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NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTEL
Argininsupplementierung: warum, wann und wie viel
ERICH ROTH1, EVA STRASSER2, BARBARA WESSNER3
Erich Roth
Eva Strasser
Barbara Wessner
L-Arginin ist eine semiessenzielle Aminosäure, deren endogene Synthese in der Niere über Citrullin läuft. Beim heranwachsenden Kind und bei gewissen eiweisskatabolen Zuständen ist die endogene Synthese möglicherweise zu gering, sodass eine L-Argininzufuhr empfohlen wird. Neben der Bedeutung des L-Arginins als proteinogene Aminosäure und als Zwischenprodukt des intermediären Stoffwechsels ist L-Arginin ein Zellmodulator, der die Sekretion anaboler Hormone, wie GrowthHormon, Prolaktin und Insulin-like Growth Factor 1 stimuliert. Darüber hinaus spielt L-Arginin eine wichtige Rolle in der Immunantwort, da es sowohl die lymphozytäre als auch die monozytäre Immunantwort beeinflusst. Klinische Schwerpunkte der L-Argininanwendung und -forschung sind seine Bedeutung als Stimulator der Wundheilung und der Immunantwort im postoperativen und posttraumatischen Bereich. Hier liegen überzeugende Ergebnisse einer supplementierten L-Argininzufuhr vor. L-Arginin ist die Vorläufersubstanz von Stickoxid (nitric oxide: NO), das vasodilatierend wirkt und die Mikrozirkulation verbessert. Obwohl eine Reihe von Studien den Einfluss von L-Arginin/NO auf die Funktion verschiedener Organe wie die des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge, der Leber und der Niere untersucht haben, sind die Ergebnisse widersprüchlich. L-Arginingaben sind möglicherweise auch für die Onkologie und die Sportmedizin von Bedeutung. Diesbezügliche Supplemente, in denen L-Arginin allein oder in Kombination mit anderen Aminosäuren gegeben wird, werden zurzeit untersucht.
Chemie und Physiologie
L-Arginin ist die Aminosäure mit der höchsten Anzahl an Stickstoffatomen und spielt als zentraler Metabolit des Harnstoffzyklus eine wichtige Rolle in der Stickstoffhomöostase des Körpers (1, 2). Endogen wird L-Arginin in der Niere aus dem vom Dünndarm angelieferten Citrullin in einer Grössenordnung von 2 g pro Tag synthetisiert. Allerdings kann die
1Chirurgisches Forschungslabor, Klinik für Chirurgie, Medizinische Universität Wien 2Institut für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Sozialmedizinisches Zentrum Süd/Kaiser Franz Joseph Spital, Wien 3Abteilung für Sport und Leistungsphysiologie, Zentrum für Sportwissenschaft und Universitätssport, Universität Wien
endogene L-Argininsynthese bei Neugeborenen, wachsenden Kindern und auch im eiweisskatabolen Zustand (Sepsis, Verbrennung, Polytrauma) zu gering sein, sodass L-Arginin als semiessenzielle Aminosäure gewertet wird. Wichtige Produkte des L-Argininstoffwechsels sind die Aminosäuren Ornithin, Prolin und Glutamin sowie die Polyamine und das Kreatin. LArginin gehört zu den proteinogenen Aminosäuren und ist ein Bestandteil von Proteinen. Neben diesen Funktionen im Stickstoffhaushalt wirkt L-Arginin aber auch als Zellmodulator. Über die Polyaminsynthese unterstützt die Substanz Zellwachstum und -differenzierung. Sie stimuliert zudem
die Sekretion der anabolen Hormone wie die des Wachstumshormons, des Prolaktins sowie des Insulin-like Growth Factor 1, fördert die Bildung gewisser Zytokine und wirkt so immunmodulierend. Eine neue wichtige Rolle von L-Arginin ergab sich aus der Erkenntnis, dass L-Arginin die Vorstufe von Stickoxyd (nitric oxide: NO) ist (3). NO ist der erste entdeckte gasförmige Modulator, dessen physiologisches Wirkungsspektrum enorm ist. Die Umwandlung von L-Arginin in NO erfolgt mittels der Nitric-Oxide-Synthase (NOS). Von der NOS gibt es drei Isoenzyme, nämlich die konstitutive, die induzierbare (induzierbar u.a. durch Endoxin und TNF-α) und die neuronale NOS. Es ist biochemisch
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nicht verständlich, warum eine L-Argininzufuhr, die nur eine minimale Erhöhung der L-Argininkonzentrationen bewirkt, eine vermehrte NO-Bildung hervorrufen soll, da die physiologischen L-Argininspiegel etwa 25-mal höher sind als die maximale Aktivierung der NO-Synthase benötigen würde. Die Erklärung dieses «ArgininParadoxons» liegt offenbar in den Argininmetaboliten ADMA und SDMA (asymmetrisches bzw. symmetrisches Dimethylarginin), die beide endogene Inhibitoren der NO-Synthase sind und als kardiovaskuläre Risikofaktoren gelten, da sie eine lokale Vasokonstriktion verursachen (4, 5). In der Tat sind die ADMA-Werte bei Patienten mit Hypercholesterinämie, Arteriosklerose, Hypertension sowie chronischem Nierenversagen oder chronischem Herzversagen erhöht. Möglicherweise stehen erhöhte ADMA-Konzentrationen in Verbindung mit der Entwicklung eines Multiorganversagens.
Dosierungen, Toxizität
Aufgrund des grossen Wirkungsspektrums von L-Arginin wird verständlich, dass die Wirkung einer exogenen Zufuhr von L-Arginin auf verschiedene physiologische und pathophysiologische Zustände in zahlreichen Untersuchungen genauer analysiert wurde.
Orale enterale L-Arginingabe Der Arginingehalt von tierischem Protein liegt im Bereich von 5 Prozent. Die tägliche über die Nahrung aufgenommene L-Argininmenge liegt zwischen 2 und 6 g in Abhängigkeit vom aufgenommenen Protein. Die meisten wissenschaftlichen Studien verwendeten eine L-Argininzufuhrrate von 9 g/Tag, andere setzten auch Supplemente mit geringeren Dosierungen ein (4–5 g) (6). Gesunde Freiwillige erhielten bis zu 25 g L-Arginin pro Tag über einen Zeitraum von zwei Wochen, ohne dass Nebenwirkungen zu beobachten waren. Beaumier steigerte die Dosierung auf nahezu 40 g/Tag über einen Zeitraum von drei Tagen – auch hier blieben unerwünschte Effekte aus (7). Im Rahmen einer oralen oder enteralen Immunonutrition liegt die Zufuhr von L-Arginin im Bereich von 9 bis 12 g/Tag.
Nach Gabe von 10 g L-Arginin wurde die maximale Argininkonzentration nach einer Stunde im Plasma gemessen, wobei die absolute Bioverfügbarkeit bei 20 Prozent lag (8). Der Basiswert von L-Arginin betrug in dieser Studie 15 μg/ml; dieser Wert wurde unter oraler Gabe (10 g) auf 51 μg/ml erhöht. Unter parenteraler Gabe (30 g L-Arginin in 30 min) erhöhte sich dieser Wert auf 1390 μg/ml. Trotz der in dieser Studie verwendeten unterschiedlichen Dosierungen ist aus diesen Zahlen ersichtlich, dass eine parenterale L-Arginingabe effektiver zu sein scheint.
Parenterale L-Argininzufuhr Aminosäurelösungen, die für den parenteralen Gebrauch im klinischen Bereich bestimmt sind, enthalten 8 bis 11 g L-Arginin pro 100 g Aminosäuren. Bei einem Bedarf von 1,5 g Aminosäuren pro kg Körpergewicht (KG) und Tag entspricht das einer täglichen L-Argininzufuhr von 10 g. In experimentellen Untersuchungen wurden sogar höhere L-Arginingaben eingesetzt, und zwar 20 g über einen Zeitraum von sieben Tagen beziehungsweise 0,5 g/kg KG in 30 Minuten (6). Die klinischen Studien erwecken den Eindruck, dass die Wirksamkeit einer L-Argininzufuhr im Bereich von 10 g/Tag liegen sollte, um physiologische Effekte wirklich messbar zu machen. In der Sekundärliteratur werden vielfach L-Argininmengen im Bereich von 3 g empfohlen. Diese Zufuhrmengen liegen jedoch unter den bekannten Dosis-Wirkungs-Daten (siehe unten).
Wund-, Knochenheilung, kardiovaskuläre Effekte, Onkologie
Die ersten klinischen Studien mit einer additiven L-Arginingabe wurden an chirurgischen Patienten durchgeführt mit der Intention, dass L-Arginin die Wundheilung verbessern könnte (9). Patienten, die 25 beziehungsweise 15 g L-Arginin erhielten, zeigten eine verbesserte Kollagenbildung im Wundbereich, nicht aber in der Epithelialisierung oder im DNA- beziehungsweise Proteingehalt. Jüngste Ergebnisse haben gezeigt, dass L-Arginin auch die Heilung stabilisierter diaphysärer Knochendefekte beschleunigen kann (10, 11). Beim Patienten mit Polytrauma
ist der L-Argininspiegel verringert. Hier bewirkt eine L-Arginingabe möglicherweise eine Funktionsverbesserung der Makrophagen und Lymphozyten. Aufgrund der vasodilatierenden Wirkung von NO war es nahe liegend zu untersuchen, inwieweit eine L-Argininzufuhr zur Besserung oder Vermeidung kardiovaskulärer Erkrankungen beiträgt. In der Tat verbessert L-Arginin die Endothelfunktion bei Hypercholesterinämie und bei Arteriosklerose (12–14). Zurzeit wird untersucht, ob sich die Substanz bei koronaren Herzerkrankungen, peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder bei der Verhinderung von Reststenosen als wirksames Therapeutikum eignen könnte. Die Bedeutung von L-Arginin in der Onkologie ist noch nicht abschliessend geklärt. Verschiedene Studien zeigen, dass die Aminosäure einen Einfluss auf die Tumorinitiation, die Tumorprogression, die Adhäsion von Tumorzellen und die Angiogenese, die Differenzierung, die Chemound Radiosensitivität sowie auf die tumorunterstützte Immunosuppression hat (15). Kürzlich ist ein neues Produkt zur Ernährung von Tumorpatienten auf den Markt gekommen, das Leuzin, Omega-3Fettsäuren und L-Arginin enthält. Als Rationale für den Zusatz von L-Arginin wird angegeben, dass Tumorpatienten verringerte Argininplasmaspiegel haben und diese Hypoargininämie möglicherweise für die schlechte Erholungsphase von Karzinompatienten verantwortlich ist. Darüber hinaus gibt es eine Arbeit an einem Mausmodell (Neuroblastom), die zeigt, dass L-Arginin in Kombination mit Interleukin-2 zu einer verbesserten Überlebensrate führt (16). Die Bedeutung von L-Arginin in der Onkologie bedarf sicherlich weitergehender Untersuchungen, die derzeit im Gange sind.
Chirurgische Patienten, Intensivpatienten
Wie schon erwähnt, kann L-Arginin das Immunsystem beeinflussen, indem es einerseits die Lymphozytenproliferation stimuliert und andererseits die Funktion der Monozyten/Makrophagen verbessert. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass L-Arginin in Kombina-
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tion mit Omega-3-Fettsäuren und Nu- septischen Patienten herausfilterte. Ob- sind – neben der Prävention möglicher
kleotiden sowie teilweise mit Glutamin wohl der Negativeffekt einer L-Argininga- Mangelzustände – auch ein positiver Ein-
als sogenannte Immunonutrition sowohl be aufgrund der Anwendung eines fluss auf die Proteinsynthese beziehungs-
für postoperative, -traumatische Patien- Kombinationspräparats (neben L-Arginin weise die Proteinhydrolyse des Skelett-
ten als auch für Intensivpatienten ange- wurden noch vermehrt Nukleotide und muskels und damit die Verhinderung
boten wird (17). Ziel dieser Produkte ist Omega-3-Fettsäuren angeboten) hypo- oder Eindämmung des muskulären Ei-
es, die immunologische Situation immun- thetisiert wurde, wurde L-Arginin als ge- weisskatabolismus (28). Die Atrophie der
supprimierter Patienten zu verbessern. fährliche Substanz beim septischen Pa- Skelettmuskulatur ist eine Begleiterschei-
Die meisten Studien wurden mit «Oral Im- tienten deklariert. Die Rationale hinter nung bei einer Vielzahl akuter und chroni-
pact» (Novartis, jetzt Nestlé) durchge- dieser Vermutung ist, dass NO zellschädi- scher Erkrankungen, wie Sepsis, chirur-
führt. Diese Trinknahrung enthält L-Argi- gend wirken kann, wenn sich das Stick- gische Interventionen, Trauma oder
nin, Nukleotide und Omega-3 Fettsäuren. oxyd mit dem Superoxidradikal (O2-) zu Immobilität (29). Auch während des Alte-
Es gibt eine Reihe von Metaanalysen, bei Peroxinitrit verbindet. Allerdings gibt es rungsprozesses kommt es zu einem mas-
denen der Einfluss dieses Produkts auf eine Reihe von Untersuchungen, die zei- siven allgemeinen Muskelabbau. Davon
verschiedene Outcome-Parameter mit gen, dass Argininmangel per se eine ver- betroffen sind insbesondere die für die
dem anderer Immunonutrition-Formulie- mehrte Bildung von Superoxidradikal be- Muskelkontraktion notwendigen myofi-
rungen verglichen wurde (ein Teil dieser wirkt, da er zu einer Entkoppelung der brillären Proteine Myosin und Aktin, wo-
Produkte kam nie auf den
durch ein Verlust an Muskel-
Markt). Diese Vergleiche erweisen sich jedoch inso-
«L-Arginin hat zahlreiche Funktionen. Es
masse und Muskelkraft sowie eine beschleunigte Muskel-
fern als problematisch, da spielt nicht nur im Stickstoffhaushalt, sondern
»bekannt ist, dass die ein- auch in der Immunantwort eine zentrale Rolle.
ermüdung entstehen. Die Folgen beim kritisch Kranken
zelnen Komponenten der
oder immobilen Patienten
Immunonutrition dosisabhängig wirken, konstitutiven NOS führt und so indirekt sind erhöhte Infektionsraten, verlang-
unterschiedliche Zusammensetzungen die induzierbare NOS stimuliert (20). Es ist samte Wundheilung, Komplikationen bei
also unterschiedliche Wirkungen hervor- daher nicht erstaunlich, dass einige Ar- der Entwöhnung der Beatmung und er-
rufen können.
beiten die Sepsis als ein «arginindefizien- schwerte Mobilisation. Im Alter führt dies
Die orale Immunonutrition hat sich bei tes» Zustandsbild definieren (21–24). zu Stürzen, Knochenbrüchen, Verletzun-
chirurgischen und polytraumatisierten Eigene Ergebnisse zeigen, dass der Argi- gen und Mobilitätsverlust. Ausgehend
Patienten bewährt, da gezeigt werden ninspiegel septischer Patienten in der Tat von den primären Stimulatoren – Hormo-
konnte, dass sich die Komplikationsrate, um 33 Prozent und im Muskelgewebe um ne, Muskeldehnung, Stress, Inflammati-
die Krankenhausaufenthaltsdauer und 38 Prozent unter dem Normalwert liegt. on, neuronale Aktivität – konzentriert
die Rate der respiratorischen Insuffizienz Um hier Klarheit zu schaffen, bedarf es zu- sich die Wissenschaft auf die Erforschung
damit senken liessen. Dieser positive Ef- sätzlicher klinischer Studien (25).
der Signaltransduktionswege, die eine
fekt kommt ebenfalls in den Ernährungs- Im Lebergewebe ist kein freies L-Arginin Beeinflussung der Proteinsynthese und
empfehlungen der ESPEN, der Arbeitsge- messbar, da die hepatische Arginasekon- des Proteinabbaus bei Atrophien des Ske-
meinschaft für Klinische Ernährung (AKE) zentration so hoch ist, dass das aufge- lettmuskels ermöglichen. Erste Zellkul-
sowie in den Ernährungsrichtlinien der nommene L-Arginin sofort metabolisiert turdaten deuten darauf hin, dass eine
Deutschen Gesellschaft für Ernährungs- wird. Der L-Argininmetabolismus der Le- Elektrostimulation der Myoblasten die
medizin zum Ausdruck (18).
ber hängt also vom L-Argininplasmaspie- Freisetzung von NO sowie die Expression
Eine Kontroverse über den Einsatz einer gel ab. In einem septischen Hundemodell von Differenzierungsmarkern erhöht.
Immunonutrition besteht beim Intensiv- wurde gezeigt, dass eine L-Arginingabe Neben der Unterstützung der Proteinsyn-
patienten, da – ausgelöst durch die Emp- die Mortalität der Hunde erhöht (26), these werden als weitere Anwendungs-
fehlungen der Canadian Clinical Practice während ein endotoxisches Schweine- bereiche von Supplementen die Optimie-
Guidelines for Nutrition Support (CCPG) – modell genau das gegenteilige Ergebnis rung des Energiestoffwechsels, Schutz
hier die Zufuhr einer argininhaltigen brachte (27).
und Reparatur von Körperzellen sowie
(enteralen) Immunonutrition bei septischen Patienten als kontraindiziert, ja sogar mortalitätssteigernd dargestellt wurde (19). Die Gruppe um D. Heyland kam zu
Erwartungen an Protein- und Aminosäurensupplemente für eine neuromuskuläre Stimulation
eine Modulierung des Immunsystems diskutiert. Dabei sollte man im Auge behalten, dass bei einer optimalen Basisversorgung durch ausgewogene Mischkost
diesem Schluss, nachdem sie L-Arginin in Die Erwartungen, die an ein Nahrungser- entsprechend den Empfehlungen der Er-
Metaanalysen und Subanalysen sowie gänzungsmittel (oder Nährstoffsupple- nährungsgesellschaften die Versorgung
nach Auswertung anderer Reviews als ment) im Zusammenhang mit der musku- an Makro- und Mikronährstoffen sowohl
möglichen negativen Metaboliten bei lären Leistungsfähigkeit gestellt werden, im Breiten- und Gesundheits- als auch im
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Leistungs- und Spitzensport sichergestellt ist, da der erhöhte Bedarf meist durch die höhere Energiezufuhr gedeckt wird. Dabei ist es essenziell, die Ernährungsbilanzen (Energie-, Nährstoff-, Flüssigkeits-, Elektrolyt- Vitamin- und Mineralstoffbilanz) im Auge zu behalten, da der Mangel an Nährstoffen die Leistungsfähigkeit einschränken kann. Dementsprechend kann auch innerhalb der erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel zwischen Energiekonzentraten (weight gainer), Kohlenhydratkonzentraten, Proteinkonzentraten, Sportgetränken, Mikronährstoffpräparaten und Leistungsförderern (ergogenen Substanzen) unterschieden werden.
L-Arginin als Sportsupplement
Im Sinne dieses Reviews soll besonders auf die Anwendung von L-Arginin als möglicherweise anabole Substanz eingegangen werden. Die physiologischen Effekte einer L-Arginingabe wie eine Hemmung der Plättchenaggregation, eine Verbesserung der endothelialen Vasodilation, eine verringerte Makrophagenadhäsion an das Endothel, eine Stimulation des Wachstumshormons (growth hormone: GH) machen L-Arginin für die Sportmedizin interessant. Ausserdem ist L-Arginin eine Vorstufe des Kreatins und des Stickoxids NO, einem potenten Mediator des Gefässsystems. Im Folgenden soll auf den Zusammenhang von L-Arginin, GH und Muskelkraft näher eingegangen werden, da der GHAnstieg möglicherweise für die Stimulation der Proteinsynthese verantwortlich ist (30, 31). L-Arginin, aber auch Methionin, Phenylalanin, Lysin und Histidin bewirken bei intravenöser Gabe eine enorme GHSekretion, da die endogene Sekretion des Gegenspielers Somatostatin dabei unterdrückt wird. Zur Stimulation der GH-Sekretion ist parenteral gegebenes L-Arginin prinzipiell effektiver als eine orale Gabe. Die verwendeten Dosierungen liegen zwischen 12 und 30 g. Untersuchungen über die Wirksamkeit einer oralen LArgininzufuhr (Bolusapplikation) zeigten eine Zunahme der GH-Sekretion bei steigenden Dosierungen bis zu 13 g L-Arginin (32). Die stärkste Sekretion ergab eine L-
Arginingabe von 9 g, der höchste Sekretionspeak wurde nach 30 Minuten erreicht. Interessanterweise scheint die gleichzeitige Gabe von L-Arginin und Lysin einen weitaus grösseren Sekretionsstimulus auszuüben als die Gabe der einzelnen Aminosäuren (33). So bewirkt die orale Zufuhr von 1,5 g L-Arginin in Kombination mit 1,5 g Lysin einen achtfachen GHAnstieg (nach 90 min). Dieselbe Gabe führte allerdings bei Individuen, die ein Widerstandstraining absolvierten, nur zu einem 2,7-fachen GH-Anstieg (34). Einer der stärksten physiologischen GHStimulatoren ist die sportliche Betätigung (exercise), die – abhängig von Art und Dauer – eine bis zu fünffach erhöhte GH-Sekretion bewirken kann. Bis der GHSpiegel nach körperlicher Aktivität wieder absinkt, kann es einige Stunden dauern. Interessanterweise führt bereits eine kurzzeitige intensive sportliche Betätigung (75% VO2max, 10 min) zu einem beträchtlichen GH-Anstieg (35): Bei länger dauernder sportlicher Betätigung kommt es zu einem drei- bis fünffachen Anstieg. Collier et al. untersuchten die Wirkung einer L-Arginingabe (7 g) in Kombination mit einer Widerstandsübung auf die GHSekretion (36). Bei diesem experimentellen Ansatz erhöhte jeweils beides, also die L-Arginingabe und die Übungseinheit, die GH-Sekretion, wobei sich der GHEffekt interessanterweise durch die Kombination von L-Arginin und sportlicher Betätigung verringerte, im Vergleich zur Übungseinheit allein. Die Erklärung dafür ist, dass die kombinierte Anwendung von L-Arginin und sportlicher Betätigung eine Feedback-Hemmung der GH-Sekretion bewirkt. Diese Arbeit bestätigte frühere Befunde, dass die Kombination von L-Arginin und sportlicher Betätigung keinen zusätzlichen Effekt auf die GH-Sekretion bringt. Im Gegensatz dazu steht eine Studie von Colombani et al., die zeigt, dass Marathonläufer, die 14 Tage vor dem Marathon täglich 15 g Arginin-Aspartat zu sich nahmen, nach dem Lauf erhöhte GHSpiegel aufwiesen (37). Enttäuschend ist, dass es sich beim Grossteil der Studien, die untersuchten, inwieweit sich eine L-Arginingabe positiv auf den Muskelstoffwechsel bei sportlicher
Betätigung auswirkt, nicht um kontrollierte Doppelblindstudien mit und ohne L-Arginingaben handelt (38). Bei der derzeitigen Studienlage kann L-Arginin also nicht als Stimulans für die Zunahme der Muskelmasse oder der Muskelkraft angesehen werden. Allerdings bewirkt die Substanz möglicherweise eine bessere Muskelrelaxation, da unter L-Arginingabe und sportlicher Betätigung niedrigere Laktat- und Ammoniakwerte gemessen wurden (39). Ein etwas anderer Ansatz eines Aminosäurensupplements wurde jüngst von E. Borsheim et al. publiziert. Diese Arbeitsgruppe versuchte, mithilfe eines Aminosäurensupplements eine Erhöhung der Skelettmuskelmasse und -stärke bei alten Menschen mit bestehender Glukoseintoleranz zu erreichen (40). Die Arbeitsgruppe verwendete ein kombiniertes Aminosäurensupplement bestehend aus Histidin, Isoleuzin, Leuzin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Valin und auch Arginin. Die weitaus grössten Konzentrationen in diesem Supplement waren die von Isoleuzin und Leuzin (36 bzw. 17%), gefolgt von Arginin und Threonin (10 bzw. 9,5%). In früheren Studien wurde bereits festgestellt, dass vor allem die essenziellen Aminosäuren den grössten Effekt auf die Proteinsynthese des Skelettmuskels haben (41). Allerdings scheint dieser Effekt im Alter abzunehmen (42). Der hohe Anteil von Isoleuzin und Leuzin ist darin begründet, dass vor allem Leuzin als Stimulator der muskulären Skelettmuskelsynthese gilt. Allerdings gibt es auch Studien, die bezweifeln, dass die essenziellen Aminosäuren für eine vermehrte Proteinsynthese nach körperlicher Betätigung verantwortlich sind (43). Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um E. Borsheim zeigen, dass die Verabreichung des Supplements (11 g EAS + LArginin) zweimal pro Tag zwischen den normalen Mahlzeiten über eine Periode von 16 Wochen zu einem Anstieg der Lean-Body-Mass in der experimentellen Gruppe führte (1,14 kg nach 12 Wochen, 0,6 kg nach 16 Wochen) (40). Auch die Muskelkraft der unteren Extremitäten nahm signifikant zu (um 22,6%). Diese Zunahme drückte sich in einer Verbesserung
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zusätzlicher physikalischer Variablen aus. Diese Arbeit weist vielleicht einen neuen Weg, wie es mithilfe von Aminosäurensupplementen gelingen könnte, die Skelettmuskelmasse und -stärke zu stimulieren.
Fazit
Zweifelsohne bedarf es einer adäquaten Zufuhr von Makro- und Mikronährstoffen, um den Anforderungen einer optimalen Ernährung nachzukommen. Unter besonderen Beanspruchungen wie bei schweren Erkrankungen, im Alter, bei Immobilität und bei Spitzensport liegen diese Anforderungen höher als unter Normalbedingungen. Bei diesen angeführten Zuständen haben möglicherweise auch Aminosäuren- und Proteinsupplemente einen Sinn. Für Supplemente, die einzelne Aminosäuren (L-Arginin, Glutamin, Taurin, schwefelhaltige Aminosäuren) oder speziell zusammengesetzte Aminosäurenkombinationen anbieten, sind allerdings noch wenige positive Studien bekannt, sodass die Gabe dieser Supplemente heute noch einen experimentellen Charakter aufweist.
Korrespondenzadresse: Ao. Univ. Prof. Mag. DI. Dr. Erich Roth Medizinische Universität Wien/AKH Klinik für Chirurgie Forschungslaboratorien Währinger Gürtel 18–20 A-1090 Wien Tel. 0043-40400-6949 Fax 0043-40400-6782 E-Mail: Erich.Roth@meduniwien.ac.at
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