Transkript
Übersicht
Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung bei Erwachsenen
Trotz guter Behandlungsmöglichkeiten unterdiagnostiziert
Dominique Eich-Höchli und Philipp Eich
ADHD im Erwachsenenalter ist mit 4 Prozent Betroffenen eine häufige Störung. Biologische, insbesondere genetische Faktoren werden heute als Ursache für die Störung angenommen. Deshalb überrascht es nicht, dass in
S Seit Heinrich Hoffmann (1847) in «Der Struwwelpeter» die Geschichte vom Zappelphilipp veröffentlichte, sind mehr als 150 Jahre vergangen. Mittlerweile ist dieser Zappelphilipp erwachsen geworden, allerdings ohne dass alle seine Symptome ausgewachsen wären. Sein Leiden wurde 1981 als Störungsbild im Erwachsenenalter von Paul Wender beschrieben und hat 1987 im amerikanischen DiagnoseSystem (DSM III-R) Einlass gefunden. Bei uns ist es noch nicht so weit, da ICD-10 diese Diagnose im Erwachsenenalter nicht berücksichtigt.
ADHD-Familien meist mehrere Ange-
Publizität der Erkrankung steigt
hörige betroffen sind. Eine sorgfältige
Die Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (Attention deficit/hyperactivity disorder = ADHD) wird im deutsch-
Abklärung und Diagnostik sind wich-
sprachigen Raum auch als ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Störung) bezeichnet. Sie wird heute
tig, weil so die krank-
als ein chronisches Zustandsbild verstanden, wel-
heitsbedingten, zum
ches im Erwachsenenalter bestehen bleibt. Dank der
Teil beträchtlichen
Aufklärungsarbeit einiger Fachkollegen ist es in den
psychischen und so-
letzten Jahren auch in der Schweiz zu einer Sensibi-
zialen Beeinträch-
lisierung bei den Erwachsenen-Psychiatern für diese
tigungen vermieden
Störung gekommen. Allerdings wird dieses Störungs-
oder vermindert wer-
bild im Erwachsenenalter weiterhin unterdiagnosti-
den können. ADHD
ziert. Dies ist eine bedauerliche Tatsache, denn eine
ist ein Risikofaktor
«Ob der Philipp heute still wohl bei Tische sitzen will?»
angemessene Behandlung kann Betroffenen oft für
für eine grössere Zahl komorbider psy-
den Alltag helfen. Es fällt auf, dass in letzter Zeit ADHD in den Medien ver-
chischer Störungen. ADHD lässt sich
mehrt Publizität gewinnt, sei es in Form eines Artikels über das Störungsbild selbst oder als kleiner Zusatz
heute gut pharmakologisch behandeln.
eingebaut in Beiträge zum Gesundheitskult (NZZ und «Facts», 2004). Daneben wird auch Methylphenidat (Rita-
lin®), seit 1954 in der Schweiz zugelassen, in diversen
Publikationen kontrovers diskutiert. Meist wird es als
potenzielles Suchtmittel dargestellt, und nicht als Be-
standteil einer «multimodalen Behandlung» einer kom-
plexen Störung genannt.
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Symptome im Alter anders als bei Kindern
ADHD betrifft zwischen 4 und 12 Prozent der Schulkinder und etwa 4 Prozent der Erwachsenen. Bei Kindern manifestieren sich die Kernsymptome des Störungsbildes (Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit) im Gegensatz zu Erwachsenen teils auf unterschiedliche Art und Weise. Die Hyperaktivität wird mit zunehmendem Alter weniger sichtbar. Die erwachsenen ADHD-Patienten sind keine Zappelphilipps mehr, sondern empfinden eine innere Unruhe. Sie wirken oft ruhelos, können «Workaholics» werden oder sind unfähig, sich zu entspannen. Sie beklagen sich auch darüber, dass sie zu viel reden oder einfach mit Kommentaren in Diskussionen hereinplatzen. Im sozialen Umfeld und an der Arbeit können sie wegen diesem Verhalten störend sein. Die Impulsivität bei erwachsenen Patienten kann sich ähnlich wie im Kindesalter äussern: mit Reden im Schwall (welcher nicht gebremst werden kann) und in grosser Ungeduld. In Studien konnte gezeigt werden, dass Personen mit ADHD, im Vergleich zu Personen ohne, häufiger die Arbeitsstelle wechseln und zu mehr Unfällen neigen. Sie haben ebenfalls eine höhere Scheidungsrate. Sie rauchen mehr, haben insgesamt eine höhere Tendenz zu Substanzabhängigkeit und auch zu Übergewicht. Dass diese Verhaltensstörungen zu ernsten medizinischen Konsequenzen führen können, überrascht nicht. Die Störung im Aufmerksamkeitsbereich betrifft Kinder und Erwachsene im gleichen Masse. Es ist bekannt, dass intelligente ADHD-Kinder (früher POS-Kinder genannt) verglichen mit solchen ohne Aufmerksamkeitsstörungen, schlechtere schulische Leistungen zeigen, die Ausbildung öfter abbrechen und in der beruflichen Entwicklung deutlich beeinträchtigt sind. Im Erwachsenenalter bleiben die gleichen Schwierigkeiten bestehen. So gelingt es Betroffenen oftmals nicht, aus der abgeschlosse-
nen Ausbildung Nutzen zu ziehen, sich zu fokussieren, etwas zu planen, zu organisierten, eine Aufgabe ohne Druck von aussen zu beenden. Sie scheinen im Vergleich zu nicht Betroffenen langsamer zu arbeiten, sind unzuverlässiger im Alltag (säumiges Bezahlen von Rechnungen, Verlegen von Schlüsseln, Nicht-Einhalten von Abmachungen und Ähnliches). Für viele ADHD-Patienten ist es nicht möglich, gleichzeitig zwei und mehr Aufgaben zu erledigen oder an einer Aufgabe dran zu bleiben, wenn sie durch andere Einflüsse aus der Umgebung abgelenkt werden.
Die Diagnose wird oft nicht gestellt
Immer wieder kommt es vor, dass erwachsene Betroffene ihr Leiden erst verstehen und sich damit auseinander setzen, wenn bei ihren Kindern die Diagnose ADHD gestellt wurde. Sie erkennen sich in den Symptomen ihrer Kinder wieder. Im Gegensatz zu den Kindern suchen die Erwachsenen selber eine Abklärung und Behandlung, denn sie realisieren, dass sie durch ähnliche Schwierigkeiten im Alltag eingeschränkt sind und so ihre Kinder nicht führen können. Ihre Schwierigkeiten werden im Alltag über Jahre hinweg beispielsweise als fehlende Motivation oder mangelnde Intelligenz ausgelegt, was umso bedauerlicher ist, weil die angemessene Behandlung zu einer dramatischen Verbesserung dieser Schwierigkeiten in verschiedenen Bereichen führen kann. Gelegentlich besteht die Schwierigkeit darin, dass sie in ihrem Alltag doch nichts verändern wollen und deswegen nicht bereit sind, die Therapieempfehlungen umzusetzen.
Diagnosekriterien
Zumindest seit dem illustrativen «Struwwelpeter» von H. Hoffmann ist es ins gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen, dass es Verhaltensstörungen bei Kindern,
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Tabelle 1: Historischer Abriss der ADHD-Nomenklatur
ICD
ICD-8 (1974) Hyperkinetisches Syndrom der Kindheit (308.3)
ICD-9 (1979) Hyperkinetisches Syndrom des Kindesalters (314) mit Entwicklungsrückstand/mit Störung des Sozialverhaltens
ICD-10 (1991) HKS = Hyperkinetische Störung (F90) ADHS (F90.0) Unaufmerksamkeit (6/9); Überaktivität (3/5); Impulsivität (1/4)
DSM
DSM-III (1980) ADD = Attention-Deficit-Disorder (314)
DSM-III-R (1987) ADHD = Attention-Deficit-Hyperactivity-Disorder (314.01) 8/14 Kriterien Schweregrad: leicht/mittel/schwer Ausschlusskriterien: Autismus
DSM-IV (1994) ADHD = Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder (314) Kriterien: 6/9 + 6/9 Mischtypus/unaufmerksamer Typus/hyperaktiv-impulsiver Typus/teilremittiert
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gehäuft bei Knaben, gibt: Zappelphilipp, Hans Guck-indie-Luft und Friederich, der Wüterich. Bekannt war auch, dass ein Teil dieser Störungen sich im Verlauf der Adoleszenz abschwächt und «auswächst». Dies galt insbesondere für das frühkindliche POS (psycho-organisches Syndrom), eine Diagnose, welche in der Schweiz sehr verbreitet war. Klar ist, dass ADHD ein Kontinuum ist mit verschiedenem Ausprägungsgrad, und dass entsprechend klare diagnostische Kriterien notwendig sind. Diese wurden erstmals 1987 im amerikanischen Diagnosesystem DSM-III-R publiziert, wo auch der Begriff ADHD (Attention deficit/hyperactivity disorder) geprägt wurde. Von 14 Kriterien sollten mindestens 8 vorhanden sein. Die verlangte Mindestdauer der Symptomatik beträgt sechs Monate. Weiter ist die Einteilung des Schweregrads in leicht, mittel oder schwer möglich. Schon damals wurde erwähnt, dass die Störung bei etwa einem Drittel der Kinder beziehungsweise Jugendlichen sich auch im Erwachsenenalter manifestieren kann. Im multiaxialen DSM-III-R-System erscheint die Diagnose ADHD als der Achse II zugehörig. Die Sicht von ICD-10 ist bis heute grundsätzlich anders. In ICD-8 war die Rede vom hyperkinetischen Syndrom der Kindheit, wobei die Hyperaktivität als Diagnosekriterium im Vordergrund stand. In ICD-9 (1979) wurde die Störung als «hyperkinetisches Syndrom des Kindesalters» diagnostisch erfasst, wobei weiter berücksichtigt werden konnte, ob das Kind einen Entwicklungsrückstand beziehungsweise eine Störung des Sozialverhaltens aufwies. In ICD-10 (1991) wird ADHD als ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung/F90.0) bezeichnet. Tabelle 1 stellt einen historischen Abriss der ADHD-Nomenklatur zwischen amerikanischer und WHO-Diagnostik dar. In der neuesten Auflage des amerikanischen Diagnosesystems (DSM-IV) von 1994 wurde ADHD in drei Typen aufgeteilt: s Mischtypus mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyper-
aktivitätsanteilen s vorwiegend unaufmerksamer Typus s vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typus.
Die Mindestdauer der Symptomatik beträgt ebenfalls sechs Monate, die Liste der möglichen Symptome ist länger und umfasst insgesamt 18 Kriterien. Für Jugendliche oder Erwachsene, welche aktuell nicht mehr alle Kriterien erfüllen, kann die Störung als teilremittiert kodiert werden. Im Gegensatz zu DSM-III-R erscheint die Störung hier als Achse-I-Diagnose. Festzuhalten ist, dass diese Diagnosekriterien sich auf das Kindes- und Jugendalter beziehen. Aufgrund der unterschiedlichen Diagnosekriterien von ICD und DSM und auch innerhalb der verschiedenen Auflagen des amerikanischen Systems selbst wird verständlich, weshalb die Prävalenzzahlen in den epidemiologischen Studien erheblich streuen. Im Erwachsenenalter erfolgte die diagnostische Beschrei-
bung erst später. Daran we-
sentlich beteiligt war Paul Tabelle 2:
Wender von der Utah University in Salt Lake City. Im
Adultes ADHD (Leitsymptome nach P. Wender)
Jahr 1995 publizierte er als Leitsymptome für adultes ADHD sieben Kriterien (Tabelle 2). ADHD im Erwachsenenalter ist in erster Linie eine klinische Diagnose. Bei der Abklärung sind die Leitsymptome von P. Wender nach wie vor sehr hilfreich. Zusätzlich muss die Anamnese
1. Aufmerksamkeitsstörung
2. Motorische Hyperaktivität
3. Affektlabilität
4. Desorganisation in Verhalten und Aktivitäten
5. Mangelhafte Affektkontrolle (Wutausbrüche)
6. Impulsivität (Dazwischenreden)
7. Emotionale Überreaktionen
mit Vorkommen von ADHD-
Symptomen schon in der
Kindheit (vor dem 7. Lebensjahr) berücksichtigt werden,
auch wenn damals die Diagnose nicht gestellt wurde.
Wenn möglich sollte eine Fremdanamnese (Eltern, Ge-
schwister, enge Freunde) erhoben werden.
Zur Zeit haben sich folgende ADHD-Screening-Tests für
Erwachsene bewährt: ADHS-SB und WURS (WURS-k),
beide auf Deutsch übersetzt und validiert. Weitere Frage-
bogen sind in Übersetzung begriffen. Testpsychologische
Untersuchungen können die diagnostische Sicherheit er-
höhen. Hierzu muss kritisch angemerkt werden, dass er-
wachsene Betroffene zwar aus den DSM-Kriterien heraus-
wachsen können, aber nicht unbedingt aus der Störung.
Komorbiditäten
ADHD hat im Weiteren auch im Erwachsenenalter eine hohe Komorbiditätsrate (≥ 50%). Auf die Komorbiditäten im Kindes- und Jugendalter wird in dieser Arbeit nicht eingegangen. Im Erwachsenenalter sind die häufigsten komorbiden psychischen Störungen die affektiven und Angst-Störungen sowie Abhängigkeits- und Persönlichkeits-Störungen (Tabelle 3).
Tabelle 3: Komorbiditäten von Erwachsenen mit ADHD
keine andere psychiatrische Störung Alkoholabhängigkeit/-abusus Cannabisabusus Kokain und/oder andere Stimulanzien Angststörung (GAD) depressive Störungen antisoziale Persönlichkeitsstörung andere Persönlichkeitsstörung Verhaftungen (1 x oder mehr)* Suizid (Unfalltod in den letzten 3 Jahren)*
*als Folge(n)
50% 32–53% 21% 11% 24–43% 16–31% (12%) 18–28% 5–19% (8%) 36–52% (20%) 5%
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Therapeutische Möglichkeiten
Tabelle 4: Formen der Remission (P. Keck et al, Am. J. Psychiatry, 1998)
Aus der Diagnose von ADHD bei Erwachsenen leitet sich noch keine direkte Behandlungsnotwendigkeit beziehungsweise eine
Syndromale Remission: Verlust des vollen diagnostischen Status Subthreshold-Remission (~ Residuum): Verlust der meisten ADHD-Symptome Funktionelle Remission: Verlust des diagnostischen Subthreshold-Status
spezifische Behandlungsart ab. Ob behandelt werden soll, hängt vom Grad der Beeinträchtigung in verschiedenen Lebens-
mit funktioneller Genesung
bereichen und vom subjektiven Leiden ab.
Im Vordergrund steht heute der multimodale
oder integrative Ansatz, welcher neben
Remissionsformen
einer medikamentösen Behandlung Psychoedukation,
Im Hinblick auf die Beurteilung des Therapieerfolges hat kognitiv-verhaltenstherapeutische Elemente, Coaching
sich eine Aufstellung von P. Keck zu den Formen der und Sozialberatung umfasst. Vor allem die ausführliche
Remission im klinischen Alltag sehr bewährt (Tabelle 4). Information der Patienten und gegebenenfalls ihrer An-
Er unterscheidet syndromale Remission von «Subthresh- gehörigen über das Störungsbild unter Berücksichtigung
old»-Remission und funktioneller Remission. Unter dem von mitgebrachten oder empfohlenen Broschüren, Rat-
Begriff «subthreshold» wird ein «Unterschwellen»-Syn- gebern oder Büchern ist wichtig (von K. Conners als
drom verstanden, bei dem residuelle Symptome beste- «Bibliotherapie» bezeichnet). Tabelle 5 listet die bewähr-
hen bleiben.
testen Therapieansätze auf.
Biologische Grundlagen
Mehrere Forschungsrichtungen mit bildgebenden Verfahren zeigen konsistent eine verminderte Aktivität in den frontalen Hirnregionen als biologisches Substrat für ADHD. Das Frontalhirn ist verantwortlich für die Aufmerksamkeit und das Arbeitsgedächtnis. Trotzdem sind diese Messungen bis heute zu wenig sensitiv und spezifisch, um in der Diagnostik von ADHD Anwendung zu finden. Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien legen genetische Grundlagen für die Störung nahe. Zwillingsstudien zeigen eine Konkordanz von 70 Prozent für ADHD, was derjenigen bei Schizophrenie beziehungsweise bipolaren Störungen entspricht. Genetische Varianten im Zusammenhang mit der dopaminergen und adrenergen Neurotransmission können die Disposition für ADHD erhöhen, was in Studien ebenfalls gezeigt wurde. Dass ADHD-Personen mehr rauchen als nicht Betroffene, unterstützt diese Annahme. Nikotin stimuliert die Dopaminausschüttung. Psychostimulanzien wie Methylphenidat haben ebenfalls eine aktivierende Wirkung auf den Dopamin-Stoffwechsel. Sie sind am effektivsten, werden am meisten verordnet und sind am besten untersucht in der Behandlung von ADHD.
Ob ADHD bei Erwachsenen
behandelt werden soll, hängt vom
Grad der Beeinträchtigung und
vom subjektiven Leiden ab.
Tabelle 5: Therapeutische Ansätze
s Psychotherapeutische Ansätze – ausführliche Information über das Störungsbild im Sinne der
Psychoedukation (bzw. Bibliotherapie nach K. Conners) – kognitive Therapie – Coaching (Selbstorganisation) – Paartherapie
s Sozialtherapeutische Ansätze – Berufsberatung – Schuldensanierung
s Medikamentöse Ansätze – Psychostimulanzien (Methylphenidat, Amphetamin) – Antidepressiva (SNRI/SSRI/Trizyklika) – andere (Alpha-Blocker, Moodstabilizer, atypische Antipsychotika)
Bezüglich Pharmakotherapie sind die Substanzen der ersten Wahl in der Schweiz Stimulanzien wie Methylphenidat (Ritalin®, Ritalin SR®, Ritalin LA® und Concerta®) sowie Dextroamphetamin (Dexamine®). Hierzu gibt es verschiedene Studien zur Anwendung im Kindesalter. Im Erwachsenenalter werden die gleichen Substanzen (offlabel use) unter den gleichen Anwendungsbedingungen verordnet. Die Voraussetzungen für eine pharmakologische Behandlung sind exemplarisch von Dr. J. Krause zusammenstellt worden (Tabelle 6). Auch heute ist es noch häufig und paradoxerweise so, dass die betroffenen Patienten ihre Ärzte von der Verschreibung eines effektiven Medikamentes (beispielsweise Methylphenidat) überzeugen müssen. Die ResponseRate beträgt bei Erwachsenen (wie auch im Kindesalter)
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Tabelle 6: Adultes ADHD: Therapieindikationen (nach J. Krause, Psycho 26, 2000)
s drohender Verlust des Arbeitsplatzes s Angst, wegen innerer Unruhe verrückt zu werden s tiefe Depression, extreme Antriebslosigkeit s ständig gespannte Ärgerlichkeit, die zu gesellschaftlicher
Isolation führt s dauerhafte motorische Unruhe s übermässiger Alkohol- und Nikotin- und/oder
Cannabiskonsum s Verlust der Fähigkeit, das Alltagsleben zu organisieren s Gefühl, allen Geräuschen ausgeliefert zu sein s extreme Sensationslust, die zur Selbstgefährdung führt s permanente Angst, keinen Durchblick mehr zu haben oder
unter Abbruch der Konzentration zu leiden
hohe 70 bis 80 Prozent. Nach der Fachliteratur beträgt die durchschnittliche Dosierung 1,1 mg Methylphenidat pro kg Körpergewicht und Tag (auf eine bis mehrere Dosen verteilt). In der Einstellungsphase ist eine schrittweise Aufdosierung wünschenswert. Eine begonnene Therapie sollte bis zum Eintritt einer Symptomverbesserung durch- und anschliessend weitergeführt werden. Nach klinischer Erfahrung und unter Berücksichtigung der Anamnese eines Patienten (oft lange Leidenszeit und krankheitsbedingte berufliche/private Probleme) sollte die Dauer offen diskutiert werden. Vorsichtige Reduktionsversuche begleitet von einer regelmässigen Psychotherapie, sind zu empfehlen.
Vorkommen von Komorbiditäten wie Depression, Angst-
oder Abhängigkeitsstörungen ist die Überweisung an ei-
nen Psychiater sinnvoll. Gleiches gilt für komplexe phar-
Hausärzte sind durchaus in der Lage, einen Erwachse-
nen mit unproblematischem ADHD medikamentös wei-
terzubehandeln. Eine Zusammenarbeit mit einem psych-
iatrischen Fachkollegen ist sicher wünschenswert. Bei
makologische Kombinationsbehandlungen.
s
PD Dr. med. Dominique Eich-Höchli Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Drop-In Asylstrasse 23
8032 Zürich Tel. 01-253 80 00 E-Mail: dominique.eich@puk.zh.ch
Interessenkonflikte: keine
Die Entwicklung einer Abhängigkeit von Stimulanzien wird in der
Gesellschaft und auch von Ärztekollegen häufig überschätzt. Ein korrekt mit
Methylphenidat behandelter Patient ist ruhiger, besonnener und so vor
Abhängigkeiten besser geschützt als unbehandelt.
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