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Im Fokus: Primäre Hirntumoren bei Erwachsenen: Gliome
Klassifikation, Grading und genetisches Profil der Gliome
Astrozytome und Oligodendrogliome Das Glioblastom bleibt mit 70% aller Gliom-Diagnosen häufigster Hirntumortyp mit noch immer sehr ungünstiger Prognose. Das primäre Glioblastom manifestiert sich nach kurzer Anamnese bevorzugt im höheren Lebensalter, während sich das sekundäre Glioblastom bei jüngeren Patienten aus einem diffusen low-grade Astrozytom oder einem anaplastischen Astrozytom entwickelt. Das genetische Profil der Gliome ergänzt die histopathologische Diagnostik, eröffnet neue therapeutische Strategien sowie zunehmend eine Vorhersage der Wirksamkeit einer Systemtherapie.
PAUL KLEIHUES
Klassifikation
Die histopathologische, zunehmend auch die genetische Klassifikation der Tumoren ist nach wie vor die Grundlage für therapeutische Entscheidungen. Eine einheitliche, weltweit anerkannte und praktizierte Nomenklatur ist Voraussetzung für die Durchführung und den Vergleich klinischer Studien (Tabelle). Darüber hinaus ist sie, in Verbindung mit dem vierstelligen Code der International Classification of Diseases for Oncology (ICD-O), die Grundlage für die Gewinnung histologisch stratifizierter, bevölkerungsbezogener Daten zur Inzidenz und Prävalenz von Tumorerkrankungen (1, 3).
Grading
Histologisches Grading ist ein Werkzeug zur Vorhersage des biologischen Verhaltens und oft ein wichtiger Faktor bei der Wahl einer adjuvanten Radio- oder Chemotherapie. Es ist aber nur eine Komponente einer Kombination von Kriterien; andere Indikatoren sind das Alter des Patienten, Performance Status, Tumor-Lokalisation, CT/MRI-Kontrastzunahme und das Ausmass der chirurgischen Resektion (u.a.). Das WHO-Grading der Tumoren des Nervensystems ist eine Malignitätsskala, die eine grosse Zahl von Tumoren mit sehr unterschiedlicher Histologie und Biologie vergleicht. Es hat sich jedoch weltweit durchgesetzt, da es dem Kliniker sehr rasch eine wichtige Information vermittelt (Tabelle). WHO Grad I-Tumoren sind gut abgegrenzt, haben eine geringe Proliferationsrate und können prinzipiell durch chirurgische Resektion geheilt werden.
Grad II-Tumoren wachsen infiltrativ und neigen trotz langsamen Wachstums zum Rezidiv und in einigen Fällen (diffuses Astrozytom, Oligodendrogliom) zur malignen Progression. Die Patienten überleben in der Regel mehr als fünf Jahre. WHO Grad III-Tumoren haben histologisch deutliche Zeichen der Malignität wie eine ausgeprägte nukleäre Polymorphie und eine stark erhöhte Proliferationsrate. Die Patienten überleben in der Regel 2 bis 3 Jahre. Der WHO-Grad IV ist hochmalignen Tumoren vorbehalten, unter den Gliomen dem Glioblastom. Sie wachsen rasch infiltrativ und sind histologisch durch hohe Zelldichte, Tumornekrosen sowie eine oft ausgeprägte Anaplasie und Gefässproliferation gekennzeichnet. Sie entwickeln sich nach kurzer Anamnese; die Mehrzahl der Patienten erliegt der Erkrankung nach weniger als zwölf Monaten. Für nichtgliöse Grad IV-Tumoren hängt die Überlebensrate im Wesentlichen von den Therapiemöglichkeiten ab: Patienten mit Medulloblastom und Keimzelltumoren haben heute in spezialisierten Zentren bei Radiound/oder Chemotherapie eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von mehr als 60% beziehungsweise 80%.
Astrozytome
Pilozytisches Astrozytom Dieser gut umschriebene, oft zystische, langsam wachsende WHO Grad I-Tumor ist das häufigste Gliom bei Kindern und Jugendlichen und in bis zu 50% der Fälle im Kleinhirn lokalisiert. Andere typische Lokalisationen sind Nervus und Tractus opticus
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(Optikusgliom), Hypothalamus, Stammganglien, Temporallappen, Hirnstamm und Rückenmark. Pilozytische Astrozytome, insbesondere die des N. opticus, sind, oft bilateral, eine typische Manifestation der Neurofibromatose von Recklinghausen (NF1). Histologisch findet sich ein biphasisches Muster mit einerseits kompakten, bipolaren, neoplastischen Astrozyten, haarfeinen (pilozytischen) Fortsätzen und Rosenthal-Fasern, andererseits aufgelockerte Partien mit Mikrozysten und zytoplasmatischen Proteinablagerungen (eosinophile Körperchen). Vollständige (Kleinhirn) oder partielle chirurgische Resektion (Sehbahn, Hypothalamus) ist die Therapie der Wahl. Fünf-Jahres-Überlebensraten von über 90% wurden berichtet (4). Die WHO-Klassifikation von 2007 hat eine histologische Variante abgegrenzt, das pilomyxoide Astrozytom. Es ist bevorzugt lokalisiert in Chiasma und Hypothalamus, tritt bei Säuglingen und Kleinkindern auf und neigt zu Rezidiven und gelegentlich zur Aussaat über den Liquor (WHO-Grad II). Histologisch ist es gekennzeichnet durch eine mukoide Matrix mit bipolaren, angiozentrisch angeordneten Tumorzellen. Eine Assoziation mit NF1 wurde in zwei Fällen berichtet.
Tabelle: Klassifikation und Grading
Tumor
Astrozytäre Tumoren Pilozytisches Astrozytom
Pilomyxoides Astrozytom Pleomorphes Xanthoastrozytom Diffuses (low-grade) Astrozytom
Fibrilläres Astrozytom Gemistocytic astrocytoma Anaplastisches Astrozytom Gliomatosis cerebri Glioblastom Riesenzellglioblastom Gliosarkom
Oligodendrogliale Tumoren Oligodendrogliom Anaplastisches Oligodendrogliom
Oligoastrozytäre Tumoren Oligoastrozytom Anaplastisches Oligoastrozytom
ICD-O1-Code WHO-Grad2 Inzidenz-Rate3 Alter bei Diagnose4
9421/1
I
0,38 18,2 ± 12,2
9425/3
II
< 1 Jahr
9424/3
II
0,02 19,0 ± 4,6
9400/3
II
0,26
9400/3
II
0,22 39,5 ± 13,0
9420/3
II
0,04 50,1 ± 21,9
9411/3
III
0,25
45,5 ± 16,2
9381/3
III
n.a.
n.a.
9440/3
IV
3,55
62,2 ± 13,4
9441/3
IV
9442/3
IV
9450/3
II
0,27 40,9 ± 15,1
9451/3
III
0,07
50,4 ± 13,9
9382/3
II
0,10 41,1 ± 9,9
9382/3
III
0,06
48,2 ± 17,4
1 Morphology code der International Classification of Diseases for Oncology (1, 2) 2 Adapted from D.N. Louis et al. (1, 3) 3 Neuerkrankungen pro 100 000 Bevölkerung und Jahr. Alterskorrigierte Daten einer bevölkerungsbezogenen Studie im Kanton Zürich (3, 5) 4 Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose. Daten einer bevölkerungsbezogenen Studie im Kanton Zürich (3, 5)
Diffuses Astrozytom Vielfach wird auch der Begriff low-gradeAstrozytom verwendet, der jedoch ungenau ist, da er prinzipiell auch das pilozytische Astrozytom einschliesst, mit dem das diffuse Astrozytom jedoch weder histopathologisch noch biologisch und klinisch verwandt ist. Es kann überall im ZNS lokalisiert sein, findet sich jedoch in der Regel supratentoriell in den Grosshirnhemisphären. Diese gut differenzierten, langsam wachsenden Tumoren mit bevorzugter Manifestation im mittleren Lebensalter infiltrieren diffus benachbarte Hirnstrukturen, die dadurch aufgetrieben wirken, ohne jedoch destruktiv zu wachsen. Eine vollständige chirurgische Resektion ist fast immer unmöglich. Histopathologisch dominiert der fibrilläre Typ mit geringer Zelldichte, Mikrozysten, mässiger Kernatypie und Abwesenheit von Mitosen. Das diffuse Astrozytom hat eine inhärente Tendenz zur Progression zum anaplastischen Astrozytom und Glioblastom (Abbildung 1). Das zeitliche
Abbildung 1: Entstehung des primären und sekundären Glioblastoms. Alterskorrigierte Daten einer bevölkerungsbezogenen Studie im Kanton Zürich (3, 5).
Intervall bis zur Entwicklung eines sekundären Glioblastoms liegt im Mittel bei etwa fünf Jahren, differiert jedoch stark. Eine raschere Progression beobachtet man beim gemistozytischen Astrozytom, das durch einen signifikanten Anteil grosser, abgerundeter neoplastischer Astrozyten mit Akkumulation von GFAP gekennzeichnet ist. Trotz seiner in vielen Studien nachgewiesenen schlechteren Prognose konnte sich die WHO-Arbeitsgruppe nicht entschliessen, dieser Variante den WHO-Grad III zuzuordnen (Tabelle). Das pleomorphe Xanthoastrozytom ist eine seltene, kortikal lokalisierte
Variante, die der Pathologe kennen muss, da sie mit einem fibrohistiozytären Tumor der Meningen verwechselt werden kann.
Anaplastisches Astrozytom Dieser Tumor entwickelt sich in der Regel aus einem diffusen Astrozytom, von dem es sich histopathologisch durch mitotische Aktivität und grössere Zelldichte unterscheidet. Die Progression zum sekundären Glioblastom ist die Regel und erfolgt im Durchschnitt über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren, kann jedoch auch viel rascher stattfinden (Abbildung 1).
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Gliomatosis cerebri Dieser Tumortyp zeichnet sich aus durch eine diffuse Infiltration grosser Hirnabschnitte bei makroskopisch weitgehendem Erhalt der Strukturen, die lediglich aufgetrieben wirken. Für die Diagnose einer Gliomatosis cerebri wird verlangt, dass mindestens drei Hirnlappen erfasst sind. In der Regel ist auch die kontralaterale Grosshirnhemisphäre betroffen, und eine infratentorielle Ausdehnung (Hirnstamm, Kleinhirn, Rückenmark) ist nicht selten. In früheren Ausgaben der WHOKlassifikation war die Gliomatosis cerebri in der Kategorie «Neuroepithelial Tumours of Uncertain Origin». In der Edition von 2007 (1) wird sie zu den astrozytären Tumoren gerechnet, obwohl neben astrozytärer gelegentlich auch eine oligodendrogliale Differenzierung beobachtet wird. Die meisten Fälle von Gliomatosis cerebri verhalten sich biologisch wie WHO Grad III-Tumoren. Eine maligne Progression mit fokaler Entwicklung eines Glioblastoms kann stattfinden.
Glioblastoma multiforme
Wir unterscheiden heute primäre und sekundäre Glioblastome (GBM), die sich in ihrer Altersverteilung, Pathogenese und im klinischen Verlauf signifikant unterscheiden (5–7).
Primäres Glioblastom Es ist dadurch definiert, dass es sich rasch de novo manifestiert, das heisst ohne radiologische, klinische oder histopathologische Hinweise auf eine weniger maligne Vorstufe. Die Anamnese ist meist sehr kurz, bei zwei Drittel der Patienten weniger als drei Monate. Nur etwa 15% der Patienten haben eine Vorgeschichte von mehr als sechs Monaten (Abbildung 1). Es ist der vorherrschende Glioblastom-Typ (mehr als 90% der Fälle) und betrifft in der Regel ältere Patienten (Durchschnittsalter etwa 62 Jahre). Bevorzugte Lokalisation sind die Grosshirnhemisphären, besonders fronto-temporal. Bei Kindern ist nicht selten auch der Hirnstamm betroffen («malignes Hirnstammgliom»). Das primäre GBM hat eine ausgeprägte Neigung zur diffusen Infiltration benachbarter und entfernter Hirnareale. Es wächst besonders rasch über myelinisierte Bahnen, beispielsweise über den Balken in die kontralate-
Astrozyten oder Präkursor-Stammzellen
Low-grade-Astrozytome TP53-Mutationen (59%) WHO-Grad II
Anaplastisches Astrozytom TP53-Mutationen (53%) WHO-Grad III
Primäres Glioblastom LOH 10q (70%) EGFR Amplifikation (36%) p16INK4a Deletion (31%) TP53 Mutation (28%) PTEN Mutation (25%) WHO-Grad IV
Sekundäres Glioblastom LOH 10q (63%) EGFR Amplifikation (8%) p16INK4a Deletion (19%) TP53 Mutation (65%) PTEN Mutation (4%) WHO-Grad IV
Abbildung 2: Genetische Veränderungen beim primären und sekundären Glioblastom. Alterskorrigierte Daten einer bevölkerungsbezogenen Studie im Kanton Zürich (7).
rale weisse Substanz sowie entlang der Fornices zum Temporallappen. Dadurch kann radiologisch und makroskopisch der Eindruck multifokaler Glioblastome entstehen. Histopathologisch handelt es sich um zellreiche Tumoren mit ausgeprägter Anaplasie, vielfach, aber nicht obligat mit mehrkernigen Riesenzellen. Entscheidende diagnostische Kriterien sind flächenhafte oder strichförmige Nekrosen und/oder Gefässproliferationen, die durch VEGF induziert werden, das von Tumorzellen sezerniert wird. Das genetische Profil zeigt zahlreiche Aberrationen, bei denen jedoch die Reihenfolge ihres Auftretens nicht bekannt ist (Abbildung 2). Der EGFR/PTEN/Akt/ mTOR-Signalweg wurde als kritisch für die Entstehung des primären GBM identifiziert (7, 8). Im Vordergrund steht die in 35 bis 40% der Fälle beobachtete Amplifikation des EGF-Rezeptors. Sie ist häufig mit einer Mutation verbunden. Trunkierung der extrazellulären Domäne führt zu einer konstitutiven, Ligand-unabhängigen Aktivierung. Gegen die häufigste Variante (EGFR vIII) wurden therapeutische Inhibitoren entwickelt, die jedoch nur wirksam scheinen, wenn PTEN normal exprimiert wird (8). Dieses Suppressor-Gen ist jedoch in etwa 25 bis 30% der Fälle durch Mutation inaktiviert (Abbildung 2). Das p16INK4a-Gen ist bei etwa einem Drittel der primären GBM durch homozygote Deletion inaktiviert.
Es bindet an CDK4 and inhibiert den CDK4/Cyclin D1-Komplex, der durch Phosphorylierung des RetinoblastomProteins RB1 den Transkriptionsfaktor E2F freisetzt und dadurch den G1 > SCheckpoint des Zellzyklus freigibt.
Sekundäres Glioblastom Es entwickelt sich über Jahre aus einem diffusen Astrozytom Grad II, mit dem anaplastischen Astrozytom WHO-Grad III als Zwischenstufe. Der einzig signifikante, diagnostisch aber kaum verwertbare morphologische Unterschied zum primären GBM ist das geringere Ausmass der Tumorgewebsnekrosen. Patienten mit sekundärem Glioblastom haben eine bessere Prognose, die jedoch wohl weitgehend darauf beruht, dass es sich um jüngere Patienten (Durchschnittsalter bei GBM-Diagnose 45 Jahre) handelt (5). Das genetische Profil unterscheidet sich erheblich von dem des primären Glioblastoms. Die früheste bisher identifizierbare genetische Alteration ist eine Punktmutation im p53Tumorsuppressor-Gen, die bereits bei zwei Drittel der diffusen Astrozytome WHO-Grad II nachweisbar ist und deren Häufigkeit bei der Progression zum sekundären Glioblastom weitgehend konstant bleibt. Der meistversprechende therapeutische Angriffspunkt beim sekundären Glioblastom und seinen Vorstufen wäre demnach eine Rekonstitu-
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tion der transkriptionalen Aktivität des TP53-Gens (9). Der Verlust von Teilen des Chromosoms 10 (LOH) kann ein ganzes Allel betreffen; LOH 10q ist häufigste genetische Alteration bei primären und sekundären Glioblastomen.
Riesenzellglioblastom Diese seltene histopathologische Variante des GBM zeichnet sich durch das Auftreten mehrkerniger, oft bizarr geformter Riesenzellen aus sowie durch ein oft dichtes Retikulinfaser-Netz. TP53-Mutationen sind häufig und zeigen eine Verwandtschaft zum sekundären Glioblastom an. Trotz der ausgeprägten Anaplasie ist die Prognose in klinischen Studien keineswegs schlechter, gelegentlich sogar besser, als die des gewöhnlichen GBM.
Oligodendrogliom Oligoastrozytom
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Abbildung 3: Häufigkeit von TP53-Mutationen und chromosomalem Verlust (LOH) 1p/19q (6)
Gliosarkom Diese Variante des primären Glioblastoms ist gekennzeichnet durch ein biphasisches Gewebsmuster mit glialen und sarkomatösen Arealen. Genetische Analysen haben gezeigt, dass es sich um einen monoklonalen Tumor handelt, der dem primären Glioblastom nahesteht (1). Eine Expression von Genen für mesenchymale Proteine entwickelt sich häufig im GBM (10). Das Gliosarkom gilt als Ausdruck einer besonders weit fortgeschrittenen genomischen Instabilität.
Oligodendrogliome
Bevorzugter Sitz der Oligodendrogliome sind Kortex und Marklager der Grosshirnhemisphären, besonders der Frontallappen, gelegentlich mit Infiltration der Meningen. Infratentorielle Oligodendrogliome, insbesondere des Kleinhirns und des Rückenmarks, erweisen sich oft als Fehldiagnosen. Der Manifestationsgipfel liegt zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.
Oligodendrogliom Dieser langsam wachsende Tumor infiltriert diffus; viele Patienten hatten historisch eine mehrjährige Epilepsie-Anamnese. Durch modernes Imaging (CT, MRI) werden Oligodendrogliome heute früher diagnostiziert. In einer populationsbezogenen Studie im Kanton Zürich betrug die mittlere Überlebenszeit etwa elf Jahre und war damit fast doppelt so lang wie die des diffusen Astrozytoms (6).
Histopathologisch ist das Oligodendrogliom gekennzeichnet durch mässige Zelldichte, runde, isomorphe Zellen mit perinukleärem Halo, das Fehlen von Mitosen und fokale Kalkablagerungen, besonders in der Infiltrationszone (1). Genetischer Finderabdruck ist der gleichzeitige Verlust von Gen-Abschnitten auf Chromosom 1p und 19q in 70 bis 80% der WHO Grad II-Oligodendrogliome (Abbildung 3). LOH 1p/19q ist nach neueren Untersuchungen auf eine Translokation t(1;19)(q10;p10) zurückzuführen und war in mehreren Studien mit besonders guter Prognose assoziiert.
Anaplastisches Oligodendrogliom Kennzeichen sind rascheres Wachstum, histologische Zeichen der Malignität und Gefässproliferation. Das anaplastische Oligodendrogliom WHO-Grad III kann sich aus einem Oligodendrogliom Grad II entwickeln, tritt jedoch auch primär auf. LOH 1p/19q wurde in bis zu zwei Drittel der Fälle beobachtet und hat sich als signifikanter Marker für ein Ansprechen auf Chemotherapie mit PCV (Procarbazin, CCNU, Vincristin) erwiesen. Einige anaplastische Oligodendrogliome verhalten sich biologisch ähnlich wie Glioblastome. Die WHO-Arbeitsgruppe hat sich jedoch nicht zur Einführung eines Oligodendroglioms WHO-Grad IV entschliessen können. Es gibt aber das Glioblastom mit oligodendroglialer Komponente, allerdings nicht als eigenständige Entität (1, 2).
Oligoastrozytome
Oligoastrozytom Das Oligoastrozytom WHO-Grad II ist ein langsam wachsender, diffus infiltrierender Tumor, der histologisch Areale mit oligodendroglialer und astrozytärer Differenzierung aufweist. Die Prognose ist ungünstiger als die des Oligodendroglioms und entspricht eher der des diffusen Astrozytoms (6). In den vergangenen zehn Jahren ist über das Oligoastrozytom mit zunehmender Häufigkeit berichtet worden; vermutlich wird es überdiagnostiziert. Gründe dafür sind die histologisch unscharfen diagnostischen Kriterien sowie die Tatsache, dass es für neoplastische Oligodendroglia keinen verlässlichen immunhistochemischen Marker gibt. Das genetische Profil ist in den oligodendroglialen und astrozytären Partien identisch, ein Hinweis darauf, dass es sich trotz unterschiedlicher Differenzierung um einen monoklonalen Tumor handelt. Im Vordergrund steht bei Tumoren mit vorwiegend oligodendroglialer Differenzierung wiederum der Verlust von 1p/19q (prognostisch günstiger!), bei solchen mit überwiegend astrozytärer Differenzierung eine TP53-Mutation (Abbildung 3).
Anaplastisches Oligoastrozytom Dieser WHO Grad III-Tumor wächst rasch infiltrierend und zeigt histologisch deutliche Zeichen der Malignität. Das genetische Profil entspricht wie beim
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Grad II-Oligoastrozytom der oligodendroglialen (LOH 1p/19q) oder astrozytären Differenzierung (TP53-Mutation). Die Prognose ist jedoch deutlich besser als beim Glioblastom, obwohl gelegentlich genetische Veränderungen identifiziert werden, die eher für das GBM typisch sind (EGFR-Amplifikation, CDKN2A-Verlust).
Fazit
Die WHO-Klassifikation der Tumoren des ZNS von 2007 hat bezüglich der Gliome nur wenige Änderungen der Nomenklatur eingeführt. Allerdings wurden bei einigen Tumoren die diagnostischen Kriterien geschärft. Zudem wurde der erhebliche Informationszuwachs über das genetische Profil von Gliomen berücksichtigt. Primäres und sekundäres Glioblastom sind besser charakterisiert, und diese Subtypen werden nun bei klinischen Studien und der Entwicklung
neuer Therapieansätze berücksichtigt,
auch wenn sie nur klinisch, nicht aber
histopathologisch, eindeutig diagnosti-
ziert werden können.
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Prof. Dr. med. Paul Kleihues Departement Pathologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich E-Mail: paul.kleihues@usz.ch
Quellen:
1. Louis DN, Ohgaki H et al. (Eds.): WHO Classification of Tumours of the Central Nervous System. International Agency for Research on Cancer: Lyon 2007.
2. Louis DN et al.: The 2007 WHO classification of tumours of the central nervous system. Acta Neuropathol (Berl) 2007; 114(2): 97–109.
3. Fritz A et al. (Eds): ICD-O International classification of diseases for oncology. World Health Organization, Geneva 2000.
4. Burkhard C et al.: A population-based study of the incidence and survival rates in patients with pilocytic astrocytoma. J Neurosurg 2003; 98(6): 1170–1174.
5. Ohgaki H et al.: Genetic pathways to glioblastoma: a population-based study. Cancer Res 2004; 64: 6892–6899.
6. Ohgaki H and Kleihues P: Population-based studies on incidence, survival rates, and genetic alterations in astrocytic and oligodendroglial gliomas. J Neuropath Exp Neurol 2005; 64(6): 479–489.
7. Ohgaki H and Kleihues P: Genetic pathways to primary and secondary glioblastoma. Am J Path 2007; 170(5): 1445–1453.
8. Mellinghoff IK et al.: Molecular determinants of the response of glioblastomas to EGFR kinase inhibitors. N Engl J Med 2005; 353(19): 2012–2024.
9. Wiman KG: Restoration of wild-Type p53 function in human tumors: Strategies for efficient cancer therapy. Adv Cancer Res 2007; 97: 321–338.
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