Transkript
Ernährung und Alter
Nahrungssupplemente im Alter
Sind Nahrungssupplemente nur ein
Modetrend oder ein Weg, sich bis ins
hohe Alter gesund und fit zu erhalten?
Und was genau versteht man eigent-
lich darunter? Der nachfolgende Be-
richt gibt Antworten auf diese und an-
dere Fragen und zeigt auf, dass
Supplemente – gerade im Alter –
durchaus ihren Stellenwert haben, um
Nährstoffdefizite auszugleichen, Man-
gelerscheinungen vorzubeugen und
dabei zu helfen, möglichst lang ge-
sund zu bleiben.
Hannes B. Staehelin
Was sind Supplemente?
Supplemente sind Nahrungsmittel, die aufgrund ihrer Zusammensetzung oder der darin enthaltenen Nährstoffe als geeignet angesehen werden, die Gesundheit zu fördern. Sie nehmen dabei eine Zwischenstellung zwischen herkömmlichen Nahrungsmitteln und Heilmitteln ein, gehören aber aus gesetzgeberischer Sicht zu den Nahrungsmitteln und unterliegen damit dem Lebensmittelgesetz und der Lebensmittelverordnung. Dies ist insofern bedeutsam, als für ihre Marktzulassung keine ausführlichen Beweise für ihre Wirksamkeit vorgelegt werden müssen, wie dies bei Heilmitteln der Fall ist (1). Allerdings sind damit auch Heilanpreisungen untersagt. Bei Supplementen müssen die Bestimmungen für die darin enthaltenen Nährstoffe eingehalten werden.
Im Gegensatz zur Schweiz ist in den USA der Begriff «Supplement» definiert (2). Darunter versteht man Produkte, die die Nahrung ergänzen, die
einen oder mehrere Nährstoffe (inklusive Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, Kräuter oder andere zum Teil bioaktive Pflanzenstoffe, aber auch Enzyme und Extrakte von Tieren) enthalten und oral eingenommen werden. Supplemente sind demnach heute nicht mehr nur Produkte wie Multivitaminpillen oder Ovomaltine. Wichtig ist in der Definition der USA eine Klausel, die besagt, dass Supplemente nicht dafür gedacht sind, Krankheiten zu heilen, sondern um Lücken in der optimalen Nährstoffversorgung zu schliessen oder spezielle Bedürfnisse für bestimmte Nährstoffe bei Sport, Krankheit oder in anderen Situationen zu abzudecken.
Supplemente oder Nahrungsergänzungsmittel können sehr unterschiedliche Zwecke haben. Die grösste Verbreitung erfahren Supplemente im Sport, da der Kalorienverbrauch bei Ausdauerleistungen, sehr hoch ist und die Regeneration an den Körper ganz spezielle Anforderungen stellt. Aus den verschiedenen Anwendungen ergibt sich bereits, dass der Übergang zwischen Supplementen und Heilmitteln fliessend ist, besonders dort, wo der Verdacht auf eine Mangelernährung vorliegt. Schliesslich sind Supplemente auch von den «Functional Foods» abzugrenzen. Dies geschieht in den USA durch eine gesetzliche Regelung der Dietary Supplements, wobei die «Functional Foods» keine gesetzliche Grundlage haben und als Nahrungsmittel gelten. Werden Supplemente anstelle von Nahrungsmitteln vermarktet, verlieren sie den Status als Supplemente (mit anderen Anpreisungsmöglichkeiten) und fallen unter die üblichen Lebensmittelbestimmungen.
Nach Klärung der eher verwirrlichen Situation soll die Bezeichnung «Supplemente» in diesem Beitrag für Produkte gelten, die zusätzlich zur gewöhnlichen Nahrung eingenommen werden, um bestimmte Funktionen des Körpers zu erhalten, zu stärken oder zu verbessern. Dabei halten wir uns nicht streng an die gesetzliche Terminologie, sondern nutzen die Bezeichnung Supplement auch im Rahmen von Krankheiten, Rekonvaleszenz oder besonderen körperlichen Belastungen.
Welchen Einsatz und Nutzen
haben Supplemente?
Über die Lebensmittel wird der Körper mit den notwendigen Nährstoffen versorgt. Dabei erstaunt immer wieder, wie sich der menschliche Körper an die unterschiedlichsten Ernährungsformen anpassen und gedeihen kann. Andererseits wissen wir, dass Fehl- und Mangelernährung gerade in Entwicklungsländern stark zur globalen Krankheitsbürde beitragen (3). Es liegt auf der Hand, dass dort, wo ökonomische und technische Voraussetzungen für eine adäquate Ernährung fehlen, Supplemente die grössten Lücken schliessen können. Gerade Kinder, Frauen und Alte sind ökonomisch und sozial oft benachteiligt und den Gefahren der Mangelernährung ausgesetzt.
Ein anderer Einsatz ist der Versuch, durch Supplemente bestimmte Körperfunktionen zu verbessern. Dies gilt vor allem bei den Ergänzungs- und Zusatznahrungen der Sportler. Sie bereiten sich sorgfältig durch bestimmte Ernährungsweisen auf Kraft- oder Ausdauersport vor. Dies geschieht durch gezielte Zufuhr bestimmter Stoffe (so genannte ergogene Hilfen), die die Muskelkraft verbessern, die Erholungsphasen verkürzen und die Immunabwehr stärken sollen. Wieweit zum Beispiel durch Kreatin die Muskelleistung verbessert werden kann, ist immer noch kontrovers, obwohl gewisse Studien für einen Nutzen sprechen. Besser etabliert ist der Nutzen von Supplementen in Situationen, wo der katabole Stoffwechsel die Regeneration erschwert oder verhindert. Dies ist bei Infektionskrankheiten der Fall, wie HIV, Tuberkulose, Krebs, aber auch bei chronischer Herzinsuffizienz oder Operationen. Die Behandlung der Grundkrankheit und die Zeit der Gesundung kann hier wirksam durch Supplemente ergänzt werden. So lässt sich die Rekonvaleszenz nach Hüftoperationen durch Proteinsupplemente signifikant verkürzen (4).
Die Dosierung von Supplementen ist wichtig. Durch die Zufuhr von Zink als Supplement kann es aufgrund der Hemmung der Kupferaufnahme im Darm zu einem Kupfermangel kommen. Andererseits konnten wir zeigen, dass prak-
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tisch alle Patienten mit Dekubitus mangelernährt sind und ein Zinkdefizit aufweisen (5) und dass die Substitution mit Zink die Heilung verbessert. Oft wird auch versucht, durch die Einnahme grosser Mengen einen noch besseren Effekt zu erzielen. Die Beta-Karotin-Vitamin-E-Studie in Finnland hat aber gerade gezeigt, dass Monosupplemente in der falschen Dosierung gegenteilige Effekte haben können (6). Neuere Daten, die zeigen, dass durch Vitamin-ASupplementierung das Frakturrisiko erhöht werden kann (7), bestätigen dies. Die gesetzliche Regulierung der Supplemente ist deshalb auch aus Sicherheitsgründen erforderlich.
Supplemente und Anti-Aging
Die Ausführungen zeigen deutlich, dass sich der Alterungsprozess durch Supplemente nicht fundamental beeinflusst wird. Dennoch können Supplemente dazu beitragen, Funktionen bewahren zu helfen und damit die mit dem Alter verbunden Behinderungen und Krankheiten zu verhindern oder hinauszuzögern. Wieweit zum Beispiel durch die Zufuhr von Pflanzenstoffen mit Hormonwirkungen oder tierischen
Hormonextrakten bestimmte Effekte erzielt werden können, soll hier nicht weiter untersucht werden, da es sich hierbei um pharmakologische Interventionen handelt, die nicht mehr unter den Begriff «Supplemente» fallen. Möglicherweise gibt es aber in der Nahrung Stoffe, die den Alterungsprozess verzögern. So aktiviert Resveratrol, ein Polyphenol im Rotwein, ein Gen, das den Tumorsuppressor p53 steuert, die Zellteilung, aber auch die Apoptose beeinflusst (8) und im Experiment die Lebensspanne von Zellen und Fadenwürmer verlängert. Dabei wird die Wirkung der Kalorienrestriktion imitiert. Quercetin und andere Flavone haben eine ähnliche, aber schwächere Wirkung (9). Schon heute werden diese Substanzen als Supplemente angeboten, sie werden aber auch fleissig in Form von Tee, Wein und anderen Pflanzenprodukten konsumiert und haben in epidemiologischen Studien eine präventive Wirkung, zum Beispiel gegen HerzKreislauf-Krankheiten, ergeben.
Letztlich scheint sich der verlangsamte «Alterungsprozess» als geringere Anfälligkeit für Krankheiten auf der Organismusebene zu manifes-
tieren, auch wenn der Mechanismus nur eine bessere Zellreparatur und längeres Überleben der Zelle nach sich zieht. Wiederum zeigt sich, dass die Lebensverlängerung eng mit der Prävention von Krankheiten verbunden ist.
Warum Betagte Supplemente
brauchen
Mit fortschreitendem Alter verändern sich die physiologischen Bedürfnisse des Körpers und seine Zusammensetzung. Die Veränderungen setzen schon im frühen Erwachsenenalter ein, wirken sich aber vor allem nach dem 50. bis 60. Lebensjahr sukzessive stärker aus. So wie die Presbyopie zur Lesebrille zwingt, vermindern sich auch anderen physiologische Anpassungs- und Steuerungsmechanismen. So nimmt das Durstempfinden (10) ab, ebenso das Hungergefühl (11). Der Kalorienbedarf reduziert sich mit der Abnahme der fettfreien Körpermasse, nicht aber in gleichem Mass der Bedarf an Mikronährstoffen. So reduziert sich die Synthesekapazität der Haut für Vitamin D um über 50 Prozent; gleichzeitig führt auch die verminderte Nierenfunktion zu einer
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geringeren Konversion in aktives Vitamin D3. Es wundert also nicht, dass rund 90 Prozent der Pensionäre in geriatrischen Institutionen zu niedrige Vitamin-D-Spiegel aufweisen (12). Dies rechtfertigt eine Vitamin-D-Supplementierung bei Betagten. Der eigentlichen Pharmakotherapie vergleichbar nah ist die Einnahme von Koenzym Q10. Eine hoch dosierte Statin-Therapie (13) führt beispielsweise zu einem Koenzym-Q10-Mangel, der theoretisch durch die Supplementierung von Koenzym Q10 ausgeglichen werden könnte. Hier spricht man zu Recht von eigentlichen «Nutriceuticals».
Durch Supplemente lassen sich mögliche Nährstoffdefizite bei Betagten einfach, wirksam und preiswert ausgleichen. Die Korrektur von akuten Mangelzuständen ist immer indiziert. Krankheiten, Stress, aber auch Rauchen führen zu erhöhtem Bedarf, der in der Regel durch die Nahrung nicht gedeckt wird. Wieweit an sich gesunde Menschen im Alter von Supplementen profitieren, wird allerdings immer noch kontrovers diskutiert. Es sind nicht nur altersassoziierte pathologische Veränderungen, wie die Atrophie der Magenschleimhaut, die zu einer Unterversorgung mit Vitamin B12 führen können, sondern auch die im Rahmen geringerer Energiebedürfnisse verminderte Zufuhr anderer Mikronährstoffe, wie Folsäure und Vitamin B6. Dies erklärt zum Teil den mit dem Alter ansteigenden Homocysteinspiegel und die damit assoziierte kardiovaskuläre und neurodegenerative Pathologie. Eine Anreicherung der Nahrungsmittel mit Folsäure wird deshalb in den USA mit Erfolg angewandt (14) und bei uns noch diskutiert. Gerade Personen mit hohem Risiko für die Entwicklung einer Demenz weisen schon in der prämorbiden Phase niedrige Plasmawerte für diese Mikronährstoffe auf (15).
Eine weitere Altersveränderung ist
Abbildung (19): EAR Estimated Average Requirements = Der geschätzte Bedarf an Nährstoff, der in einer bestimmte Population und Altersgruppe 50% der gesunden Personen adäquat versorgt. RDA Recommended Daily Allowance = Die mittlere Nährstoffzufuhr, die praktisch alle genügend versorgt. AI = geschätzte adäquate Nährstoffzufuhr, wenn es nicht möglich ist die RDA zu messen. UL = obere Limite der tolerierten Nährstoffzufuhr
eine verminderte und teilweise fehlgeleitete Immunantwort auf exogene und endogene Faktoren. So scheinen Supplemente in der Lage, die Immunfunktion zu verbessern und die Erkältungssymptome zu verkürzen (16). Allerdings ist die Wirkung von Vitamin E allein oder handelsüblichen Multivitamintabletten bei gesunden Betagten nicht von klinischer Bedeutung – Vitamin E ist sogar für gewisse andere Krankheiten ungünstig (17). Daraus folgt, dass es für diese klinisch-therapeutischen Wirkungen speziell zusammengesetzte Supplemente braucht. Dies ist möglich, ohne die empfohlenen täglichen Mengen zu überschreiten (16). Die Schwierigkeit, den Nutzen der Supplemente abzuschätzen, liegt vor allem darin, dass Personen, die Supplemente einnehmen, in der Regel ohnehin gesundheitsbewusster, disziplinierter und vorsichtiger leben als diejenigen, die auf Supplemente verzichten. Meist sind auch der Bildungsgrad und der sozioökonomische Status höher und das allgemeine Risiko für Behinderungen und Krankheiten entsprechend geringer (18).
«Dosis sola facit venenum» – diese Aussage von Paracelsus gilt auch für Supplemente, und es ist deshalb sinnvoll, sich bei der Wahl der Nährstoffe und der Bestimmung der täglich zugeführten Menge die in der Abbildung gezeigten Zusammenhänge bildlich vor Augen zu halten. Diese macht deutlich, dass, je nach Ernährungsweise (besonders im Alter mit geringerem Energiebedarf), bestimmte Nährstoffe in einem kritischen Versorgungsbereich liegen, andere wiederum unproblematisch sind. Gerade die krankheitsbedingte Inappetenz, aber auch der erhöhte Bedarf an Nährstoffen nach katabolen Phasen, sprechen für Supplemente.
Praktische Empfehlungen
• Von der Einnahme von Supplementen mit einer breiten Palette von Inhaltsstoffen sollte nicht abgeraten werden (20). Der Verzehr einer vielfältigen Auswahl an Nahrungsmitteln hat aber auch beim Betagten oberste Priorität und sollte nur vorübergehend durch Supplemente ausgeglichen werden.
• Supplemente sollten die sicheren oberen Limiten nicht überschreiten. Megadosen erwiesen sich nicht selten als schädlich.
• Das Risiko einer Unterversorgung an Mikronährstoffen, wie Vitamin D oder Folsäure, rechtfertigt eine generelle Substituierung oder Anreicherung der Nahrung.
• In Zeiten akuter Krankheiten, Traumen oder der Rekonvaleszenz sind Nährstoffe wie Zink, Proteinsupplemente und Vitamine sowie andere Mikronährstoffe wertvolle Adjuvanzien, die den Heilungsverlauf fördern.
Zusammenfassung
Supplemente sind Nahrungsmittel, die aufgrund ihrer Zusammensetzung oder der darin enthaltenen Nährstoffe als geeignet angesehen werden, die Gesundheit zu fördern. Sie unterliegen der Nahrungsmittelgesetzgebung und sind primär für Gesunde gedacht. Ihre Abgrenzung von «Functional Foods» ist nicht genau definiert. Bei Betagten dienen die Supplemente dazu, die durch physiologische oder krankhafte Altersveränderungen ausgelösten Mangelversorgungen auszugleichen. Besonders betroffen sind Vitamin D und Folsäure. Wieweit bestimmte bioaktive sekundäre Nährstoffe aus Pflanzen (Reservatrol, Quercetin u.a.m.) einen eigentlichen AntiAging-Effekt aufweisen, ist fraglich. Ihre Bedeutung in der Prävention chronischer Krankheiten ist weniger umstritten. Da sich Interaktionen und Überdosierungen ungünstig auswirken können, ist vor allem auf die Sicherheit der Supplemente zu achten.
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Autor: Professor Dr. med. Hannes B. Staehelin Geriatrische Universitätsklinik Universitätsspital Basel, 4031 Basel
Literatur auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich.
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