Transkript
Nahrungsmittelallergie
Ernährungstherapie bei LebensmittelUnverträglichkeiten
Unverträglichkeiten auf Lebensmittel umfassen allergische und nichtallergische Hypersensitivitätsreaktionen (39). Im vorliegenden Positionspapier liegt der Fokus auf den Typ-I-Allergien, den Kreuzreaktionen (vor allem der pollenassoziierten Lebensmittelallergie) und der nichtallergischen Hypersensitivität (bisher bekannt als pseudoallergische Reaktion [22]).
DGE-Arbeitskreis «Diätetik in der Allergologie»
Überblick über Positions-
papiere allergologischer Fach-
gesellschaften
Die beste Therapie bei Vorliegen einer Lebensmittel-Unverträglichkeitsreaktion ist die Elimination der relevanten Lebensmittel (1, 6, 12, 25, 34, 35). Entscheidende Grundlage für die Durchführung einer entsprechenden Ernährungstherapie ist die sichere Diagnose einer Lebensmittelunverträglichkeit (1, 12, 25, 34, 35). Da bekannt ist, dass Lebensmittel-Unverträglichkeiten nicht immer lebenslang bestehen bleiben, ist eine Re-Evaluation bei vielen Lebensmittelunverträglichkeiten in regelmässigen Zeitabständen erforderlich (1, 6, 12, 25, 34, 35). Grundsätzlich sollte bei nachgewiesener Lebensmittelunverträglichkeit eine therapeutische Beratung durch eine Ernährungsfachkraft stattfinden (1, 25, 35). Zusätzlich empfiehlt die AAACI (American Academy of Allergy and Clinical Immunology) im Allergy Report ein regelmässiges Wachstumsmonitoring, das sich vorrangig auf das Säuglings- und Kindesalter bezieht (1).
Praktische Umsetzung der
Ernährungstherapie in der
Ernährungsberatung
In den Positionspapieren allergologischer Fachgesellschaften liegt der Schwerpunkt der Ernährungsberatung in der Regel auf der Elimination. In der Ernährungstherapie bei Lebensmittelunverträglichkeiten sollte die Ernährungsfachkraft aber nicht nur eine Meidung der Auslöser sicherstellen, sondern durch die Beratung auch zu einer vollwertigen Ernährung und einer hohen Lebensqualität beitragen. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: 1. Elimination der allergieauslösen-
den Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile aus der Nahrung 2. Berücksichtigung individueller Verträglichkeiten (auch in Bezug auf die Verarbeitung des Lebensmittels)
3. Sicherstellung und Kontrolle einer vollwertigen und bedarfsgerechten Ernährung
4. Empfehlungen zur praktischen Durchführung einer schmackhaften Eliminationskost unter Berücksichtigung des Erhalts oder der Verbesserung der Lebensqualität des Betroffenen.
1. Elimination der auslösenden Lebensmittel und Lebensmittelbestandteile aus der Nahrung 1.1 Bei Lebens mit t elallergien
Voraussetzung für eine strikte Allergenelimination im Rahmen therapeutischer Massnahmen ist eine gesicherte Lebensmittelallergie (bei Nachweis von Sensibilisierung und klinischer Relevanz) beziehungsweise eine Lebensmittelunverträglichkeit (mit klinisch nachgewiesener Relevanz). Um eine Allergenelimination zu gewährleisten, muss der Patient über das Vorkommen der allergieauslösenden Lebensmittel
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Nahrungsmittelallergie
Tabelle 1:
Liste der möglicherweise allergieauslösenden Zutaten, die auf der Lebensmittel-Etikettierung aufzuführen sind
(nach der EU-Richtlinie 11/2003):
•glutenhaltiges Getreide und glutenhaltige Getreideerzeugnisse
•Krebstiere und Krebstiererzeugnisse •Eier und Eierzeugnisse •Fisch und Fischerzeugnisse •Erdnüsse und Erdnusserzeugnisse •Soja und Sojaerzeugnisse •Milch und Milcherzeugnisse
(einschliesslich Laktose) •Schalenfrüchte und Nebenerzeug-
nisse •Sellerie und Sellerieerzeugnisse •Senf- und Senferzeugnisse •Sesamsamen und Sesamsamener-
zeugnisse •Schwefeldioxid und Sulfite
oder Lebensmittelbestandteile informiert werden.
Eine wichtige Orientierung zur Vermeidung von Lebensmittelallergenen ist das Zutatenverzeichnis. Da Hersteller jederzeit die Zusammensetzung der Produkte ändern können, ist bei jedem Einkauf das Zutatenverzeichnis erneut zu prüfen. Zu beachten ist, dass Lebensmittelinhaltsstoffe auch durch Begriffe gekennzeichnet sein können, die für den Patienten nicht ohne weiteres als Allergene ersichtlich sind (Beispiel: Kasein oder Molke statt Milcheiweiss, Ovalbumin oder Lezithin statt Eiprotein). Ein Problem für Lebensmittelallergiker stellen so genannte «versteckte Allergene» in Lebensmitteln dar. Die Europäische Union hat mit einer entsprechenden Richtlinie, die seit November 2003 in Kraft ist, Änderungen der EU-weiten Kennzeichnung vorgenommen, die viele Ausnahmeregelungen in der Lebensmittelgesetzgebung beseitigen (3). So sind künftig die wichtigsten (allergieauslösenden) Zutaten, die während der Produktion dem Lebensmittel wissentlich zugefügt werden, grundsätzlich auf der Etikettierung aufzuführen (Tabelle 1).
Nicht geregelt ist bisher die Kennzeichnung von allergenen Stoffen, die durch Kreuzkontaminationen (crosscontact) in das Produkt gelangt sind (Beispiel: gleiche Produktionsanlage
zur Herstellung von Mousse au Chocolat und Mousse au Vanille). Einzelne Hersteller weisen jedoch bereits jetzt schon – auf freiwilliger Basis – auf den Allergengehalt ihrer Produkte hin, zum Beispiel durch den Warnhinweis auf einer Schokolade «kann Spuren von Erdnussprotein enthalten» (32). Die Hersteller haben bis Ende 2005 die Etikettierung ihrer Erzeugnisse umzustellen; ab dann gilt für alle Produkte innerhalb der EU die neue Kennzeichnungsverordnung (siehe dazu Seite 15f.).
Bis dahin bleibt die derzeit unzureichende Kennzeichnung von Lebensmittelallergenen bestehen: So ist ein Zutatenverzeichnis entbehrlich bei unverpackter Ware wie beispielsweise Wurstaufschnitt vom Metzger oder Brot vom Bäcker. Manchmal reicht auch die Angabe eines Klassennamens wie «Gewürze», um bestimmte Zutaten zu kennzeichnen ohne sie im Einzelnen (z.B. Sellerie, Curry) anzugeben. Produktspezifische Verordnungen wie die Kakao-Verordnung erlauben weitere Ausnahmen: So werden Zusätze wie Nüsse, Erdnüsse, Mandeln, Soja und Milch erst ab einem Gehalt von 5 Prozent in der Verkehrsbezeichnung von Kakaoprodukten genannt (Kakaoverordnung § 9).
In der Schweiz gilt die «5%-Regel», nach der die Bestandteile zusammengesetzter Zutaten nicht deklariert werden müssen, wenn sie weniger als 5 Prozent des Endproduktes ausmachen. Ungeachtet dessen müssen jedoch alle Zutaten, die in Tabelle 1 erwähnt sind – also alle Allergene – unabhängig von ihrem prozentualen Anteil angegeben werden.
Eine Ernährungsfachkraft, die Lebensmittelallergiker bei der Zusammenstellung einer Eliminationsdiät berät, sollte genauestens über die aktuelle Lebensmittelgesetzgebung informiert sein. Im Zweifel sollte sie den Verzicht auf Produkte unbekannter Zusammensetzung empfehlen (z.B. div. Wurstsorten bei Kuhmilchallergie oder Kuchen bei Erdnussallergie) und/oder beim Hersteller zuverlässige Informationen einholen.
Lebensmittelallergien, die sich im Säuglings- oder Kleinkindalter manifestieren, verschwinden oftmals noch im (frühen) Kindesalter. So verlieren Betroffene mit einer Kuhmilchallergie diese in 80 Prozent der Fälle bis zum Schulalter (11, 22). Folglich muss die Notwendigkeit einer therapeutischen Diät in regelmässigen Abständen
durch erneute Diagnostik und allenfalls durch Provokation überprüft werden. Diese Zeitabstände sind abhängig vom jeweiligen Lebensmittel, so erfordert zum Beispiel eine Milchallergie beim Kleinkind eine jährliche Kontrolle. Erwachsene, die unter einer Lebensmittelallergie leiden, verlieren diese dagegen nur selten, sodass Eliminationsdiäten in der Regel ein Leben lang durchgeführt werden müssen (26).
1.2 Bei pollenas s oz iiert en Lebens mit t elallergien
Den pollenassoziierten Lebensmittelallergien liegen vorwiegend Allergengemeinschaften beziehungsweise immunologische Kreuzreaktionen zu Grunde. Pflanzliche Lebensmittelallergene werden anhand ihrer Struktur und/oder Funktion im Wesentlichen wie folgt klassifiziert (17):
Pollenassoziierte Allergene: • «Pathogenesis-related proteins»
(z.B. Bet v I = Hauptallergen der Birkenpollen, β-1,2-Glukanase der Banane → Latex-Frucht-Syndrom) • Profiline (z.B. Bet v 2 in Birkenpollen) • andere Proteinfamilien mit allergener Potenz in pflanzlichen Lebensmitteln. Nichtpollenassoziierte Allergene: • Speicherproteine (z.B. Hauptallergene der Erdnuss) • Inhibitoren von Amylasen und Proteasen (z.B. Kunitz-Trypsin-Inhibitor der Sojabohne).
Die Gruppe der pollenassoziierten Lebensmittel ist sehr gross, ohne dass jede der möglichen Kreuzreaktionen im Einzelfall relevant sein muss. In der Regel entsteht eine pollenassoziierte Lebensmittelallergie auf der Grundlage einer primären Sensibilisierung gegen bestimmte Pollen, verbunden mit einer inhalativen Symptomatik beim Pollenflug ohne gleichzeitige Lebensmittelallergie. Sodann stellt sich häufig eine Symptomatik beim Verzehr eines Leitallergens wie Sellerie, Mohrrübe, Haselnuss oder Apfel ein. Da sich der Umfang der unverträglichen Lebensmittel aber durchaus erweitern kann, sollte nicht nur der Status quo der pollenassoziierten Lebensmittelallergie Gegenstand der Beratung sein, sondern auch ein Hinweis auf mögliche weitere Kreuzreaktionen erfolgen. Das bedeutet aber nicht, dass vorbeugend bisher nicht relevante pollenasso-
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ziierte Lebensmittel gemieden werden müssen. In der Regel wird die Mehrzahl der potenziell kreuzreagierenden Lebensmittel vertragen. Zum Zeitpunkt der Beratung sollten deshalb nur die symptomauslösenden und nicht vorbeugend alle pollenassoziierten Lebensmittel gemieden werden. Auch pollenassoziierte Lebensmittelallergien bleiben meist lebenslang bestehen. Eine erfolgreiche Hyposensibilisierung kann sich positiv auf die Verträglichkeit kreuzreaktiver Lebensmittel auswirken, wie bisher für Baumpollen gezeigt (4, 21). Dieser Punkt wird allerdings kontrovers beurteilt: Während einige Studien eine Verbesserung der pollenassoziierten Nahrungsmittelallergie unter Immuntherapie fanden, konnten andere Autoren diese Wirkung nicht nachweisen oder zeigten, dass die Verbesserung der Nahrungsmittelallergie nach Immuntherapie nur ein passagerer Effekt war.
1.3 Bei nicht allergis cher Hy pers ens it ivit ät (Ps eudoallergie)
Hat sich im Rahmen der Diagnostik ein einzelner Auslöser für das Auftreten pseudoallergischer Reaktionen herausgestellt, besteht die Therapie einzig in der Meidung dieses Lebensmittels oder Zusatzstoffes. In den seltenen Fällen, in denen eine chronische Urtikaria im Kindesalter auftritt, lassen sich häufig ein bis zwei LebensmittelZusatzstoffe dafür verantwortlich machen (19). Handelt es sich um ein natürliches Lebensmittel, sollte im Gegensatz zu Typ-I-Allergien berücksichtigt werden, dass die Reaktion dosisabhängig sein kann. Ist dagegen ein Zusatzstoff der Auslöser, muss der Betroffene darüber aufgeklärt werden, in welchen Lebensmitteln der relevante Zusatzstoff vorkommen kann, wie er deklariert wird und ob ein verstecktes Vorkommen möglich beziehungsweise wahrscheinlich ist. Grundsätzlich sind
Zusatzstoffe im Zutatenverzeichnis verpackter Lebensmittel aufgeführt (siehe 1.1). Auch bei unverpackter Ware müssen Zusatzstoffe kenntlich gemacht werden, es reichen jedoch ein Aushang oder schriftliche Aufzeichnungen, die der Verbraucher auf Wunsch einsehen darf. Zusatzstoffe, die als Bestandteil einer Zutat einem Lebensmittel auf indirekte Weise zugegeben werden, brauchen nicht deklariert zu werden, wenn sie im Endprodukt keine technologischen Wirkungen ausüben (Beispiel: Zusatz von Konservierungsstoffen in der Fruchtzubereitung eines Joghurts: ZZulV § 9).
Wenn eine nicht allergische Hypersensitivität durch Besserung unter pseudoallergenarmer Diät und Provokation mit pseudoallergenreicher Kost diagnostiziert wurde, ohne dass sich ein einzelnes Lebensmittel oder ein bestimmter Zusatzstoff als Auslöser identifizieren lassen, wird auf Basis der
Tabelle 2: Überblick zur Ernährungstherapie bei LMU
Pathomechanismus Diagnostik zusätzlich zur Anamnese
häufige Auslöser
Typ-I-Allergie im Kindesalter
– Bluttest (im Säuglings- und Kleinkinderalter bevorzugt) – Hauttest (Pricktest) – ggf. Atopy-Patchtest (nur bei Neurodermitis) – Rückgang der Symptome unter Eliminationsdiät/ggf. oligoallergener Basisdiät – Provokation, möglichst DBPCFC*
Grundlebensmittel – Hühnerei – Kuhmilch – Weizen – Soja – Erdnuss – Haselnuss
Charakteristika der Ernährungstherapie (Diät) mit Ausnahme der Massnahmen zum Erhalt bzw. zur Verbesserung der Lebensqualität
1. Elimination eindeutig nachgewiesener Auslöser 2. Berücksichtigung individueller Verträglichkeiten 3. Sicherstellung und Kontrolle einer vollwertigen und bedarfsgerechten Ernährung insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter
Dauer der Ernährungstherapie (Diätdauer)
1–2 Jahre, danach erneute Diagnostik und ggf. Provokation
Typ-I-Allergie im Erwachsenenalter
– Hauttest – Bluttest – Rückgang der Symptome unter Eliminationsdiät ggf. oligoallergene Basisdiät – ggf. Provokation, möglichst DBPCFC*
– pollenassoziierte Lebensmittelallergien (s.u.) sowie – Nüsse – Erdnüsse – Fisch – Schalentiere
1. Elimination eindeutig nachgewiesener Auslöser 2. Berücksichtigung individueller Verträglichkeiten 3. Sicherstellung und Kontrolle einer vollwertigen und bedarfsgerechten Ernährung insbesondere im Säuglings- und Kleinkindalter
meist lebenslang
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Pathomechanismus Diagnostik zusätzlich zur Anamnese
häufige Auslöser
Charakteristika der Ernährungstherapie (Diät) mit Ausnahme der Massnahmen zum Erhalt bzw. zur Verbesserung der Lebensqualität
pollenassoziierte Lebensmittelallergie (Kreuzreaktionen)
– Hauttest bzw. Bluttest auf Pollen – ggf. Pricktest mit nativen Lebensmitteln bei chronischen und multifaktoriellen Erkrankungen (z.B. atopisches Ekzem, Darmerkrankungen) – Rückgang der Symptome unter Diät frei von relevanten pollenassoziierten Lebensmittteln ggf. DBPCFC*
– Sellerie – Karotte – Haselnuss u.a. – Kern- und Steinobst – Kräuter, Gewürze – Hülsenfrüchte – Kürbisgewächse – Nachtschattengewächse – Getreide (selten)
1. Elimination eindeutig nachgewiesener Auslöser und Aufklärung über mögliche weitere Auslöser 2. Berücksichtigung individueller Verträglichkeiten, vor allem durch Verarbeitung 3. u.U. Sicherstellung und Kontrolle einer vollwertigen und bedarfsgerechten Ernährung
Dauer der Ernährungstherapie (Diätdauer)
meist lebenslang, evtl. erneute Verträglichkeit nach erfolgreicher Hyposensibilisierung
nicht allergische Hypersensitivität (Pseudoallergie)
– «Basisdiagnostik» bei Urtikaria – pseudoallergenarme Diät über 3–4 Wochen – Provokation mit pseudoallergenreicher Kost und Zusatzstoffen
– Zusatzstoffe – natürliche Aromastoffe – Salizylate – (biogene Amine)
häufige Spontanheilung, erneute Provokation nach 6 Monaten
*DBPCFC = double blind placebo controlled food challenge = doppelblinde, plazebokontrollierte Lebensmittelprovokation s.: Positionspapiere von DGAI zur oralen Provokation (25) und DGE zur Diagnostik (16)
pseudoallergenarmen Diät ein individueller Kostaufbau durchgeführt. Bisher verbotene Lebensmittel werden schrittweise eingeführt. Eine gute Protokollführung ist dabei unbedingt notwendig. Kommt es zum Auftreten von Symptomen, wird das entsprechende Lebensmittel vorerst wieder abgesetzt und die Diät auf dieser Stufe bis zur erneuten Symptomfreiheit beibehalten. Danach können weitere Lebensmittel eingeführt werden. Es ist jedoch ratsam, nach einiger Zeit das verdächtige Lebensmittel erneut zu testen, um die vorangegangene Reaktion zu bestätigen. Zum näheren Vorgehen siehe (18). Nichtallergische Hypersensitivitätsreaktionen sind als transientes Phänomen bekannt, sodass die Relevanz einer entsprechenden Diät in regelmässigen Abständen (alle 6 Monate) überprüft werden muss (37).
Tabelle 2 gibt einen Überblick über die verschiedenen Pathomechanismen, die notwendige Diagnostik als Basis für eine Ernährungstherapie, die
häufigsten Auslöser sowie über Charakteristika und Dauer ernährungstherapeutischer Massnahmen.
2. Berücksichtigung individueller Verträglichkeiten (auch in Bezug auf Verarbeitung des Lebensmittels) 2.1 Bei Lebens mit t elallergie
Fast jedes Lebensmittel beziehungsweise dessen Inhaltsstoffe können allergische Reaktionen hervorrufen, die allergene Potenz der einzelnen Lebensmittel ist jedoch unterschiedlich. So können insbesondere Erdnüsse und andere Leguminosen, Nüsse, Sesamsamen, Kuhmilch, Hühnerei, Fisch, Schalen- und Krustentiere, Gewürze, Sellerie sowie Latex-assoziierte Früchte wie Avocado oder Banane häufiger zu lebensbedrohlichen Sofortreaktionen führen (9). Rohe und unverarbeitete Lebensmittel bergen insbesondere bei Obst und Gemüse ein höheres Allergierisiko als solche, die zubereitet oder industriell verarbeitet wurden, denn Verarbeitungsprozesse wie beispiels-
weise Erhitzung können die allergene Potenz vieler Lebensmittelallergene abschwächen. Es gibt aber auch Allergene, die durch Verarbeitungsvorgänge unberührt bleiben (z.B. Fisch) oder aktiviert werden (z.B. Erdnüsse) (10). Bei vielen Lebensmitteln sind inzwischen auch mehrere allergene Strukturen bekannt, die unterschiedlich auf Verarbeitungsprozesse reagieren (Bsp. Kuhmilch [33]). Die Liste der Lebensmittel, deren allergene Potenz durch Verarbeitungsprozesse verändert werden kann, ist ausgesprochen vielfältig. Die genauen Kenntnisse darüber tragen allerdings entscheidend zur Verbesserung der Lebensqualität des betroffenen Lebensmittelallergikers bei.
Nach Vieths und Mitarbeitern (30) ist dabei jedoch zu berücksichtigen, dass «für hochsensibilisierte Personen immer ein Restrisiko für die Auslösung schwerer allergischer Reaktionen auch durch stark modifizierte und abgebaute Allergene sowie durch Kontami-
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Nahrungsmittelallergie
nationen mit Spuren von allergenen Lebensmitteln besteht».
In der Beratung sollte daher die individuelle Symptomatik bei der Berücksichtigung von Verarbeitungseinflüssen im Vordergrund stehen.
2.2 Bei pollenas s oz iiert er Lebens mit t elallergie
Pollenassoziierte Lebensmittel führen im Rahmen eines oralen Allergiesyndroms meist nur zu leichten allergischen Reaktion, es können aber – wie zum Beispiel für Sellerie, Karotte oder Haselnuss bekannt – auch sehr heftige Reaktionen auftreten. Viele pollenassoziierte Obst- und Gemüsesorten wirken nur im rohen Zustand allergen und werden gekocht vertragen (Beispiele: Stein- und Kernobst, Kartoffel; wenige Ausnahmen sind beschrieben). Allerdings gibt es in der Gruppe der Rosengewächse (Rosaceae) auch PanAllergene (Lipid-Transferproteine [LTP]), die hitze- und verdauungsstabil sind und zu schweren anaphylaktischen Reaktionen führen können (5, 6). Sellerie beinhaltet sowohl hitzelabile als auch hitzestabile Allergene. Abhängig von der individuellen Sensibilisierung kann gekochter Sellerie also durchaus vertragen werden. In diesem Fall kann allerdings keine Entwarnung für Selleriegewürz gegeben werden, das in vielen Gewürzmischungen enthalten ist. Reaktionen auf Selleriegewürz können heftiger ausfallen als auf rohen Sellerie (7).
Andere pollenassoziierte Lebensmittel wie beispielsweise der Apfel haben derart instabile Allergene, dass es bei leichter Apfelallergie ausreichen kann, den Apfel zu schälen, zu reiben und kurz an der Luft stehen zu lassen. Unter der Schale sind besonders viele Allergene konzentriert, die durch Schälen teilweise entfernt werden. Zusätzlich vermindert das Stehenlassen des zerkleinerten Apfels an der Luft dessen allergene Wirkung durch die enzymatische Bräunung (20). Äpfel sind fast immer verträglich, wenn sie im Kuchen, als Gelee, Saft oder als gekochtes Obst verzehrt werden. Eine Ausnahme besteht bei Sensibilisierungen auf LTP (s.o.), bei denen eine Erhitzung zur Minderung der Allergenität nicht ausreicht (6).
Zudem liess sich speziell bei Äpfeln eine Abhängigkeit der Allergenität von der Sorte und vom Reifungsgrad ermitteln. So sind Boskop, Jamba und Gloster als allergenarme Apfelsorten bekannt; Golden Delicious, Granny
Smith, Jonagold und Braeburn gelten dagegen eher als allergenreich (31).
Bei pollenassoziierter Lebensmittelallergie besteht die Möglichkeit, dass Betroffene ausserhalb der Pollensaison Lebensmittel symptomfrei verzehren können. Klinische Erfahrungen zeigen jedoch, dass die pollenassoziierte Nahrungsmittelallergie mehrheitlich ein ganzjähriges Phänomen ist und sich nur selten auf die Pollensaison beschränkt.
2.3 Bei nicht allergis cher Hy pers ens it ivit ät (Ps eudoallergie)
Da pseudoallergische Reaktionen dosisabhängig sind, also erst dann auftreten, wenn eine gewisse Menge des unverträglichen Lebensmittels verzehrt wurde, ist es wichtig, in der Beratung auf individuelle Schwellenwerte hinzuweisen. Dies gilt insbesondere für natürliche Auslöser pseudoallergischer Reaktionen. Im Fall von Aromastoffen können auch Sortenunterschiede und Wachstumsbedingungen der Pflanze einen Einfluss auf die Verträglichkeit haben (38).
3. Sicherstellung und Kontrolle einer vollwertigen und bedarfsgerechten Ernährung
Bei der Durchführung einer Eliminationskost über einen längeren Zeitraum können insbesondere bei Verzicht auf Grundnahrungsmittel Nährstoffdefizite entstehen (15). Die Nährstoffzufuhr sollte deshalb durch eine Ernährungsfachkraft überprüft werden, zum Beispiel auf der Basis von Ernährungsprotokollen. Die Auswertung erfolgt üblicherweise mittels computergestützter Nährwertberechnung. Nährstoffe, die auf Grund der notwendigen Lebensmittelelimination nicht oder nur unzureichend zugeführt werden, müssen anhand entsprechender Referenzwerte (14) für die Nährstoffzufuhr sichergestellt werden. Sollte die Nährstoffzufuhr durch Lebensmittelalternativen nicht sichergestellt werden können, ist mit dem behandelnden Arzt eine zusätzliche medikamentöse Substitution zu besprechen.
4. Empfehlungen zur praktischen Durchführung einer schmackhaften Eliminationsdiät unter Berücksichtigung des Erhalts oder der Verbesserung der Lebensqualität
Die praktische Umsetzung der Allergenelimination sollte dem Lebensmittelallergiker ein hohes Mass an Le-
bensqualität ermöglichen. Betroffene schränken aus Angst vor weiteren Symptomen ihre Lebensmittelauswahl oft so ein, dass die Diät einen grösseren Leidensdruck verursacht als die Krankheit selbst. In diesen Fällen gilt es, die Lebensqualität des Patienten durch praktische Tipps bezüglich Einkauf und Zubereitung wiederherzustellen. Empfehlungen zur Allergenelimination sollten sich nicht auf Verbotslisten beschränken. Günstiger ist es, dem Patienten eine aktuelle Liste an die Hand zu geben, die sowohl geeignete als auch nicht geeignete Lebensmittel aufführt (36). Eine solche Liste ersetzt jedoch keine individuelle Allergiediät. Durch Auswertung eines Ernährungsprotokolls und patientenzentrierte Gesprächsführung bekommt die Ernährungsfachkraft Einblick in die individuellen Ernährungsvorlieben und -abneigungen des Betroffenen, die durch Einbezug in die Eliminationskost eine positive Auswirkung auf die Compliance des Patienten hat. Hilfreich ist zusätzlich die Ausgabe von Adressenlisten von Lebensmittelherstellern, die Angaben zu den Zutaten machen können, die sie bei der Herstellung ihrer Produkte verwenden, und die bereit sind, Auskünfte an Privatpersonen zu geben. Aber auch einfache Zubereitungstipps unter Einbezug allergenarmer Rezepte sollten Bestandteil einer therapeutischen Ernährungsberatung sein.
Schlussbetrachtung
«Ziel der Ernährungsberatung ist die Lösung von individuellen Ernährungsproblemen» (8). Der Lebensmittelallergiker sollte über die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheit informiert werden und diese auch verstanden haben. Im Vordergrund steht dabei nicht die reine Informationsvermittlung, sondern die Zielsetzung, den Patienten zu eigenem Handeln zu befähigen, um vorhandene Probleme zu lösen. Wenn der Betroffene weiss, wie er mit seiner Lebensmittelunverträglichkeit umzugehen hat und welche Alternativen es gibt – auch hinsichtlich des Einkaufs und der Zubereitung –, lernt er mit seiner Lebensmittelunverträglichkeit besser zu leben.
Abschliessend soll noch einmal betont werden, dass die Verordnung und Überwachung einer Eliminationskost durch einen allergologisch erfahrenen Arzt erfolgen muss. Die Ernährungs-
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Nahrungsmittelallergie
fachkraft (Diplom-ÖkotrophologIn,
DiätassistentIn) sollte kooperatives
Bindeglied zwischen Arzt und Lebens-
mittelallergiker sein. Gemeinsames Ziel
ist die Symptomfreiheit oder zumin-
dest zufrieden stellende Symptom-
armut bei Sicherung des Nährstoffbe-
darfs und bestmöglicher Erhaltung der
Lebensqualität des Patienten.
I
Autoren: DGE Arbeitskreis «Diätetik in der Allergologie»: Prof. Dr. Christine Behr-Völtzer, Christiane Binder, Britta Bunselmeyer, Anja Constien, Prof. Dr. Hans Hauner, Dr. Helmut Oberritter, Dr. Christel Rademacher, Dr. Imke Reese, Mandy Ziegert, Prof. Dr. Thomas Werfel
Unter Berücksichtigung der schweizerischen Verhältnisse modifiziert und adaptiert durch Frau PD Dr. Barbara Ballmer-Weber, UniversitätsSpital Zürich.
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