Transkript
SCHWERPUNKT
Tonsillektomie bei PFAPA
Unnötige Abklärungen wegen mangelnder Kommunikation zwischen Kinderarzt, Spezialisten und Eltern
Diese etwas unrühmliche Geschichte hat sich vor ein paar Jahren abgespielt. Es bleibt zu hoffen, dass die Zusammenarbeit zwischen Grundversorger und Spezialisten heutzutage besser ablaufen würde, zumal das PFAPA-Syndrom nicht mehr ganz so unbekannt wie damals sein dürfte.
Von Kilian Imahorn
Der Spezialist sollte nur nach Rücksprache mit dem Kinderarzt weiter überweisen.
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Y oel hatte im Alter von gut drei Jahren erstmals eine fiebrige Tonsillitis. Leider bleibt es in der Folge nicht bei diesem einmaligen Ereignis. Alle vier bis fünf Wochen leidet der Junge unter hochfebrilen Episoden mit eindrücklichen Halsentzündungen, welche jeweils mit sehr hohen Entzündungszeichen ablaufen; die regelmässig durchgeführten Rachenabstriche (Streptokokken) bleiben bei diesem jedesmal klinisch sehr kranken Knaben jeweils negativ.
Die Eltern drängen und möchten eine homöopathische Therapie, welche ich allerdings nicht selbst anbieten kann. Einen Monat später erläutere ich den Eltern meinen Verdacht auf das Vorliegen eines PFAPA-Syndroms. Als mögliche Therapievariante schlage ich den Eltern die Tonsillektomie vor. Es dauert noch einige Monate, bis der Entschluss der Eltern gereift ist, sich bei einem niedergelassenen ORL-Arzt vorzustellen. Und nun beginnt eine kleine Odyssee: • Der HNO-Arzt, unsicher mit der Verdachtsdiagnose
PFAPA-Syndrom, überweist ohne Rücksprache mit mir den Knaben auf die Tagesklinik des nächsten Kinderspitals. Hier ein Auszug aus seinem Überweisungsschreiben: «Die Familie stellte sich bei mir vor und berichtete über ihren Sohn Yoel, der angeblich unter einem PFAPA- beziehungsweise Marshall’s Syndrom leide. Diese pädiatrische Erkrankung war mir bisher nicht bekannt. Die Eltern haben vom Kinderarzt gehört, dass die Tonsillektomie einen günstigen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung haben könnte. Die Problematik besteht seit zirka zwei Jahren und die Häufigkeit der Erkrankungsschübe haben in der letzten Zeit deutlich zugenommen. Bisher wurde Yoel jedoch lediglich homöopathisch und mit Paracetamol behandelt.» • Nach gut zwei Monaten erhalte ich eine Berichts-
kopie aus dem Kinderspital: «Fiebersyndrom aus dem Formenkreis der Cyroprin-assoziierten periodischen Syndrom (CAPS) (Muckle-Wells-Syndrom/ Kälteurtikaria/CINCA-Syndrom/Familiäre Mittelmeerfieber): Die häufigsten Mutationen konnten nicht nachgewiesen werden. Molekularbiologie: Heterozytoger Träger einer Valin 198(CTG)-Methionin/ATGSubstitution (...) eher nicht PFAPA-Syndrom.» Der Junge wird klinikintern – natürlich ohne Rücksprache mit mir als Grundversorger – zum Kinderrheumatologen überwiesen. • Nach 1½ Monaten trifft ein weiterer Bericht, diesmal vom Rheumatologen, ein: «Unklares Fiebersyndrom (...) anamnestisch lassen sich die Symptome aber nicht mit diesen Krankheitsbildern vereinbaren. Da bei diesen Syndromen eine progressive sensoneurale Taubheit auftreten kann, wurde vereinbart, eine HNO-Untersuchung mit Audiometrie durchzuführen, ebenso sollte ein ophtalmologische Untersuchung durchgeführt werden mit Frage nach Stauungspapillen, Uveitis und auch Konjunktivitis.» • Gut zwei Monate später erhalte ich aus der Rheumasprechstunde einen neuen Bericht: «HNO-Befund unauffällig, Augenarzt-Befund unauffällig (...). Vom behandelnden Kinderarzt wurde die Durchführung einer Tonsillektomie zur Diskussion gestellt (...), sodass aus unserer Sicht durchaus als nächster Schritt die Planung einer Tonsillektomie anzuraten ist (...). Diesbezüglich wird empfohlen eine erneute Vorstellung bei ORL Dr. (...).» • Fünf Monate später folgt der Operationsbericht aus dem Kantonsspital: «komplikationsfreie Tonsillektomie und Adenotomie». Ein Jahr später folgt der Verlaufsbericht aus der Rheumasprechstunde: «Diagnose: periodisches Fiebersyndrom (PFAPASyndrom) (...) seither sind keine Fieberperioden mehr aufgetreten.»
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SCHWERPUNKT
PFAPA-Syndrom
1987 beschrieben Marshall et al. (1) ein periodisches Fiebersyndrom unbekannter Ursache. Die Patienten hatten alle 2 bis 12 Wochen periodisch auftretendes, 5 Tage anhaltendes hohes Fieber (40–41 °C). 75 Prozent der Patienten hatten ausserdem eine Pharyngitis mit begleitender aphthöser Stomatitis, und bei zwei Dritteln der Patienten waren die zervikalen Lymphknoten vergrössert. Die Symptome traten immer vor dem Alter von 5 Jahren auf. Zwischen den Episoden waren die Patienten asymptomatisch, und sie entwickelten sich normal. Antibiotika oder Entzündungshemmer bewirkten keinerlei Besserung. Das Fieber verschwand nach ein oder zwei oralen Dosen Kortison (Prednison 1 mg/kg KG), doch das Auftreten weiterer Fieberepisoden wurde dadurch nicht verhindert. Zwei weitere Publikationen folgten 1999, in welchen 94 beziehungsweise 29 Patienten mit den gleichen Symptomen beschrieben wurden (2, 3). Das Syndrom wurde mit dem Akronym PFAPA bezeichnet (periodisches Fieber, aphthöse Stomatitis, Pharyngitis, zervikale Adenitis). Zu den diagnostischen Kriterien gehören das regelmässige Auftreten von Fieberepisoden im frühen Kindesalter (< 5 Jahre) und dass die Symptome in Abwesenheit einer Infektion der oberen Atemwege auftreten sowie mindestens eines der Kriterien aphthöse Stomatitis, zervikale Adenitis oder Pharyngitis. Zwischen den Episoden müssen die Patienten völlig asymptomatisch sein und ein normales Wachstum aufweisen. Eine zyklische Neutropenie ist auszuschliessen. Orale Kortikoide (Prednison 1- oder 2-mal 1 mg/kg KG) unterdrücken das Fieber, verhindern aber weitere Episoden nicht. Das Intervall zwischen zwei Episoden kann nach der Steroidgabe verkürzt sein. Im Jahr 2000 wurde erstmals berichtet, dass PFAPA nach einer Tonsillektomie verschwinden kann. Seitdem wurden ähnliche Fälle bekannt. Peridis et al. (4) publizierten 2010 eine Metaanalyse, die zum einen bestätigte, dass Kortikoide zwar die wirksamste nicht chirurgische Massnahme sind, weitere Episoden jedoch nicht verhindern können. Zum anderen zeigte die Metaanalyse, dass die Tonsillektomie die wirksamste Behandlung bei PFAPA ist, mit einer kompletten Remission in 64 Prozent der Fälle. Die Adenotomie scheint hierbei keine Rolle zu spielen. Die Ursache des PFAPA ist noch immer unbekannt, aber die Wirksamkeit der Steroide und der Tonsillektomie weisen auf einen entzündlichen oder immunologischen Pathomechanismus hin.
Es dauerte elf Monate, bis die Tonsillektomie «endlich» durchgeführt wurde! Im Rückblick frage ich mich: Was hätte eine bessere Kommunikation am Verlauf verändert, respektive wie hätte ich als Hausarzt früher intervenieren können? Sind einmal seltene Verdachtsdiagnosen vom Spezialisten gestellt, wird es als Medicus rusticus simplex (einfacher Grundversorger) schwierig, unnötige Abklärungsverfahren zu stoppen, ohne dass der Patient den Eindruck erhält, dass ihm etwas Wichtiges vorenthalten wird. Bei Yoel war wohl auch eine heute nicht mehr so weit verbreitete Autoritätsgläubigkeit der Eltern mit dem Wunsch nach Maximalmedizin der Grund für eine Kommunikationssperre zwischen Spezialist und Kinderarzt. Diese Haltung scheint die Autonomie des jeweiligen behandelnden Arztes zu stärken. Kritische Eltern würden wohl eher von sich aus die Rücksprache mit ihrem Hausarzt suchen. Trotzdem scheint es mir nach wie vor sehr wichtig, dass überwiesene Patienten erst nach Rücksprache mit dem Hausarzt/Kinderarzt vom Spezialisten weiter überwiesen werden; gross ist das Risiko, dass Informationen und bereits durchgeführte Untersuchungen dem Spezialisten für diesen weiteren Schritt fehlen könnten.
Korrespondenzadresse: Dr. med. Kilian Imahorn Kinderarzt FMH Klosterweg 2 9500 Wil E-Mail: kilian.imahorn@praxis-am-klosterweg.ch
Aus: Gysin C: Tonsillektomie im Kindesalter. Pädiatrie 2014; 2: 9–14.
1. Marshall GS et al.: Syndrome of periodic fever, pharyngitis, and aphthous stomatitis. The Journal of pediatrics 1987; 110: 43–46. 2. Thomas KT et al.: Periodic fever syndrome in children. The Journal of pediatrics 1999; 135: 15–21. 3. Padeh S et al.: Periodic fever, aphthous stomatitis, pharyngitis, and adenopathy syndrome: Clinical characteristics and outcome. The Journal of pediatrics 1999; 135: 98–101. 4. Peridis S et al.: PFAPA syndrome in children: A meta-analysis on surgical versus medical treatment. Int J Pediatr Otorhinolaryngol 2010; 74: 1203–1208.
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