Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 19.3.2015
Verantwortlichkeitsprobleme im Zusammenhang mit Kompetenzverschiebungen zwischen Gesundheitsberufen
Ignazio Cassis Nationalrat FDP Kanton Tessin
Die heutige politische Entwicklung geht in Richtung eines Verzichtes auf ärztliche Anordnung bestimmter Leistungen von Pflege- und Therapieberufen. Dies mag auch aus Versorgungsoptik sinnvoll erscheinen, doch stellen sich einige heikle rechtliche Haftpflichtfragen. Bei Kompetenzerweiterungen der
Pflege- und Therapieberufe infolge Gesetzesänderungen haben Ärztinnen und Ärzte im Falle der Geltendmachung von Haftungsansprüchen keine Möglichkeit, die erwähnte Verschiebung der Verantwortlichkeit auf die Pflege- und Therapieberufe rechtlich durchzusetzen. Dies gilt für die strafrechtliche Verantwortlichkeit (z.B. fahrlässige Körperverletzung), die Haftung gemäss Artikel 394 ff. OR (Vertragshaftung gemäss Auftragsrecht), gemäss Artikel 55 OR (Geschäftsherrenhaftung) und Artikel 101 OR (Hilfspersonenhaf-
tung) sowie gestützt auf Artikel 41 OR (ausservertragliche Haftung) im Zusammenhang mit Behandlungen von Patientinnen und Patienten. Ärztin und Arzt haben wahrscheinlich bei fehlender Anordnungspflicht nicht einmal die Möglichkeit, die Sorgfaltskriterien einzuhalten, die für die Einsetzung eines Unterauftragnehmers gelten: Auswahl und Instruktion. Durch Kompetenzerweiterungen der Pflege- und Therapieberufe entstehen Haftungsrisiken für Ärztin und Arzt.
1. Teilt der Bundesrat die Einschätzung, dass Haftungsrisiken von ärztlichen Medizinalpersonen entstehen, wenn die Kompetenzen von Pflege- und Therapieberufen erweitert werden?
2. Welche Massnahmen wären aus seiner Sicht für die Regelung dieser Verantwortlichkeitsprobleme geeignet?
Dies die Antwort des Bundesrates vom 5.6.2015
1./2. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass man zwischen folgenden Aspekten unterscheiden muss: a) Möglichkeiten zur Abrechnung zulasten der sozialen Krankenversicherung, b) Regelung der Voraussetzungen zur Ausübung der Berufe sowie c) Rechtsbeziehungen – und folglich auch Haftungsbestimmungen – zwischen Patient, Arzt und der Person, die einen Pflege- oder Therapieberuf ausübt. Eine allfällige Änderung der Voraussetzungen für die Leistungsübernahme durch die soziale Krankenversicherung, wie sie die parlamentarische Initiative Joder anstrebt, beinhaltet keine Änderung der Voraussetzungen zur Ausübung der betroffenen Berufe
oder ihrer jeweiligen Kompetenzen im Pflege- und Behandlungsbereich. Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden den Pflege- oder Therapieberufen zudem keine erweiterten Kompetenzen erteilt, weder für die Abrechnung von Leistungen noch für die effektive Behandlung. Sollte es im Gesundheitsrecht (insbesondere KVG und in der Bundesgesetzgebung betreffend die Medizinal- und Gesundheitsberufe) zu einer Anpassung der Kompetenzen kommen, kann dies Auswirkungen auf die Verantwortlichkeit und damit auf die Haftung der beteiligten Personen haben. Die konkreten Auswirkungen hängen dabei aber von den Rechtsbeziehungen in der jeweiligen Konstellation ab und von
der Frage, welches Recht anwendbar ist (öffentliches Recht, insbesondere kantonales Staatshaftungsrecht, oder Privatrecht). Dies sollte bei allfälligen zukünftigen Gesetzesanpassungen berücksichtigt werden. Eine Erweiterung der Kompetenzen der Personen in Pflege- und Therapieberufen könnte möglicherweise – und entgegen den Befürchtungen des Interpellanten – sogar zu einer Reduktion des Haftungsrisikos der Ärztinnen und Ärzte führen, weil diese für bestimmte Leistungen nicht mehr Vertragspartei wären. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit, gerade auch im Bereich des in der Interpellation erwähnten Fahrlässigkeitsstraftatbestandes, wird von den Strafverfolgungsbehörden beziehungsweise Gerichten ohnehin individuell, das
heisst je nach konkreter Fallkonstellation beurteilt und eine allfällige Strafe schliesslich entsprechend dem Verschulden des Täters beziehungsweise der Täterin bemessen und ausgesprochen. Dabei sind die massgebenden vertraglichen Regelungen und Verantwortlichkeiten sowie die versicherungsrechtlichen Kompetenzen lediglich ein zu berücksichtigendes Element. Das geltende Recht enthält klare Haftungsgrundlagen. Entsprechend erachtet es der Bundesrat auch nicht als notwendig, im Hinblick auf eine mögliche Kompetenzverschiebung zwischen Gesundheitsberufen zum heutigen Zeitpunkt zusätzliche Massnahmen zu ergreifen.
Stand der Beratungen: Im Rat noch nicht behandelt.
Erste Hilfe für Menschen mit letzter Hoffnung
www.msf.ch PK 12-100-2
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ARS MEDICI 13 I 2015
POLITFORUM
INTERPELLATION vom 19.3.2015
Kontrolle von fehlbaren Ärzten – Ombudsstelle für die Patientensicherheit
Margrit Kessler Nationalrätin GLP Kanton St.Gallen
Wo Menschen arbeiten, passieren auch Fehler. Dagegen sind auch hervorragend ausgebildete und hoch motivierte Fachleute nicht gefeit. Nach Fehlleistungen eines betagten Schönheitschirurgen in Zürich wurden das Alter und die Qualität der Ärzteschaft wieder zum Thema. In der Medizin treten 65 Prozent aller unerwünschten Ereignisse bei operativ tätigen Ärzten auf. Rund 40 Prozent davon werden als vermeidbar eingeschätzt. Das BAG schätzt, dass jährlich 3000
Todes- und rund 60 000 Schadensfälle vermeidbar wären. Eine grosse Herausforderung stellen ärztliche Fehlleistungen dar, die zwar bekannt sind und immer neue Patientenopfer fordern, gegen die aber nicht beziehungsweise nicht wirksam vorgegangen wird. Die Betroffenen klagen nicht, weil sie entweder nicht wissen, dass sie durch eine Fehlleistung zu Schaden kamen, oder weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Fachleute melden die Fehlleistungen nicht beziehungsweise klagen nicht, da sie Repressionen fürchten. In solchen Situationen können fehlbare Ärzte nicht gestoppt werden. Immer öfter wenden sich Ärzte wegen zum Teil grotesker Fehlleistungen ihrer Kollegen an die Patientenorgani-
sationen, weil sie anonym bleiben wollen und ihnen das Vertrauen zu den von den Ärztegesellschaften eingerichteten Ombudsstellen fehlt. Die Patientenorganisationen müssten sich an den zuständigen Kantonsarzt wenden. Doch sind ihnen die Hände gebunden, da bei einer Weitergabe der Informationen meistens die Identität des meldenden Arztes bekannt wird und er wegen Berufs- und Betriebsgeheimnis rechtlich verfolgt werden kann. Mit Blick auf die Sicherheit der Patientinnen und Patienten und die grosse Zahl der vermeidbaren Todes- und Schadensfälle ist das eine unhaltbare Situation.
1. Kann sich der Bundesrat vorstellen, eine unabhängige Ombudsstelle für Patientensicherheit einzurichten, wo Patientenorganisationen, Pflegefachleute, Ärzte, Versicherer und so weiter Qualitätsmissstände in der Medizin melden können? Diese unabhängige Ombudsstelle soll je nach Fall entsprechende Fachpersonen zuziehen, falls nötig auch aus dem Ausland, um die eingehenden Klagen und Beschwerden objektiv abklären zu können.
2. Kann er den meldenden Personen entsprechenden Schutz vor Ehrverletzungsklagen, zum Beispiel durch Anonymisierung der Meldung und so weiter, gewähren?
Dies die Antwort des Bundesrates vom 5.6.2015
Die Gewährleistung der Patientensicherheit und damit einer sicheren und qualitativ hochstehenden medizinischen Behandlung ist auch für den Bundesrat ein zentrales Anliegen. Die Schwerpunkte auf Bundesebene liegen sowohl in der Durchführung von spezifischen nationalen Strategien als auch in einer institutionellen Sicherstellung zur Steuerung und Koordination dieser Bestrebungen. Mit Bezug auf den Umgang mit Behandlungsfehlern besteht zudem seitens der Stiftung Patientensicherheit ein grosses Angebot an Schulungen und Informationsmaterialien. Die Kontrolle fehlbarer Ärztinnen und Ärzte betrifft demgegenüber auch die den Kantonen obliegende Aufsicht über die Berufsausübung der Medizinalpersonen sowie über die in Spitälern erbrachten Versorgungsleistungen. Vor diesem Hintergrund beantwortet der Bundesrat die gestellten Fragen wie folgt:
1. Fehlleistungen und Zwischenfälle im Rahmen eines medizinischen Behandlungsverhältnisses müssen offen und konstruktiv sowie unter Einbezug der Patientin und des Patienten angegangen werden. In der Pflicht stehen hier an erster Stelle sowohl die Gesundheitsinstitutionen als auch die behandelnden Medizinalpersonen. Wichtig ist aber auch, dass den betroffenen Patientinnen und Patienten unabhängige Ombudsund Beratungsstellen zur Verfügung stehen und gewährleistet ist, dass diese Stellen berechtigte Beschwerden an die betroffene Gesundheitsinstitution zuhanden des Riskmanagements weiterleiten. Darüber hinaus ist es an den zuständigen kantonalen Behörden, Meldungen insbesondere bei wiederholten Fehlleistungen durch Medizinalpersonen oder Behandlungszwischenfällen entgegenzunehmen, adäquate Abklärungen einzuleiten und gegebenenfalls wirksame Anordnungen zu treffen. Diesbezüglich kann nament-
lich auf die vor allem in den Kantonen der Westschweiz etablierten Aufsichts- und Beschwerdekommissionen hingewiesen werden. Die Gewährleistung des Patientenschutzes wird aktuell auch im Rahmen des Postulatsberichts «Patientenrechte stärken» beleuchtet. Der Bericht geht dabei auch auf das heute verfügbare Angebot an Ombudsstellen für Patientinnen und Patienten, die kantonale Aufsichtstätigkeit und die laufenden Massnahmen zugunsten der Patientensicherheit ein. Die vorgeschlagene Einrichtung einer nationalen Stelle, der Patientenorganisationen und Gesundheitsfachpersonen Fehlleistungen und Missstände bei Behandlungen melden könnten, wird im Lichte der Schlussfolgerungen und allfälligen Handlungsoptionen dieses Berichts zu beurteilen sein. Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat diesen Bericht im Sommer 2015 genehmigen und veröffentlichen wird.
2. Die Teilrevision des Obligationenrechts, die aktuell vom Parlament beraten wird, bezweckt
einen Schutz der Arbeitnehmenden bei der Meldung von Missständen am Arbeitsplatz. Die Vorlage des Bundesrates sieht dabei vor, dass Meldungen zuerst an den Arbeitgeber und erst danach an die zuständige Behörde erfolgen sollen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die institutionsinterne Bearbeitung von Meldungen über Zwischenfälle wie auch die allfällige behördliche Behandlung dieser Hinweise in einer Weise erfolgt, welche die meldende Person vor ungerechtfertigten Ehrverletzungsklagen schützt. Ob hierzu eine Anonymisierung der Meldung zielführend und angesichts der konkreten Umstände überhaupt machbar ist, muss im Einzelfall geklärt werden.
Stand der Beratungen: Im Rat noch nicht behandelt.
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