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Kongresssplitter vom ESC 2015
Was TV-Konsum, Kaffeegenuss, Kälte und ein Mittagsschlaf mit den Gefässen machen können
Kardiologen aus aller Welt trafen sich in London zum alljährlichen Erfahrungsaustausch. Ob Kliniker oder Grundlagenforscher, der ESC-Kongress 2015 wartete wieder mit praxisrelevanten und zum Teil auch kuriosen neuen Studiendaten auf.
Lungenembolie: Tod vor dem TV Zu den eher kuriosen zählte eine Studie aus Japan (1). Dort sei es nicht ungewöhnlich, täglich 5 Stunden oder mehr fernzusehen, erklärte Toru Shirakawa, Suita, Japan, bei der Präsentation der Daten auf dem ESC. Die Arbeitsgruppe um Shirakawa zeigte, dass sich damit das Risiko, eine tödliche Lungenembolie zu entwickeln, verdoppelt im Vergleich zu Menschen, die ihre TV-Zeit auf 2,5 Stunden begrenzen. Bei «Fernsehsüchtigen» unter 60 Jahren war das Lungenembolierisiko sogar um das Sechsfache höher. Nach exzessivem Computerspielen wurden ebenfalls tödliche Lungenembolien beobachtet. Die Ergebnisse basieren auf den Daten von 86 024 Personen (36 007 Männer und 50 017 Frauen) im Alter zwischen 40 und 79 Jahren, die im Zeitraum von 1988 bis 1990 in einem Fragebogen Angaben zu ihrer durchschnittlichen täglichen Fernsehdauer machten. Die Studienteilnehmer wurden über eine mediane Dauer von 18,4 Jahren nachbeobachtet. Lungenembolie als Todesursache wurde anhand der Sterbeurkunde ermittelt. Im Nachbeobachtungszeitraum wurden 59 Todesfälle aufgrund einer Lungenembolie dokumentiert. Die multivariate Hazard Ratio (HR) betrug 1,61 (0,89–2,91) bei einer durchschnittlichen täglichen Fernsehzeit von 2,5 bis 4,9 Stunden und 2,38 (1,15–4,93), wenn die Personen 5 Stunden und mehr vor dem TV-Gerät verbrachten. 2 weitere Stunden vor dem Fernseher liessen das Lungenembolierisiko weiter ansteigen (HR: 1,31; 0,99–1,75, p = 0,06).
Wenn der Blutdruck bereits erhöht ist, kann sich ein anhaltender moderater oder starker Kaffeegenuss kardiovaskulär ungünstig auswirken.
Die Assoziation war offensichtlicher bei Personen unter 60 Jahren bei Studienbeginn mit einer multivariaten HR von 3,14 (1,10–8,96) für 2,5 bis 4,9 Stunden fernsehen und 6,49 (1,93– 21,88) für 5 Stunden und mehr im Vergleich zu weniger als 2,5 Stunden. Wie vom «Economy-Class-Syndrom» her bekannt, dürfte auch in dieser Situation die Immobilität der entscheidende Risikofaktor sein. Zur Vorbeugung sollte man beim Fernsehen öfter aufstehen, herumgehen und ausreichend Wasser trinken, so die Empfehlung der Studienautoren. Wie Shirakawa abschliessend betonte, sollte das Bewusstsein für diese Zusammenhänge in der Öffentlichkeit geschärft werden.
Mit Kaffee zum Hockdruck ... Bei jüngeren Patienten zwischen 18 und 45 Jahren mit Bluthochdruck im Stadium 1 erhöht regelmässiger Kaffeekonsum das Risiko, dass der Blutdruck weiter steigt und therapiebedürftig wird – je mehr Kaffee, desto stärker. Dies zeigte die Analyse der Daten von 1201 italienischen Teilnehmern aus der HARVEST-Studie (2). Zu Beginn der auf zwölf Jahre angelegten Studie zeigten die Teilnehmer systolische Blutdruckwerte zwischen 140 und 159 mmHg und diastolische Werte zwischen 90 und 99 mmHg. 62,7 Prozent der Teilnehmer tranken 1 bis 3 Tassen Espresso am Tag (moderate Kaffeetrinker), 10,0 Prozent konsumierten mindestens 4 Tassen pro Tag (starke Kaffeetrinker), und 26,3 Prozent der Studienteilnehmer tranken gar keinen Kaffee. Sowohl starker als auch moderater Kaffeekonsum erwies sich, unabhängig von anderen Risikofaktoren, als Prognosefaktor für ein kardiovaskuläres Ereignis wie Myokardinfarkt oder Schlaganfall. Dabei zeigte sich eine lineare Beziehung zwischen Kaffeekonsum und späterer Notwendigkeit einer antihypertensiven Therapie: Während nur knapp 60 Prozent der abstinenten Patienten später Medikamente gegen Bluthochdruck erhielten, waren es in der Gruppe der starken Kaffeetrinker mehr als 70 Prozent. Bei starken Kaffeetrinkern erreichte die Assoziation statistische Signifikanz. Das Risiko für einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall war bei den moderaten Kaffeetrinkern 3-mal so hoch, bei den starken Kaffeetrinkern 4-mal so hoch wie bei denjenigen, die gar keinen Kaffee tranken.
... und erhöhtem Prädiabetesrisiko? Da Hypertonie und Typ-2-Diabetes im Rahmen des metabolischen Syndroms eng miteinander verknüpft sind, untersuchte die Studie in einem zweiten Schritt den Langzeiteffekt von regelmässigem Kaffeekonsum auf das Risiko, einen Prädia-
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betes zu entwickeln. Die Autoren fanden einen linearen Zusammenhang: Bei starken Kaffeetrinkern war das Prädiabetesrisiko um 100 Prozent (30–210%) erhöht. Allerdings variierte das Kaffee-assoziierte Prädiabetesrisiko in Abhängigkeit vom CYP1A2-Genotyp, der die Geschwindigkeit des Koffeinmetabolismus bestimmt. Das Prädiabetesrisiko war bei den starken Kaffeetrinkern nur dann signifikant erhöht, wenn sie zu den langsamen Metabolisierern zählten (Hazard Ratio [HR]: 2,78; 95%-Konfidenzintervall: 1,32–5,88; p = 0,0076). Das Fazit von Studienautor Dr. Lucio Mos, Udine: «Kaffeekonsum ist bereits bei milder Hypertonie mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko assoziiert.» Der negative kardiovaskuläre Effekt des Kaffees lässt sich nach Ansicht von Mos zumindest teilweise durch seine langfristigen Wirkungen auf den Blutdruck und den Glukosestoffwechsel erklären.
Mittagsschlaf unterstützt Therapie Hypertoniker, die täglich einen Mittagsschlaf machen, verbessern damit ihr Blutdruckprofil. Je länger das Schläfchen dauert, umso mehr. So das Ergebnis einer Studie aus Griechenland bei 386 Hypertonikern (200 Männer und 186 Frauen, mittleres Alter 61,4 ± 11,9 Jahre). Patienten, die sich eine Siesta gönnten, hatten signifikant niedrigere Werte im 24Stunden-Blutdruckmonitoring, eine geringere Pulswellengeschwindigkeit und einen geringeren linksatrialen Durchmesser als diejenigen ohne Mittagsschlaf. Dabei korrelierte die Schlafdauer deutlich mit dem Ausmass der Hypertonie: Je länger der Mittagsschlaf dauerte, umso stärker nahm der Blutdruck ab und der Dippingstatus zu. Bei einer Stunde Mittagsschlaf zeigte sich im 24-Stunden-Blutdruckmonitoring gegenüber denjenigen, die keine Siesta hielten, ein im Mittel um 4 mmHg niedrigerer systolischer Druck und ein um 2 Prozent stärkerer nächtlicher Blutdruckabfall (Abbildung). «Dipper» schliefen im Durchschnitt 16,6 Minuten länger als «NichtDipper».
Der Infarkt, der aus der Kälte kam Winterzeit ist Myokardinfarktzeit: Je 10 Grad Celsius Temperaturabfall steigt das Risiko für einen ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) um 7 Prozent, so das Ergebnis einer Studie aus Kanada (4). Das Team um Dr. Shuangbo Liu wertete retrospektiv die Daten aller Patienten aus, die in Winnipeg, Manitoba (Kanada), in den vergangenen sechs Jahren einen STEMI erlitten hatten, und korrelierte diese mit den Wetterdaten, ins-
Abbildung: Eine Stunde Mittagsschlaf hat bei Hypertonikern einen therapeutischen Effekt (nach [3]).
besondere der höchsten, mittleren und niedrigsten Tagestemperatur. Winnipeg, Manitoba, ist der geografische Mittelpunkt Kanadas und bekannt für seine heissen und trockenen Sommer und besonders kalten Winter. Insgesamt wurden im Beobachtungszeitraum 1817 STEMI verzeichnet. Dabei zeigte sich eine enge Korrelation zur Tageshöchsttemperatur: An Tagen mit einer Höchsttemperatur unter 0 Grad Celsius gab es 0,94 STEMI pro Tag, an Tagen mit Höchsttemperaturen über dem Nullpunkt lag die Ereignisrate mit 0,78 deutlich niedriger. Die Tageshöchsttemperaturen der beiden Tage vor dem Infarkt waren ebenso von prädiktivem Aussagewert. Das Fazit von Studienautorin Liu: «Es besteht offensichtlich ein klarer Zusammenhang zwischen den Temperaturen und dem STEMI-Risiko. Dieses Risiko kann bis zu zwei Tage vor dem Herzinfarkt vorhergesagt werden. Wenn es dafür ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit und ausreichende Ressourcen gibt, könnten wir in Zukunft dieses vorhersehbare saisonale Herzinfarktrisiko besser managen.»
Kirsten Westphal
Referenzen: 1. Shirakawa T et al.: Watching television and mortality from pulmonary embolism among middle-aged Japanese men and women: the JACC study. Eur Heart J 2015; 36 (Abstract Supplement), 465. 2. Mos L et al.: Long term cardiovascular and metabolic effects of coffee consumption in young hypertensive subjects: results from the HARVEST study. Abstract P899; ESC 2015. 3. Kallistratos MS et al.: Association of mid-day naps occurrence and duration with blood pressure levels in hypertensive patients. A prospective observational study. Abstract P906; ESC 2015. 4. Liu S et al.: How cold is too cold: the effect of seasonal temperature variation on risk of STEMI. ESC 2015.
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