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TAGUNGSBERICHT q COMPTE-RENDU DE CONGRÈS
Bewährtes und Neues aus der Kardiologie
Teil 1: Rimonabant – neuartiger Ansatz für das Management kardiovaskulärer Risikofaktoren bei adipösen Patienten und Rauchern
RICHARD ALTORFER
Am 53. wissenschaftlichen
Jahreskongress des ACC von
vergangenem März in New
Orleans wurden einige bemer-
kenswerte Studien vorgestellt.
RIO-LIPIDS etwa: Was ist von
diesem neuen Therapieansatz
zu halten? Wer hat Erfahrun-
gen mit Rimonabant? Oder
PROVE-IT: Bedeutet sie das
Ende von Pravastatin oder
bringt die Studie lediglich die
Vorzüge von Pravastatin zu
wenig zur Geltung? Fragen,
denen nachzugehen sein wird.
«Übergewicht und Rauchen sind kardiovaskuläre Risikofaktoren, die weltweit epidemische Ausmasse angenommen haben»,
Quellen: Referate und Satellitensymposien anlässlich des 53. Wissenschaftlichen Jahreskongresses des American College of Cardiology (ACC) in New Orleans, Pressemitteilungen von Sanofi-Synthélabo und Gespräche mit unabhängigen Fachleuten.
erklärte Chris Cannon, Associate Professor of Medicine an der Harvard Medical School. Und weiter: «Sie sind häufig mit anderen Stoffwechselrisikofaktoren wie Dyslipidämie und Diabetes verbunden. Die Ergebnisse von RIO-LIPIDS und STRATUS-US weisen darauf hin, dass Rimonabant ein wichtiger Wirkstoff für das Management kardiovaskulärer Risikofaktoren bei diesen Patientengruppen sein könnte.» Alle diese Risikofaktoren, so die Vorstellung der Studienverantwortlichen, sind mit einem überstimulierten Endocannabinoid-System (siehe Kasten) verbunden.
Die RIO-Lipids-Studie
RIO-Lipids ist eine internationale, multizentrische, doppelblinde plazebokontrollierte Studie, an der 1036 übergewichtige oder adipöse Patienten mit Dyslipidämie (erhöhte Triglyzeride und/oder hoher Gesamtcholesterin/HDL-Cholesterin-Quotient) und einem Körpermass-Index (BMI) zwischen 27 und 40 kg/m2 teilnahmen. Die Patienten erhielten entweder 5 mg oder 20 mg Rimonabant (Acomplia®) oder Plazebo und mussten sich ein Jahr an eine kalorienreduzierte Diät halten. Die ein Jahr lang täglich mit 20 mg Rimonabant behandelten Patienten nahmen 8,6 kg ab im Vergleich zu den Patienten der Plazebogruppe, die nur 2,3 kg abnahmen (p < 0,001). Fast 75 Prozent (p < 0,001 im Vergleich zu Plazebo) der Patienten, die ein Jahr lang mit 20 mg Rimonabant behandelt wurden, verloren über 5 Prozent ihres Körpergewichts – im Vergleich zu 41,8 Prozent der Patienten, die mit 5 mg Rimonabant behandelt wurden, und 27,6 Prozent der Patienten in der Plazebogruppe. Des Weiteren verloren 44,3 Prozent der Patienten, die ein Jahr mit 20 mg Rimonabant behandelt wurden,
mehr als 10 Prozent ihres Körpergewichts im Vergleich zu 16,3 Prozent der mit 5 mg Rimonabant beziehungsweise 10,3 Prozent der mit dem Plazebo behandelten Patienten. Nicht nur der Gewichtsverlauf, auch weitere wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren veränderten sich im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant positiv. Die Anzahl der Patienten mit einem metabolischen Syndrom zu Studienbeginn (52,9%) wurde nach der Behandlung mit 20 mg Rimonabant um die Hälfte auf 25,8 Prozent reduziert (p < 0,0001 im Vergleich zu Plazebo). Bei Patienten, die ein Jahr mit 20 mg Rimonabant behandelt wurden, liegen folgende Studienergebnisse vor: q Reduzierung des Taillenumfangs um
9,1 cm (p < 0,001 im Vergleich zum Plazebo). q Erhöhung des HDL-Cholesterins um 23 Prozent (p < 0,001). q Reduzierung der Triglyzeride um15 Prozent (p < 0,001). q In einer Teilgruppe von Patienten wurde eine signifikante Erhöhung der Adiponectin-Konzentration gegenüber Studienbeginn in der mit 20 mg Rimonabant behandelten Gruppe im Vergleich zur Plazebogruppe (p = 0,001) festgestellt, ebenso eine signifikante Reduktion der Leptin-Konzentration gegenüber den Ausgangswerten (p < 0,001). q Verbesserte Insulin-Sensitivität, nachgewiesen mittels eines oralen Glukosetoleranztests. Die Patienten mussten zudem weniger Insulin produzieren, um eine bessere Glukosekontrolle zu erzielen. Die Insulin-Konzentrationen waren bei den mit 20 mg Rimonabant behandelten Patienten gegenüber Studienbeginn um 22 Prozent reduziert, im Vergleich zu einer Erhöhung um 2 Prozent in der Plazebogruppe (p < 0,001).
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Bewährtes und Neues aus der Kardiologie
q Rimonabant wurde von allen Patienten gut vertragen. Die häufigsten, meist leichten und vorübergehenden Nebenwirkungen waren Übelkeit und Schwindelgefühl. Es gab keine kardiovaskulären Verträglichkeitsprobleme.
Die STRATUS-US-Studie
An der STRATUS-US-Studie nahmen 787 Raucher teil. Es handelte sich um eine doppelblinde, plazebokontrollierte Studie, die an elf Studienzentren in den USA
EndocannabinoidSystem und Rimonabant
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein physiologisches System, von dem man annimmt, dass es eine wichtige Rolle spielt bei der Regulierung des Körpergewichts, des Lipidmetabolismus und der Abhängigkeit von Tabak. Offenbar ist es für eine ausgeglichene Energiebilanz verantwortlich, indem es beeinflusst, was und wie viel wir essen und wie viel Fett wir als Reserven bilden und einlagern. Unser moderner Lebensstil, besonders unsere Ernährungsgewohnheiten, scheinen das ECS zu überfordern. Eine gesteigerte Aktivität des ECS geht einher mit erhöhter Nahrungsaufnahme und Fettablagerung sowie mit chronischem Tabakkonsum. Ob Letzterer ursächlich oder Folge des ausser Tritt geratenen ECS ist, bleibt vorderhand umstritten. Rimonabant ist die erste Substanz einer neuen Klasse von Arzneimitteln, den so genannten CB1-Blockern. Sie hemmt innerhalb des ECS selektiv die CB1-Rezeptoren. Diese Rezeptoren kommen im Gehirn ebenso wie in peripheren Geweben, beispielsweise den Fettzellen oder Adipozyten vor und stehen in Zusammenhang mit dem Lipid- und dem Glukosemetabolismus. Offenbar inhibiert Rimonabant die erhöhte Aktivität des ECS, was sich in Gewichtsabnahme und positiver Veränderung der kardiovaskulären Risikofaktoren HDL, Triglyzeride und Insulin-Resistenz zeigt. Bei chronischem Nikotinabusus scheint die Hemmung der CB1-Rezeptoren die Abhängigkeitserscheinungen zu vermindern, was es Rauchern offenbar erleichtert, mit dem Rauchen aufzuhören – und das, ohne wie sonst häufig der Fall, an Gewicht zuzunehmen.
durchgeführt wurde. Die an der Studie teilnehmenden Patienten rauchten im Durchschnitt 23 Zigaretten pro Tag, waren motiviert aufzuhören und hatten durchschnittlich vier erfolglose Entwöhnungsversuche hinter sich. Die Patienten wurden randomisiert und einer von drei Behandlungsgruppen zugewiesen (5 mg oder 20 mg Rimonabant oder Plazebo) und erhielten wöchentliche Beratung. Sie wurden zehn Wochen lang behandelt. Die von den Patienten berichtete Tabakabstinenz während der letzten vier Behandlungswochen wurde durch Messung der Kohlenmonoxid-Konzentration in der ausgeatmeten Luft und der Konzentration von Cotinin, dem hauptsächlichen Nikotinmetaboliten, im Plasma bestätigt. Die Ergebnisse lassen darauf schliessen, dass die Wahrscheinlichkeit, das Rauchen aufzugeben, mit 20 mg Rimonabant im Vergleich zu Plazebo verdoppelt wird (p = 0,002): 36,2 Prozent der mit 20 mg Rimonabant behandelten Patienten, die die Studie abschlossen, gaben das Rauchen auf, im Vergleich zu 20,6 Prozent der Patienten in der Plazebogruppe. 20,2 Prozent der mit 5 mg Rimonabant behandelten Patienten gaben das Rauchen auf. Während die mit 20 mg Rimonabant behandelten übergewichtigen oder adipösen Patienten Gewicht verloren, war dies bei Patienten mit normalem Gewicht nicht der Fall. Die häufigsten, hauptsächlich leichten und vorübergehenden Nebenwirkungen waren Übelkeit und Infektionen der oberen Atemwege. Es gab aber keinen Unterschied in der Gesamtabbruchrate.
Beurteilung
Unter Rimonabant können adipöse Patienten mit unbehandelter Dyslipidämie innerhalb eines Jahres ihr Gewicht reduzieren und zugleich ihre Lipid- und Glukoseprofile verbessern. Raucher, die bisher erfolglos eine Entwöhnung versuchten, konnten in zehn Wochen ohne jegliche Gewichtszunahme das Rauchen aufgeben. So vage vorderhand die Aussagen über das ECS, so vage sind die Meinungen verschiedener befragter Kardiologen dazu. Das System als solches ist zwar den meis-
Klinisches Entwicklungsprogramm für Rimonabant (Acomplia®)
Das Phase-III-Programm für Acomplia umfasst sieben klinische Studien, die im Rahmen von zwei klinischen Entwicklungsprogrammen durchgeführt werden. Das RIO-Programm (Rimonabant In Obesity) hat über 6600 übergewichtige oder adipöse Patienten weltweit in vier klinische Studien aufgenommen. Diese Studien sollen die Rolle von Rimonabant bei der Behandlung von Fettsucht, einschliesslich Gewichtsreduzierung, Gewichtserhaltung, Verhinderung von erneuter Gewichtszunahme nach vorherigem Gewichtsverlust und Verbesserung der mit Fettsucht verbundenen Risikofaktoren wie Diabetes und Dyslipidämie untersuchen. RIO-North America und RIO-Europe sind Zweijahresstudien. RIO-Lipids und RIO-Diabetes sind Einjahresstudien. Unter dem STRATUS-Programm (STudies with Rimonabant And Tobacco USe) wurden über 6500 Patienten in drei Phase-IIIStudien weltweit eingeschlossen. Diese Studien sollen die Rolle von Rimonabant bei der Tabakentwöhnung und langfristigen Abstinenz sowie Verhinderung der Gewichtszunahme nach der Tabakentwöhnung untersuchen. In den STRATUSUS- und STRATUS-EU-Studien wird 10 Wochen lang Rimonabant gegeben und über 42 Wochen nach der Behandlung beobachtet. Die klinischen Phase-III-Programme mit Rimonabant bei Übergewicht und bei der Tabakentwöhnung werden voraussichtlich Ende 2004 abgeschlossen sein. Das Produkt ist noch nicht für die Vermarktung zugelassen!
ten (inzwischen) bekannt, wo seine Be-
deutung liegt und vor allem wo die Be-
deutung von Substanzen liegt, die in die-
ses System eingreifen, darüber sind sich
die meisten unschlüssig. Immerhin nahm
die wissenschaftliche Öffentlichkeit mit
grossem Interesse Kenntnis von den Er-
gebnissen der bisher veröffentlichten Stu-
dien mit Rimonabant.
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Richard Altorfer
Interessenlage: Die Berichterstattung erfolgt unabhängig von der Firma Sanofi-Synthélabo.
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