Transkript
Prisma
«Nicht alle zu Invaliden machen!»
Sparmassnahmen des Bundes bedrohen die Situation der Krebskranken
Auf die Krebsliga kommen schwere Zeiten zu: Wegen der schwierigen Wirtschaftslage muss die Non-Profit-Organisation mit weniger Spenden und Subventionen des Bundes denn je auskommen. Auf der Jahrespressekonferenz erläuterten der scheidende Präsident Professor Franco Cavalli, Bellinzona, der neue Präsident, Professor Thomas Cerny, St. Gallen, sowie der Geschäftsführer der Krebsliga, Bruno Meili, die neuen Herausforderungen.
Im vergangenen Jahr musste die Krebsliga mit 15 Prozent weniger Spenden und Legaten wirtschaften als im Vorjahr. Während bezüglich Spendenaufkommen das schlechteste Ergebnis seit langem festgestellt wurde, sieht es um die staatlichen Mittel noch ungünstiger aus: Die Subventionen des Bundes für Präventionsprogramme sowie die Unterstützung von Krebspatienten sollen in den nächsten Jahren gestrichen werden. Bundesgelder sollen nur noch diejenigen Organisationen im Bereich Gesundheit bekommen, deren Nutzniesser bereits IV-Rente beziehen. «Damit würde ein Anreiz geschaffen, quasi alle Krebskranken zu Invaliden zu machen», sagte Cavalli, und fügte hinzu: «Das ist eine paradoxe Situation, die die Krebsliga wie alle ärztlichen Bemühungen ja gerade verhindern möchten.» Wenn es nicht gelinge, die Einnahmen zu erhöhen, müsse auf Programmteile vor allem im Bereich der psychosozialen Betreuung von Patienten und Angehörigen verzichtet werden. Ausserdem müssten einige kantonale Krebsligen schliessen.
Innovatives Fundraising Die Krebsliga setzt aktuell alle Hebel in Bewegung, damit sich die Situation für die Krebspatienten nicht verschlechtert. Dank Straffung der Organisation und intensivem Fundraising konnten bestehende Programme bisher aufrechterhalten werden, betonte Meili. «Wir suchen verstärkt Grossspender, die ganze Projekte mitfinanzieren und rufen weiterhin die Bevölkerung zum Spenden auf», sagte Cerny. Daneben fordert die Krebsliga die Pharmaindustrie zu einer fairen Preisgestaltung für neue Medikamente auf, wobei sie sich der sehr hohen Entwicklungskosten bewusst ist. Zudem wird voraussichtlich ein Projekt beschlossen, mit dem das Fund-
raising wirksamer gestaltet und die Koordination in der Mittelbeschaffung zwischen den Kantonen und der Krebsliga verbessert werden kann. Der unter den Kantonen und beim Bund politisch heiss umstrittene Finanzausgleich wird innovativ angegangen: Ein von allen kantonalen Ligen je nach Finanzkraft gespeister Fonds fördert Projekte, finanziert Beratungen und leistet Überbrückungshilfen für jene kantonalen Ligen, die finanzielle Probleme haben.
Aktuelle Projekte: Tabakprävention bis Palliativmedizin Zu den wichtigsten Projekten, die aufgrund des Einsatzes der Krebsliga Schweiz aktuell vorangetrieben wurden, gehören: ▲ Die Förderung von Projekten im Bereich
Psycho-Onkologie und Palliativmedizin. Hierzu gehören eine Befragung von Patienten und Angehörigen zur psychosozialen Versorgung in der Schweiz als Grundlage für den Entwurf der Krebspolitik sowie Projekte zur besseren Schmerzbekämpfung vor allem in den Spitälern. ▲ Die vermehrte Unterstützung der patientenbezogenen Forschung in Zusammenarbeit mit Oncosuisse und der «Krebsforschung Schweiz». ▲ Der Aufbau von Oncosuisse als Dachorganisation für die Krebsbekämpfung in der Schweiz. Im Herbst 2004 soll der Entwurf einer nationalen Krebspolitik im Parlament vorgestellt werden. Ziel ist es, die Krebsbekämpfung besser zu koordinieren, die Qualität der Forschung, Behandlung und Pflege zu verbessern und mit gleichen Mitteln bedeutend mehr zu leisten. ▲ Der Tabak-Präventionsfonds des BAG: Es fliessen 2,6 Rappen pro Zigarettenschachtel in den Fonds, sodass jährlich rund 18 Millionen Franken im Kampf gegen die wichtigste Krebsursache, den Tabakkonsum, zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel wurden damit verdoppelt, über ihren Einsatz ist noch nicht entschieden. Cerny machte die besondere Verantwortung anhand von Zahlen deutlich: «Aktuell leben 250 000 Menschen mit der Diagnose Krebs in der Schweiz, ein Teil davon ist als geheilt ein-
gestuft. Mit den heutigen medizinischen
Möglichkeiten hätten 60 000 Fälle vermieden
werden können. Aktuell erkranken aber jedes
Jahr zirka 35 000 Menschen neu an Krebs,
wegen der höheren Lebenserwartung mit
steigender Tendenz.
In unserem Land, das zu jenen mit der besten
medizinischen Ausstattung der Welt gehört,
sollten wir alle Potenziale ausschöpfen kön-
nen.»
▲
hir
Quelle: Jahres-Medienkonferenz der Krebsliga Schweiz, Bern, 22. April 2004
Professor Dr. med. Thomas Cerny, Chefarzt der
Abteilung Onkologie/ Hämatologie am
Kantonspital St. Gallen, ist für die Amtsperiode,
2004 bis 2007 neuer Präsident der Krebsliga Schweiz.
Herr Professor Cerny, welche Projekte liegen Ihnen als Präsident der Krebsliga Schweiz besonders am Herzen? Thomas Cerny: Mein besonderes Anliegen ist es, die psychoonkologische Führung der Patienten und ihrer Angehörigen zu verbessern und die entsprechenden Projekte, in denen der Patient im Vordergrund steht, voranzutreiben. Hierzu gehört auch die Palliativmedizin. Selbstverständlich ist die Grundlagenforschung wichtig, sie muss weiter gefördert werden, doch dürfen die Gelder nicht überwiegend in die Forschungszentren fliessen. Relevant wird immer mehr die Tatsache, dass viele Krebspatienten mit den heutigen Therapien zwar nicht geheilt werden, aber oft lange Zeit leben können, teilweise trotz fortgeschrittener Krankheit, und zwar in guter Lebensqualität. Dies ist besonders relevant in einer immer älter werdenden Gesellschaft und vor dem Hintergrund, dass Krebs eine typische Alterskrankheit ist, die vor allem nach dem 55. Lebensjahr auftritt. Die psychoonkologische Begleitung, die vor allem die kantonalen Krebsligen leisten, ermöglicht es den Kranken vielfach, berufstätig zu bleiben, im Alltag aktiv zu sein, zu Hause zu leben und später dort auch in Würde und mit guter Schmerzkontrolle zu sterben. Es lohnt sich also, die Situation von Krebskranken weiter zu verbessern und dafür Gelder zu investieren, weil wir uns allen damit helfen. Dem Bund gilt es klar zu machen, dass wir nicht erst bei Beziehern der Invalidenrente beginnen könnten, Unterstützung zu leisten.
46 ONKOLOGIE 2/2004