Transkript
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Problemfall: Holzsplitter im Handgelenk
Eine Kasuistik aus dem Alltag einer Hausarztpraxis
FRITZ MEYER
Durch Unfallfolgen von aussen in den Menschen gelangte Gegenstände können diagnostisch wie therapeutisch äusserst problematisch sein. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die vermuteten Teile im Röntgenbild nicht oder nur schlecht darstellbar sind. Holzsplitter gehören als eine der häufigsten Fremdkörper des Menschen jener Kategorie an (1). In der Fälleverteilung des unausgelesenen Krankengutes nehmen Fremdkörper unter der Haut oder den Nägeln Rang 189 beziehungsweise 136 bei Braun und Landolt-Theus ein (2) und sind damit auch für den Hausarzt ein regelmässig häufig vorkommender Beratungsanlass.
Wenn aufgrund der Anamnese oder des Aufnahmebefundes klar ist, dass es sich um Holz handelt und die Eintrittsstelle gut erkennbar ist (Abbildung 1), liegt in der Regel kein wirkliches Problem vor. Wie die folgende Fallgeschichte jedoch zeigt, können Diagnostik und Behandlung in Einzelfällen erhebliche Schwierigkeiten machen und für den Hausarzt bis zur definitiven Problemlösung eine grosse Herausforderung darstellen.
Ein folgenschwerer Sturz
Der zum Zeitpunkt des Unfalls 34-jährige Andreas H. wollte an einem kalten Januartag bei stark gefrorenem Boden einen Ackergraben überspringen, war dabei abgerutscht und gestürzt. Um den Sturz zu mildern, versuchte er, sich mit der rechten Hand abzufangen und durchschlug dabei die gefrorene Oberfläche einer Schmutzpfütze mit dem maximal überstreckten Handgelenk. Er verspürte dabei einen stechenden Schmerz, und als er die Hand wieder aus der Pfütze herausgezogen hatte, sah er nur eine kleine, scheinbar oberflächliche Stichwunde an der Volarseite des Handgelenkes. Weil er aber wenige Tage später in Urlaub fahren und kein Risiko eingehen wollte, zog er in der nächst grösseren Stadt einen Chirurgen zu Rate, der die Wunde lediglich mit einem Klammerpflaster primär verschloss. In der Nacht des Unfalltages begann das Handgelenk zunehmend zu schmerzen und zu schwellen und Herr H. kam deswegen am späten Nachmittag des nächsten Tages in unsere Sprechstunde. Bei der Erstuntersuchung fand sich in der volarseitigen Handgelenksmitte eine etwa 1 cm lange, oberflächlich leicht entzündete Stichwunde, aus der sich nach Entfernung des noch vorhandenen Klammerpflasters
putrides Sekret entleerte. Von dort aus erstreckte sich eine akute Lymphangiitis den Unterarm entlang etwa 15 cm weit nach proximal. Zudem klagte der Patient über eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung aller Finger der rechten Hand, die kaum geschlossen werden konnte. Nach Entnahme eines Wundabstriches und lokaler Wundtoilette wurden ein ruhig stellender Verband angelegt und eine perorale systemische Antibiotika-Therapie eingeleitet. Trotzdem kam es in den nächsten Tagen zu keinerlei Verbesserung, im Gegenteil, die Wunde eiterte noch mehr. Die wiederholte Frage, ob bei dem Sturz nicht eventuell doch ein Fremdkörper eingedrungen sein könnte, wurde vom Patienten stets verneint. Bei ausbleibender Besserung erfolgte wenig später die Vorstellung des Patienten in einer hand- und einer allgemeinchirurgischen Krankenhausambulanz mit der konkreten Überweisungsdiagnose «Fremdkörperverdacht»: Bei den dort durchgeführten klinischen und konventionellen radiologischen Untersuchungen konnten keine Fremdkörper dokumentiert werden, es wurden ausschliesslich lokale Wundbehandlungen und der Wechsel des Antibiotikums empfohlen.
Es wird einfach nicht besser
Unter täglicher Wundversorgung in der Praxis stagnierte der Heilverlauf weiterhin. Doch etwa drei Wochen nach dem Unfall wurde bei dem täglichen Verbandswechsel in der Tiefe der Wunde plötzlich eine dunkle Struktur sichtbar und mit der Pinzette gefasst. Es handelte sich um ein etwa 1,7 cm längliches und maximal 5 mm breites Stück eines Schilfrohrs. Die Ursache schien jetzt klar und in den folgenden Tagen entwickelte sich eine ausgeprägte
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Problemfall: Holzsplitter im Handgelenk
Abbildung 1: Hinter dem Ohr eingedrungener Holzfremdkörper (Speerspitze): Material und Eintrittsstelle klar zu identifizieren.
Besserung des Heilverlaufes, wobei der Patient jedoch unverändert starke Schmerzen im Beugesehnenfach des Unterarmes beim Faustschluss der rechten Hand verspürte. Obwohl die äussere Wunde inzwischen nahezu abgeheilt war, wurde aufgrund der Persistenz dieser Symptomatik eine Kernspintomografie des Unterarmes veranlasst. Hier fand sich proximal des Handgelenkes palmarseits im Bereich der Beugesehnen ein umschriebener Herd mit Flüssigkeitsansammlung und kapselartiger Begrenzung, zentral in ihm mehrere länglichschmale Strukturen (Abbildung 2). Die Sehnenscheiden der Beugesehnen zeigten eine entzündliche Mitreaktion. Wenige Tage später wurde der Patient in einer handchirurgischen Abteilung vorgestellt und aufgrund des MRT-Befundes dort auch operiert. Insgesamt konnten noch fünf weitere Schilfrohr-Teile entfernt werden (Abbildung 3). Die Operationswunde heilte im Wesentlichen primär ab, einen Monat später konnte der Patient seine Finger wieder schmerzfrei bewegen und einen, wenngleich noch schwachen, Faustschluss durchführen. Durch häus-
liches Bewegungstraining konnte dieses Defizit aber innerhalb einiger Wochen behoben werden, vier Monate nach dem verhängnisvollen Sturz war Andreas H. wieder beschwerdefrei und arbeitsfähig.
Regisseur Zufall
doch durch mehrere, unbemerkt vom Patienten eingedrungenen Holzfremdkörper verursacht worden sein könne. Die daraufhin veranlasste Magnetresonanztomografie (MRT) bestärkte diesen Verdacht, der in der folgenden Operation schliesslich auch definitiv belegt werden konnte.
Es waren mehrere Faktoren, die den anfänglich banal scheinenden Fall zu einem Problem werden liessen. Da war einmal
Bildgebende Verfahren bei Holzfremdkörpern
die Krankengeschichte: auch bei wieder- Wie unsere Kasuistik zeigt, kam es erst re-
holtem Nachfragen war sich der Patient lativ spät und nach einer Reihe kosten-
nahezu sicher, dass kein Fremdkörper intensiver Untersuchungen und fachärzt-
beim Unfall in seinen Unterarm einge- lichen Konsultationen zur definitiven
drungen war. Er vermutete vielmehr, dass Lösung des Problems. Vor- und Nachteile
die Schnittwunde am Handgelenk beim der unterschiedlichsten bildgebenden
Durchschlagen der gefrorenen Wasser- Verfahren zu kennen, hilft bei der Aus-
oberfläche entstanden war. Zwei ergän- wahl des richtigen diagnostischen Mittels.
zend konsultierte chirurgische Abteilungen Bei Metallfremdkörpern, nicht nur an der
stützten sich bei ihren Untersuchungen Hand, ist die konventionelle Röntgenauf-
auf diese Aussage, obwohl die Länge des nahme sicherlich die preisgünstigste und
Heilverlaufes zu Skepsis hätte Anlass ge- schnellste Methode, zumal sie nahezu
ben sollen und in der hausärztlichen Über- überall zur Verfügung steht (Abbildung 4).
weisung ausdrücklich auf diesen Verdacht Dies gilt aber nicht für den Holzfremdkör-
hingewiesen wurde.
per in der Hand: da sich inkorporiertes
Weil die Fremdkörper noch dazu aus Holz Holzmaterial aufgrund seiner Dichte vom
waren, wurden sie in den routinemässig umgebenden Weichteilgewebe nicht un-
durchgeführten konventionellen Rönt- terscheidet, sind Holzteile in der Hand mit
genbildern nicht sichtbar. Erst das zufällig einer Wahrscheinlichkeit von nur 15 bis
bei einem Verbandswechsel in der Praxis 33 Prozent auf der klassischen Röntgen-
entfernte Holzteil, das wahrscheinlich aufnahme erkennbar (3, 4). Xeroradiogra-
durch Abstossungsreaktionen im Laufe fie und Computertomografie haben eine
der Zeit an die Oberfläche gewandert war, höhere Sensitivität in der Auflösung von
liess erneut die Vermutung aufkommen, Weichteilkontrasten und können so die
dass der sehr verzögerte Heilverlauf eben diagnostische Aussage bei dichteähnlichen
Strukturen verbessern, einen
hölzernen Fremdkörper können
aber auch sie nicht mit Sicher-
heit ausschliessen (1).
Wie unser Beispiel zeigte, wur-
den durch die MRT die ent-
zündlichen und granulomatö-
sen Reaktionen des Körpers auf
die eingedrungenen Fremdkör-
per dokumentiert und die
durch Flüssigkeitsaufnahme of-
fensichtlich auch besser sicht-
bar gewordenen Holzteile dar-
gestellt: dies kann, aber muss
Abbildung 2: Kernspintomografische Aufnahme1 des rechten Handgelenkes (rote Pfeile: Holzfremdkörper, 1 = Radius, 2 = Ulna)
bei der MRT nicht immer so sein. Wie zahlreiche Autoren durch
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Verfahren deutlich überlegen und damit das bildgebende Verfahren der ersten Wahl (1, 6, 7). So konnten Bray und Mitarbeiter (7) zeigen, dass Holzfremdkörper in der Leichenhand mit einem hochauflösenden Ultraschallkopf (10 MHz) mit einer Sensitivität von 94 Prozent und einer Spezifität von 99 Prozent detektiert werden konnten.
allerdings festgestellt werden musste,
dass nicht alle radiologischen Fachkolle-
gen über den für dieses Problem notwen-
digen Ultraschallkopf (hochauflösend, 10
MHz) verfügen.
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Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de
Was hätte man bei
unserem Patienten besser
machen können?
Abbildung 3: Die aus dem Handgelenk entfernten Reste eines Schilfrohres
Oberflächlich retinierte Holzfremdkörper werden in der Hand oder
dem Handgelenk mit dem hoch-
auflösenden Ultraschall offensicht-
lich am besten entdeckt. Dies gilt
nicht nur für relativ kurz zurücklie-
gende Verletzungen wie in unse-
rem Fall. Selbst bei monatelang im
Gewebe der Hand befindlichen
und durch Narbengewebe einge-
schlossenen Holzfremdkörpern ist
die Sonografie den anderen bild-
gebenden Verfahren überlegen (9).
Allerdings gibt es auch hier eine
Einschränkung: die Sensitivität kann
bei sehr kleinen oder tief einge-
drungenen Holzteilen reduziert sein.
Abbildung 4: Röntgendichter Metallfremdkörper (Luftgewehrkugel) in den Gesichtsweichteilen eines Patienten
Bei unserem Patienten wäre es sicherlich sinnvoller gewesen, bei dem weiter bestehenden Verdacht
auf noch vorhandene, nicht rönt-
vergleichende Untersuchungen zeigen gendichte Holzfremdkörper eine hochauf-
konnten, ist die hochauflösende Ultra- lösende Ultraschalluntersuchung vor allen
schalluntersuchung gerade bei Holz- anderen radiologischen Verfahren durch-
fremdkörpern in der Hand allen anderen führen zu lassen, wobei auf Nachfrage
Dr. med. Fritz Meyer Facharzt für Allgemeinmedizin,
Sportmedizin, Facharzt für Hals-Nasen-
Ohrenheilkunde Zwinger 6
D-86732 Oettingen/Bayern Tel. 0049-9082 10 35
Fax 0049-9082 920 921
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2003. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
1 Die Reproduktion der kernspintomografischen Aufnahme des Unterarmes erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch die Röntgengemeinschaftspraxis Dr. Dr. Singer, Dr. Schmelzer und W. Nagel, D-91781 Weissenburg/Bayern.
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