Transkript
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
Ein Medizinal- und Gesundheitscluster für
Winterthur – die greifbare Vision für eine nachhaltige Entwicklung
Verfügt die Region Winter-
thur über die notwendigen
Voraussetzungen für die
Bildung eines Medizinal- und
Gesundheitsclusters? Welche
Vorteile kann eine solche
Entwicklung der Region
bringen? Der Leiter des Zen-
trums Sustainability der
Zürcher Hochschule Win-
terthur nimmt eine Standort-
bestimmung vor und zeigt,
wo Handlungsbedarf besteht.
Erich Renner
C lustering bedeutet wörtlich das zielgerichtete und geplante Zusammenballen von einzelnen Punkten oder Elementen zu einem definierbaren System (z.B. von Häusern, Geschäften, öffentlichen Einrichtungen usw. zu einer Stadt). Im wirtschaftlichen Sinn meint Clustering das geplante, zielgerichtete Verflechten von Unternehmen einer Wertschöpfungskette innerhalb einer Region, welches Anziehungskräfte bewirkt, die unter den globalisierten Bedingungen eine neue Wirtschaftsdynamik auslösen1. Es geht also darum, verschiedenste, sich unterstützende Bereiche gemeinsam aufzubauen, und zwar auf ein Zielsystem (Produkt) hin, das sich auf dem Markt behaupten kann. Dazu braucht es Wissen und Können für die Entwicklung und
Fertigung, eine gesicherte Finanzierung, von der Produktion bis hin zur Vermarktung, geeignete Produktionsstätten, Zulieferbetriebe und Absatzkanäle, die Logistik für den Personen- und Warentransport, eine umfassende Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte, aber auch soziale und kulturelle Institutionen und ein qualitativ hoch stehendes Lebensumfeld. Meist werden dabei bereits vorhandene Angebote und Kräfte genutzt und neu orientiert. So wurde beispielsweise in Montebelluno in Oberitalien das bestehende Schusterhandwerk weiter entwickelt und zur Fertigung von Sportschuhen ausgebaut, sodass heute rund 90 Prozent aller weltweit getragenen Skischuhe jeglicher Marken aus dieser Stadt kommen. Und in Boston in den USA hat sich «der Technologieschwerpunkt in der Region weg von Militärelektronik und Minicomputern hin zu Software-Entwicklung, EDVNetzwerken und Biotechnologien»2 verschoben, sodass unter anderem ein erfolgreicher Biotechnologiecluster entstanden ist. Im Folgenden wird aufgezeigt, welche Voraussetzungen Winterthur als Zentrum eines zukünftigen Medizinal- und Gesundheitsclusters mitbringt und inwiefern die Region von einer solchen Entwicklung profitieren könnte. Und schliesslich wird gefragt, wo und wie aktuell dringend zu handeln ist.
Was Winterthur mitbringt
Winterthur war im vorletzten und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Teil eines Textilclusters, indem es Maschinen zuerst für die Textilindustrie im Tösstal und dann für den
Erich Renner
Weltmarkt herstellte. Aus diesen Fertigkeiten entwickelte sich dann, unterstützt durch das Technikum Winterthur, eine eigene Maschinen- und Antriebsindustrie, die sich mit Dieselmotoren für Kraftwerke, Schiffsantriebe und Lokomotiven weltweit einen Namen machte. Die genannten Produkte sind im Gefolge der Globalisierung in der Schweiz nicht mehr gewinnbringend zu erzeugen. Das technische Knowhow hingegen machen sich die SulzerNachfolger beispielsweise in der Medizinaltechnik weiterhin zu Nutze, um mit technischen Systemen Körperfunktionen zu unterstützen. Dank der Mikro- und Nanotechnik sind den Entwicklungen in diesem Bereich künftig kaum Grenzen gesetzt. Die neuen Technologien werden aber auch ungeahnte diagnostische und therapeutische Fortschritte bringen.
1 Nach: Porter, Michael E.: The Competitive Advantage of Nations, New York 1990.
2 Bathelt, Harald: Vom «Rauschen» und «Pfeifen» in Clustern: Reflexive Informations- und Kommunikationsstrukturen im Unternehmensumfeld. In: Geographica Helvetica, Zürich 2/2004, S. 96.
10 Managed Care 7 ● 2004
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
Fotos: Stefan Kubli, Winterthur
In Winterthur ist also Wissen und Können vorhanden, das es erlaubt, eine zukunftsträchtige Produktpalette als Zielsystem für einen Medizincluster zu definieren. Die Entwicklung dieser Produktpalette benötigt aber die Hilfe der Anwender: Es braucht Ärzte, Spitäler und Therapiestationen, die in direktem Kontakt mit den Erzeugern Produkte zur Marktreife bringen. Dies erfordert ein kommunikatives Umfeld und das Bewusstsein, gemeinsam am Wirtschaftsstandort Winterthur zu arbeiten. Es bedingt aber auch gegenseitiges Verständnis: Medizinisches Personal braucht technische Fähigkeiten, und die Techniker müssen von den Lebewesen etwas verstehen. Dies erreicht man mit gemeinsamer Weiterbildung oder durch Zusatzwissen in den Grundausbildungen. Der Bildungsstandort Winterthur bietet sich in vorzüglicher Weise an, um hier wegweisend voranzugehen. Die Fachhochschule im technischen Bereich besteht bereits; sie kann sich auf neue Anwendungsgebiete ausrichten. Die höhere Fachausbildung
in den medizinischen und pflegerischen Berufen ist im Umbruch. Winterthur sollte Standort einer neuen Gesundheitsfachhochschule werden, um Synergien nutzen zu können. Das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie (WIG), unterstützt durch weitere Institute der Zürcher Hochschule Winterthur (ZHW), könnte in einem nächsten Schritt neben ökonomischen Themen auch das Gesundheits- und Medizinaltechnik-Marketing in sein Weiterbildungssortiment aufnehmen. Und schliesslich sollten auch die vielfältigen Ausbildungen im Bereich der Therapieangebote, der Präventionsmassnahmen und der Medizintechnik konzentriert und aufeinander abgestimmt werden. Auch diese Schulen sollten auf der Tertiärstufe (Fachhochschule) in Winterthur angesiedelt werden können. Mit dem vorhandenen technischen Know-how und dem ausbaufähigen Bildungsangebot verfügt Winterthur über das Potenzial, einen Medizinalund Gesundheitscluster aufzubauen. Eine solche Entwicklung wird durch
zahlreiche weitere positive harte und weiche Standortfaktoren3 begünstigt: die vorzügliche Verkehrsanbindung, den unternehmerischen Geist, die aufgeschlossene Verwaltung, die nach wie vor günstige Altersstruktur der Bevölkerung, das breite Angebot an Gewerberaum und Nutzflächen, die ideale Nähe zum Finanzplatz und kulturellen Zentrum Zürich und nicht zuletzt die enge Zugehörigkeit zum Wirtschaftsraum Zürich und zur Greater Zurich Area (GZA) mit allen wirtschaftlichen Vorteilen einer Metropole hohen Standards.
Was ein Cluster bewirken kann
Wenn es gelingt, auf diese Weise einen Medizinal- und Gesundheitscluster einzurichten, kann dies die Bevölkerungsstruktur positiv beeinflussen: Ausbildungsstätten bringen
3 Harte Standortfaktoren: Objektive, messbare Vorzüge oder Nachteile eines Produktionsstandortes; weiche Standortfaktoren: subjektive, eher qualitative Eigenschaften der Bedingungen wirtschaftlicher Tätigkeit in einem Raum. Nach: Grabow, Busso et al.: Weiche Standortfaktoren, Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Band 89, Berlin 1995.
Managed Care 7 ● 2004 11
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
12 Managed Care 7 ● 2004
junge Menschen in die Region. Sofern diese hier ein attraktives Lebensumfeld und Arbeitsplätze vorfinden, bleiben sie, finden Lebenspartner und gründen (auch heute noch) Familien. Somit verjüngt sich die an sich alternde Bevölkerung durch Zuzug und entgeht damit dem Teufelskreis von «Überalterung» und gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Attraktivitätsverlust. Die wirtschaftliche Prosperität dank eines Clusters – positive Kosteneffekte durch die Anziehungskraft regionaler Wertschöpfungsketten – ist für die Region Winterthur also von grosser Bedeutung, damit sie sich von den Rückschlägen der Deindustrialisierung erholen und mittels eines wissensbasierten Clusterings den Übergang zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft schaffen und so auch für junge Menschen wieder attraktiver werden kann. Nicht zuletzt macht ein Gesundheits- und Medizinalcluster Winterthur zu einem attraktiven Partner in der GZA. Synergien ergeben sich auf überregionaler Ebene zu den aufstrebenden Biotechnologieclustern im Limmattal und im süddeutschen Raum. Durch eine solche Vernetzung mit Partnern in anderen Wirtschaftsräumen wird es möglich, «den Zugang der Clusterakteure zu neuen Technologien und Märkten»4 und hiermit den längerfristigen Erfolg des Clusters zu sichern.
Was zu tun bleibt
Neben der Vernetzung vorhandenen Wissens, der Spezialisierung und der breiten Abstützung verlangt Clustering auch eine motivierende Vision, eine klare, breit kommunizierte Strategie und geeinte Kräfte im Sinne einer «Privat-Public-Partnership» (PPP)5. Reiner Eigennutz (privater wie öffentlich-politischer) und Eigenbrötlerei (unternehmerische wie lokalpatriotische) sind Gift für die Clusteridee. Vision muss eine nach-
4 Bathelt, Harald, 2004 (siehe Fussnote 2), S. 94 5 PPP: Auf das Ziel der Regionalentwicklung ausgerichtete
neue Partnerschaft zwischen öffentlicher Hand und privaten Interessen. Nach: Ruegg, Jean et al.: Le partenat public-privé, Lausanne 1994. 6 vgl. Thierstein, Alain: Anforderungen an ein zeitgemässes Standortmanagement, IDT-HSG, St. Gallen 1999.
haltige Entwicklung sein, die den zukünftigen Generationen in der Region Winterthur einen Lebensraum bietet, in welchem sich wirtschaftliche Aktivität entfalten kann, gemeinschaftliches Zusammenleben gefördert wird und höchste Lebensqualität bezüglich Wohnen und Erholungsmöglichkeiten vorhanden ist. Um eine solche Vision umzusetzen, ist eine breite Information und Kommunikation in der Bevölkerung erforderlich, denn in unserem demokratischen System dürfen Ideen nicht erst auf eine Abstimmung hin verbreitet werden, wenn sie an der Urne Erfolg haben sollen. Die StimmbürgerInnen müssen darauf vorbereitet sein, allfällige Investitionen als solche zu erkennen und nicht als missliebige Ausgaben der öffentlichen Hand zu verstehen. Wissenschaftliche Studien können den volkswirtschaftlichen Nutzen und die positiven gesellschaftlichen Wirkungen der Clusterbildung bestens belegen. Auch die Unternehmer, die Finanzinstitute und die privaten wie institutionellen Anleger sind von den Chancen einer solchen Vision zu überzeugen und in die Strategiefindung einzubeziehen; die politischen und wirtschaftlichen Kreise sind gefordert, gemeinsam zu handeln. Clustering erfordert also ein geschicktes Standortmanagement6, das über das (Standort-)Marketing hinausgeht und die Idee in die Köpfe hinein und in die Welt hinausträgt. Clustering bedingt aufgeschlossenes Denken und gemeinsamen Gestaltungswillen, und es fordert die unterschiedlichen Akteure zu konzertiertem Handeln auf. Nur so kann eine Region Erfolge erzielen im unerbittlichen globalen Standortwettbewerb, dem mit rein ökonomischen Massnahmen nicht standzuhalten ist. ■
Autor:
Prof. Dr. sc. nat. ETH Erich Renner
Dozent für Wirtschaftsgeografie Leiter Zentrum
Sustainability, zsa-ZHW Zürcher Hochschule Winterthur
Technopark, Jägerstrasse 2 8401 Winterthur
E-Mail: erich.renner@zhwin.ch