Transkript
BERICHT
Neue orale Antikoagulanzien: Was für wen?
Wichtiges Kriterium ist die Nierenfunktion
Mit den direkten Thrombinhemmern und direkten Faktor-Xa-Hemmern stehen neue orale Antikoagulanzien zur Verfügung, die den Vitamin-KAntagonisten in vielen klinischen Situationen vorzuziehen sind, so PD Dr. med. Esther Bächli, Spital Uster, am 13. Zürcher Review-Kurs in Klinischer Kardiologie.
Halid Bas
Von «neuen oralen Antikoagulanzien» (NOAK) zu sprechen, sei eigentlich nicht korrekt, denn ganz so neu sind sie nicht mehr, bemerkte die Referentin. NOAK wären demnach heute als «nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien» zu verstehen, im Gegensatz zu den OAK (Vitamin-Kabhängigen oralen Antikoagulanzien). Konkurrierende Begriffe sind TSOAK (Target-spezifische orale Antikoagulanzien) und DOAK (direkt wirkende orale Antikoagulanzien). Vermutlich werde sich dieser letzte Begriff durchsetzen, meinte Bächli.
Interaktionen beachten Als einziger Vertreter ist Dabigatranetexilat (Pradaxa®) ein direkter Thrombinhemmer, während die weiteren in der Schweiz bis anhin zugelassenen DOAK (Rivaroxaban [Xarelto®], Api-
MERKSÄTZE
O Den direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) gemeinsam sind einige wichtige Interaktionen, unter anderem mit Verapamil, Clarithromycin oder Johanniskraut.
O Die Berücksichtigung der Nierenfunktion ist entscheidend, da sie Dosisanpassungen notwendig macht.
O Bei schlechter Medikamentencompliance sind DOAK keine gute Option.
xaban [Eliquis®] und zuletzt Edoxaban [Lixiana®]) Faktor-Xa-Hemmer sind. Die heutigen DOAK zeigen zum Teil deutliche Unterschiede in der Pharmakokinetik (Kasten 1). Da alle Präparate einen raschen Wirkungseintritt aufweisen, ist eine überlappende Therapie wie bei den OAK nicht notwendig. Während Dabigatran ganz überwiegend renal ausgeschieden wird, ist die Ausscheidung über die Nieren bei Apixaban am geringsten. Da die Resorption aus dem Darm bei Rivaroxaban nüchtern schlechter ist, sollte dieses Medikament immer mit dem Essen eingenommen werden. Eine wichtige Interaktion ist diejenige mit Verapamil, die zu einer gesteigerten Exposition mit Dabigatran und Edoxaban führt, die eine Dosisanpassung erfordert. Auch Patienten, die systemische Antimykotika benötigen, können nicht mit den DOAK behandelt werden, denn es besteht keine aussagekräfige Möglichkeit, den Medikamentenspiegel und damit Unter- oder Überdosierungen zu bestimmen. Auch zusammen mit Clarithromycin und Erythromycin können höhere Spiegel von Dabigaran und Rivaroxaban resultieren. Keine Daten gibt es zu den Interaktionen mit HIV-Proteasehemmern. Rifampicin, Johanniskraut und einige ältere Antiepileptika reduzieren die Blutspiegel der DOAK und beeinträchtigen damit die Wirkung. Mechanismen hinter den genannten Interaktionen sind P-Glykoprotein-(gp-) Hemmung und -Induktion sowie CYP3A4-Hemmung und -Induktion (1).
Gibt es (wichtige) Unterschiede?
Die grossen Studien mit den vier bis anhin in der Schweiz zugelassenen DOAK betrafen mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren und einem mittleren CHADS2-Score von 2,1 ältere, relativ gesunde Patienten, mit Ausnahme der ROCKET-AF-Studie mit Rivoraxaban, in der deutlich stärker gefährdete Patienten behandelt wurden. In den Studien zu venösen Thromboembolien waren die Patienten deutlich jünger. Insgesamt seien die Behandlungsstudien mit Dabigatran, Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban gut vergleichbar, urteilte Bächli. Eine Metaanalyse dieser Studien favorisiert hinsichtlich der Blutungskomplikation bei Patienten mit Vorhofflimmern eindeutig die DOAK gegenüber den VitaminK-Antagonisten (2). Besonders ausgeprägt ist der Vorteil bei den intrakraniellen Blutungen. «Das gilt für alle Vertreter dieser Substanzklasse, ist also ein Klasseneffekt, deshalb sollten wir diese Medikamente wählen», stellte Bächli fest. In derselben Metaanalyse ergab sich jedoch bei den gastrointestinalen Blutungen kein Vorteil der DOAK gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten. Ein erhöhtes Risiko für diesen Typ von Blutungen muss somit immer anamnestisch eruiert werden. «Einen klaren Unterschied zugunsten einer der Substanzen kann ich nicht erkennen, sie sind eigentlich alle relativ ähnlich», sagte Bächli, «dennoch können – subjektiv gefärbte – Gesichtspunkte bei der Wahl des geeigneten Präparats helfen.» In der Praxis geschehen nach der Erfahrung der Chefärztin der Medizinischen Klinik in Uster recht häufig Dosierungsfehler. Insbesondere ist die Berücksichtigung der Nierenfunktion entscheidend, da sie Dosisanpassungen notwendig macht. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance [CrCl] 30–50 ml/min) erfordert Dabigatran eine Dosisanpassung auf 2 × 110 mg pro Tag. Bei Apixaban ist eine Halbierung der Dosis auf
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Kasten 1:
Unterschiede in der Pharmakokinetik der nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien
Wirkstoffe Direkte Thrombinhemmer Dabigatran
Direkte Faktor-Xa-Hemmer Apixaban
Edoxaban
Rivaroxaban
Pharmakokinetik
Bioverfügbarkeit 3–7% hepatische Hydrolyse aus Prodrug Halbwertszeit 12–17 h hepatische Ausscheidung 20% renale Ausscheidung 80%
Bioverfügbarkeit 50% Halbwertszeit 12 h hepatische Ausscheidung ca. 73% renale Ausscheidung ca. 27% Bioverfügbarkeit 62% Halbwertszeit 9–11 h hepatische Ausscheidung ca. 50% renale Ausscheidung ca. 50% Bioverfügbarkeit 66% ohne Essen, > 80% mit Essen Halbwertszeit 5–9 h (jüngere Pat.), 11–13 h (ältere Pat.) hepatische Ausscheidung ca. 65% renale Ausscheidung ca. 35%
Kasten 2:
Wann DOAK (noch) nicht indiziert sind
O Prophylaxe venöser Thromboembolien bei stationären/medizinischen Patienten O Thrombosen an ungewöhnlichen Orten (z.B. Pfortader) O Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30–50 ml/min) O Schwangerschaft und Stillzeit O Endokarditis O Karzinompatienten mit venösen oder arteriellen Thrombosen O Patienten mit mechanischen Herzklappen O Patienten mit Leberzirrhose mit oder ohne pathologische Blutungsneigung O Patienten, die mit Vitamin-K-Antagonisten ohne Komplikationen gut eingestellt sind O Patienten mit schlechter Medikamentencompliance O Patienten mit einer Tripeltherapie (z.B. Prasugel/Acetylsalicylsäure [ASS]/Ticagrelor)
und hoher Blutungsneigung bei Kombination mit einem DOAK O Patienten mit HIV-Medikamenten, gewissen Antimykotika, älteren Antiepileptika,
Rifampicin- und Makrolidtherapie, Johanniskrautbehandlung, gewissen Onkologika
15–50 ml/min) in halber Dosierung (30 mg/Tag) angewendet werden kann.
Wann keine DOAK verschreiben?
Es gibt etliche Situationen, in denen nach heutigem Kenntnisstand DOAK nicht verschrieben werden sollen (Kasten 2). Bei stark eingeschränkter Nierenfunktion können DOAK nicht mehr eingesetzt werden, da es zu einer gefährlichen Kumulation kommen kann. Kontraindiziert sind DOAK bei Schwangerschaft, Endokarditis und mechanischen Herzklappen. Zum Einsatz bei Karzinompatienten mit Thrombosen läuft zurzeit eine PhaseIII-Studie. Bei schlechter Medikamentencompliance sind DOAK keine gute Option. Weitere Unterschiede können bei der subjektiven Wahl des DOAK wegleitend sein, so Bächli. Bei bekannter Dyspepsie ist Dabigatran eher nicht indiziert, da es Magenbrennen verursachen kann. Bei kurz zurückliegender gastrointestinaler Blutung sind VitaminK-Antagonisten oder Apixaban eher vorzuziehen und Rivaroxaban und Dabigatran eher zu meiden. Ist es unter Vitamin-K-Antagonisten zu einem ischämischen Insult gekommen, kann Dabigatran (2 × 150 mg) oder Apixaban (2 × 5 mg) verschrieben werden. Wünscht der Patient ausdrücklich täglich nur eine einmalige Tabletteneinnahme, fällt die Wahl auf einen Vitamin-K-Antagonisten oder eines der DOAK mit Einmaldosierung (Rivaroxaban, Edoxaban). Schwierig zu antikoagulieren sind alte Personen mit tiefem Körpergewicht; am ehesten kommt hier noch Apixaban infrage, da es weniger stark kumuliert als die anderen Präparate. Als Antidote sind vier Präparate in laufenden Studien in Prüfung. In absehbarer Zeit dürften somit Möglichkeiten bestehen, die antikoagulierende Wirkung der DOAK bei Bedarf aufzuheben. O
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2 × 2,5 mg pro Tag vorzunehmen, wenn zwei von drei Kriterien (Alter > 80 J., Gewicht < 60 kg, Kreatinin > 133 mmol/l) erfüllt sind. Weiter ist wichtig, ob der individuelle, oft schon betagte Patient in der Lage ist, ein DOAK zweimal pro Tag zuverlässig einzunehmen. Hier hat unter Umstän-
den Rivaroxaban einen Vorteil, das nur einmal täglich eingenommen werden muss, wobei bei einer CrCl 30–50 ml/ min die niedrigere 15-mg-Dosierung zur Anwendung kommt. Eine Alternative ist seit Kurzem auch Edoxaban, das einmal täglich und bei mittelschwerer bis schwerer Niereninsuffizienz (CrCl
Quelle: «Neue orale Antikoagulanzien – gibt es Unterschiede, was für wen?», 13. Zürcher Review-Kurs in Klinischer Kardiologie, 9. April 2015 in Zürich.
Referenzen: 1. Schulman S et al.: How I treat with anticoagulants in
2012: new and old anticoagulants, and when and how to switch. Blood 2012; 119(13): 3016–3023. 2. Chai-Adisaksopha C et al.: The impact of bleeding complications in patients receiving target-specific oral anticoagulants: a systematic review and meta-analysis. Blood 2014; 124(15): 2450–2458.
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