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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Smartphone nicht über dem Herzschrittmacher tragen
Das sollten Träger von Herzschrittmachern besser nicht tun (Foto: blackday – Fotolia.com)
Träger von einem ICD, davon 65 mit kardialer Resynchronisation [CRT]). sollen mit ihrem Mobiltelefon einen Abstand von mindestens 15 bis 20 Zentimeter zu dem Gerät einhalten. Diese Massgabe beruht auf Untersuchungen, die vor etwa zehn Jahren duchgeführt wurden – noch vor dem Siegeszug der Smartphones, eine «Ewigkeit» angesichts der rasanten Entwicklung auf diesem Gebiet. Auch auf dem Gebiet der Schrittmacher hat sich in der Zwischenzeit viel getan, sodass sich die Frage stellte, ob die eingangs genannte Abstandsregel noch immer aktuell sei. In einer Studie untersuchte darum Dr. Carsten Lennerz am Deutschen
Herzzentrum in München, ob Smartphones Herzschrittmacher oder ICD aus dem Takt bringen können. Theoretisch ist das möglich, da Schrittmacher elektromagnetische Signale des Smartphones als kardiale Signale missdeuten und kurzzeitig ausfallen könnten. Bei einem ICD wiederum könnte das externe Signal als vermeintlich ventrikuläre Tachyarrhythmie einen schmerzhaften Defibrillatorstromstoss induzieren. Getestet wurden drei weit verbreitete Smartphones (Samsung Galaxy 3, Nokia Lumia, HTC One XL) bei insgesamt 308 Patienten (147 mit Schrittmachern, 161 mit einem ICD, davon 65 mit kardialer Resynchronisation [CRT]). Lennerz und sein Team installierten dafür ein eigenes Mobilfunknetz mit eigenen SIM-Karten, um absolut gleiche Testbedingungen zu garantieren. Die Smartphones wurden direkt auf die Brust über die implantierten Geräte gelegt, der Patient wurde laufend per EKG überwacht. Im Test wurden alle üblichen Aktionen wie anwählen, verbinden, einen Anruf entgegennehmen, telefonieren und beenden des Gesprächs in GSM, LTE und
UMTS mit der maximalen Übertragungsenergie sowie mit 50 Hz durchgeführt. 50 Hz ist eine Frequenz, die bekanntermassen mit Schrittmachern oder ICD elektromagnetisch interferieren kann. In den mehr als 3400 Testläufen trat nur bei einem Patienten (0,3%) eine elektromagnetische Interferenz auf – eine zwar seltene aber trotzdem bedrohliche Situation. Es handelte sich dabei um einen «MRI-kompatiblen» (!) ICD, der Signale im GSM- oder UMTS-Modus des Nokia- und des HTC-Modells als interkardiale Signale missdeutete. Interferenzen zwischen Smartphones und kardialen Schrittmachern sind demnach zwar selten, können aber durchaus vorkommen. Die aktuelle Empfehlung, einen sicheren Abstand zu wahren, gelte somit weiterhin, auch für MRI-kompatible Geräte, so Lennerz. Ihr Smartphone sollten diese Patienten also nicht in der Brusttasche von Hemdoder Jackett tragen und auch beim Telefonieren darauf achten, dem Implantat nicht zu nahe zu kommen. RBOO
Pressemitteilung des European Heartjournal, Juli 2015; http://eurheartj.oxfordjournals.org/cardio_newswire.html
Infektiologie
Chikungunyavirus in Europa angekommen
Zum ersten Mal hat sich in Valencia ein Spanier im eigenen Land mit dem Chikungunyavirus infiziert. Früher trat Chikungunyafieber vorwiegend in Afrika, Südostasien, auf dem indischen Subkontinent und auf Inseln im Indischen Ozean auf. Nur vereinzelt brachten Touristen das Virus mit nach Hause. Auf diesem Weg begann der bisher grösste Ausbruch des Chikungunyafiebers in Europa: im Jahr 2007 in Italien mit 197 gemeldeten Fällen, wobei der erste Patient das Virus von der Reise mitbrachte und die anderen lokal von blutsaugenden Tigermücken infiziert wurden, die das Virus von Mensch zu Mensch übertragen. Experten fürchten, dass das
Virus nach seiner rasanten Ausbreitung in Mittel- und Südamerika nun endgültig in Europa angekommen ist. Der wichtigste Überträger, die Tigermücke Aedes albopictus, ist bereits in vielen südlichen Regionen Europas verbreitet. Man ging bisher davon aus, dass diese Muc̈ ken die Winter nördlich der Alpen nicht überleben. Kürzlich wurde jedoch auch eine Tigermückenpopulation im südbadischen Freiburg im Breisgau entdeckt. Betroffene können 4 bis 7 Tage nach der Infektion hohes Fieber bekommen. Weitere Symptome sind starke Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Hautausschlag oder Kopfschmerzen. Ärzte sollten bei
Urlaubern aus Spanien oder Südfrank-
reich in jedem Fall auch eine Infektion
mit Chikungunya in Betracht ziehen,
heisst es in einer Pressemitteilung des
CRM (Centrum für Reisemedizin). Die
meisten Patienten erholen sich nach
wenigen Tagen von selbst. Bei Säuglin-
gen, älteren Menschen oder chronisch
Kranken kann es jedoch zu schweren
Komplikationen wie einer Leber- oder
einer Herzmuskelentzündung kommen.
Da es weder einen Impfstoff noch eine
gezielte Therapie gebe, sollten Reisende
in warme Regionen jederzeit auf einen
guten Mückenschutz achten (Repel-
lents, Bekleidung, Moskitonetze). Da die
Stechmücken dünne Stoffe durchdrin-
gen können, empfiehlt das CRM, feine
Gewebe mit Insektenschutzmitteln zu
imprägnieren.
RBOO
Pressemitteilung des CRM vom 7. August 2015
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ARS MEDICI 16 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
Machen Statine Frauen aggressiv?
Rückspiegel
In einer kürzlich publizierten Studie mit 1016 Teilnehmern, 692 Männern und 324 Frauen, zeigte sich während einer sechsmonatigen Statintherapie ein verblüffender Unterschied zwischen Männern und Frauen: Während Statine die Aggression bei Männern tendenziell senkten, erhöhten sie sich bei postmenopausalen Frauen. Der Effekt war jeweils am deutlichsten bei Männern und Frauen mit einem niedrigen Ausmass aggressiven Verhaltens zu Beginn der Studie (1). Die Probanden erhielten entweder ein Plazebo, 20 mg Simvastatin oder 40 mg Pravastatin. Bei den Männern kam es mit Statinen zu einer Verminderung der Testosteronspiegel, bei den Frauen hingegen nicht. Die Studienautoren können die Frage nach dem Mechanismus einer geschlechtsspezifischen Aggressionsmodulation durch Statine nicht beantworten. Sie weisen darauf hin, dass gegensätzliche Statineffekte bei Personen mit unterschiedlichen physiologischen Voraussetzungen auch für andere Parameter bekannt seien, so beispielsweise beim Zuckerstoffwechsel, der Proteinurie, beim Krebsrisiko sowie möglicherweise bezüglich der Kognition.
Der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für
Endokrinologie, Prof. Helmut Schatz, weist in
einem Kommentar (2) darauf hin, dass ein
Einfluss von Cholesterinsenkern auf Aggres-
sivität und Testosteronspiegel auch bereits in
anderen Studien postuliert wurde, und zwar
sowohl in die eine als auch in die andere Rich-
tung. Obwohl die vorliegende Studie sicher
mit Vorsicht zu interpretieren sei, seien die
geschilderten Beobachtungen für den Arzt in
der Praxis interessant. Sie bestätigten Patien-
tenschilderungen über Statinnebenwirkun-
gen wie Schlafstörungen, mangelndes Wohl-
befinden und Verhaltensänderungen, deren
kausaler Zusammenhang mit Statinen von
Ärzten mitunter angezweifelt wird. Man
werde diese Nebenwirkung jedoch bei der
Verschreibung von Statinen im Sinne einer
Nutzen-Risiko-Abwägung, insbesondere bei
der Primärprävention, zunehmend beachten
müssen, so Schatz.
RBOO
1. Golomb BA et al.: Statin Effects on Aggression: Results from the UCSD statin study, a randomized control trial. PLoS ONE 10(7): e0124451. 2. Schatz H: Aggression unter Statintherapie: erniedrigt bei Männern, erhöht bei Frauen. Blogeintrag vom 8. Juli 2015; http://blog.endokrino logie.net
Medikamentensicherheit
Einschränkungen für codeinhaltige Medikamente
Codeinhaltige Medikamente können bei empfindlichen Patienten zu Atemproblemen führen. Gefährdet sind Kinder unter 12 Jahren und Säuglinge stillender Mütter, wenn diese Codein einnehmen, ausserdem Personen, die Codein schneller zu Morphin umwandeln als normal (sog. ultraschnelle Metabolisierer). Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat darum im April 2015 eine Einschränkung zur Anwendung dieser Medikamente ausgesprochen. Aus diesem Anlass empfiehlt nun auch Swissmedic, Husten und Erkältung bei diesen Patientengruppen mit Präparaten ohne Codein zu behandeln; bei Jugendlichen über 12 Jahren, die eine eingeschränkte Atemfunktion hätten, sei Vorsicht mit codeinhaltigen Medikamenten geboten. Auch in der Schweiz sollen nun die Arzneimittelinformationen für
codeinhaltige Medikamente angepasst wer-
den. Swissmedic habe die entsprechenden
Firmen in der Schweiz aufgefordert, die
gleichen Einschränkungen wie in der EU in
die Arzneimittelinformationen aufzunehmen,
heisst es in einer Mitteilung der Arzneimittel-
behörde. Ob der Gebrauch codeinhaltiger
Medikamente für die eingangs erwähnten
Risikogruppen als Kontraindikation ausge-
schlossen werden soll, wird von Swissmedic
zurzeit noch geprüft.
RBOO
Mitteilung von Swissmedic vom 27. Juli 2015
Vor 10 Jahren
Prionentest im Blut
Joaquín Castilla, Paula Saá und Claudio Soto von den Universitäten in Texas und Madrid publizieren das erste Verfahren, mit dem man Prionen im Blut nachweisen kann. Die Sensitivität ihres Tests beträgt 89 Prozent, die Spezifität stolze 100 Prozent. Mithilfe dieses Verfahrens ist es möglich, befallene Tiere bereits vor dem Auftreten erster ScrapieSymptome zu identifzieren.
Vor 50 Jahren
Sicherheit für Autofahrer
Mediziner sorgen sich um die Sicherheit von Autofahrern und fordern mehr Sicherheitsbewusstsein beim Autodesign. Leider sei davon bei den Autobauern noch keine Rede, kritisiert der BMJ-Leser Max Hamilton in der Ausgabe vom 21. August 1965. So würden Sicherheitsgurte den Fahrer entweder strangulieren oder sie seien dermassen locker, dass sie bei Unfällen schwere Verletzungen bewirken könnten. Aber auch am Design anderer Autoteile lässt er kein gutes Haar: Das «absurde Design der Rückspiegel» sei unverändert «seit den Tagen, als vor jedem Auto noch ein Mann zu Fuss mit einer roten Fahne marschieren musste».
Vor 100 Jahren
Geschlechtschromosomen
In der Zeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» erläutert der Zoologe Thomas H. Morgan die Funktionsweise und die Lokalisation der Chromosomen in den Keimzellen von Menschen, aber auch von Fruchtfliegen, die bereits damals ein wichtigstes Labortier der genetischen Forschung waren. Entdeckt hatte die Geschlechtschromosomen gut zehn Jahre zuvor die Forscherin Nettie Stevens, die 1912 an Brustkrebs gestorben war. Sie hatte bereits mit dem Vorgänger von Morgan, dem Genetiker Edmund B. Wilson, am gleichen Institut gearbeitet.
RBO
ARS MEDICI 16 I 2015