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Neue Einsatzgebiete für SGLT-2-Hemmer?
Erste Erfahrungen zu Nephroprotektion und zu Typ-1-Diabetes
Die Substanzgruppe der SGLT-2-Inhibitoren stellt mit ihrem insulinunabhängigen Wirkmechanismus eine interessante und unkonventionelle Option in der Diabetestherapie dar. In der EMPA-REG-Studie brachte ein SGLT-2-Inhibitor eine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität. Doch aktuelle Studien weisen auch in Richtung neuer Einsatzgebiete: Nephroprotektion und Erleichterung der Insulineinstellung beim Typ-1-Diabetes.
S GLT-2-Inhibitoren senken die Nierenschwelle und fördern damit die Glukoseausscheidung mit dem Harn. Aufgrund des renalen Wirkmechanismus der SGLT-2-Inhibitoren
hinaus wurden zum Teil dramatische Reduktionen bei der Albuminausscheidung beobachtet. In G1 sank die UACR nur minimal, in den Gruppen G2 und G3 dafür sehr deutlich – um
hatte man zunächst die Sorge, dass diese Medikamente bei Pa- rund 50 Prozent – und damit in einem klinisch relevanten Aus-
tienten mit eingeschränkter Nierenfunktion Probleme bereiten mass. Am deutlichsten war die Verbesserung bei den Patien-
könnten. Diesbezüglich konnte jedoch nicht nur Entwarnung ten mit Makroalbuminurie. Insgesamt fiel die Reduktion der
gegeben werden, mittlerweile wird auch eine nephroprotektive Albuminauscheidung mit dem Harn umso deutlicher aus, je
Wirkung der SGLT-2-Inhibitoren diskutiert. Dr. Kiyohide Nunoi mehr Albumin bei Beginn der Studie ausgeschieden wurde.
vom St. Mary’s Hospital in Fukuoka (Japan) weist auf eine Reihe Die Senkung der UACR war in den Gruppen G1 und G2 posi-
theoretischer Arbeiten hin, die für eine Rolle des Natrium-Glu- tiv korreliert mit den Veränderungen des Nüchternzuckers,
kose-Transporters im Rahmen der diabetischen Nephropathie des Körpergewichts und des diastolischen Blutdrucks. Das
sprechen. Nunoi: «Allerdings haben wir nicht genügend klini- werten die Autoren als Beleg für eine direkte und nicht über
sche Daten zu einer möglichen nephroprotektiven Wirkung von Blutdruck- und Glukosesenkung vermittelte Wirkung des
SGLT-2-Inhibitoren. Wir wissen auch noch relativ wenig über die SGLT-2-Inhibitors auf die diabetische Nephropathie. Bei den
physiologischen und metabolischen Funktionen von SGLT-2, Patienten mit Makroalbuminurie verbesserten sich auch die
und wir kennen die Auswirkungen der SGLT-2-Inhibition auf Verhältnisse von Beta-2-Mikroglobulin zu Kreatinin (u-MG)
Glomerulus und Tubulus nur unzureichend. Die Frage ist, ob sowie von N-Acetyl-beta-D-Glucosaminidase zu Kreatinin im
diese Substanzen Potenzial in der Prävention und Behandlung Urin (u-NAG). Unter Therapie mit Tofogliflozin nahm die Nie-
der diabetischen Nephropathie haben. Da die diabetische renfunktion (eGFR) initial in allen Gruppen ab, besserte sich
jedoch in G1 und G2 im Verlauf der
«Man kann spekulieren, dass es bei längerer Beobach-
tungsdauer möglicherweise zu einer Verbesserung der
Nierenfunktion kommt.»
Studie wieder. Nur bei Makroalbuminurie blieb sie konstant um 3,8 ml/min/ 173 m2 erniedrigt. Interessanterweise war die Abnahme der eGFR mit einer Verbesserung der Harnparameter korre-
Nephropathie charakterisiert ist durch einen exponentiellen An- liert. Nunoi: «Man kann spekulieren, dass es bei längerer Be-
stieg der Albuminexkretion, gefolgt von einer Abnahme der Nie- obachtungsdauer möglicherweise zu einer Verbesserung der
renfunktion, bietet sich die Albuminausscheidung als Endpunkt Nierenfunktion kommt.»
für Studien zur diabetischen Nephropathie an.» Nunoi und Auch zu einer möglichen nephroprotektiven Wirkung des in
seine Gruppe untersuchten in der Population der Phase-III-Stu- Europa zugelassenen SGLT-2-Inhibitors Dapaglifozin (DAPA)
dien zu dem gegenwärtig nur in Japan zugelassenen SGLT-2-In- gibt es mittlerweile Daten, die im Rahmen des EASD-Kon-
hibitor Tofogliflozin dessen Wirkung auf die Albuminausschei- gresses 2015 präsentiert wurden. Sie stammen aus einer ge-
dungsrate (1).
poolten Analyse zweier Studien, in denen Patienten mit Typ-
Deutlich reduzierte Albuminausschüttung unter SGLT-2-Inhibition
2-Diabetes, Mikro- oder Makroalbuminurie sowie Hypertonie mit DAPA 5 mg (n = 87), 10 mg (n = 167) oder Plazebo behandelt wurden. Alle Patienten waren unter laufender und un-
Insgesamt wurden 1044 Patienten aus dem Studienprogramm veränderter Therapie mit einem ACE-Hemmer oder einem An-
analysiert und in drei Gruppen mit normaler Albuminaus- giotensin-Rezeptorblocker. Untersucht wurde die Wirkung von
scheidung (G1: UACR < 30 mg/gCr), Mikroalbuminurie (G2: UACR 30–299 mg/gCr) und Makroalbuminurie (G3: UACR ≥
DAPA auf die Albuminurie sowie die glomeruläre Filtrationsrate. Nach zwölf Wochen zeigte sich in den DAPA-Gruppen
300 mg/gCr) eingeteilt. Patienten mit einer eGFR unter 30 wur- eine deutlichere Senkung der UACR als unter Plazebo. Auch
den ausgeschlossen. In den Studien führte Tofogliflozin durch in dieser Arbeit wurde ein Abfall der eGFR beobachtet, die je-
alle Gruppen zu signifikanten Reduktionen von HbA1c (–0,76 doch eine Woche nach dem Absetzen der Therapie wieder
bis –0,89%) und Körpergewicht (–2,72 bis –2,85 kg). Darüber zum Ausgangswert zurückkehrte. Die günstige Wirkung auf
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die UACR blieb auch erhalten, wenn in statistischen Analysen hinsichtlich der Veränderungen des HbA1c, des systolischen Blutdrucks und der eGFR adjustiert wurde. Darüber hinaus konnte die renale Sicherheit von DAPA in dieser nierenkranken Population demonstriert werden. Es kam zu keinen ausgeprägteren Anstiegen des Serumkreatinins (≥ 1,5 x Baseline). Die Kaliumspiegel blieben in allen drei Gruppen vergleichbar, es traten keine schweren renalen Nebenwirkungen auf (2).
SGLT-2-Inhibitoren reduzieren Insulinbedarf bei Typ-1-Diabetikern In Studien wird auch ein gänzlich neues Einsatzgebiet für die SGLT-2-Inhibitoren untersucht: Die Verwendung als Add-on zu Insulin. Damit sollen durch verstärkte Glukoseausscheidung über die Nieren Zuckerspitzen gekappt und die Insulintherapie vereinfacht werden. So wurden in der Phase-II-Studie EASE-1 Pharmakodynamik, Wirksamkeit und Sicherheit von Empagliflozin (EMPA) zusätzlich zur Insulintherapie in einem Kollektiv von 75 Typ-1-Diabetikern untersucht, die über 28 Tage randomisiert mit EMPA 2,5 mg, 10 mg, 25 mg oder Plazebo behandelt wurden (3). Die Insulindosis sollte zunächst für sieben Tage so stabil wie möglich gehalten werden und konnte danach frei an den Bedarf angepasst werden. Der primäre Endpunkt war die Glukoseausscheidung mit dem Harn über 24 Stunden. Diese stieg unter Therapie mit EMPA erwartungsgemäss signifikant an. Damit verbunden waren jedoch auch klinische Verbesserungen. Am Tag 28 wurde im EMPA-Arm im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Verbesserung des HbA1c, des Nüchternzuckers und der täglichen Insulindosis beobachtet (siehe Abbildung). Unter EMPA kam es auch zu einer Gewichtsabnahme. Ein Harnwegsinfekt als typische Nebenwirkung der SGLT-2-Inhibitoren wurde bei einem Patienten aus der EMPA25-mg-Gruppe beobachtet. Es traten keine Genitalinfektionen auf. Hypoglykämien waren unter Plazebo (n = 19) häufiger als unter EMPA 2,5 mg (n = 8), 10 mg (n = 10) und 25 mg (n = 13). Bei einem Patienten aus der Plazebogruppe kam es zu einer Hypoglykämie, die Fremdhilfe erforderlich machte. In der Diskussion wurde betont, dass für Empagliflozin keine Zulassung in der Behandlung des Typ-1-Diabetes bestehe und die Resultate nicht als Empfehlung für den Einsatz in dieser Indikation verstanden werden sollten. Aus der Studie EASE-1 wurden auch mit konstantem Glukosemonitoring (CGM) erhobene Daten präsentiert (4). Die CGMDaten wurden ab Tag 7 der Studie aufgezeichnet. Sie zeigen in allen Verumgruppen eine signifikante Reduktion der Glukoseexposition, gemessen als «area under the curve» (AUC). Auch die Zeit, die die Patienten im Glukosezielbereich von > 3,9 mmol/l bis 10 mmol/l verbrachten, war unter Empagliflozin länger als unter Plazebo. Dieses Muster wurde auch während der Nachtstunden beobachtet. Die tägliche Zeit mit Glukosespiegeln unter 3,9 mmol/l war unter EMPA 10 mg und 25 mg initial höher als unter Plazebo, nach vier Wochen war der Unterschied jedoch nicht mehr signifikant. Insgesamt reduzierten alle Dosierungen von EMPA die Glukosevariabilität und die mittlere Amplitude der Glukoseexkursionen. Die Autoren schliessen aus diesen Daten, dass Empaglifozin als Addon zur Insulintherapie bei Typ-1-Diabetikern die Glukoseexposition reduziert.
Nebenwirkung: Auf Ketoazidose achten! Während SGLT-2-Inhibitoren in der Regel gut vertragen werden, bestehen doch gewisse Sorgen hinsichtlich bestimmter Nebenwirkungen. Das betrifft einmal die in der Praxis gut be-
Abbildung: Änderung der in Woche 4 dokumentierten Insulindosis gegenüber dem Bedarf bei Studienbeginn. (Quelle: Pieper et al.: EASD 2015; Abstract 181)
herrschbaren Harnwegsinfekte, darüber hinaus jedoch das Risiko einer Ketoazidose, das besonders dann relevant werden könnte, wenn diese Substanzen auch beim Typ-1-Diabetes Anwendung finden. Die Hintergründe sind unklar. Vermutet wird eine verstärkte Glukagonausschüttung, die zu einer Verschiebung des Verhältnisses von Insulin zu Glukagon führen kann. Prof. Anne Peters von der Keck School of Medicine verweist auf eine von ihr publizierte Fallserie von Patienten, bei denen unter Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren eine euglykämische Ketoazidose aufgetreten ist (5). Von den insgesamt neun Patienten waren allerdings sieben Typ-1-Diabetiker mit Off-label-Einnahme eines SGLT-2-Inhibitors. Dies ist insofern besonders problematisch, da amerikanische Diabetologen, darunter sie selbst, mit diesem Off-label-Einsatz sehr gute Erfolge bei schwer einstellbaren Patienten erzielen. Allerdings kam es auch unter ihren Patienten bereits zum Auftreten von Ketoazidose. In diesen individuellen Fällen sei es jedoch gelungen, durch Lebensstilmassnahmen das Risiko zu minimieren. Peters berichtete von einer Patientin, die ihren SGLT-2Inhibitor immer dann absetzt, wenn sie mit Freunden ausgeht und Alkohol konsumiert. Generell habe sich auch in den bis anhin mit Typ-1-Diabetikern durchgeführten Studien gezeigt, dass sich eine Ketoazidose unter Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren in der Regel als Folge besonderer Lebensereignisse wie zum Beispiel schwerer Infektionen beziehungsweise bei unzureichender Insulintherapie – etwa aufgrund des Versagens der Insulinpumpe – einstelle. Beim Typ-2-Diabetes ist das Risiko einer Ketoazidose sehr viel geringer. Eine Analyse des Studienprogramms zu Canagliflozin mit mehr als 17 000 Patienten ergab eine Inzidenz für Ketoazidose von weniger als 0,1 Prozent. Betroffen waren Patienten, die auch mit Insulin behandelt wurden, und auch in dieser Population waren in der Regel auslösende Faktoren wie schwere Infektionen im Spiel (6). Peters: «Das sind sehr seltene Ereignisse, aber sie kommen vor.» Vorsicht sei beispielsweise nach operativen Eingriffen unter Allgemeinanästhesie geboten.
Reno Barth
Quelle: Oral Presentations «Renal rounds: diabetes and the kidney» und «Understanding the effects of SGLT inhibitors», Poster Event «SGLT-2 inhibitors: new insights, new uses» am 51. Jahrestreffen der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 14. bis 18. September 2015 in Stockholm.
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Referenzen: 1. Nunoi K et al.: The effect of SGLT-2 inhibitor, tofogliflozin on the urinary albumin excretion rate by the degree of albuminuria in Japanese type 2 diabetes. EASD 2015, Abstract 164. 2. Lambers Heerspink HJ et al.: Dapagliflozin reduces albuminuria on top of renin-angiotensin system blockade in hypersensitive patients with diabetes. EASD 2015, Abstract 185. 3. Pieber TR et al.: Empagliflozin reduces HbA1c with lower insulin doses in patients with type 1 diabetes: a 4-week placebo-controlled trial (EASE-1). EASD 2015, Abstract 181. 4. Kaspers S et al.: Empagliflozin decreases glucose exposure and variability in patients with type 1 diabetes: continuous glucose monitoring data (EASE-1). EASD 2015, Abstract 763. 5. Peters AL et al.: Euglycemic Diabetic Ketoacidosis: A Potential Complication of Treatment With Sodium-Glucose Cotransporter 2 Inhibition. Diabetes Care 2015; 38 (9): 1687–1693. 6. Erondu N et al.: Diabetic Ketoacidosis and Related Events in the Canagliflozin Type 2 Diabetes Clinical Program. Diabetes Care 2015; 38 (9): 1680–1686.
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