Transkript
EDITORIAL
Fett ist nicht gleich Fett
Die «Diet-Heart-Hypothese» postulierte, dass zu viel Fett und Cholesterin die hauptverantwortlichen Nahrungsfaktoren für die Atherosklerose sind. Zudem wurde über Jahrzehnte ein überhöhter Konsum an Fett zum Hauptschuldigen für die Adipositasepidemie erklärt. Diese globale «Aburteilung» von Nahrungsfett hält einer heutigen Betrachtung aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht mehr stand. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Qualität der Fette und Öle – also ihr Gehalt an bestimmten Fettsäuren – wichtiger ist als die Fettquantität. Fettsäuren haben je nach Kohlenstoffkettenlänge und Grad der Unsättigung spezifische Eigenschaften, die sich physiologisch und pathogenetisch bei verschiedenen Krankheiten auswirken. Bei den gesättigten Fettsäuren mit 12 bis 16 Kohlenstoffatomen führt eine Verminderung des Konsums zu einer Senkung des LDL-Cholesterins, einer gesteigerten Insulinempfindlichkeit und damit zu erhöhtem Diabetesrisiko. Dieses Lipoprotein weist die stärkste atherogene Wirkung aller Lipoproteine auf und wird bei der Atherosklerose in die Gefässwände transportiert. Allerdings ist der endgültige Beweis, dass eine verminderte Aufnahme das Risiko für koronare Herzkrankheit senkt, nicht eindeutig erbracht. Noch negativer bezüglich koronarer Herzkrankheit und Atheroskleroserisiko sind die Transfettsäuren zu werten, die bei der Fetthärtung entstehen. Die Nahrungsmittelproduzenten haben inzwischen den Transfettsäurengehalt vielfach auf unter 1 Prozent gesenkt, allerdings werden jetzt meist gesättigte Fette verwendet. Einfach ungesättigte Fettsäuren sind bezüglich Lipide und Stoffwechsel relativ «neutral» und haben mit 10 bis 15 Prozent der Energie den grössten Anteil bei den Nahrungsfetten. Mehrfach ungesättigte Fettsäuren sind essenziell und können in zwei Hauptgruppen (n-6 und n-3) eingeteilt werden. Sie haben zwar einen günstigen Effekt auf Serumlipoproteine, ein zu hoher Konsum von n-6-Fettsäuren kann jedoch thrombose- und entzündungsfördernd sein. Es ist daher sinnvoll, die Zufuhr von n-6-Fettsäuren (Linolsäure) auf 5 bis
8 Prozent der Energie (WHO) zu limitieren und das Verhältnis von n-6:n-3 in unserer Ernährung auf 5:1 zu senken. Rapsöl ist ein Öl mit einem relativ tiefen n-6:n-3-Verhältnis. Von besonderer Bedeutung ist die beschränkte Zufuhr von n-6-Fettsäuren in der parenteralen Ernährung von Schwerkranken. Intravenöse Fette basierten viele Jahre ausschliesslich auf Sojaöl, einem n-6-reichen Öl. Die pflanzliche n-3-Fettsäure α-Linolensäure (ALA) ist relativ günstig, sicher ist aber, dass der Mensch nur ungenügende Mengen langkettiger n-3Fettsäuren aus ALA synthetisieren kann. Das Verhältnis n-6:n-3 als Richtwert wurde in jüngster Zeit als Konstrukt kritisiert: es sei nützlicher, die langkettigen n-3Fettsäuren zu deklarieren und eine minimale Zufuhr zu fordern (1). Die Bedeutung dieser n-3-Fettsäuren, die in grösseren Mengen in Fischöl vorkommen, wächst in letzter Zeit zunehmend – DHA (Docosahexaensäure) wird auch als dritte essenzielle Fettsäure bezeichnet. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Gehirnentwicklung des Kindes und wirken zudem antiinflammatorisch sowie in grösseren Mengen antiatherogen und anti-lipämisch. Regelmässiger Fischkonsum oder die Aufname von Fischöl wurde zur Prävention der koronaren Herzkrankheit empfohlen. Neuerdings ist auf die Bedeutung von n-3-Fettsäuren bei älteren Menschen hingewiesen worden – schlecht mit n-3-Fettsäuren versorgte Personen hatten eine höhere Mortalität und eine vermehrte Neigung zu Demenz. Fazit: Fett ist somit nicht gleich Fett. Eine Zufuhr von Fetten mit einem den Empfehlungen entsprechenden Fettsäurengehalt ist ein entscheidender Beitrag zur Gesundheit und zur Prävention der wichtigsten ernährungsabhängigen Krankheiten.
Prof. Dr. med. Ulrich Keller
John C. Stanley et al., UK Food Standards Agency Workshop Report: the effects of the dietary n-6:n-3 fatty acid ratio on cardiovascular health. British Journal of Nutrition (2007), 98, 1305–1310.
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