Transkript
Studie
Migräne aus dem Herz?
Ein offenes Foramen ovale ist möglicherweise für viele Attacken verantwortlich
Karl Eberius
Immer mehr erhärtet sich der Verdacht, dass ein offenes Foramen ovale vielen Migräneattacken zugrunde liegt. Eine retrospektive Untersuchung fand nun heraus, dass der perkutane Verschluss der Herzscheidewand die Attackenhäufigkeit sogar
Häufigkeit eines offenen Foramen ovale
In der Allgemeinbevölkerung
Bei Migränepatienten mit Aura in bis zu
27,3% 48%
Hagen P.T. et al.: Mayo Clin Proc 1984; 59: 17–20 Anzola G.P. et al.: Neurology 1999; 52: 1622–1625
um mehr als 50 Prozent reduzieren kann.
S chon seit längerem ist bekannt, dass ein offenes Foramen ovale mit Rechts-Links-Shunt eine bedeutende Emboliequelle darstellt und zu Schlaganfällen führen kann. Immer mehr bestätigt sich nun aber auch die Vermutung, dass ein solcher Herzfehler mit nachfolgenden Embolien bei vielen Migränepatienten für Attacken verantwortlich ist. Kollegen der Universität Bern untersuchten 215 Patienten, bei denen ein offenes Foramen ovale wegen vorausgegangener Schlaganfälle und anderer Indikationen interventionell verschlossen wurde. 48 der Studienteilnehmer gaben dabei an, zusätzlich unter Migräne zu leiden – durchschnittlich seit 25 Jahren mit 1,2 Attacken pro Monat. Nach dem Eingriff reduzierte sich die Anfallshäufigkeit bei «Migräne vom Aura-Typ» im Durchschnitt um 54 Prozent und bei «Migräne ohne Aura» um 62 Prozent, wie die Berner Forschergruppe um Dr. med. Markus Schwerzmann in der Zeitschrift «Neurology» berichtet (Neurology 2004; 62: 1399– 1401). Keine Verbesserungen wurden dagegen bei Spannungskopfschmerzen und anderen Kopfschmerzformen beobachtet.
Bei schwerer Migräne an offenes Foramen ovale denken
Trotz der viel versprechenden Untersuchungsergebnisse hält sich Studienleiter Dr. Schwerzmann allerdings mit Empfehlungen für die tägliche Praxis zurück. Nach seiner Meinung ist es derzeit noch nicht sinnvoll, alle Migränepatienten auf ein offenes Foramen ovale zu testen. Zuvor sollten weitere Untersuchungen den vermuteten Zusammenhang zwischen dem Herzfehler und den Kopfschmerz-Attacken erhärten. Wünschenswert sind zum Beispiel grosse Studien, die den Nutzen der Herzeingriffe nicht rückblickend, sondern prospektiv belegen. Zudem handelte es sich bei den Studienteilnehmern der Berner Untersuchung um ein selektiertes Patientengut. Eingeschlossen waren ausschliesslich Patienten, bei denen der RechtsLinks-Shunt aufgrund von Schlaganfällen oder anderen Folgen der paradoxen Embolien aufgefallen war. Unklar ist deshalb nach wie vor, wie hoch die Erfolgsquote bei jenen Migränepatienten ist, die zwar ein offenes Foramen ovale aufweisen, aber bislang keinen Schlaganfall
oder andere Embolieereignisse erlit-
ten haben.
Dennoch ist es nach Ansicht von
Dr. Schwerzmann bereits zum jetzi-
gen Zeitpunkt durchaus sinnvoll, bei
Patienten mit besonders schwerer
Migräne an ein offenes Foramen
ovale zu denken. Vorausgesetzt, alle
etablierten Therapiemöglichkeiten
wurden voll ausgeschöpft. Falls sich
dann tatsächlich ein Defekt im Vor-
hofseptum findet und die Patienten
mit einem Eingriff einverstanden
sind, ist der Septumverschluss eine
Überlegung wert. Allerdings «ohne
irgendwelche Erfolgsgarantien», wie
der Internist betont.
s
Dr. med. Karl Eberius Freier Medizinjournalist
D-Heidelberg
Interessenkonflikte: keine
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Neurologie 2•2004