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EDITORIAL
Time is brain
I n der Schweiz erleiden jährlich rund16 000 Patienten einen Hirninfarkt. Der Schlaganfall ist in Industrieländern die dritthäufigste Todesursache, die zweithäufigste Ursache einer Demenz, die wichtigste Ursache einer Behinderung im Erwachsenenalter und die häufigste lebensbedrohliche neurologische Erkrankung. Patienten mit einem plötzlichen Hirninfarkt sollten möglichst ohne Zeitverlust einer spezialisierten Institution (Stroke-Unit oder Stroke-Center) zugewiesen werden. Die spezialisierte stufengerechte Abklärung und Versorgung kann die Prognose deutlich verbessern und in vielen Fällen Tod und Langzeitbehinderung verhindern. Abklärung und Behandlung von Patienten mit Hirninfarkten sind eine interdisziplinäre Aufgabe. Das Berner Stroke-Center verfügt über ein interdisziplinäres Team mit Neurologen, Neuroradiologen, Neurochirurgen, Anästhesisten, Intensivmedizinern, Kardiologen, Gefässchirurgen, Internisten, Rehabilitationsspezialisten, medizinischtechnischen Assistenten, spezialisierten Pflegefachpersonen, Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden und weiteren Fachleuten. Bei einem Einzugsgebiet von zirka 2 Millionen für hochspezialisierte Eingriffe werden im Inselspital Bern jährlich etwa 1500 Patienten mit akutem Hirninfarkt behandelt. 2014 erfolgten mehr als 260 Thrombolysen. Die Stroke-Unit verfügt derzeit über 12 Betten.
Rasante Fortschritte in der Akutbehandlung In den letzten 15 Jahren hat in der Schlaganfallmedizin insbesondere die Akutbehandlung rasante Fortschritte gemacht. Eine Verbesserung der Prognose kann in erster Linie durch eine gezielt indizierte Thrombolyse bewirkt werden. Weitverbreitet und verfügbar ist die intravenöse Thrombolyse. Am Inselspital in Bern wird ausserdem seit den Neunzigerjahren die endovaskuläre Thrombolyse, seit 2009 vorwiegend mittels Stent-Retriever,
praktiziert. Letztere ist, wie fünf in diesem Jahr
publizierte, internationale, randomisierte Studien
grosser Hirnschlagzentren wissenschaftlich unter-
mauert haben, der alleinigen medikamentösen,
intravenösen Thrombolyse betreffend Überleben
und Reduktion des Behinderungsrisikos deutlich
überlegen. So ergab etwa die SWIFT-PRIME-
Studie, an welcher das Berner Stroke-Center betei-
ligt war, dass 60,2 Prozent der mittels Stent behan-
delten Patienten nach 90 Tagen keine alltagsrele-
vanten Behinderungen mehr vorwiesen, bei der
rein intravenösen Thrombolyse waren es nur
35,5 Prozent. Vor allem Patienten mit mittel-/
schweren Hirninfarkten und grossen Gefässver-
schlüssen der hirnversorgenden Arterien profitie-
ren von der endovaskulären Thrombolyse mittels
Stent-Retriever.
In Zukunft werden modernere endovaskuläre The-
rapiekonzepte mit verbesserter Patientenselek-
tion, beispielsweise durch multimodale Bildge-
bung, die Prognose von Hirninfarktpatienten
weiter verbessern. Es bestehen auch Hoffnungen,
dass bald wirksamere Thrombolytika verfügbar
sind. Damit alle Patienten von diesen Fortschritten
profitieren können, ist eine stufengerechte und
flächendeckende Hirnschlagversorgung anzu-
streben. Zurzeit sind in der Schweiz 13 Stroke-
Units zertifiziert und weitere im Aufbau. Dies er-
folgt häufig in enger Zusammenarbeit mit einem
der 9 etablierten Stroke-Centers. Dabei sollen auch
die Regionalspitäler ohne Stroke-Units und die
Grundversorger in die Netzwerke miteinbezogen
werden. Das schweizerische Hirnschlagregister
wird Versorgungslücken identifizieren und hat ein
grosses Potenzial, in naher Zukunft zu einem wich-
tigen Instrument im Bereich der Qualitätskontrolle
und Versorgungsforschung zu werden.
G
Dr. Mirjam R. Heldner, Prof. Marcel Arnold Inselspital, Universitätsspital Bern E-Mail: marcel.arnold@insel.ch
5/2015
PSYCHIATRIE & NEUROLOGIE
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