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EDITORIAL
D as Prostatakarzinom ist das häufigste Karzinom bei Schweizer Männern und die zweithäufigste Todesursache unter den malignen Erkrankungen. Jedes Jahr sterben bei uns rund 1300 Männer daran – weltweit eine der höchsten Zahlen! Pro Jahr wird das Karzinom bei etwa 3500 Männern in der Schweiz neu diagnostiziert. Die Entwicklungen bezüglich optimalem Vorgehen in Prävention, Screening, Abklärung und Behandlung verlaufen rasant und fordern täglich aufs Neue heraus. In den letzten Jahren wurden viele wichtige Erkenntnisse auf molekularer Ebene gewonnen, welche berechtigte Hoffnung wecken, dass dieses Wissen nicht nur neue, sondern auch individualisiertere Behandlungsmöglichkeiten eröffnet, dank immer genauer bestimmbarer prognostischer und prädiktiver Faktoren.
Prävention und Früherkennung – neue Daten Tatsächlich weist die Inzidenz des Prostatakarzinoms, weltweit gesehen, sehr grosse geografische Unter-
Prostatakarzinom – interdisziplinär angehen!
schiede auf. Als Ursachen werden teilweise beeinflussbare Umwelteinflüsse (z.B. Ernährung, unterschiedlich lange Sonnenexposition) und genetische Faktoren erkannt und als Grundlage zur Planung von Präventionsstudien und -massnahmen genutzt. Dass Chemoprävention prinzipiell möglich ist, beweisen die Resultate des Prostate Cancer Prevention Trial, nach denen Finasterid in der Primärprävention das Auftreten von Prostatakarzinomen um ein Viertel verringern kann (1). Gute Daten sprechen dafür, dass ein generelles Screening die in Europa bereits sinkende Mortalität weiterhin deutlich reduzieren kann. Männern über 50 Jahre und mit einer Lebenserwartung von über zehn Jahren soll gemäss Empfehlung verschiedener Organisationen eine PSA- zusammen mit einer rektalen Untersuchung angeboten werden. Bevor ein generelles Screening proklamiert wird, sollten noch die laufenden randomisierten Studien abgewartet werden, so auch die mit Schweizer Beteiligung durchgeführte multizentrische europäische ERSPC-Studie (2).
Individualisierte und verbesserte Therapien Für die Therapie lokalisierter Stadien stehen verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, sei es die als Standard geltende radikale Prostatektomie, die externe Strahlen-, Brachy-, Hormontherapie oder das expektative Vorgehen. Die Optionen sollen individualisiert erfolgen unter Berücksichtigung des Alters und der Komorbiditäten, aber auch der Patientenwünsche und der Verfügbarkeit, wobei auch finanzielle Überlegungen zum Tragen kommen können (da z.B. Brachytherapien zurzeit nicht kassenpflichtig sind). Interdisziplinäre Beurteilungen und/ oder Zweitmeinungen können den Patienten und deren Familien bei der Entscheidung helfen.
In der Hormonbehandlung des Prostatakarzinoms sind mit Studien zur Adjuvanz, zum Therapiebeginn, zur Zweitlinientherapie und zu Strategien wie intermittierender Behandlung neue Möglichkeiten eröffnet worden, deren Wertigkeiten noch zu beurteilen sind. Bezüglich Chemotherapie wurden dieses Jahr zwei grosse randomisierte Studien veröffentlicht, welche erstmalig einen Überlebensvorteil bei androgenrefraktärem metastasiertem Prostatakarzinom unter einem Zytostatikum, Docetaxel, gezeigt haben (3, 4). Auch die supportive Behandlung stellt neue Möglichkeiten bereit. Müdigkeit, Anämie, Schmerzen, Wallungen und Verlust von Knochenmasse können gezielter angegangen werden. Hervorgehoben sei, dass die Notwendigkeit einer Strahlentherapie und ossäre Komplikationen durch eine fortgesetzte BisphosphonatBehandlung mit Zoledronat deutlich verringert wird (5).
Breite Unterstützung gewünscht Die zunehmende Komplexität der medizinischen Behandlung macht den Einschluss eines medizinischen Onkologen sehr sinnvoll. Ein interdisziplinäres Team von Urologe, Onkologe, Radiotherapeut und Hausarzt sollte nicht erst in metastasierten Stadien gebildet werden. Wichtig für das Erreichen verbesserter Behandlungsmöglichkeiten bleiben auch klinische Studien. Aktuell ist der Standort Schweiz bezüglich klinischer Forschung vor allem durch neue administrative Auflagen mit enger Auslegung und teuren Versicherungskosten bedroht. Ich wünsche mir für die nächsten Jahre gelegentliche Standortbestimmungen, wie es dem BAG zusammen mit der Krebsliga Schweiz in einer Tagung und der anschliessenden Broschüre «Prostatakrebs – Fakten und Handlungsbedarf» gelungen ist. Hinzu kommen sollte eine stärkere Unterstützung der klinischen Forschung und eine verbesserte Lobby von Patientenorganisationen, damit in der Behandlung des Prostatakarzinoms die Fortschritte im klinischen Alltag Wirklichkeit werden.
Dr. med. Rudolf Morant Leitender Arzt
Zentrum für Tumordiagnostik und Prävention (ZeTuP) 9006 St. Gallen
Quellen 1. Thompson, I.M., et al.: N Engl J Med 2003; 349 (3): 215–224. 2. Recker, F., Kwiatkowski, M.: Schweiz Med Forum 2004; 4: 509–512. 3. Petrylak, D.P., et al.: N Engl J Med 2004; 351: 1513–20. 4. Tannock, I.F., et al.: N Engl J Med 2004; 351: 1502–12. 5. Saad, F., et al.: J Natl Cancer Inst 2004; 96: 879–82.
ONKOLOGIE 4/2004
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