Transkript
SCHWERPUNKT
Nicht nur vaginal bedingt
Genitale Blutungen bei Mädchen in der hormonellen Ruheperiode
Blutungen im Genitalbereich werden fast immer primär als vaginale Blutungen beurteilt, dabei gibt es neben der Vagina und dem Uterus andere Blutungsquellen wie die Urethra, die Vulva, das Vestibulum mit dem Hymen oder der Anus.
Von Renate Hürlimann
Jede unklare vaginale Blutung bedarf einer Vaginoskopie! Am häufigsten handelt es sich um einen Fremdkörper.
Abbildung 1: Urethralprolaps
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Die telefonische Zuweisung eines 6-jährigen Mädchens durch einen pädiatrischen Kollegen erfolgte mit folgender Beschreibung: vaginale schmerzlose Blutung seit mehreren Tagen. Hormonanalysen (LH, FSH, Östradiol, Prolaktin, TSH) und eine Ultraschalluntersuchung des Abdomens seien unauffällig gewesen. Bei der genitalen Untersuchung sehe man die blutende Gebärmutter, die unten herausschaue! Ich fragte ihn als Erstes, ob es sich um ein Mädchen mit dunkler Hautfarbe handle. Worauf er erstaunt erwiderte: «Ja, warum wissen Sie das?» In der Folge habe ich das Mädchen gleichentags gesehen: Es handelte sich wie vermutet um einen Urethralprolaps.
Die richtige Untersuchungstechnik (Traktionsmethode) unter Zuhilfenahme eines Kolposkopes oder einer Lupenvergrösserung sowie Kenntnis der Anatomie, Normvarianten und Pathologien sind Voraussetzungen für die Beurteilung der Blutungsursachen. Im Folgenden werden die verschiedenen Ursachen der genitalen und auch vaginalen Blutungen in der hormonellen Ruheperiode vorgestellt.
Urologische Ursachen
Der Urethralprolaps kommt primär bei dunkelhäutigen Mädchen vor, die Häufigkeit beträgt zirka 1:3000, der Häufigkeitsgipfel liegt bei 5 bis 8 Jahren. Die Mädchen präsentieren sich mit blutiger Unterhose, meist sogar ohne Dysurie. Bei der Inspektion findet sich eine zirkuläre ödematöse, oft auch hämorrhagisch brombeerartige Ausstülpung am Meatus urethrae externus (Abbildung 1). Bei guter Traktion ist der Vaginaleingang mit dem Hymen gut abgrenzbar. Als Ursache werden folgende Ätiologien postuliert: vermehrte urethrale Mobilität durch schlechte Verbindung der muskulären Schichten der Urethra und erhöhter intraabdominaler Druck. Die Therapie erfolgt mit adstringierenden Sitzbädern
und/oder bei Nichtansprechen mit Östrogencreme lokal. Eine operative Resektion ist selten notwendig. Als weitere Ursachen kommen blutende urethrale Polypen, Zysten oder paraurethrale Zysten in Frage. Sie sind aber insgesamt sehr selten und imponieren nicht zirkulär und ödematös.
Vaginale und vom Uterus ausgehende Tumoren
Hämangiome oder vaskuläre Tumoren, die von Uterus und Vagina ausgehen, sind extrem selten die Ursache einer vaginalen Blutung. Hämangoime der Vulva sind dagegen häufiger und neigen zu Ulzera. Das embryonale Rhabomyosarkom (Sarcoma botroydes) ist der häufigste maligne Tumor mit Blutungen; in 90 Prozent der Fälle erscheint er vor dem fünften Lebensjahr, der Häufigkeitsgipfel ist um das zweite Lebensjahr. Bei der Untersuchung fällt ein traubenförmiger Tumor am Vaginaleingang oder in der Vagina auf. Ein Drittel der Mädchen weist bei der Diagnose Metastasen in den Lymphknoten und in verschiedenen Organen auf. Der Tumor ist aggressiv und bedarf operativer, chemotherapeutischer und oft auch radiologischer Behandlung. Vaginale oder zervikale Polypen sind als solche wie auch als Blutungsursache eine absolute Rarität.
Infektionen
50 bis 70 Prozent der präpubertären Blutungen sind durch Infektionen der Vulva und Vagina bedingt. Entzündungen mit Streptokokken A, Hämophilus influencae B und Shigellen äussern sich mit blutigem oder blutig tingiertem Sekret. Typischerweise ist dann auch das Vestibulum, der Hymen und die Vagina deutlich erythematös, in der Vagina ist Sekret sichtbar. Die Sekretentnahme sollte aus dem mittleren bis hinteren Drittel der Vagina erfolgen (vaginalen Absaugkatheter verwenden), ein Vulvaabstrich erfasst vor allem die Besiedlungskeime der Haut.
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SCHWERPUNKT
Die Behandlung einer Vaginitis erfolgt systemisch mit Antibiotika gemäss Empfindlichkeit des Keims. Bei Infektionen ist die Anamnese oft hinweisend: Infekt der oberen Luftwege, Halsschmerzen, Fieber oder Durchfall mit Aufenthalt im Ausland; Shigellen-Enteritiden sind bei uns selten. Infektionen mit Oxyuren zeigen sich mit blutig gekratzter Vulva- und Perianalhaut, typisch ist das schmerzbedingte nächtliche Erwachen aus dem Schlaf. Condylomata accuminata periurethral, im Vestibulum oder am Hymen imponieren glasig verquollen und bluten rasch (Abbildung 2), dabei ist immer an den sexuellen Missbrauch zu denken. Vaginale Fremdkörper führen durch Superinfektion zu blutigem oder blutig tingiertem Ausfluss. Gefunden werden vor allem kleine Spielsachen, Schmuckstücke und Toilettenpapier.
Hormonelle Ursachen
Die neonatale Abbruchblutung wird durch den Abfall der mütterlichen Östrogene ausgelöst und erfolgt meist in der ersten Woche nach der Geburt. Bei der echten Pubertas präcox (meist idiopathisch) kommt es vor dem achten Geburtstag zu einer Aktivierung der Hypophysen-Gonaden-Achse mit Brustentwicklung und Pubesbehaarung sowie Uteruswachstum. Das Knochenalter ist avanciert. Bei der ersten Blutung handelt sich dann um die Menarche. Bei der nicht gonadotropinabhängigen Pseudopubertas präcox spielen externe Östrogene (zum Beispiel Haarwasser, Einnahme hormonaler Kontrazeptiva) oder Östrogenproduktion aus den Ovarien (autonome Ovarialzysten, McCune-Albright-Syndrom, östrogenproduzierende Keimzelltumoren) eine Rolle. Die Brustdrüse, das äusserliche Genitale und der Uterus sind östrogenisiert, es kommt durch den Endometriumaufbau zu Abbruchblutungen. Es liegt aber im Gegensatz zur Pubertas präcox vera keine Pubarche vor und das Knochenalter ist in der Regel nicht akzeleriert. Eine ausgeprägte Hypothyreose führt neben der TSHauch zu einer Gonadotropinstimulation (sogenanntes Overlap-Syndrom) und somit zu Östrogenisierung und Abbruchblutungen.
Genitales Trauma
Meist handelt es sich um Spreizverletzungen wie Stürze auf Querstangen beim Klettern, Velo fahren oder Abrutschen an scharfen Kanten (Möbel, Schwimmbadrand, Klettergeräte). Typischerweise kommt es zu Prellungen und Rissquetschwunden des äusseren Genitals (äussere und innere Labien) sowie am Perineum. Die inneren Strukturen wie Vestibulum, Hymen und Urethra sind weniger betroffen, da sie von äusseren Labien abgedeckt respektive geschützt werden. Bei blutenden genitalen Traumata erfolgt fast immer das unmittelbare Aufsuchen ärztlicher Hilfe, es besteht eine konsistente Anamnese und meist ein beobachteter Unfall, was beim sexuellen Missbrauch nicht der Fall ist.
Dermatologische Ursachen
Die häufigste dermatologische Ursache einer anogenitalen Blutung ist der Lichen sclerosus et atrophicans der Vulva (Abbildung 3). Es handelt sich um eine autoimmun bedingte Hautatrophie mit Hauteinblutungen, Depigmentierung der Vulva und der perianalen Haut und Juckreiz. Bei kleinen Traumata (Velo fahren, Reiten) kommt es zu Blutungen und Fissuren. Das Vestibulum und der Hymen sind von der Hautkrankheit nicht betroffen! Häufig besteht auch ein perianaler Lichen mit Fissuren, schmerz-hafter Defäkation und konsekutiver Obstipation. Die Therapie erfolgt mit lokaler Steroidapplikation, guter Rückfettung, bei Rezidiven und chronischem Verlauf auch Tacrolimus lokal.
Abbildung 2: Condylomata accuminata
Sexueller Missbrauch und «Münchhausen by proxy»
Die Prävalenz des sexuellen Missbrauch beträgt bei Mädchen 10 bis 20 Prozent! Hingegen werden bei weniger als 10 Prozent auffällige (akut und chronisch) Befunde erhoben. Über 90 bis 95 Prozent der betroffenen Mäd- Abbildung 3: Lichen sclerosus et atrophicans chen haben einen völlig unauffälligen anogenitalen Befund: Verletzungen heilen rasch ab, Berührungen hinterlassen keine sichtbaren Befunde. Aus forensischen Gründen (Spurensicherung von Sperma und Täter-DNA) sollte bei einem akuten Ereignis eine möglichst frühe Vorstellung (< 72-Stunden-Regel) bei forensisch erfahrenen Ärzten oder Ärztinnen erfolgen. Diese arbeiten multidisziplinär in Kinderschutzgruppen, untersuchen und dokumentieren mittels Kolposkop gemäss den internationalen Empfehlungen und kennen die Adams-Klassifikation (Interpretationshilfe zur Beurteilung der Befunde). Persönlich habe ich zwei Fälle von «Münchhausen by proxy» erlebt: Es handelte sich um mütterliches Blut in der Windel! Ziegelmehl (Harnsäurekristalle) imponiert ebenfalls wie blutiges Sekret in der Windel und ist nicht selten ein Zuweisungsgrund mit der Frage nach genitaler Blutung oder sexuellem Missbrauch.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Renate Hürlimann FMH Kinder- und Jugendmedizin Fachbereichsleitung Kinder- und Jugendgynäkologie Universitätskinderkliniken Zürich Steinwiesstrasse 75 8032 Zürich E-Mail: renate.huerlimann@kispi.uzh.ch
Literatur bei der Verfasserin.
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