsten Jahren gelingen, durch eine breitere Anwendung dieser biotechnologischen Produkte deren Herstellungskosten noch etwas zu senken, dann liegt es in Reichweite, dass solche Verfahren in der Behandlung von refraktären Wunden mit der Zeit zur Routine werden könnten. Buruli-Ulkus Schliesslich darf nicht vergessen werden, dass in anderen Erdteilen ganz andere Formen von chronischen Wunden vorherrschen. In Westafrika stellt beispielsweise das Buruli-Ulkus, das durch ein toxinbildendes Mykobakterium verursacht wird, für die betroffenen Kinder und jungen Erwachsenen oft eine eigentliche medizinische Katastrophe dar. Bisher bestand weitverbreitet die Ansicht, dass – wenn überhaupt – die Ulkusexzision als einzige effektive medicos 3/2008 7 PHLEBOLOGIE Therapiemassnahme zur Abheilung führen kann, mit den vorstellbaren Schwierigkeiten durch die teilweise schlecht ausgerüsteten Ambulatorien und Spitäler in den betroffenen Ländern. Eine kürzlich durch die WHO in Benin durchgeführte und vor einem Jahr publizierte klinische Studie mit 224 Bu- 4. Duby T., Hofman J., Cameron D., Doblhoff-Brown D., Cherry G., Ryan T.: A randomized trial in the treatment of venous leg ulcers, Negative Pressure Wound, Wounds: A Compendium of Clinical Practice and Research 1993; 5 (6): 276–279. 5. 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Schlussfolgerung
Insgesamt lassen sich in der klinischen Praxis der letzten 10 bis 20 Jahre und anhand der wichtigen medizinischen Publikationen überzeugende Erfolge erkennen, welche es heute erlauben, Patienten mit chronischen Unterschenkelulzera einer pathophysiologisch kohärenten Diagnostik und Therapie zuzuführen. Damit schliessen sich auch automatisch
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ten, deren Lebensqualität entgegen früherer Auffas-
sung durch das Ulkus oft erheblich eingeschränkt
ist, wissen dies zu schätzen.
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Korrespondenzadresse Prof. Dr. J. Hafner, LA UniversitätsSpital Zürich, Dermatologische Klinik Gloriastrasse 31, 8091 Zürich E-Mail: juerg.hafner@usz.ch, Internet: www.dermatologie.usz
Interessenkonflikte: keine
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