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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Chirurgie
Mit Musik geht (fast) alles besser
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Musik mindert postoperative Schmerzen und Ängste des Patienten (1). Sie entfaltet ihre segensreiche Wirkung sogar dann, wenn der Patient in Vollnarkose liegt. Es zeigte sich kaum ein Unterschied ob die Patienten ihre Musik selbst auswählen durften oder nicht. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer kürzlich publizierten Metaanalyse mit 73 randomisierten Studien, die insgesamt 6902 Patienten umfassen. Musik während es Eingriffs und/oder in der postoperativen Phase reduziert postoperative Schmerzen demnach um 77 Prozent (SMD -0,77; 95%-Konfidenzintervall [KI]: -0,99 bis -0,56), die Angst um 68 Prozent (SMD -0,68; 95%-KI: -0,95 bis -0,41) und den Analgetikagebrauch um 37 Prozent (SMD -0,37; 95%-KI: -0,54 bis -0,2). SMD bedeutet «standardisierte mittlere Differenz» im Resultat zweier Behandlungsgruppen, hier zum Beispiel mit oder ohne Musik. Den klinischen Effekt bewertet eine SMD ab 20 Prozent als klein und ab 50 Prozent als mittelmässig. Erst ab 80 Prozent spricht man von einem grossen Effekt. Auf die Patientenzufriedenheit hatte die Musik einen insgesamt kleinen Effekt, allerdings mit grossen Schwankungen zwischen den einzelnen Studien (SMD 1,09; 95%-KI: 0,51 bis 1,68). Die Verweil-
dauer im Spital wurde durch die Musik nicht verkürzt (SMD -0,11; 95%-KI: -0,35 bis 0,12). Die einzelnen Studien waren eher klein – die grösste Studie umfasste 458, die kleinste 20 Patienten –, und sie waren sehr unterschiedlich bezüglich des chirugischen Eingriffs, der Eigenschaften der Patienten, der jeweiligen Vergleichsgruppen sowie Dauer und Art des Musikhörens. Um die positive Wirkung der Musik nachzuweisen, seien weitere Studien trotzdem nicht zwingend nötig, aber sie könnten nützlich sein, um für verschiedene Situationen die beste Anwendung der Musik als Therapeutikum zu definieren, meinen die korrespondierende Autorin Elizabeth Ball und ihre Kollegen, die an Spitälern und Universitäten in London arbeiten. Die Studienautoren sprechen sich nämlich keineswegs dafür aus, OP-Säle und Krankenzimmer dauerhaft mit Musik zu berieseln. Besonders in Situationen, in denen es auf die Kommunikation ankomme, könnte sie stören und ablenken. In diesem Zusammenhang kommt immer wieder die Frage auf, ob in einem OP Musik laufen darf oder nicht. Während die einen darauf schwören, weil sie sich so während langer Eingriffe besser konzentrieren könnten, ist Musik im OP
für die anderen nur störender Lärm.
Die Hälfte bis drei Viertel aller chirurgi-
schen Eingriffe sollen heutzutage unter
Musikberieselung im OP ablaufen, und
das bei einer Lautstärke, die weit über
den Lärmschutzempfehlungen der
WHO liege (2). Was im OP läuft, be-
stimmt in der Regel der Musikge-
schmack des Chirugen – von Bach bis
Heavy Metal. Besonders kritisch gegen-
über Musik im OP seien die Anästhesis-
ten, hiess es im Weihnachtseditorial des
«British Medical Journal» im vergange-
nen Jahr (3). Dort wurde auch von Beob-
achtungen berichtet, wonach Neulinge
im OP mit Musik mehr Probleme beim
Erlernen der notwendigen Fähigkeiten
haben.
Um objektive Daten zum Einfluss der
Musik auf das Miteinander im OP zu er-
halten, wurden in London von 2012 bis
2013 per Video 20 zufällig ausgewählte
Operationen dokumentiert. Es handelte
sich um 13 laparoskopische und 7 offene
chirugische Eingriffe, eine Mischung aus
allgemeiner Chirugie, Chirurgie des obe-
ren Gastrointestinaltrakts und bariatri-
scher Chirurgie. Während 14 Eingriffen
(70%) lief zumindest zeitweise Musik im
OP. Es zeigte sich, dass die Musik die
Kommunikation zwischen Chirurgen,
Assistenten und Anästhesisten erheb-
lich beeinträchtigen kann: Mit Musik ist
es fünfmal wahrscheinlicher, dass in-
nerhalb des Teams nachgefragt werden
muss als ohne (2). Da Kommunikations-
fehler während eines chirurgischen Ein-
griffs den Patienten beträchtlich gefähr-
den können, sollte das gesamte Team
einhellig – und nicht nur der Chirurg –
entscheiden, ob Musik im OP laufen darf,
welche, wann und wie laut.
RBOO
1. Hole J et al.: Music as an aid for postoperative recovery in adults: a systematic review and meta-analysis. Lancet, published online August 13, 2015.
2. Weldon SM et al.: Music and communication in the operating theatre. J Adv Nursing, published online August 4, 2015.
3. Bosanquet D et al.: Making music in the operating theatre. Wake me up before you go-go. BMJ 2014; 349: g7436.
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ARS MEDICI 17 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
MRI bringt keinen zusätzlichen Nutzen für die Ermittlung des Demenzrisikos
Rückspiegel
Viele Faktoren tragen zum Demenzrisiko bei. Das Problem ist, dass die komplexen Zusammenhänge zwischen all diesen Faktoren keine Aussage darüber erlauben, wie hoch das Demenzrisiko einer ganz bestimmten Person tatsächlich ist. Es scheint naheliegend, dieses Risiko mit einem «Blick in das Gehirn» bestimmen zu wollen. Tatsächlich ist bekannt, dass bestimmte MRI-Befunde, wie etwa Läsionen im Hippokampus oder in der weissen Substanz, für ein erhöhtes Demenzrisiko sprechen. Die Hoffnung, dass das MRI zusätzlich zu den eingangs genannten Faktoren die Vorhersage einer Demenz treffsicherer machen könnte, wurde in einer prospektiven 10-JahresKohortenstudie jedoch enttäuscht. In Frankreich wurden 1721 Personen (Mindestalter 65 Jahre) ohne Demenz per MRI gescannt. Falls eine Demenz auftrat, wurde die MRI wiederholt. Innerhalb von 10 Jahren wurde bei 119 Personen eine Demenz diagnostiziert, davon 84 mit Alzheimer-Demenz. Die Treff-
sicherheit der Vorhersage mithilfe der konven-
tionellen Parameter Alter, Geschlecht, Bildung,
Kognition, physische Funktionen, Lebensstil
(Rauchen, Alkohol), Gesundheit (kardiovasku-
läre Krankheiten, Diabetes, systolischer Blut-
druck) und Apolipoproteingenotyp wurde durch
die zusätzliche Berücksichtigung der MRI-
Parameter nicht gesteigert.
Ein routinemässiges Screening per MRI, um
diejenigen mit hohem und niedrigem Risiko
für eine spätere Demenzerkrankung zu iden-
tifizieren, sei darum nicht sinnvoll, schreiben
die Autoren um Tobias Kurth an der Univer-
sität Bordeaux. Ob es möglicherweise be-
stimmte Personengruppen gebe, bei denen
die MRI-Diagnostik doch nützlich wäre, sei in
weiteren Studien zu klären.
RBOO
Blossom CMS et al.: Usefulness of data from magnetic resonance imaging to improve prediction of dementia: population based cohort study. BMJ 2015; 350: h2863.
Demenz
Alzheimer – was ist mit welchem Risiko assoziiert?
Ein Autorenteam aus China und den USA hat in einer Fleissarbeit den aktuellen Stand des (Un-)Wissens zusammengestellt: Welche Faktoren sind mit Alzheimer-Demenz assoziiert? Bei den potenziell schützenden Faktoren spricht die stärkste Evidenz für Östrogene, Statine, Antihypertonika und NSAR sowie für Folat, die Vitamine E und C – und Kaffee. All das ist demnach mit einem niedrigeren AlzheimerRisiko assoziiert. Zu viel Homocystein hingegen ist mit einem höheren Risiko verbunden. Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, die mit einem niedrigeren oder höheren AlzheimerRisiko einhergehen. So ist das Risiko bei Arthrose, Herzerkrankungen, metabolischem Syndrom oder Krebs niedriger und bei den folgenden Erkrankungen höher: Depression, Gebrechlichkeit, Atherosklerose der Karotiden, Hypertonie, niedriger diastolischer Blutdruck oder Typ-2-Diabetes (nur asiatische Bevölkerung).
Auch die Assoziationen mit Lebensstil und
BMI sind mannigfaltig. Niedriger ist das Alz-
heimer-Risiko bei Personen mit höherer
Bildung und kognitiver Aktivität, die rauchen
(nur westliche Bevölkerung) und wenig bis
moderat Alkohol trinken sowie in der Lebens-
mitte schlank sind und im Alter zunehmen.
Für keine der Assoziationen gibt es den Nach-
weis einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. Ei-
nige Faktoren scheinen plausibel, andere we-
niger, manche auf den ersten Blick ganz an-
deren Ursachen geschuldet. So erklärt sich
das niedrigere Alzheimer-Risiko für Tumor-
patienten vermutlich ganz einfach aufgrund
der traurigen Tatsache, dass viele von ihnen
gar nicht alt genug werden können, um Alz-
heimer zu entwickeln.
RBOO
Xu W et al.: Meta-analysis of modifiable risk factors for Alzheimer’s disease. J Neurol Neurosurg Psychiatry, published online first August 20, 2015.
Vor 10 Jahren
Ecstasy
Wer regelmässig und viel Ecstasy schluckt, setzt sein Gedächtnis aufs Spiel. Eine Studie mit 120 aktuellen und ehemaligen Ecstasy-Konsumenten ergab, dass rund die Hälfte von ihnen kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen, die bei einigen von ihnen auch fünf Monate nach dem letzten Konsum anhielten.
Vor 50 Jahren
Sex im Teenageralter
Eine Umfrage unter rund 1800 ledigen Teenagern zwischen 15 und 19 Jahren in Grossbritannien ergibt, dass 11 Prozent der Jungen und 6 Prozent der Mädchen unter 17 Jahren bereits Geschlechtsverkehr hatten. Ihr erstes Mal erlebten 30 Prozent der Jungen und 16 Prozent der Mädchen im Alter zwischen 17 und 19 Jahren.
Vor 100 Jahren
Zelluläre Immunität
James B. Murphy und John J. Morton erkennen anhand ihrer Tierversuche am Rockefeller Institute for Medical Research in New York, dass Lymphozyten ein offenbar wichtiger Faktor bei der Abstossung transplantierter Krebszellen sind. Das HLA-System und die tatsächliche Bedeutung der zellulär vermittelten Immunität werden erst Jahrzehnte später entdeckt.
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