Transkript
GESUNDHEITSPLATZ WINTERTHUR – UNTERNEHMERGEIST UND PATIENTENORIENTIERUNG
Winterthur als Standort für die Gesundheitsbranche
Winterthur besitzt viele
Kompetenzen im Gesund-
heitsbereich. Zahlreiche spe-
zialisierte Unternehmen
aus der Wertschöpfungskette
der Gesundheitsbranche sind
in Winterthur tätig. Die
Zahl der Beschäftigten im
Gesundheitsbereich nimmt
zu. So entsteht allmählich
ein eigentlicher Gesund-
heitscluster: ein System
verflochtener Unternehmen.
Der Stadtpräsident zeigt
auf, welche Chancen und
Risiken damit verbunden
sind.
Ernst Wohlwend
E in Cluster von Wirtschaftszweigen im regionalwirtschaftlichen Sinne entsteht gemäss Borner1 durch das Zusammenwirken von verwandten und zuliefernden Firmen und Branchen, die geografisch und wirtschaftlich eng miteinander verflochten sind und sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenseitig bestärken. Die Vorteile einer solchen räumlichen Nähe sind:
1 Gemäss Borner [1], zitiert von P. Dümmler, IRL-Institut ETH Zürich, anlässlich eines Referats zur Theorie und Praxis des Clusterkonzepts vom 22. Juni 2004.
■ Ein schneller und intensiver Austausch von Informationen wird möglich. ■ Das kreative Umfeld im entsprechenden Fachgebiet wirkt ansteckend und erhöht die Innovationskraft. ■ Der Stock von qualifizierten Arbeitskräften wächst. ■ Zulieferfirmen siedeln sich an. ■ Der Zusammenschluss von Kompetenzen bewirkt eine verstärkte Beachtung im In- und Ausland. Allgemein bekannt geworden ist der Begriff «Wirtschaftscluster» wohl durch das «Silicon Valley», ein abgelegenes Tal im Westen der Vereinigten Staaten, wo sich eine Vielzahl von Unternehmen aus dem Informations- und Kommunikationssektor ansiedelten und sehr erfolgreich waren. Die «Greater Zurich Area», ein Zusammenschluss verschiedener Kantone, Regionen und Städte, wirbt zurzeit mit den Clustern «Headquarters», «Life Science», «Finanzdienstleistungen», «New Media» und «High Tech» um Investitionen im Grossraum Zürich. Für Winterthur hat der Hightech-Cluster eine grosse Bedeutung, insbesondere auch der darin enthaltene Bereich der Medizinaltechnik. Zurzeit wird von der Kantonalen Wirtschaftsförderung geprüft, ob sich auch der Kulturbereich – ein im Übrigen für Winterthur ebenfalls sehr wichtiger Wirtschaftszweig – für eine Clusteringstrategie eignet. Ein Gesundheitscluster im engeren Sinn besteht in Winterthur zurzeit noch nicht. Doch die Anhäufung von Unternehmen und Institutionen aus dem Gesundheitsbereich zeigt, dass ein Cluster am Entstehen ist. Dazu gehören unter anderem fol-
Ernst Wohlwend
gende Firmen und Institutionen: Winterthur (Versicherungen), Swica (Krankenversicherung), Sanacare AG, Bluecare AG für Ärzteberatung, WintiMed und Hawa (innovative Hausarztnetze aus Winterthur), Integrierte Psychiatrie Winterthur IPW, Kantonsspital Winterthur, Selbsthilfezentrum, Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie WIG, TrustX Management AG (Entwicklung von Ärzte-Software), Klinik Lindberg, Zimmer (ehemals Centerpulse), um nur einige Namen zu nennen. Der Stadtrat von Winterthur hat deshalb die gezielte Förderung des Gesundheitsclusters als ein wichtiges Element der Wirtschaftsförderung in seine Legislaturziele aufgenommen.
Wie bedeutend ist der Gesundheitscluster?
Die Abgrenzung, welche Bereiche zum Winterthurer Gesundheitscluster gehören und welche nicht, fällt nicht leicht. Zahlen dazu sind kaum vorhanden. Eine erste Schätzung ist anhand der eidgenössischen Betriebszählung möglich, welche die
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Zahl der Arbeitsplätze aller Branchen mit Bezug zum Thema «Gesundheit» erfasst (siehe Abbildung). Es zeigt sich, dass der gesamte Gesundheitsbereich von gut 7000 Beschäftigten im Jahr 1991 um 2200 Beschäftigte oder 30 Prozent auf knapp 9300 Beschäftigte im Jahr 2001 zugelegt hat; das grösste Wachstum verzeichnete dabei der Gesundheitsbereich im engeren Sinn. Insgesamt arbeiten heute in Winterthur knapp 18 Prozent aller Beschäftigten innerhalb des Gesundheitsclusters. Klammert man den Sozialbereich aus (v.a. Wohnheime), kommt man immer noch auf über 7300 Beschäftigte. Was in Winterthur dagegen fehlt, ist die Pharmaindustrie. Um international effektiv als Ballung wahrgenommen zu werden, ist der Gesundheitsplatz Winterthur noch zu klein. Es drängt sich deshalb eine Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit der Kantonshauptstadt Zürich auf. Zu verstärken sind auch die Verbindungen zum Universitätsspital. Erfreulich sind die Entwicklungen im Gebiet der Ausbildung in den Gesundheitsberufen. So sollen die heute noch auf 25 Schulen verteilten Ausbildungen im Gesundheitswesen auf die beiden Standorte Zürich und Winterthur konzentriert werden. Am zukünftigen Zentrum für Bildung im Gesundheitswesen in Winterthur werden rund 1800 Lernende mit Schwerpunkt medizinisch-therapeutische Berufe ihre Ausbildung absolvieren. In welcher Form die notwendige Ergänzung der Ausbildung auf Fachhochschulebene erfolgen soll, ist noch nicht definitiv entschieden.
Was spricht für den Standort Winterthur?
Neben der oben erwähnten Anhäufung von Firmen mit Tätigkeit im Gesundheitsbereich im weiteren Sinn sind vor allem folgende Eigenheiten Winterthurs hervorzuheben, welche ein Gesundheitscluster positiv beeinflussen:
■ Gebündelte Kompetenzen im Gesundheitsbereich: Mit der Gründung des Winterthurer Instituts für Ge-
10000 9000 8000 7000 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0
Beschäftigte 1991
Beschäftigte 1995
Beschäftigte 1998
Beschäftigte 2001
Sozialbereich (Wohnheime usw.) Gesundheitsbereich im engeren Sinn Versicherungen, Krankenkassen, Sozialversicherungen Industrie
Abbildung: Gesundheitscluster Winterthur
sundheitsökonomie WIG an der Zürcher Hochschule Winterthur (ZHW) ist es gelungen, einen effizienten Zugang zu spezialisiertem Wissen zu gewinnen. Insbesondere im Bereich der medizinischen Nutzenforschung hat sich der Forschungsplatz Winterthur bereits einen Namen gemacht. Die Nutzenforschung wird angesichts der Tatsache, dass die Gesundheitskosten immer noch im Steigen begriffen sind, in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.
■ Gutes Klima für Public-PrivatePartnership: Mit Stolz darf man auf die vielen gemeinsamen Projekte von privaten Firmen, der ZHW und der Stadt Winterthur verweisen. Etliche grössere Projekte wurden von mehreren Partnern gemeinsam angegangen. Ein hervorragendes Beispiel im Gesundheitsbereich stellt der Förderverein des WIG dar (siehe Kasten). Die Mitgliederliste widerspiegelt den breit gefächerten Gesundheitscluster von Winterthur: die Ärztegesellschaften, das Kantonsspital, Kranken- und Privatversicherer, die SUVA, eine Ärzte-Softwarefirma, ein Industrieunternehmen, der Ausbildungsbereich, das Stadtmarketing und die Stadt. Hier ist es beinahe exemplarisch gelungen, Know-how und Finanzen auch für Querschnittsprojekte zu bündeln. Dadurch sind
Kasten:
Vorstand des Fördervereins WIG
Ärztegesellschaft der Bezirke Winterthur/Andelfingen (Dr. Luzi Dubs, Präsident)
Ärztegesellschaft des Kantons Zürich (Prof. Dr. Peter Jaeger)
Groupe Mutuel (Jürg Stahl)
Kantonsspital Winterthur (Jacques F. Steiner)
kmu-Krankenversicherung (Jürg Allenspach, Kassier)
Klinik Lindberg (Beat Wolfer)
Schweizerischer Versicherungsverband (Dr. Bruno Soltermann)
Stadt Winterthur (Ernst Wohlwend)
SUVA (Fürsprecher, LL. M. Angelo M. Eggli)
SWICA Gesundheitsorganisation (Nicole Graf)
Winterthur-Versicherungen/wincare (Dr. Andreas Roos, Vizepräsident/Martin Bründler)
Zimmer GmbH (Roland Brühlmann)
Zürcher Hochschule Winterthur (Dr. Andreas Bergmann)
Der Verein selber zählt rund 110 Mitglieder (60 Kollektiv- und 50 Einzelmitglieder).
Quelle: www.wig.ch
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Fotos: Eindrücke aus Winterthur Stefan Kubli, Winterthur
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Anschubfinanzierungen für innovative Projekte möglich geworden. Dieses Modell ist auch Ausdruck eines beispielhaften Zusammengehörigkeitsgefühls und einer guten Gesprächskultur innerhalb unserer Stadt. ■ Hohe Lebensqualität: Gute Leistungen und ein innovatives Klima herrschen nur dort, wo die Leute sich wohlfühlen. Der Stadtrat engagiert sich deshalb nach Kräften, die Lebensqualität in der Stadt und ihren vielseitigen Quartieren nachhaltig zu sichern und wo nötig zu verbessern. Insbesondere in der Kulturförderung kann sie auf ihre neuesten Erfolge (Fotozentrum, Casino usw.) stolz sein.
Chancen und Risiken des Gesundheitsclusters
Eine Ballung von wirtschaftlich sehr eng miteinander verflochtenen Betrieben und Branchen könnte auch als Klumpenrisiko empfunden werden. So wird etwa die Anhäufung von Finanzarbeitsplätzen in der Stadt Zürich nicht nur als Chance, sondern oft auch als Risiko für die Stadt angeführt. Tendenziell sollten nur jene Cluster gefördert werden, welche nachhaltig eine hohe Wertschöpfung aufweisen oder über ein grosses Wachstumspotenzial verfügen. Diese Bedingungen sind im Gesundheitsbereich nur teilweise erfüllt. Insbesondere die steigenden Kosten des Gesundheitswesens könnten langfristig ein gewisses
Risiko darstellen, indem dem «medi-
zinischen Fortschritt» und der medi-
zinischen Machbarkeit mit Sicher-
heit gewisse Grenzen gesetzt werden
müssen. Aber Winterthur hat auch
diesbezüglich eine gute Ausgangs-
lage, indem sich die unterschiedlichs-
ten Vertreter und Vertreterinnen des
Gesundheitsclusters, an vorderster
Front die Ärzteschaft, dieser
grundsätzlichen Problematik ange-
nommen haben und begonnen ha-
ben aufzuzeigen, wo die möglichen
Auswege zu finden sind.
Der Stadtrat von Winterthur ist zu-
versichtlich, dass der Gesundheits-
platz Winterthur in den nächsten
Jahren noch für positive Schlagzei-
len sorgen wird und dass die Chan-
cen eines wachsenden Gesundheits-
clusters für unsere Stadt weitaus
grösser sind als die Risiken.
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Autor:
Ernst Wohlwend
Stadtpräsident der Stadt Winterthur Stadthaus
8402 Winterthur E-Mail: Ernst.Wohlwend@win.ch
Literatur:
1. Borner, S., Porter, M.E. et al. (1991): Internationale Wettbewerbsvorteile – ein strategisches Wettbewerbskonzept. Frankfurt: CampusVerlag.