Transkript
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
Wem nützen Ärztenetze?
In Winterthur gibt es zwei
Ärztenetze. Eines davon ist
WintiMed, das dieses Jahr
sein zehnjähriges Jubiläum
feiert. Im Folgenden zeigt der
medizinische Geschäftsleiter
dieses Ärztenetzes auf,
welche Vorteile ein Netz den
Patientinnen und Patienten,
den beteiligten Ärztinnen
und Ärzten, den Kranken-
versicherern und andern
Partnern wie Forschungs-
institutionen bringen kann.
Christian Marti
D as Ärztenetz WintiMed besteht seit zehn Jahren. Wer hat einen Nutzen von WintiMed? Was nützt ein solches Ärztenetz den Patientinnen und Patienten? Das WintiMed-Leitbild (siehe Kasten) enthält einige Nutzenüberlegungen aus der Perspektive des Ärztenetzes. Eines der erklärten Ziele beispielsweise ist es, Vorteile zu schaffen für PatientInnen, WintiMed-Praxen und Partnerkassen.
Patientennutzen
Netze können eine Betreuungskultur entwickeln, die bestimmte Menschen in unserer pluralistischen Gesellschaft mehr anspricht als andere. Die WintiMed-Ärztinnen und -ärzte beispielsweise sind bestrebt,
■ im Rahmen einer partnerschaftlichen Medizin die persönlichen Gesundheitsvorstellungen der PatientInnen zu respektieren und die Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern ■ den Patienten in einem extrem fragmentierten Gesundheitssystem eine sorgfältig koordinierte Behandlung zu bieten ■ Chancen und Risiken, Möglichkeiten und Grenzen, Nutzen und Kosten von Interventionen aller Art gegeneinander abzuwägen. Wieweit Patienten heute solche qualitative Bemühungen (schon) als Nutzen wahrnehmen und wie sehr die Bemühungen den Patientenbedürfnissen gerecht werden, ist allerdings eine andere Frage. Wer die Frage nach dem Patientennutzen stellt, müsste eigentlich Patienten befragen! Leider gibt es aber für die Schweiz keine entsprechenden Untersuchungen. Ein unbestrittener Patientennutzen hingegen sind die finanziellen Vorteile von besonderen Versicherungsformen: die Prämienrabatte und verringerten Kostenbeteiligungen, die dank einer Ärzteselektion im Rahmen von Hausarzt- und HMO-Modellen möglich werden. ■ In den letzten zehn Jahren haben allein die durchschnittlich 5000 «Hausarzt-Versicherten» der relativ kleinen Ärztegruppe WintiMed dank Prämienrabatten von zwischen 8 und 15 Prozent von Prämienvergünstigungen im Umfang von insgesamt über 10 Millionen Franken profitiert. ■ Versicherte, welche WintiMed im Rahmen eines Budgetvertrags betreut, werden seit Jahren kostenlos gegen Grippe geimpft. Ausserdem können sie zu vergünstigten Bedin-
Christian Marti
Kasten:
WintiMed-Leitbild
■ Die PatientInnen sind unsere PartnerInnen. Wir respektieren ihre persönlichen Gesundheitsvorstellungen und fördern die Hilfe zur Selbsthilfe.
■ Wir sind uns der Möglichkeiten und Grenzen der Medizin bewusst.
■ Der vernetzten Medizin gehört die Zukunft, denn gemeinsam erreichen wir mehr.
■ Wir schaffen Vorteile für PatientInnen, WintiMed-Praxen und Partnerkassen.
■ Wir gehen mit Menschen und Umwelt sorgsam um.
■ Wir bauen Brücken und gehen neue Wege.
Weitere Informationen finden sich im Internet unter: www.wintimed.ch («über uns»).
gungen in der Herzgruppe (kardiale Rehabilitation Phase III) mitmachen. ■ Wenn ganze Ärztegruppen wie WintiMed und das MediX-Praxisnetz Zürich dank gemeinsamem Einkauf günstige Konditionen aushan-
Managed Care 7 ● 2004 13
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
deln, dann profitieren alle Patienten dieser Netze davon – unabhängig vom Versicherungsstatus. So entspricht der Verzicht des externen Partner-Labors auf die Bearbeitungsgebühr von 12 Franken pro Auftrag einer durchschnittlichen Vergünstigung von mehr als 10 Prozent.
Nutzen für die NetzärztInnen
Vernetzung kann man auch als Bündelung von Ressourcen verstehen. Grosse Vorteile für Netzärztinnen und -ärzte sind der intensive Erfahrungsaustausch und der grössere Einfluss bei Verhandlungen mit andern Playern im Gesundheitswesen. Die Übernahme von Budgetverantwortung schärft das Qualitäts- und Kostenbewusstsein und erlaubt es gleichzeitig, ärztliche Arbeiten im Dienst der Systemsteuerung und -entwicklung zu finanzieren. ■ Im Rahmen der mehrmals monatlich stattfindenden Teamsitzungen fördert das WintiMed-Netz zum Beispiel den intensiven Austausch über fachliche, organisatorische, das heisst zwischenmenschliche, und finanzielle Aspekte der täglichen Arbeit. So kommen in den Teamsitzungen regelmässig die Möglichkeiten und Grenzen von alten und neuen medizinischen Methoden, aber auch die Stärken und Schwächen der lokalen Leistungsanbieter zur Sprache. Dieses ständige Teilen von Informationen und Erfahrungen aller Art hilft den NetzärztInnen, sich im sich ständig wandelnden Dschungel der Gesundheitsversorgung wirksam zu orientieren. Zum Erfahrungsaustausch gehört auch die routinemässige Frage nach kritischen Zwischenfällen. Das Besprechen von eigenen Missgeschicken in einem Klima von gegenseitigem Respekt und Vertrauen hilft, aus Fehlern zu lernen, und wirkt gleichzeitig entlastend.1 ■ Die Entwicklung vieler Ärztenetze in der Schweiz ist eng verknüpft mit speziellen Vergütungsformen (Hausarztmodelle mit und ohne Budgetmitverantwortung des Netzes), die
zwischen Versicherern und Ärzten vertraglich vereinbart werden. Vernetzte Praxen können eine Verhandlungs- und Einkaufsmacht aufbauen. Dies erhöht die Chancen auf eine vertraglich abgesicherte Zusammenarbeit mit Versicherern und andern Playern im Gesundheitswesen. Dank gemeinsamem Einkauf kann auch die Wirtschaftlichkeit der Praxis und der Ärztegruppe optimiert werden. Dies verlangt allerdings eine Organisationskultur innerhalb des Netzes, welche Transparenz, gegenseitigen Respekt sowie Konflikt- und Konsensfähigkeit fördert und auf Verbindlichkeit baut. Ein Massstab für die Verbindlichkeit eines Netzes ist, ob und in welchem Umfang es Budgetmitverantwortung übernimmt.
■ Ein Vorteil für die Ärzte in Netzen mit Budgetverantwortung ist zudem, dass sich hier eine vernünftige Medizin, beispielsweise in Form der Schulung von Herzinsuffizienzpatienten zur Vermeidung von Hospitalisationen, lohnt. Ein weiterer Vorteil für die WintiMed-NetzärtzInnen war bisher die
1 Eine Liste der vielfältigen medizinischen, organisatorisch-zwischenmenschlichen und finanzpolitischen Themen, die an den Teamsitzungen im Jahr 2003 besprochen wurden, findet sich im Internet: www.wintimed.ch/Teamsitzungen03.pdf
14 Managed Care 7 ● 2004
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
rasche und unbürokratische Lösung verschiedener alltäglicher Probleme, solange nicht nur die Budgetverantwortung, sondern auch die Leistungsabwicklung beim Ärztenetz lag. So konnten zum Beispiel ein Teil der Kosten einer Haushalthilfe zur Abkürzung eines Spitalaufenthaltes, die Kosten einer nichtärztlichen anstelle einer ärztlichen Psychotherapie sowie die Kosten eines Taxis anstelle einer Ambulanz für eine psychiatrische Klinikeinweisung übernommen werden. Mit Rücknahme der Leistungsabwicklung durch die Versicherer ist dieser Vorteil leider in Frage gestellt, weil einige (nicht alle!) Versicherer sich konsequent auf den Leistungskatalog der Grundversicherung beschränken, selbst wenn günstigere und bessere Alternativen vorliegen. Schliesslich sei betont, dass die Organisationskultur eines Netzes (wie die am Netz Beteiligten miteinander umgehen) und die Betreuungskultur eines Netzes (wie die Patienten ihre Behandlung erleben) zwangsläufig eng miteinander zusammenhängen.
Nutzen für Versicherer
Die Zusammenarbeit mit Ärztenetzen erlaubt es den Versicherern, im Bereich der obligatorischen Grundversicherung spezielle Versicherungsprodukte anzubieten, die sie unterschiedlich ausgestalten können und mit denen sie unterschiedliche Zielgruppen ansprechen können. Für Aussenstehende ist nicht immer klar, ob der einzelne Versicherer den Hauptnutzen solcher Produkte und der Zusammenarbeit mit Ärztenetzen in einer stärkeren Kundenbindung, in einer Kostendämpfung oder in der Qualitätsentwicklung sieht. Die vertraglich geregelte Zusammenarbeit umfasst heute eine Vielzahl von Projekten zu organisatorischen und medizinischen Themen wie Gewichtung der Morbidität in einem Kollektiv, Erarbeitung und Anwendung von Guidelines, Förderung des Generika-Einsatzes und viele andere mehr. Im Bereich besonderer Versicherungsformen wie Hausarzt- oder HMO-Modell besteht für die Ver-
tragspartner übrigens kein Vertragszwang. Deshalb entspricht das Verhältnis zwischen Versicherern und Ärztenetzen einem gesundheitspolitisch wichtigen Experimentierfeld zu den Fragen um die Lockerung oder Aufhebung des Vertragszwangs.
Potenzial für die Forschung
Je höher der Organisationsgrad und die Professionalität eines Netzes, desto grösser wird das Potenzial für die Forschung in der ambulanten Grundversorgung. So beteiligte sich WintiMed 2003/2004 an zwei universitären Studien über «Gesundheitsförderung im Alter» und «Beurteilung der Triagequalität eines Call-Centers». Bei interessanten und praxisrelevanten Fragestellungen kann die Netzleitung die Projektorganisation und die Rekrutierung von Praxen beziehungsweise Patienten für forschende Instanzen erheblich vereinfachen.
Wie weiter?
Immer mehr Einzel- und Gruppen-
praxen schliessen sich in Ärztenet-
zen zusammen. Wem alles dies nützt,
hängt entscheidend von den Moti-
ven und Zielen eines Netzes ab. Ver-
netzung kann genauso gut der ärztli-
chen Besitzstandwahrung wie der
Mit- und Neugestaltung des Ge-
sundheitswesens dienen. Dadurch,
dass Vernetzung die Entwicklung
vom ärztlichen Einzelkämpfer zum
Teamplayer fördert, vermag sie je-
denfalls für viele ÄrztInnen die Be-
rufszufriedenheit zu steigern. Auch
finden experimentierfreudige und
unternehmenslustige Netze mit ei-
nem gewissen Organisationsgrad
weiterhin Partner für gemeinsame
Projekte im Bereich der Gesund-
heitssystemforschung und -entwick-
lung. Damit Ärztenetze aber als
integriertere Versorgungsnetze ihr
Potenzial auf breiter Basis entfalten
können, sind wesentliche Änderun-
gen der gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen erforderlich. Budgetverant-
wortung ist ein starker Anreiz für
Qualitäts- und Kostenoptimierung.
Ohne unternehmerische Freiräume
macht sie jedoch nicht nur keinen
Spass – sie ist unmöglich.
■
Fotos: Stefan Kubli, Winterthur
Autor:
Dr. med. Christian Marti
Medizinischer Geschäftsleiter WintiMed
Rosinliweg 44 8400 Winterthur E-Mail: christian.marti@hin.ch
Managed Care 7 ● 2004 15