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KONGRESSBERICHT
43. Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Chicago, 1. bis 6. Juni 2007
ASCO-Meeting 2007: Stiefkind Supportiv- und Palliativmedizin
25 000 Onkologen besuchten den weltweit grössten Krebskongress in diesem Jahr. Doch wie immer fanden erstaunlich wenige Teilnehmer ihren Weg in die Veranstaltungen zur Supportiv- und Palliativmedizin. Zu wenig spektakulär scheinen dort die Fortschritte zu sein. Dennoch: Wir erhielten Antworten auf manche unserer alltäglichen Fragen.
PETRA SCHMID
Im Strudel der onkologischen Highlights und Pseudo-Highlights blieb auch beim diesjährigen Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) der Supportiv- und Palliativmedizin nur die Rolle eines Mauerblümchens. Dies erscheint erstaunlich – bedürfen doch im Grunde alle unsere Patienten supportiver, wenn nicht palliativer Massnahmen. So lange jedoch noch immer ein beträchtlicher Teil der Ärzte und Pfleger, welche Tumorpatienten betreuen, die Beschwerden unter der Therapie nicht genügend erfragt (und behandelt!), kann der (Er-)Kenntnissschatz wohl auch nicht wachsen.
Paradebeispiel Fatigue
«Cancer-related Fatigue – inevitable, unimportant and untreatable?» Diese Meinung wurde bereits im Jahr 2000 in den «Annals of Oncology» widerlegt. In einer Befragung von über 1300 Patienten gaben 58% damals an, unter Fatigue zu leiden. Wie I. Tannock, Toronto, in der Diskussion im Rahmen der Oral Presentations betonte, wurde ein Grossteil der Patienten tatsächlich nie von ihrem Arzt nach diesem Symptom gefragt. «Improvements in outcome ... can only be built on evidence and not on opinion.»
Studien mit Ginseng, Sertralin und Donepezil Drei plazebokontollierte, randomisierte Studien zum Thema Fatigue versuchten, diesem Missstand abzuhelfen: D.L. Barton präsentierte eine Pilotstudie (NCCTG Trial NO3CA, Abstract 9001) zur Anwendung von amerikanischem Gin-
Chicago und seine Skyscrapers am Lake Michigan: Austragungsort des ASCO-Jahreskongresses 2007 – und auch 2008
seng, einem wichtigen Präparat der traditionellen chinesischen Medizin. Es wurde ein standardisierter Extrakt einer vier Jahre alten Wisconsin-GinsengWurzel verwandt. 282 Patienten wurden dabei in vier Studienarme (Plazebo, Ginseng in Dosen von 750, 1000 oder 2000 mg/Tag über acht Wochen) randomisiert. Voraussetzung für die Aufnahme war eine seit über einem Monat bestehende tumorassoziierte Fatigue im Ausprägungsgrad von mindestens 4 auf einer Skala von 0 bis 10. Die Behandlungseffektivität und -toxizität wurde unter anderem anhand des «Brief Fatigue Inventory» erfasst: Amerikanischer Ginseng besserte in den beiden höheren
Dosisstufen bei guter Verträglichkeit die Symptomatik. Dieses Resultat soll in einer Folgestudie detaillierter und an grösseren Patientenzahlen evaluiert werden. Die neue Studie wird zudem die sportliche Aktivität der Patienten beachten, die bisher einzige gegen Fatigue wirksame Massnahme, die unbestritten und evidenzbasiert empfohlen werden kann. Negativ fiel hingegen die australische ZEST-Studie, referiert von M. Stockler (Abstract 9002), aus. Hier wurde die Wirksamkeit des Serotonin-ReUptake-Hemmers Sertralin (50 mg/Tag, unbegrenzte Anwendungsdauer) gegen Plazebo geprüft. Eingeschlossen wurden Patienten
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KONGRESSBERICHT
43. Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Chicago, 1. bis 6. Juni 2007
mit Fatigue, Angst und depressiver Verstimmung, jedoch nicht Symptomen einer «Major Depression». Trotz vorzeitiger Beendigung der Studie blieben die Ergebnisse auswertbar: Es zeigte sich keine signifikante Besserung des Befindens in der Sertralin-Gruppe. Da eine der Entstehungshypothesen von Fatigue eine Dysregulation cholinerger Aktivitäten postuliert, lag eine Untersuchung des selektiven Acetylcholinesterasehemmers Donepezil nahe. Die randomisierte Untersuchung des MD Anderson Cancer Center (E. Bruera, Abstract 9003) lieferte im Gegensatz zu zwei Vorstudien negative Resultate, sodass in der Indikation der krebsassoziierten Fatigue definitiv kein Einsatzbereich dieses AlzheimerMedikamentes liegt. Unabhängig davon, ob die Patienten Donepezil oder Plazebo erhielten, besserte sich die Fatigue im Studienverlauf in beiden Gruppen. Diese Entwicklung wird auf die täglichen Evaluationstelefonate des Studienteams zurückgeführt.
Behandlung spezifischer Therapienebenwirkungen
Hitzewallungen bei Männern: Gabapentin? In der NCCTG-Studie N00CB (C. L. Loprinzi, Abstract 9005) wurde die Wirksamkeit von Gabapentin auf Hitzewallungen bei Männern unter androgensuppressiver Hormontherapie bei Prostatakarzinom untersucht. 60 bis 80% der Betroffenen leiden meist chronisch unter diesem Problem. Ziel der Studie war die Beantwortung der Frage, ob niedrige Gabapentin-Dosen Hitzewallungen vermindern können. An der Studie konnten Männer mit einer seit über einem Monat laufenden hormonablativen Therapie teilnehmen, wenn sie unter mehr als 14 gravierenden Hitzewallungen pro Woche litten. 223 Patienten wurden in vier Studienarme randomisiert: Sie erhielten Plazebo, Gabapentin in Dosen von 300, 600 oder 900 mg/Tag. Die Behandlung erfolgte über vier Wochen. Das Ergebnis: Zahl und Intensität der Hitzewallungen konnten im 900 mg-Arm
um etwa 35% signifikant gesenkt werden. In der Diskussion hob Florian Strasser, St. Gallen, hervor, dass Gabapentin eine gute palliative Therapiestrategie darstelle, zumal sonst nur hormonelle Interventionen mit fraglicher Sicherheit zur Verfügung ständen. Er wies auf das Fehlen von Daten zu Interaktionen und langfristiger Anwendung hin.
Rash unter EGFR-Hemmer-Behandlung: Tetrazykline? A. Jatoi (LBA 9006) ging der Frage nach, ob der Einsatz von Tetrazyklinen den EGFR-Inhibitoren-(Gefitinib, Cetuximab)induzierten Rash verhindern kann. Im klinischen Alltag wird diese Massnahme gehäuft eingesetzt. Bisher war die Evidenz nicht nachgewiesen. Die Therapienebenwirkung Rash betrifft 60 bis 75% aller Patienten. Starke Ausprägungsformen korrelieren oft mit dem Tumoransprechen, sie sind jedoch mit grossen psychologischen Problemen behaftet, und ein Therapieabbruch wird gelegentlich unvermeidlich. Von dermatologischer Seite wird der topische Einsatz befeuchtender Produkte empfohlen. Typische Aknetherapeutika und antientzündliche Medikamente scheinen wirkungslos zu sein. Zur Frage des Einsatzes von Antibiotika gibt diese Studie von Jatoi erstmals unter randomisierten Bedingungen Antwort. Primärer Endpunkt war die Inzidenz, sekundärer der Ausprägungsgrad des Rashs. 61 Patienten wurden in einen Tetrazyklin-Arm (500 mg, 2 x täglich, für einen Monat) versus Plazebo eingeteilt. Die Endpunkte wurden von Arzt und Patient beurteilt. Es zeigte sich, dass Tetrazykline den Rash nicht verhindern, jedoch hochsignifikant dessen Stärke mindern. Somit verbessert die Tetrazyklin-Gabe die Lebensqualität der betroffenen Patienten.
Capecitabine-induziertes Hand-FussSyndrom: Vitamin B6? Medikamentendosis, Anwendungsdauer und Alter des Patienten beeinflussen bekanntermassen das Entstehen eines Hand-Fuss-Syndroms (HFS) unter Cape-
citabine. Häufig wird die Einnahme unterbrochen oder die Dosis reduziert, um diese Nebenwirkung zu kontrollieren. Die Gabe von Vitamin B6 scheint das HFS im Tiermodell zu verhindern und wird klinisch teilweise eingesetzt, ohne dass eine Evidenz für den Nutzen vorliegt. S.S. Lee (Abstract 9008) verglich 200 mg Pyridoxin täglich gegen Plazebo mit dem Ziel der HFS-Prävention. Pyridoxin erwies sich dabei als nicht effektiv. Patienten im Alter über 70 Jahre, welche an einer Anämie oder Azotämie nach dem ersten Zyklus litten, hatten ein besonders hohes Risiko für ein HFS, und zwar von mindestens Grad II. Für Florian Strasser, St. Gallen, gibt diese Studie keine endgültige und damit keine negative Antwort zum sinnvollen Einsatz von Vitamin B6, da die statistische Berechnungsgrundlage auf zu hohen Inzidenzraten basiere. Ausserdem stellt er die wichtige Frage, ob man bei Patienten mit Niereninsuffizienz nach dem ersten Zyklus nicht die Zytostatikadosis reduzieren solle, um das Nebenwirkungspotenzial in den Griff zu bekommen.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es auch nach diesem ASCO-Meeting wenig Argumente für eine medikamentöse Therapie der Fatigue gibt. Leider kommt die sportliche Aktivität für viele unserer Patienten – krankheitsbedingt – nicht infrage. Und welche Konsequenzen ziehen wir aus den nebenwirkungsspezifischen Studien? Gabapentin gegen Hitzewallungen bei Patienten mit Prostatakarzinom unter antiandrogener Therapie: Ja! Tetrazykline gegen EGFR-Inhibitor-induzierten Rash: warum nicht? Vitamin B6 unter Capecitabine-Therapie: eher nicht! ▲
Dr. med. Petra Schmid Oberärztin Zentrum für Onkologie, Hämatologie und Transfusionsmedizin Kantonsspital Aarau 5000 Aarau E-Mail: petra.schmid@ksa.ch
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